Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 13 UF 116/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 21.12.2022
Aktenzeichen 13 UF 116/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:1221.13UF116.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin werden der Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 21.06.2022 – 20 F 95/22 – in der Fassung des Beschlusses vom 07.07.2022 und das Verfahren, auf dem er beruht, aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Nauen zurückverwiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Im Übrigen obliegt dem Amtsgericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 € festgesetzt.

4. Dem Antragsteller wird für die Rechtsverteidigung im Beschwerderechtszug Verfahrenskostenhilfe ohne Anordnung von Ratenzahlungen bewilligt und Rechtsanwältin D... S... in ... als Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Regelung des Umgangs des Antragstellers mit dem in ihrem Haushalt lebenden gemeinsamen Sohn N....

Mit verfahrenseinleitendem Antrag vom 30.05.2022 (Bl. 1) hat der Antragsteller regelmäßigen Wochenendumgang mit zwei Übernachtungen im vierzehntäglichen Rhythmus sowie wöchentlichen Nachmittagsumgang an jeweils zwei Tagen beantragt, nachdem eine mithilfe des Jugendamts vereinbarte Umgangsregelung der Antragsbeteiligten gescheitert war.

Nach persönlicher Anhörung der Antragsbeteiligten und des Jugendamts am 21.06.2021 (Bl. 23) hat das Amtsgericht durch die angefochtene Entscheidung vom 21.06.2022 (Bl. 35), berichtigt durch Beschluss vom 07.07.2022 (Bl. 43) unbegleiteten Umgang des Antragstellers mit N... für den Zeitraum bis zum 30.09.2022 wöchentlich dienstags von 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr, donnerstags von 15:00 Uhr bis 17:30 Uhr sowie sonntags von 11:00 Uhr bis 18:00 Uhr festgelegt. Für den Zeitraum vom 01.10.2022 bis 31.12.2022 hat es wöchentlichen Umgang von freitags um 16 Uhr bis samstags um 18:00 Uhr und ab dem 01.01.2023 vierzehntäglichen Wochenendumgang von freitags um 16:00 Uhr bis sonntags um 18:00 Uhr angeordnet. Von der Bestellung eines Verfahrensbeistands für N... hat das Amtsgericht mit der Begründung abgesehen, das junge Alter des Kindes lasse einen wesentlichen Erkenntnisgewinn durch die Beteiligung eines Verfahrensbeistands nicht erwarten.

Mit ihrer Beschwerde vom 06.07.2022 (Bl. 50) beanstandet die Antragsgegnerin, die Umgangsfrequenz werde N... jungem Alter nicht gerecht. Der Junge sei nicht gewöhnt, so oft und so lange von ihr getrennt zu sein. Der Antragsteller und N... hätten keine hinreichend gefestigte Bindung, so dass nur ein von ihr selbst begleiteter Umgang dienstags und donnerstags von 14:30 Uhr bis 17:00 Uhr N... Wohl entspreche.

Die Antragsgegnerin beantragt (Bl. 29 der eIektronische Akte, im Folgenden elA),

den Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 21.06.2022, Az. 20 F 95/22, aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Eine erneute Anhörung ist entbehrlich, wenn der angefochtene Beschluss in jedem Fall aufzuheben ist (Senat, Beschluss v. 19.10.2022, 13 UF 148/22, juris; Schulte-Bunert/Weinreich/Unger/Roßmann, FamFG, 5. Aufl., § 68 Rn. 41).

II.

Die nach §§ 58 ff FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat vorläufig Erfolg insoweit, als sie zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung über den Umgang und gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht führt.

Das Amtsgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Pflicht zur Bestellung eines geeigneten Verfahrensbeistandes für das Kind verstoßen. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands nach § 158 Abs. 3 Nr. 1 FamFG ist regelmäßig erforderlich, wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht, wobei für die Erforderlichkeit eines Verfahrensbeistands nach § 158 Abs. 3 Nr. 1 FamFG bereits die Möglichkeit des Bestehens eines Interessengegensatzes ausreicht. Ein erheblicher Interessengegensatz ist anzunehmen, wenn nach dem Sachverhalt die Möglichkeit besteht, dass die Eltern vornehmlich ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen oder aufgrund der Intensität ihres Konflikts die Gefahr besteht, dass sie die Interessen des Kindes aus dem Blick verlieren (Prütting/Helms/Hammer, FamFG, 6. Aufl. 2022, § 158 Rn. 36, 37).

Sieht das Gericht trotz Vorliegens eines Regelbeispiels nach § 158 Abs. 3 FamFG ausnahmsweise von der Bestellung eines Verfahrensbeistands ab, so ist dies in der Endentscheidung nachprüfbar zu begründen (§ 158 Abs. 3 S. 2 FamFG). Aus der Begründung muss sich ergeben, dass sich das Gericht mit den Gegebenheiten des Einzelfalls bezogen auf das Kriterium der Erforderlichkeit der Bestellung auseinandergesetzt hat. Bei Nichtvorliegen einer nachvollziehbaren Begründung liegt darin ebenso wie in dem Unterbleiben der Beistandsbestellung selbst ein wesentlicher Verfahrensverstoß, der im Beschwerdeverfahren zur Aufhebung der Hauptsacheentscheidung führen kann (Prütting/Helms/Hammer FamFG § 158 Rn. 51, 52).

So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht hat entgegen § 158 Abs. 3 Satz 2 FamFG die fehlende Bestellung eines Verfahrensbeistandes nicht hinreichend begründet. Der Hinweis auf das junge Alter des Kindes rechtfertigt das Absehen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt. Der Verfahrensbeistand hat die Aufgabe, das dem Kindeswohl entsprechende Interesse des Kindes zu ermitteln und im Verfahren zur Geltung zu bringen (§ 158b Abs. 1 FamFG). Die Wahrnehmung der Kindesinteressen ist von der - bei N... möglicherweise eingeschränkten - Erkennbarkeit einer Willensäußerung - völlig unabhängig. Gerade bei Kindern unter drei Jahren, die ihren Willen noch nicht oder nur ganz begrenzt äußern können, ist der Verfahrensbeistand, da er nicht nur „Sprachrohr“ des Kindes, sondern Vertreter der objektiven und subjektiven Kindesinteressen ist, grundsätzlich erforderlich. Kinder, die wegen ihres jungen Alters möglicherweise nicht persönlich angehört werden (§ 159 Abs. 2 Nr. 2, 3 FamFG), bedürfen im Verfahren regelmäßig eines eigenen Interessenvertreters, damit ihre individuellen Interessen im Verfahren nicht in den Hintergrund treten (OLG Hamm FamRZ 2018, 456; Prütting/Helms/Hammer FamFG § 158 Rn. 15).

Die unterlassene Bestellung eines Verfahrensbeistands führt, wie von der Beschwerdeführerin beantragt, und um ihr keine Tatsacheninstanz zu entziehen, zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht, damit dieses die notwendigen, einer Beweiserhebung i.S. § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG gleichstehenden (Senat Beschluss v. 19.10.2022, 13 UF 148/22, juris; BeckRS 2021, 35635; OLG Saarbrücken ZKJ 2021, 465; OLG Koblenz FamRZ 2021, 46; Musielak/Borth/Frank FamFG, 7. Aufl. 2022, FamFG § 69 Rn. 5; Zöller/Feskorn, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, FamFG § 69, Rn. 10 m.w.N.), Ermittlungen (§ 26 FamFG) durch Bestellung und Anhörung eines Verfahrensbeistands nachholen kann.

Die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG. Die übrige Kostenentscheidung über das Beschwerdeverfahren ist dem Amtsgericht vorzubehalten.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 55 Abs. 2, 45 Abs. 1 Nr. 2 FamGKG.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.

III.

Die Bewilligung der vom Antragsteller für die Rechtsverteidigung im Beschwerdeverfahren beantragte Verfahrenskostenhilfe beruht auf §§ 76 FamFG, 114, 115, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO.