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Entscheidung 1 AGH1 AGH 3/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 15.12.2022
Aktenzeichen 1 AGH1 AGH 3/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:1215.1AGH1AGH3.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 12.11.2021, Az 01-06987/20, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2021 wird aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger war seit Dezember 2009 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und Mitglied der Beklagten. In der Zeit vom 06.09.2018 bis zum 28.05.2020 war er Mitglied der Rechtsanwaltskammer … und wechselte anschließend wieder zurück zur Beklagten, deren Mitglied er jedenfalls bis Februar 2022 war.

Der Kläger ist weit überwiegend im Sozialrecht tätig.

1.

Nach Durchführung von Ermittlungen und Anhörungen des Klägers am 22.06.2021 und am 04.08.2021 widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 12.11.2021, zugestellt am 17.11.2021, die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls.

Dazu legte sie die Entwicklung der offenen Verbindlichkeiten des Klägers im Einzelnen dar. Während der Kläger im Februar 2019 gegenüber dem Rechtsanwaltsversorgungswerk lediglich eine Verbindlichkeit von 773,79 € gehabt habe, sei diese bis Juni 2021 auf 12.328,21 € angewachsen. Weitere Verbindlichkeiten habe der Kläger zu diesem Zeitpunkt gehabt gegenüber der Rechtsanwaltskammer aus einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren von 7.879,23 €, gegenüber dem Finanzamt (X) von 14.800 € sowie gegenüber der Staatsanwaltschaft (X) aus einer Geldstrafe nebst Kosten von 10.135,41 €, in der Summe mithin ein Betrag von 45.142,85 €. Auch im August 2021 hätten diese Verbindlichkeiten bestanden, wobei sich die Verbindlichkeit gegenüber dem Rechtsanwaltsversorgungswerk auf 13.483,01 € erhöht habe, so dass die Summe der offenen Verbindlichkeiten 46.297,65 € betrage. Im Oktober 2021 habe sich die Verbindlichkeit gegenüber dem Rechtsanwaltsversorgungswerk auf 14.861,40 € erhöht, diejenige gegenüber der Rechtsanwaltskammer bestehe noch in Höhe von 7.192,71 €, die Steuerverbindlichkeiten hätten sich auf 11.300 € reduziert und die Verbindlichkeit gegenüber der Staatsanwaltschaft sei zwischenzeitlich vollständig getilgt worden. Das Geschäftskonto des Klägers sei in Höhe von 3.057,74 € gepfändet worden, so dass die Summe der offenen Verbindlichkeiten 36.411,85 € ergebe.

Weiter führte die Beklagte aus, dass keine vollstreckungsfähige Forderung freiwillig bedient werde. Die Forderung des Rechtsanwaltsversorgungswerks werde durch regelmäßige Begleichung bloßer Teilsummen an den örtlichen Gerichtsvollzieher bedient. Die Forderungen des Finanzamtes müssten über Zwangsvollstreckungsmaßnahmen betrieben werden, die „potentiell erfolglos“ sein würden. Forderungen der Rechtsanwaltskammer würden, abgesehen von einer Teilzahlung, nicht freiwillig geleistet, sondern unterfielen ebenfalls der bislang erfolglosen Zwangsvollstreckung. In der Gesamtschau verharre der Kläger damit auf einem vergleichsweise hohen Verbindlichkeitsvolumen, das freiwillig kaum bedient werde und dessen zwangsweise Beitreibung ebenfalls nicht zur zeitnahen und vollständigen Gläubigerbefriedigung führen könne.

Wegen insgesamt elf weiterer (im Einzelnen aufgeführter) Forderungen von insgesamt 12.785,86 € seien in einem Zeitraum von zwölf Monaten Vollstreckungshandlungen gegen den Kläger veranlasst worden. In drei weiteren Fällen sei jeweils Zahlungsklage gegen den Kläger erhoben worden (in Höhe von 725,02 €, 464,10 € bzw. 657,70 €), nachdem der Kläger in diesen Fällen mehrfach außergerichtlich gemahnt worden sei. Schließlich stehe auch noch die bereits zweimal angemahnte Zahlung des Kammerbeitrages von 375,00 € für das Jahr 2021 aus.

Unter Anwendung der maßgeblichen Kriterien sei offenkundig ein Vermögensverfall des Klägers festzustellen. Für die vergangenen 16 Monaten müsse sich der Kläger insgesamt 15 Klage- und Vollstreckungsverfahren entgegenhalten lassen, die stets in vergleichbarer Weise abliefen: Auf die außergerichtliche Anmeldung der Forderung reagiere der Kläger nicht; im streitigen Verfahren artikuliere der Kläger prinzipiell keine belastbare Einlassung; gewährte Möglichkeiten der freiwilligen Leistung nutze der Kläger nicht und im Vollstreckungsverfahren zahle der Kläger nicht einmal in Ansehung eines Titels freiwillig. Zwar habe der Kläger die Forderung der Staatsanwaltschaft (X) beglichen und damit ein „Residuum wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit“ nachgewiesen. Dabei müsse jedoch berücksichtigt werden, dass dem Kläger im Falle der Nichtzahlung Strafhaft gedroht habe. In der wertenden Gesamtschau manifestiere sich die regelmäßige Unwilligkeit bzw. das regelmäßige Unvermögen, berechtigte Forderungen freiwillig zu bezahlen und es bei titulierten Forderungen bis zur Vollstreckung kommen zu lassen. Selbst diese Vollstreckungen seien in einer beachtlichen Vielzahl von Fällen erfolglos. Der Kläger sei ersichtlich aus den zugänglichen Quellen seines Einkommens und Vermögens nicht in der Lage, die berechtigt geltend gemachten Forderungen zu bedienen.

2.

Gegen den Bescheid vom 12.11.2021 legte der Kläger mit Schreiben vom 17.11.2021 Widerspruch ein und begründete diesen lediglich damit, dass weder ein Insolvenzverfahren gegen ihn bekannt noch er im Schuldnerregister eingetragen sei und die Voraussetzungen der herangezogenen Norm ersichtlich nicht vorlägen.

3.

Mit Bescheid vom 29.11.2021, dem Kläger zugestellt am 02.12.2021, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Forderung der Rechtsanwaltskammer sei zwischenzeitlich erfüllt. Das Finanzamt habe mitgeteilt, dass keinerlei Steuerverbindlichkeiten mehr bestünden. Demgegenüber habe sich die Forderung des Rechtsanwaltsversorgungswerkes auf nunmehr 17.065,10 € erhöht; die letzte Zahlung an den Gerichtsvollzieher habe ein Volumen von lediglich 468,01 € bei einer monatlichen Leistungsschuld von 1.246,20 €. Die Beklagte sei zudem darüber unterrichtet worden, dass gegen den Kläger zwischenzeitlich drei weitere Forderungen in Höhe von 725,02 €, 127,91 € bzw. 83,54 € geltend gemacht würden. Angesichts der weiterhin bestehenden vollstreckungsreifen Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 21.906,56 € sei davon auszugehen, dass der Kläger einzelne Verbindlichkeiten auf Dauer nicht begleichen könne. Vereinbarungen zwischen dem Kläger und seinen Gläubigern über eine geordnete Rückführung der Verbindlichkeiten – wie dies geordneten Vermögensverhältnissen entsprechen würde – seien nicht festzustellen. Die Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen lasse erkennen, dass beim Kläger hinterlegte Vermögensgelder seiner Mandanten hochgefährdet seien.

4.

Gegen den Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids richtet sich die am 02.12.2021 erhobene Klage, die der Kläger zunächst nur mit der abstrakt formulierten Ansicht begründet hat, dass die Voraussetzungen für die Vermutung eines Vermögensverfalls nicht vorlägen.

Nach einigen Hinweisen des Senatsvorsitzenden hat der Kläger schließlich drei Kontoauszüge seines Geschäftskontos bei der … (DE .. …. …. …. …. 82) vorgelegt, die die Monate Oktober bis Dezember 2021 abdecken. Auf dem Geschäftskonto befänden sich keine Fremdgelder; er sei schwerpunktmäßig im Sozialrecht tätig, in diesem Bereich würden keine Fremdgelder vereinnahmt oder verwaltet. Der Kläger hat zudem die einen Kredit aus dem Jahr 2016 für den Umbau seiner Kanzleiräume betreffenden Kontoauszüge der … (DE .. …. …. …. …. 44) für das Jahr 2021 vorgelegt. Im Übrigen hat der Kläger vorgetragen, dass zwar noch weitere Konten existieren, diese jedoch keine negativen Salden aufweisen würden und er diese deshalb nicht vorlegen werde.

Mit Schriftsatz vom 24.03.2022 hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass er die Forderung des Rechtsanwaltsversorgungswerkes in Raten begleiche, weil dies angesichts der fehlenden Verzinsung wirtschaftlich sinnvoll sei. Er ist der Behauptung der Beklagten entgegen, dass Kontopfändungen erfolglos geblieben seien; tatsächlich habe der zur Verfügung stehende Kontobestand zur Begleichung der gepfändeten Forderung ausgereicht. Der Kläger hat die schleppenden Zahlungen im Jahr 2021 eingeräumt, die ihre Ursache jedoch nicht in einem Vermögensverfall, sondern in einer diagnostizierten Depression des Klägers gehabt hätten. Seine Therapeutin habe ihm geraten, nur Dinge zu tun, an denen er Spaß habe, wozu Rechnungen zu bezahlen, nicht gehöre.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 12.11.2021 und den Widerspruchsbescheid vom 29.11.2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass die bisherigen Auskünfte des Klägers unvollständig seien, weil er noch über weitere Konten verfüge. Zudem habe der Kläger eingeräumt, bei Zahlungsverpflichtungen auf die Aufforderung des Gerichtsvollziehers zu warten; eine derartige Erledigungskultur sei eine unmittelbare Gefahr für die Vermögensinteressen der Mandanten.

Entscheidungsgründe

1.

Die Klage ist als Anfechtungsklage nach §§ 112c BRAO, 42 VwGO statthaft, insbesondere fristgerecht erhoben und auch im Übrigen zulässig.

2.

Die Klage ist auch begründet, da der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 112c BRAO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger war zu dem hier maßgeblichen Stichtag am 29.11.2021 nicht in Vermögensverfall im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 BRAO geraten.

a)

Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen (st Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 20.01.2022, AnwZ (Brfg) 42/21 – Rn. 6 m.w.N.). Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO besteht eine gesetzliche Vermutung für den Eintritt eines Vermögensverfalls, wenn der Rechtsanwalt in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO; § 882b ZPO) eingetragen ist.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit des Widerrufs ist der Erlass des Widerspruchsbescheids; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (BGH, Beschluss vom 29.06.2011, AnwZ (Brfg) 11/10). Im vorliegenden Fall ist demnach der Eintritt des Vermögensverfalls für den 29.11.2021 zu prüfen. Nach diesem Zeitpunkt begründete oder fällig gewordene Verbindlichkeiten sind demnach für die hier vorzunehmende Prüfung schon nicht relevant.

b)

Die Fälle der gesetzlichen Vermutung liegen nicht vor, so dass hier ein außerhalb der gesetzlichen Vermutung liegender Fall eines Vermögensverfalls anhand von Beweisanzeichen festzustellen wäre. Geeignete Beweisanzeichen hierfür sind z.B. offene Verbindlichkeiten, Schuldtitel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die sich gegen den Rechtsanwalt richten (BGH a.a.O.). Derartige Beweisanzeichen liegen mit den unstreitigen Forderungsrückständen und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger vor. Gibt es hinreichende derartige Beweisanzeichen, die den Schluss auf den Eintritt des Vermögensverfalls zulassen, kann der betroffene Rechtsanwalt diesen Schluss nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlegt, welche Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides gegen ihn bestanden und wie er sie - bezogen auf diesen Zeitpunkt - zurückführen oder anderweitig regulieren wollte (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2015 - AnwZ (Brfg) 51/13, juris Rn. 14). Der erkennbar persönlich motivierte Widerwille des Klägers, seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Rechtsanwaltsversorgungswerk zu erfüllen, führt nicht zur Widerlegung der Beweisanzeichen. Der Einwand der Zahlungsunwilligkeit ist vielmehr unbeachtlich, wenn und soweit der Schuldner zugleich zahlungsunfähig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18.04.2018, AnwZ (Brfg) 12/18, Rn. 17, juris).

c)

Nach den vom Kläger - erstmals im Klageverfahren - vorgelegten Kontoauszügen können dessen finanzielle Verhältnisse zum 29.11.2021 nicht als „schlecht“ qualifiziert werden.

aa)

Aus den vorgelegten Kontoauszügen des Geschäftskontos ergeben sich für die Zeit vom 30.09.2021 bis zum 31.12.2021 durchweg hohe fünf- bzw. sechsstellige Habenbeträge. Am 30.09.2021 hatte das Konto ein Habensaldo von 80.423,33 €, am 30.10.2021 einen solchen von 93.059,24 €, am 30.11.2021 einen solchen von 104.873,57 € und schließlich am 31.12.2021 ein Habensaldo von 109.264,93 €. Unter Berücksichtigung der genannten Monatsabschlusssalden und den sich aus den Kontoauszügen ergebenden Einnahmen und Ausgaben errechnet sich der Kontostand zum 29.11.2021 auf 100.791,00 €.

Es handelt sich um ein Konto, auf das eine Vielzahl von Gutschriften der Bundesagentur für Arbeit, von Landkreisen und des Ministeriums der Finanzen des Landes Brandenburg eingeht, überwiegend Beträge im unteren dreistelligen Bereich. Dabei handelt es sich ersichtlich weit überwiegend um den Ausgleich von Anwaltsgebühren aus sozialrechtlichen Verfahren. Es ist nicht ersichtlich, dass Mandantengelder dort eingegangen sind. Auf das Konto geht auch eine monatliche „Rente“ der …-Lebensversicherungs-AG in Höhe von 1.442,10 € ein. Von diesem Konto werden Löhne, Sozialversicherungsbeträge, Lohn-, Einkommens- und Umsatzsteuer, Miete für ein Büro in W… sowie Kosten für Strom, Telefon, EDV, juristische Datenbanken usw. gezahlt. Die Zahlungen, einschließlich der Steuern, werden überwiegend per Lastschrift eingezogen.

Aus den Kontoauszügen ist ersichtlich, dass der Kläger die Verbindlichkeit gegenüber der Rechtsanwaltskammer am 15.11.2021 und zwei Verbindlichkeiten gegenüber der …-Rechtsschutzversicherung (61,83 € bzw. 22,07 €) am 24.11.2021 durch Überweisung beglichen hat. Die im Wege der Kontopfändung vollstreckte Forderung in Höhe von 3.057,74 € betrifft eine Verbindlichkeit gegenüber dem Finanzamt (Y); diese wurde am 19.11.2021 vom Konto abgebucht. Schließlich findet sich eine (nicht zuordenbare) Überweisung von 352,40 € am 01.11.2021 an den Obergerichtsvollzieher B….

Im Oktober 2021 stehen Zahlungseingänge von rund 54.000 € Zahlungsausgängen von rund 42.000 € gegenüber. Im November 2021 betragen die Zahlungseingänge rund 62.000 € bei Zahlungsausgängen von rund 51.000 €. Schließlich weist auch der Dezember 2021 einen Eingangsplus von rund 3.000 € auf, wobei der Kläger in diesem Monat Privatentnahmen von weiteren 15.000 € getätigt hatte (5.000 € am 13.12.2021 sowie 10.000 € am 29.12.21).

Hinweise darauf, dass die Kontoauszüge inhaltlich verändert wurden, finden sich nicht. Insbesondere entsprechen die Kontostände in den monatlichen Abrechnungen der Bank den Kontosalden. Die sich aus den Kontoauszügen ergebenden Liquiditätsüberschüsse aus der anwaltlichen Tätigkeit beliefen sich im Oktober auf rund 12.000 € und im November auf rund 11.000 €, wobei Tilgungen auf die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Verbindlichkeiten von mehr als 10.000 € bereits als Ausgaben berücksichtigt sind. Dass sich diese Entwicklung auch für den Dezember mit einem Liquiditätsüberschuss von 18.000 € (3.000 € zzgl. 15.000 € Entnahmen) fortsetzt, ist hier – da nach dem 29.11.2021 liegend – nicht zu berücksichtigen.

bb)

Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt am 29.11.2021 bestand demnach lediglich noch die Verbindlichkeit gegenüber dem Rechtsanwaltsversorgungswerk in Höhe von 17.065,10 € sowie drei weitere Verbindlichkeiten von zusammen 936,47 €. Diesen Verbindlichkeiten von insgesamt 18.001,57 € stand ein liquides Bankguthaben in Höhe von 100.791,00 € gegenüber. Der sich aus der Verrechnung der hier in Rede stehenden Verbindlichkeiten mit dem liquiden Bankvermögen ergebende Saldo beträgt mehr als 80.000 €, so dass die finanziellen Verhältnisse des Klägers nicht als „schlecht“ zu qualifizieren sind.

Der Senat geht entgegen der Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 24.10.2022, dass die auf dem Konto eingegangenen Gelder jedenfalls teilweise auch auszukehrende Fremdgelder sein könnten und vor Klärung dieser Frage offen sei, ob das Vermögen des Klägers insgesamt tatsächlich ausgeglichen sei, davon aus, dass dies nicht oder jedenfalls in einem vernachlässigenswerten Umfang der Fall ist. Ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge handelt es sich bei den eingegangenen Zahlungen auf Kostenfestsetzungsanträge um eine Vielzahl von Zahlungen mit kleineren Beträgen. Gegen den Kläger sind in der Vergangenheit nur vereinzelt nicht an eine Rechtsschutzversicherung weitergeleitete Beträge gerichtlich geltend gemacht worden. Das lässt darauf schließen, dass der Kläger entweder nicht in nennenswertem Umfang an Dritte abzuführende Fremdgeldeingänge hat oder diesen Verpflichtungen ansonsten nachgekommen ist. Hierfür spricht auch, dass der Kläger gerichtsbekannt ausschließlich im Sozialrecht tätig ist und Mandanten im Sozialrecht schon aus finanziellen Gründen eher selten eine Rechtsschutzversicherung unterhalten. Selbst wenn aus den Zahlungseingängen in den Monaten Oktober und November kleinere Beträge an Rechtsschutzversicherungen abzuführen wären, würde es den Überschluss der monatlichen Zahlungseingänge über die monatlichen Zahlungsabflüsse nicht in einem solchen Umfang verringern, dass dem Kläger eine Begleichung seiner Verbindlichkeiten nicht mehr möglich ist. Hinsichtlich seiner sonstigen Vermögensverhältnisse hat der Kläger Unterlagen über einen noch in Höhe von rund 206.000 € valutierenden Immobilienkredit vorgelegt, der ausweislich der zur Akte gereichten Kontoauszüge durchgängig und regelmäßig bezahlt wurde. Nach seinen Angaben würden weitere Privatkonten im Haben geführt. Kontoauszüge hat der Kläger insoweit nicht vorgelegt.

cc)

Auch wenn der Kläger seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht vollständig offengelegt hat, ist nach Auffassung des Senats von einem Vermögensverfall nicht auszugehen.

Zwar muss ein Rechtsanwalt, wenn Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall vorliegen, seine Verbindlichkeiten und seine Vermögensverhältnisse vollständig offenlegen, um diese Beweisanzeichen zu entkräften. Der BGH hat jedoch mit Beschluss vom 10.07.2015 – AnwZ (Brfg) 25/14 – in einem Fall, in dem sich ein Rechtsanwalt hartnäckig weigerte, eine geringfügige Forderung von einigen hundert Euro zu begleichen und er auch keine belastbaren Angaben über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse gemacht hat, einen Vermögensverfall gleichwohl verneint, weil es keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür gebe, dass er andere Forderungen nicht begleichen oder anderweitig regulieren könne; das Verhalten des dortigen Klägers sei schlicht irrational.

Vorliegend hat der Kläger Kontoauszüge für sein Geschäftskonto und sein Darlehenskonto vorgelegt. Er hat eine Erklärung für das Unterlassen der Bezahlung fälliger Verbindlichkeiten geliefert, nämlich eine Depression. Die vorgelegten Kontoauszüge weisen keine Anhaltspunkte für einen Vermögensverfall aus. Es erfolgen regelmäßig Zahlungen auf verschiedene Verbindlichkeiten. Es sind darüber hinaus ausreichende Guthaben zur Begleichung offener Verbindlichkeiten der hier streitgegenständlichen Größenordnung vorhanden. Anhaltspunkte für weitere als die von der Beklagten ermittelten und vorgetragenen Verbindlichkeiten bestehen nicht. Auch wenn eine Depression keine Rechtfertigung für das Unterlassen der Bezahlung fälliger Verbindlichkeiten ist, macht es dies jedenfalls nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat ausnahmsweise für entbehrlich, dass der Kläger über die vorgelegten Unterlagen hinaus seine gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen legen muss.

dd)

Die weitere Voraussetzung, wonach der Rechtsanwalt nicht in der Lage ist, seine Vermögensverhältnisse in absehbarer Zeit zu ordnen, ist erkennbar nicht gegeben, wenn der Rechtsanwalt in der Lage ist, sämtliche offenen Verbindlichkeiten aus seinem liquiden Vermögen unmittelbar zu begleichen. Darauf, dass die Vermögensverhältnisse des Klägers zu einem früheren Zeitpunkt weniger geordnet waren, kommt es hier nicht an, weil es sich bei der hier vorzunehmenden Bewertung zum einen um eine Stichtagsbewertung handelt und zum anderen die zwischenzeitlich eingetreten Ordnung der Vermögensverhältnisse gerade die Fähigkeit des Rechtsanwalts belegt, seine Vermögensverhältnisse – sollte dies erforderlich sein - auch für die Zukunft zu ordnen.

ee)

Aus den gleichen Gründen greift schließlich das dritte Kriterium nicht, wonach der Rechtsanwalt außerstande sein muss, seinen Verpflichtungen nachzukommen – ersichtlich ist der Kläger in der Lage seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.

ff)

Dass der Kläger – trotz ausreichender Liquidität – offenbar Vollstreckungsmaßnahmen gegen sich in Kauf nimmt, trifft zum hier maßgeblichen Stichtag nur noch für die Verbindlichkeit gegenüber dem Rechtsanwaltsversorgungswerk zu. Ob derartige Vollstreckungen zur Gefährdung von Mandantengeldern führen, ist allein nicht relevant. Maßgeblich ist vielmehr das Vorliegen eines Vermögensverfalls. Zwar dient § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, wie die darin normierte Gegenausnahme zeigt, in erster Linie dem Schutz der Rechtssuchenden, insbesondere auch dem Schutz von Fremdgeldern. Daraus lässt sich jedoch nicht im Umkehrschluss folgern, dass jede Gefährdung von Fremdgeldern zugleich ein Indiz für einen Vermögensverfall darstellt. Wenn die Vollstreckung auf einer irrationalen Nichtzahlung von Verbindlichkeiten trotz ausreichenden Vermögens beruht, ist dies eben nicht der Fall.

3.

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 VwGO sind nicht ersichtlich. Insbesondere Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung wirft die Sache nicht auf, bei der es in erster Linie um die einzelfallbezogene Würdigung von Indizien für die Annahme eines Vermögensverfalls geht.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert ist gemäß § 194 Abs. 2 BRAO festgesetzt.