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Entscheidung 1 OLG 53 Ss-OWi 582/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Bußgeldsachen Entscheidungsdatum 19.12.2022
Aktenzeichen 1 OLG 53 Ss-OWi 582/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:1219.1OLG53SS.OWI582.2.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 15. August 2022 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat mit Urteil vom 15. August 2022 gegen den Betroffenen, der in der Hauptverhandlung seine Fahrereigenschaft bestritten hatte, wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 52 km/h, was am ... September 2021 mit dem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... um …:… Uhr auf der Bundesautobahn ..., km ..., Fahrtrichtung L..., begangen worden sein soll, auf eine Geldbuße von 240,00 € erkannt sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Gegen die vorgenannte Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg erachtet in ihrer Stellungnahme vom 16. November 2022 das Rechtsmittel als unbegründet und beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zu verwerfen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebracht worden.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und hat in der Sache – vorläufigen – Erfolg, da die Urteilsgründe lückenhaft und widersprüchlich sind, §§ 267 Abs. 1, 337 StPO in Verbindung mit §§ 71 Abs. 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Sie lassen nicht in rechtlich überprüfbarer Weise erkennen, ob die von der Bußgeldrichterin insbesondere durch Vergleich des vom Messgerät gefertigten Frontfotos mit dem Gesicht des Betroffenen vorgenommene Identifizierung eine tragfähige Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung ist.

Zur Fahreridentität des Betroffenen enthält das Urteil folgende beweiswürdigende Erwägungen:

„(...) Zur Überzeugung des Gerichts ist der Betroffene am Tattag Fahrer des oben genannten Fahrzeugs gewesen. Dies ergibt sich aus dem Vergleich des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen, der in Augenschein genommen wurde, mit dem zur Akte gelangten Frontfoto, auf dem die Person des Fahrers mit dem gefahrenen PKW zu erkennen ist und ebenfalls in Augenschein genommen wurde. Das Frontfoto lässt den gefahrenen PKW und die Person des Fahrers gut erkennen. Es ist sehr scharf und kontrastreich. Das Frontfoto zeigt den PKW, der sich auf der Autobahn befindet.

Durch die Windschutzscheibe und die Seitenscheibe ist der Fahrer des Fahrzeugs zu erkennen. Es gelangte eine Ausschnittsvergrößerung des Seitenfotos zu den Akten, auf welchem der Abschnitt der Windschutzscheibe mit der Person des Fahrers vergrößert dargestellt ist. Die Vergrößerung zeigt den Fahrer des gemessenen Fahrzeugs. Das Gesicht des Fahrers ist deutlich zu erkennen. Der Fahrer des Wagens hat eine hohe schräg verlaufende Stirn. Sein Haaransatz ist leicht unregelmäßig und verläuft markant an der Kopfseite nach unten. Die Nase ist gerade, das Nasenloch deutlich zu sehen. Die Unterlippe ist breiter als die Oberlippe. Das Ohr ist länglich, das Ohrläppchen markant. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Seitenfoto Blatt 14 der Akten und die Ausschnittsvergrößerung des Seitenfotos Bl. 11 der Akten verwiesen.

Ein Vergleich der auf dem Frontfoto erkennbaren Person mit dem Betroffenen in der Hauptverhandlung ergibt, dass es sich um identische Personen handelt. Sowohl die hohe Stirn, als auch der markante unregelmäßige Haaransatz sind bei der Person auf dem Frontfoto und beim Betroffenen identisch. Insbesondere das Nasenloch und die Lippen sind sowohl bei der Person auf dem Frontfoto als auch bei dem Betroffenen zu erkennen und identisch. Gleichfalls entspricht die Form des Ohrs des Betroffenen der Form des Ohrs der Person auf dem Frontfoto. Zur Überzeugung des Gerichts steht nach dem Vergleich vom Frontfoto und Betroffenen die Fahrereigenschaft des Betroffenen zweifelsfrei fest.“

Diese Urteilsausführungen zur Fahreridentität genügen indes nicht den Anforderungen, die die obergerichtliche Rechtsprechung an die tatrichterlichen Feststellungen zur Identifizierung eines Betroffenen als Fahrzeugführer stellt.

Im Fall der Täteridentifizierung eines Betroffenen müssen die Urteilsgründe so abgefasst sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung möglich ist, ob ein Messfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Ausreichend ist es hierfür, dass in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen wird, wodurch das Foto zum Bestandteil der Urteilsgründe wird und vom Rechtsbeschwerdegericht dann zur Prüfung der Frage, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist, selbst in Augenschein genommen werden kann. Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch und ist das Foto zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich (vgl. BGHSt 41, 376; OLG Düsseldorf VRS 112, 43; OLG Hamm, Beschluss vom 21. August 2007 - 3 Ss-OWi 464/07; OLG Hamm, Beschluss vom 26. November 2007 – 2 Ss OWi 757/07 –, juris). Bestehen Zweifel an der Eignung eines qualitativ schlechten Bildes zur Identifikation des Betroffenen, so hat der Tatrichter darüber hinaus zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die auf dem Foto erkennbaren charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben (vgl. BGH a.a.O., OLG Hamm, NZV 2006, 162; Brandenburgisches OLG, StraFo 2011, 402; OLG Rostock VRS 108, 29).

Die Bezugnahme auf das Messfoto muss in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (vgl. BGHSt 41, 376, 382). Das muss nicht in der Weise geschehen, dass die Vorschrift des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO angeführt und ihr Wortlaut verwendet wird, obwohl diese kürzeste und deutlichste Form der Verweisung sich aufdrängt (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238 m.w.N.). Den Gründen muss aber eindeutig zu entnehmen sein, dass nicht nur der Vorgang der Beweiserhebung beschrieben, sondern durch die entsprechenden Ausführungen das Foto zum Bestandteil der Urteilsurkunde gemacht werden soll (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 93, 178; OLG Hamm a.a.O.).

Das angefochtene Urteil verweist nicht ausdrücklich auf § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO und verwendet bezüglich des Frontfotos auch nicht den Wortlaut dieser Vorschrift. Den Gründen kann auch nicht mit hinreichender Gewissheit entnommen werden, dass das Frontfoto – anders als das Seitenfoto und dessen Ausschnittsvergrößerung - durch Bezugnahme in das Urteil eingefügt sein soll.

Es hätte daher einer ausführlichen Beschreibung des Frontfotos nach Inhalt und Qualität bedurft. Eine solche lässt sich dem Urteil allerdings nicht in ausreichendem Maße entnehmen. Es bestehen erhebliche Zweifel, dass das im Urteil als für die Überzeugungsbildung bezüglich der Fahrereigenschaft des Betroffenen als maßgeblich erachtete Frontfoto für eine Identifizierung geeignet ist.

Im Gegensatz zu dem in der Akte befindlichen Seitenfoto, auf das in den Urteilsgründen Bezug genommen worden ist, ist vom Frontfoto keine Ausschnittsvergrößerung angefertigt worden. Die Ausführungen im Urteil, dass auf der Ausschnittsvergrößerung des Seitenfotos das Gesicht des Fahrers deutlich zu erkennen sei, können nach Inaugenscheinnahme dieser Aussschnittsvergrößerung nachvollzogen werden, einer näheren Beschreibung des Gesichts hätte es aufgrund der Bezugnahme auch auf die Ausschnittsvergrößerung des Seitenfotos nicht bedurft. Wenn jedoch die Überzeugung des Amtsgerichts von der Fahrereigenschaft des Betroffenen maßgeblich auf einem Vergleich des Frontfotos mit dem Betroffenen beruht, hätte es sich aufgedrängt, auch auf dieses in der Akte befindliche Lichtbild in den Urteilsgründen gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug zu nehmen. Die mangels dieser Bezugnahme notwendige Beschreibung der Qualität des Frontfotos im Urteil erschöpft sich darin, dass es sehr scharf und kontrastreich sei und den gefahrenen PKW und die Person des Fahrers gut erkennen lasse. Ob das Gesicht des Fahrers auf dem Frontfoto gut zu erkennen ist, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Da eine Ausschnittsvergrößerung des Frontfotos nicht in den Akten enthalten ist, erscheint dies sehr unwahrscheinlich und es hätte diesbezüglich näherer Ausführungen bedurft. Soweit im amtsgerichtlichen Urteil ausgeführt wird, insbesondere „das Nasenloch und die Lippen“ seien sowohl bei der Person auf dem Frontfoto als auch bei dem Betroffenen zu erkennen und identisch, ist dies wegen der fehlenden Ausschnittsvergrößerung des Frontfotos widersprüchlich und kaum nachvollziehbar. Es hätte insoweit im Übrigen näher erläutert werden müssen, anhand welcher markanten Merkmale diese Übereinstimmungen festgestellt worden sind.

Deshalb ermöglichen die Urteilsgründe keine hinreichende Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrüge, ob die Überzeugungsbildung des Tatrichters von der Fahreridentität frei von Rechtsfehlern ist.

Der Senat weist darauf hin, dass sich je nach Qualität und Inhalt eines Bildes ein Vergleich mit dem persönlich anwesenden Betroffenen von vorneherein als schlechterdings unmöglich erweisen kann. Sieht der Tatrichter den Betroffenen gleichwohl aufgrund des Lichtbildes als überführt an, so leidet das Urteil an einem Rechtsfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden kann (BGH NZV 1996, 157). An der Auffassung, das Rechtsbeschwerdegericht dürfe, da ihm eine eigene Auswertung des Radarfotos verschlossen sei, auch nicht prüfen, ob das Belegfoto überhaupt ergiebig sei (BGH NJW 1979, 2318), hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 19.12.1995 (BGH NZV 1996, 157) nicht festgehalten. Diese Prüfung sei – beschränkt auf den Maßstab, den die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Gesetze der Logik und die Erfahrungssätze des täglichen Lebens vorgeben – auch ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung möglich (BGH, a. a. O.).