Gericht | VG Potsdam 4. Kammer | Entscheidungsdatum | 29.12.2022 | |
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Aktenzeichen | 4 L 827/22 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2022:1229.4L827.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Das Verfahren über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist in der Hauptsache erledigt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
1. Der Antragsteller hat ursprünglich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mit Antrag vom 2. November 2022 begehrt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom selben Tag gegen die Versiegelungsanordnung des Antragsgegners vom 13. Oktober 2022 wiederherzustellen.
Nachdem der Antragsgegner unter dem 10. November 2022 den Termin zur Versiegelung aufgehoben hatte, hat der Antragsteller die Erledigung des Rechtsstreits erklärt, der sich der Antragsgegner nicht vollumfänglich angeschlossen hat.
Der Antragsteller begehrt nunmehr sinngemäß,
festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.
Die Abkehr von seinem ursprünglichen Sachantrag zum Erledigungsfeststellungsantrag ist zulässig und stellt eine zulässige Antragsänderung dar. Die Grundsätze über die Behandlung einer einseitig gebliebenen Erledigungserklärung gelten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend (BVerwG, Beschluss vom 15. November 2012 - 7 VR 9/12 -, juris Rn. 4; VGH München, Beschluss vom 1. Dezember 2003 - 3 CE 03.2098 -, juris Rn. 17; Beschluss vom 28. März 2019 - 3 CE 18.2248 -, juris Rn. 5 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 3 S 375/11 -, juris Rn. 7; Beschluss vom 10. Juli 2017 - 9 S 1253/17 -, juris Rn. 7; OVG Bautzen, Beschluss vom 17. August 2012 - 3 B 246/12 -, juris Rn. 6; Beschluss vom 8. Mai 2015 - 5 B 12/15 -, juris Rn. 3; OVG Magdeburg, Beschluss vom 31. Juli 2014 - 2 M 36/14 -, juris Rn. 1; Beschluss vom 7. Januar 2016 - 2 M 136/15 -, juris Rn. 7). Auch hier muss der Antragsteller die Möglichkeit haben, auf den Eintritt der Erledigung der Hauptsache gegebenenfalls anders als durch die unvermeidlich zur Kostentragungspflicht führende Antragsrücknahme zu reagieren.
Zuständig für die Entscheidung ist nicht gemäß § 87a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwGO der Vorsitzende bzw. Berichterstatter, sondern der Spruchkörper, da es nicht lediglich um die Kostenentscheidung „bei“ Erledigung des Rechtsstreits geht (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 8. Mai 2015 - 5 B 12/15 -, juris Rn. 1).
Der Erledigungsfeststellungsantrag hat auch Erfolg. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO war zulässig und der Antragsgegner hat kein berechtigtes Interesse an einer Sachentscheidung.
Das vom Antragsteller eingeleitete einstweilige Rechtschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO hat sich erledigt. Das Vorliegen einer Erledigungssituation setzt voraus, dass die Klage - oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Antrag - infolge eines Ereignisses unzulässig oder unbegründet geworden ist.
Mit Bescheid vom 13, Oktober 2022 ordnete der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller an, dass die Versiegelung der Baustelle auf den Grundstücken der Gemarkung L… am 16. November 2022 um 10:00 Uhr durchgeführt wird. Dadurch, dass der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 10. November 2022 den Termin ersatzlos aufgehoben hat, hat sich der Verwaltungsakt vollständig erledigt, so dass der Eilrechtsschutzantrag des Antragsstellers mangels bestehender Beschwer unzulässig geworden ist. Denn die im Bescheid vom 13. Oktober 2022 enthaltene Versiegelungsanordnung ist aus der Perspektive eines objektiven verständigen Empfängers der in Frage stehenden Verfügung nach einer Auslegung gemäß §§ 133, 157, 242 BGB in analoger Anwendung untrennbar mit dem Termin zur Versiegelung verbunden.
Nach § 79 Abs. 2 BbgBO kann die Bauaufsichtsbehörde dann, wenn unzulässige Arbeiten trotz einer verfügten Einstellung fortgesetzt werden, die Baustelle versiegeln oder die an der Baustelle vorhandenen Bauprodukte, Geräte, Maschinen und Bauhilfsmittel in amtlichen Gewahrsam bringen. Bei der Versiegelungsanordnung handelt es sich gerade nicht um die auf einer ersten Stufe erfolgte Androhung eines Zwangsmittels. Sie ist vielmehr selbst ein besonderes, eigenständig geregeltes Zwangsmittel, für dessen Anwendung eine vorherige Androhung nicht erforderlich ist. Auch ist die Versiegelung als rein tatsächlicher Vorgang ein Realakt (vgl. Reimus, in: Reimus/Semtner/Langer, Die Neue Brandenburgische Bauordnung, 4. Auflage 2017, § 79 Rn. 11; vgl. zu Art. 75 BayBO, Decker, in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 147. EL August 2022, Art. 75 BayBO Rn. 115), wohingegen die ihrem Inhalt nach eine Festsetzung des Zwangsmittels darstellende Versiegelungsanordnung einen Verwaltungsakt darstellt (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 5. Juli 2007 - VG 4 L 317/07 -, n.v., S. 4 EA; vom 28. Februar 2011 - VG 4 L 116/11 -, n.v., S. 2 EA; vom 29. Juni 2011 - VG 4 L 215/11 -, n.v., S. 2 EA). Wenn – wie hier – die Behörde bei der Ankündigung eines Realaktes – der Versiegelung – einen bestimmten Termin benennt, so verklammert sie die Durchführung dieses Realaktes untrennbar mit der Terminbestimmung. Anderenfalls hat die bloße Ankündigung, in ungewisser Zeit, eine tatsächliche Handlung vorzunehmen keine erkennbare (Regelungs-) Wirkung, insbesondere da die Versiegelungsanordnung gerade nicht die Androhung eines Zwangsmittels darstellt, sondern bereits das Zwangsmittel selbst ist. Dieses gilt auch und erst recht, wenn man in der Anordnung der Versiegelung eine (nicht erforderliche) Information über das beabsichtigte zukünftige Handeln sieht (Beschluss der Kammer vom 5. Juli 2007 - VG 4 L 317/07 -, n.v., S. 4 EA).
Vor diesem Hintergrund geht die teilweise Erledigungserklärung des Antragsgegners ins Leere.
Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO war im Zeitpunkt der Antragstellung auch zulässig, so dass es auf die Frage, ob die Zulässigkeit überhaupt Prüfungsgegenstand des Erledigungsfeststellungsrechtsstreits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. November 2012 - 7 VR 9/12 -, juris Rn. 5; OVG Magdeburg, Beschluss vom 7. Januar 2016 - 2 M 136/15 -, juris Rn. 7) nicht ankommt. Die Kammer neigt überdies der Auffassung zu, dass der Antrag des Antragstellers ursprünglich als Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO aufzufassen war, da dem Widerspruch gegen eine Versiegelungsanordnung bereits gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 16 VwVGBbg keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. OVG Brandenburg, Beschluss vom 22. Februar 2002 - 3 B 374/01 -, n.v., S. 2 EA zu § 82 Abs. 1 Satz 3 BbgBO a.F.; Beschlüsse der Kammer vom 5. Juli 2007 - VG 4 L 317/07 -, n.v., S. 4 EA; vom 28. Februar 2011 - VG 4 L 116/11 - n.v., S. 2 EA; vom 29. Juni 2011 - VG 4 L 215/11 -, n.v., S. 2 EA; Reimus, in: Reimus/Semtner/Langer, Die Neue Brandenburgische Bauordnung, 4. Auflage 2017, § 80 Rn. 25).
Dem Antragsgegner kommt auch kein berechtigtes Interesse an einer Sachentscheidung über den ursprünglichen Rechtsschutzantrag des Antragstellers zu. Hat sich im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die Hauptsache erledigt, so hat der Antragsgegner grundsätzlich kein berechtigtes Interesse an einer Sachentscheidung mehr, da Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens - trotz der Bedeutung als Kriterium bei der Interessenabwägung - nicht die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes ist, sondern allein der Vollzug dieses Aktes in Frage steht und im Übrigen nur eine summarische Prüfung stattfindet. Da nach Erledigung der Hauptsache diese Sicherungsfunktion nicht mehr erfüllt werden kann, bleibt für eine gleichsam gutachtliche Feststellung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts oder der Vollziehbarkeitsanordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kein Raum (VGH Mannheim, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 3 S 375/11 -, juris Rn. 17; OVG Magdeburg, Beschluss vom 7. Januar 2016 - 2 M 136/15 -, juris Rn. 9 f.; VGH München, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 CE 18.2248 -, juris Rn. 17 f.; im Ergebnis auch BVerwG, Beschluss vom 15. November 2012 - 7 VR 9.12 -, juris Rn. 5).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 GKG, wobei die Kammer das Interesse des Antragstellers hinsichtlich der Versiegelungsanordnung in Anlehnung an Nr. 1.7.1 Satz 1 des Streitwertkatalogs und in Ansehung des Umstandes, dass sie das Interesse des Klägers an der zugrunde liegenden Baueinstellungsverfügung mit 30.000,00 Euro bemessen hatte (Beschluss der Kammer vom 13. Juli 2021 - VG 4 L 292/21), mit 7.500 Euro in Ansatz gebracht hat.