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Entscheidung 1 OLG 53 Ss-OWi 443/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Bußgeldsachen Entscheidungsdatum 28.11.2022
Aktenzeichen 1 OLG 53 Ss-OWi 443/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:1128.1OLG53SS.OWI443.2.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 24. Juni 2022 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Oranienburg verurteilte den Betroffenen am 24. Juni 2022 wegen einer am 15. Januar 2022 fahrlässig begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 200,00 €.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 27. Juni 2022, die er nach am 19. Juli 2022 erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe an seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 19. August 2022, der am selben Tag bei dem Amtsgericht einging, begründet hat. Er rügt die Verletzung von Verfahrensvorschriften, die Nichteinhaltung der Grundsätze eines fairen Verfahrens sowie des rechtlichen Gehörs und erhebt die allgemeine Sachrüge.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene nahm hierzu mit Anwaltsschriftsatz vom 28. September 2022 Stellung.

II.

1. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 79 Abs. 1, 80 Abs. 1 OWiG statthaft und entsprechend §§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht und begründet worden, sonach zulässig.

2. In der Sache bleibt er ohne Erfolg.

a) Es ist nicht geboten, die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen. Dem Vorbringen des Betroffenen ist keine Verletzung seines Gehörsanspruchs zu entnehmen.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist insbesondere dann verletzt, wenn ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten verwertet hat, zu denen dieser nicht gehört worden ist (Maul in: KK-StPO, 8. Auflage, zu § 33a, Rz. 3). Daneben umfasst der Anspruch das Recht, Kenntnis von den Anträgen und Rechtsausführungen anderer Verfahrensbeteiligter zu erhalten, sich dazu zu äußern und das eigene Prozessverhalten darauf einstellen zu können (BVerfG, Beschluss vom 07. September 2007, 2 BvR 1009/07, Juris; Göhler, OWiG, 18. Auflage, zu § 80, Rz. 16a). Außerdem verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2020, 2 BvR 336/19, Juris).

Gemessen hieran, liegt ein Gehörsverstoß nicht vor.

aa) Sind – wie vorliegend – die (Beweis-) Anträge des Betroffenen durch das Gericht beschieden worden, kommt eine Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht schon durch eine lediglich nach einfachem Recht zu Unrecht erfolgte Ablehnung in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07. April 1998, 2 BvR 1827/97, Rz. 11, Juris; Beschluss vom 06. August 2003, 2 BvR 1071/03, Rz. 29, Juris; Beschluss vom 22. Mai 2015, 1 BvR 2291/13, Rz. 5, Juris). Vielmehr ist eine Verletzung des Gehörsanspruchs nur dann zu bejahen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage von zentraler Bedeutung für das Verfahren nicht eingegangen ist, sofern er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts nicht unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert gewesen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992, 1 BvR 986/91, Rz. 39, Juris; Beschluss vom 12. September 2016, 1 BvR 1311/16, Rz. 3, Juris; BGH, Beschluss vom 09. Januar 2018, VI ZR 106/17, Rz. 11, Juris) oder bei einer willkürlichen Ablehnung des Beweisantrags (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1992, 2 BvR 700/91, Rz. 14, Juris; Beschluss vom 02. Oktober 2003, 2 BvR 149/03, Rz. 7, Juris; Beschluss vom 22. Mai 2015, 1 BvR 2291/13, Rz. 5, Juris). Als willkürlich erscheint ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht, während eine fehlerhafte Rechtsanwendung allein die Gerichtsentscheidung nicht willkürlich macht und von einer willkürlichen Missdeutung insbesondere nicht gesprochen werden kann, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVErfG, Beschluss vom 07. April 1998, 2 BvR 1827/97, Rz. 11, Juris; Beschluss vom 22. Mai 2015, 1 BvR 2291/13, Rz. 5, Juris).

Nach diesen Maßstäben ist mit der durch das Tatgericht erfolgten Ablehnung seiner (Beweis-) Anträge ein Gehörsverstoß nicht zu besorgen, da die Ablehnung im Einklang mit den zur Beweiserhebung bei standardisierten Messverfahren geltenden Grundsätzen erfolgte und die Ablehnung der beantragten Unterbrechung/Aussetzung des Verfahrens sich als konsequente Folge der Ablehnung der Beweisanträge erwies. Hierzu gilt:

Bei der hier vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung mittels des Geschwindigkeits-überwachungsgeräts PolyScan FM1 der Firma Vitronic Dr. Ing. S. Bildverarbeitungssysteme GmbH handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. hierzu grundlegend BGHSt 39, 291). Unter diesem Begriff ist ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH a. a. O.). Mithin genügen die vorliegend getroffenen Feststellungen zur Art des Messverfahrens, zur gemessenen Geschwindigkeit und zur Höhe des in Abzug gebrachten Toleranzwertes, zur Einhaltung der Bedienungsvorschriften, zur Qualifizierung des Messbeamten und zur Gültigkeit der Eichung (std. Senatsrechtsprechung, vgl. statt vieler Beschluss vom 19. Februar 2021, 1 OLG 53 Ss-OWi 684/20, Rz. 20, Juris). Konkrete Messfehler, die der Charakterisierung der Messung als standardisiertes Messverfahren entgegenstehen könnten, sind weder den Urteilsgründen noch der Rechtsbeschwerdebegründung zu entnehmen. Insbesondere erläutert die Rechtsbeschwerdebegründung nicht, warum und inwieweit der Umstand, dass die Hilfslinie auf dem Messfoto nicht ersichtlich sei, Zweifel am Messergebnis trägt. Ein konkreter Anhaltspunkt für die Fehlerhaftigkeit der Messung ist damit nicht behauptet. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von demjenigen, der dem Beschluss des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 18. Februar 2022 (Az.: VerfGBbg 54/21) zugrunde lag. Dort hatte der Betroffene auf eine hell leuchtende Fläche auf dem Beweisfoto hingewiesen, die zu einer Doppelreflexion des Radarstrahls und dadurch beeinflusste Geschwindigkeitsmessung geführt habe. Auch der weitere Vortrag des Betroffenen hier, ein Messpunkt am Spiegelblinker seines Fahrzeugs könne erfasst worden sein mit der Folge, dass es zu einer Stufenprofilfehlmessung gekommen sein könnte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Vortrag entbehrt jeglicher Substantiierung und erfolgte ersichtlich „ins Blaue“.

bb) Soweit die Rechtsmittelbegründung unvollständige Akteneinsicht, namentlich in die Messdateien, die Messserie und die Rohmessdaten, sowie die Ablehnung der Anträge des Betroffenen auf Unterbrechung, hilfsweise Aussetzung des Verfahrens rügt und sich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020, 2 BvR 1616/18, bezieht, erhebt sie keine Gehörsrüge, sondern macht einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren geltend. Bei der Frage, ob dem Betroffenen ein Anspruch auf Beiziehung nicht bei der Akte befindlicher Unterlagen zusteht, geht es letztlich nicht um die Informationsverwertung (Gehörsrüge), sondern um die Informationsbeschaffung im Sinne einer Waffengleichheit (BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020, 2 BvR 1616/18, Juris). Für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG auf Fälle von Verstößen gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens besteht nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm kein Raum (OLG Hamm, Beschluss vom 03. Januar 2019, III-4 Rbs 377/18; KG, Beschluss vom 02. April 2019, 3 Ws (B) 97/19 – 122 Ss 43/19; OLG Stuttgart, Beschluss vom 03. August 2021, 4 Rb 12 Ss 1094/20; sämtlich zitiert nach Juris). Auch eine analoge Anwendung ist in Ermangelung einer Regelungslücke nicht geboten (OLG Saarbrücken ´, Beschluss vom 25. Oktober 2017, Ss Rs 17/2017 (30/17 OWi); KG, Beschluss vom 03. Juni 2021, 3 Ws (B) 148/21; sämtlich zitiert nach Juris).

b) Auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht geboten (§ 80 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG). Der Fall gibt dem Senat keine Veranlassung, bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen (vgl. hierzu Göhler, OWiG, 18. Auflage, zu § 80, Rz. 3). Schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung drohen durch das angefochtene Urteil nicht (vgl. hierzu Göhler a. a. O.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 S. 1 StPO.