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Entscheidung 6 K 650/16.A


Metadaten

Gericht VG Potsdam 6. Kammer Entscheidungsdatum 15.11.2022
Aktenzeichen 6 K 650/16.A ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2022:1115.6K650.16.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 3e Abs 1 AsylVfG 1992, § 3a Abs 2 Nr 5 AsylVfG 1992, § 4 Abs 3 AsylVfG 1992

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Kläger sind russischer Staatsangehörigkeit und tschetschenischer Volkszugehörigkeit.

Sie haben nach ihren Angaben im April 2013 ihr Heimatland verlassen und reisten über Polen, auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 2. Mai 2013 förmliche Asylanträge stellten.

Unter Hinweis auf einen Eurodac-Treffer und die Zustimmung der polnischen Behörden lehnte das Bundesamt die Asylanträge zunächst mit Bescheid vom 3. Dezember 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Polen an. Das dagegen gerichtet Eilverfahren blieb vor dem erkennenden Gericht erfolglos (VG 6 L 899/13.A). Zu einer Überstellung kam es nicht. Unter Hinweis auf den Ablauf der Überstellungsfrist hob das Bundesamt mit Bescheid vom 24. Juli 2014 den Überstellungsbescheid auf. Das entsprechende Hauptsacheverfahren stellte der vormals zuständige Einzelrichter ebenfalls ein (VG 6 K 4191/13.A).

Bei der Anhörung beim Bundesamt am 15. September 2014 teilte der Kläger zu 1. zu seinen Asylgründen befragt im Wesentlichen mit, er sei im Februar 2013, als er Brot geholt hatte, verdächtigt worden, Kämpfer zu unterstützen. Er sei eine Nacht in einem Militärstützpunkt festgehalten, geschlagen und mit einem Schlagstock missbraucht worden. Er sei Ende Februar 2013 ein weiteres Mal festgehalten worden. Er würde überall in Russland gefunden werden. Bei einer Rückkehr sei alles möglich; auch dass man ihn und seine Kinder umbringe und seine Frau vergewaltige. Die Klägerin zu 2. teilte bei ihrer Anhörung am gleichen Tag zu ihren Asylgründen befragt mit, wegen der Probleme ihres Mannes ausgereist zu sein.

Mit Bescheid vom 7. März 2016 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), Asylanerkennung (Ziff. 2) und subsidiären Schutz (Ziff. 3) ab und stellte fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliege (Ziff. 4). Das Bundesamt drohte die Abschiebung in die Russische Föderation an (Ziff. 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 6). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen an, die jeweils erfolgte Freilassung belege, dass ein tatsächliches Verfolgungsinteresse an der Person des Klägers zu 1. nicht bestehe. Die geschilderten Schläge, Missbrauchshandlung und Drohungen stellten sich als Taten einzelner Amtswalter in Ausnutzung ihrer Stellung dar. Das sei dem russischen Staat nicht zuzurechnen und lasse keinen politischen Hintergrund erkennen. Schließlich seien die Kläger auf die Möglichkeit des internen Schutzes innerhalb der Russischen Föderation, außerhalb der Nordkaukasus-Region zu verweisen.

Am 16. März 2016 haben die Kläger Klage erhoben und zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen vertieft. Zudem seien Sicherheitskräfte bei den Eltern des Klägers zu 1. vorstellig gewesen, die sich nach dessen Verbleib erkundigten. Ferner bestehe nunmehr die Befürchtung, dass der Kläger zu 1. zwangsweise für den Kriegsdienst in der Ukraine rekruiert werde, da auch Personen eingezogen würden, die die Altersgrenze überschritten hätten oder untauglich seien. Sie beantragen sinngemäß,

den Bescheid des Bundesamts vom 7. März 2016 aufzuheben und die Kläger als Flüchtlinge i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG, §§ 3 ff. AsylG anzuerkennen,

hilfsweise die Kläger gemäß § 4 AsylG als subsidiär Schutzberechtigte anzuerkennen,

hilfsweise, in den Personen der Kläger Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5, 7 S. 1 AufenthG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den streitgegenständlichen Bescheid.

Der Kläger zu 1. ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte zu diesem Verfahren und zu den Verfahren VG 6 K 479/18.A, VG 16 K 1968/17.A und VG 6 L 899/13.A sowie der jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts und der Ausländerbehörde Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, nachdem in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. März 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1 bzw. Abs. 1 VwGO.

Die Kläger haben nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 S. 1, 2. Halbsatz des Asylgesetzes – AsylG –) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) liegen ebenfalls nicht vor; auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind nicht zu beanstanden. Das hat der zur Entscheidung berufene Einzelrichter hinsichtlich der Kläger zu 1. und 2. bereits im Beschluss zur Ablehnung ihres Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vom 28. Oktober 2022 festgestellt und insoweit Folgendes bemerkt:

„Hinsichtlich des Verfolgungsvortrags aus dem Verwaltungsverfahrens besteht nach Ansicht des zur Entscheidung berufenen Einzelrichters nach den vorliegenden Erkenntnismitteln jedenfalls die Möglichkeit des internen Schutzes gemäß § 3e des Asylgesetzes (AsylG), der auch für den subsidiären Schutz gilt (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG). Insoweit wird zur Meidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen.

Ergänzend weist der zur Entscheidung berufenen Einzelrichters zum einen darauf hin, dass das Bestehen einer die inländische Fluchtalternative ausschließenden Verfolgungssituation bei Tschetschenen auch nach den eingeführten aktuellen Erkenntnismitteln nur dann anzunehmen ist, wenn entweder ein landesweites Verfolgungsinteresse föderaler Sicherheitsbehörden glaubhaft gemacht werden kann oder konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass seitens der tschetschenischen Sicherheitsbehörden ein derart großes Interesse an der Ergreifung des Betroffenen besteht, dass diese mit beachtlicher Aussicht auf Erfolg eine Festnahme und offizielle Überstellung durch die föderalen oder lokalen Behörden in der übrigen Russischen Föderation bewirken können oder das die tschetschenischen Sicherheitsbehörden trotz der hierdurch bewirkten politischen Verwerfungen zu einem inoffiziellen Tätigwerden außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs verleiten kann (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 2. Februar 2021 in der Fassung vom 21. Mai 2021 [Stand: Oktober 2020], S. 14; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Stand: 10. Juni 2021, S. 81; ausführlich hierzu Galeotti, Lizenz zum Töten? Das Risiko für Tschetschenen innerhalb Russlands, Juni 2019, S. 16 ff.; vgl. Verwaltungsgericht Potsdam, 6. Kammer, Urteile vom 10. Mai 2017 - 6 K 4904/16.A - juris Rn. 23 ff und vom 14. Januar 2020 – VG 6 K 246/16.A –; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28. Mai 2020 – 2 L 25/18 –, juris Rn. 47; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 16. Juli 2019 – 11 B 18.32129 –, juris Rn. 47 ff.; Verwaltungsgericht Cottbus, Urteil vom 15. November 2019 – 1 K 1579/18.A –, Rn. 36 ff., juris, m. w. N). Anhaltspunkte für das eine oder das andere liegen nicht vor. Dies haben die Kläger auch selbst nicht behauptet, insbesondere ist nach dem Sachvortrag der Kläger bereits nicht davon auszugehen, dass russische bzw. föderale Stellen die Kläger, insbesondere den Kläger zu 1. separatistischer oder sonst regimefeindlicher Einstellungen verdächtigt haben und daher ein gesteigertes Verfolgungsinteresse an ihnen haben oder im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation heute haben könnten. Vielmehr ist der Kläger zu 1. danach vor allem wegen der vermeintlichen Unterstützung von Kämpfern durch die Übergabe von Essen in das Visier der Sicherheitsbehörden gelangt. Zudem spricht der Zeitablauf von circa neun Jahren seit den vorgetragenen Vorgängen dafür, dass nunmehr ohnehin ein etwaiges Interesse der Sicherheitsbehörden, den Kläger zu einer Zusammenarbeit zu gewinnen, jedenfalls nicht mehr (fort-)besteht. Dafür spricht auch, dass die Kläger nur Nachfragen bei den Eltern des Klägers zu 1. aus dem Jahr 2015 geschildert haben. Auch sprechen weder die allgemeinen Gegebenheiten noch die persönlichen Umstände dafür, dass es den Klägern unzumutbar wäre, ihren Aufenthalt in sonstigen Landesteilen der Russischen Föderation zu nehmen. Schließlich war es den Klägern auch zuvor möglich, für ihren Lebensunterhalt, ggf. mit familiärer Unterstützung zu sorgen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Kläger im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation in der Lage sein werden, nach Überwindung von etwaigen Anfangsschwierigkeiten ihren Lebensunterhalt oberhalb des Existenzminimums zu sichern.

Zum anderen ist den aktuellen Erkenntnismitteln auch nicht zu entnehmen, dass russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, generiert am 10. Juni 2021, S. 99; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Oktober 2020, in der Fassung vom 21.05.2021, S. 22; Informationsbericht des European Asylum Support Office (EASO) über das Herkunftsland Russische Föderation zur Situation der Tschetschenen in Russland vom August 2018, S. 56f.).

Es liegen zudem keine Anzeichen dafür vor, dass eine Person in dem Alter des Klägers zu 1. – er ist am 20. Juli 1989 geboren, mithin 33 Jahre alt – und in der Situation des Klägers – er ist Tschetschene und hat nach eigenem, insoweit glaubhaften (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, generiert am 21. April 2022, S. 37), Bekunden im wehrfähigen Alter keinen Wehrdienst in den russischen Streitkräften geleistet – sowie in der familiären Situation des Klägers – er hat 4 Kinder unter 16 Jahren – mit einer legalen Einberufung oder einer extralegalen Einziehung zu einem Militärdienst bei einer Rückkehr in die Russischen Föderation rechnen müsste.

Dem Kläger zu 1. droht keine Einberufung mit Blick auf die Wehrpflicht. Derzeit besteht in der Russischen Föderation eine Wehrpflicht gemäß § 22 Abs. 1a des Föderalen Gesetzes über militärische Pflichten und Militärdienst nur für Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren (ACCORD; Anfragebeantwortung u. a. zur Wehrpflicht vom 16. Mai 2022, S. 2; European Union Agency for asylum – euaa – „Treatment of military Deserters by State Authorities since the February 2022 Invasion of Ukraine“ vom 05. April 2022, S. 2; Martin Malek, Gutachten für das Verwaltungsgericht Berlin vom 22. Dezember 2014, S. 12). Der Kläger zu 1. fällt mithin bereits nicht in den relevanten Altersbereich.

Dem Kläger zu 1. droht auch keine Einberufung mit Blick auf die (Teil-)Mobilmachung entsprechend des Dekrets des Präsidenten der Russischen Föderation über die Erklärung der (Teil-)Mobilmachung in der Russischen Föderation vom 21. September 2022 (abrufbar unter: http://kremlin.ru/events/president/news/69391, abgerufen am 28. Oktober 2022). Dabei dürfte der Kläger zu 1. zwar grundsätzlich nach Artikel 51.2 Abs. 2 und Art. 52 des Bundesgesetzes der Russischen Föderation vom 28. März 1998 über die Wehrpflicht und den Militärdienst (Nr. 53-FZ, abrufbar unter: http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_18260/, abgerufen am 28. Oktober 2022) zur Reserve gehören.

Der Kläger zu 1. unterliegt gleichwohl nicht der Einberufung zum Militärdienst nach Art. 17 Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 4 des Bundesgesetzes der Russischen Föderation vom 26. Februar 1997 über die über die Mobilmachungsvorbereitung und die Mobilisierung in der Russischen Föderation (Nr. 31-FZ, abrufbar unter http://kremlin.ru/acts/bank/10602, abgerufen am 28. Oktober 2022). Danach wird ein Aufschub von der Einberufung zum Wehrdienst bei der Mobilmachung den Bürgern gewährt, die vier oder mehr unterhaltsberechtigte Kinder unter 16 Jahren haben (vgl. zur Erweiterung des Kreises derjenigen, die einen Aufschub erhalten können auf Bürgern mit drei unterhaltsberechtigter Kinder unter 16 Jahren: Veröffentlichung der Föderalversammlung der Russischen Föderation vom 14. Oktober 2022 mit der Überschrift „Väter mit drei Kindern erhielten einen Aufschub von der Mobilmachung“: abrufbar unter: https://www.pnp.ru/politics/putin-potreboval-ot-gubernatorov-derzhat-pod-kontrolem-chastichnuyu-mobilizaciyu.html, abgerufen am 28. Oktober 2022). Das ist bei dem Kläger zu 1. der Fall.

Es kann für das vorliegende Verfahren daher zum einen dahinstehen, ob sich aus Äußerungen des russischen Verteidigungsministeriums der Schluss ziehen lässt, dass Menschen, die nicht über die nötigen Fachkenntnisse in der Bedienung militärischen Geräts verfügen und Menschen, die keinerlei militärische (Grund-)Ausbildung erfahren, generell nicht zu befürchten haben, im Rahmen der (Teil-)Mobilmachung eingezogen zu werden (so: Verwaltungsgericht Potsdam, Urteil vom 4. Oktober 2022 – VG 13 K 5481/17.A – S. 6 f d. Umdrucks und Urteil vom 21. September 2022 – VG 16 K 2978/17.A – S. 12 f d. Umdrucks).

Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Kläger ist auch davon auszugehen, dass diese rechtlichen Grenzen auch tatsächlich hinreichend Beachtung finden. Zwar lässt sich den eingeführten aktuellen Erkenntnismitteln entnehmen, dass es zu Fehlern im Rahmen der (Teil-)Mobilisierung gekommen ist. Das bestätigten sowohl aktuelle Medienberichte (Beitrag der tagesschau vom 27. September 2022 mit der Überschrift „Mobilmachung in Russland - Auf dem Land werden alle eingezogen" abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-teilmobilmachung-107.html, Beitrag der Novoya Gazeta Europe vom 7. Oktober 2022 mit der Überschrift „Abominable Service“ abrufbar unter: https://novayagazeta.eu/articles/2022/10/07/abominable-service, alles abgerufen am 28. Oktober 2022; Briefing Notes des Bundesamts vom 10. Oktober 2022, S. 7) als auch offizielle Verlautbarungen der russischen Regierung (vgl. Beitrag auf der Internetseite des Kremls vom 29.09.2022, abrufbar unter http://kremlin.ru/events/president/news/69459; Beitrag des RND vom 10. Oktober 2022, abrufbar unter: https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-putin-fordert-erneut-beseitigung-der-probleme-bei-teilmobilmachung-SZZPLFAKWV5V33KZ26OSDXTZ2A.html, alles abgerufen am 28. Oktober 2022). Gleichwohl ist nach Ansicht des Gerichts davon auszugehen, dass diese Fehler in einem derartigen Umfang korrigiert werden, dass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger zu 1. entgegen der Rechtslage einberufen wird, derzeit nicht besteht. Nicht nur wird seitens der russischen Regierungsstellen, inklusive des Präsidenten mehrfach angekündigt, dass man sich schnell um jeden Fall kümmern und diejenigen, die versehentlich eingezogen wurden, nach Hause zurückschicken werde und dazu die Generalstaatsanwaltschaft aufgefordert sei, Verstöße gegen die Mobilmachung zu verfolgen. Verschiedene Medienberichte bestätigen, dass es auch tatsächlich und in beträchtlichem Umfang zur Rücksendung fälschlich eingezogener Personen gekommen ist (vgl. dazu Übersichten bei Kommersant, abrufbar unter https://www.kommersant.ru/doc/3383238; vgl. auch Beitrag bei Deutsche Welle mit der Überschrift: „Mobilmachung in Russland: Was Einberufene erzählen“, abrufbar unter: https://www.dw.com/de/mobilmachung-in-russland-was-einberufene-erz%C3%A4hlen/a-63283704; Beitrag bei NTV vom 3. Oktober 2022 mit der Überschrift: „Russische Region schickt Tausende Rekruten nach Hause“, abrufbar unter: https://www.n-tv.de/politik/Russische-Region-schickt-Tausende-Rekruten-nach-Hause-article23626608.html; Beitrag bei Al Jazeera vom 3. Oktober 2022 mit der Überschrift: „Thousands of mobilised Russians sent home, deemed unfit for duty“, abrufbar unter: https://www.aljazeera.com/news/2022/10/3/thousands-of-mobilised-russians-sent-home-deemed-unfit-for-duty; Beitrag bei Mosow Times vom 6. Oktober 2022 mit der Überschrift: „Russian Regions Walk Back Ad Hoc Mobilization After Putin Scolding“, abrufbar unter: https://www.themoscowtimes.com/2022/10/12/russias-military-mobilization-targets-the-homeless-poor-reports-a79065; Beitrag der Novoya Gazeta Europe von 7. Oktober 2022 mit der Überschrift „Abominable Service“, alles abgerufen am 28. Oktober 2022).

Anhaltspunkte dafür, dass die gesundheitliche Situation der Kläger geeignet sein könnte, der Klage im Sinne eines krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zum Erfolg zu verhelfen bestehen ebenso wenig wie dafür, dass die Abschiebungsandrohung und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots zu beanstanden sein sollten.“

Hinsichtlich der Kläger zu 3. und 4. hat das der zur Entscheidung berufene Einzelrichter bereits im Beschluss zur Ablehnung ihres Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vom 7. November festgestellt, auf den ebenfalls verwiesen wird.

Daran ist im vorliegenden Verfahren bekräftigend festzuhalten, zumal der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass bei seiner Familie in Tschetschenien in letzter Zeit nicht nach ihm gefragt worden sei.

Soweit der Prozessbevollmächtigte ergänzend in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass die (Teil-)Mobilmachung mangels beendenden präsidialen Dekret weiterlaufe, weist der zur Entscheidung berufene Einzelrichter zum einen darauf hin, dass nach den vorstehenden Ausführungen der Kläger zu 1. auch vor der präsidialen Ankündigung am 28. Oktober 2022 zum Abschluss der Teilmobilmachungsmaßnahmen (vgl. Beitrag auf der Internetseite des Kremls vom 28.08.2022, abrufbar unter http://kremlin.ru/events/president/news/69703; zuletzt abgerufen am 14. November 2022) nicht mit einer Einberufung mit Blick auf die (Teil-)Mobilmachung entsprechend des Dekrets des Präsidenten der Russischen Föderation über die Erklärung der (Teil-)Mobilmachung in der Russischen Föderation vom 21. September 2022 (abrufbar unter: http://kremlin.ru/events/president/news/69391, zuletzt abgerufen am 14. November 2022) zu rechnen hatte. Diese Erkenntnislage stellt sich auch als zum derzeitigen Zeitpunkt hinreichend gefestigt dar, so dass dem – bereits mangels Bezeichnung einer konkreten Bedingung als Beweisanregung zu wertenden – bedingten Beweisantrag, da die Beweistatsache anderweitig erwiesen ist, nicht nachzugehen war, § 244 Abs. 3 S. 2 Alt. 3 StPO analog. Mit den im ablehnenden Beschluss zum Antrag der Kläger zu 1. und 2. auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zitierten Erkenntnisquellen setzen sich die Kläger nicht auseinander und zeigen in keiner Weise, ggf. unter Darlegung konkreter abweichender Quellen auf, weswegen die angeregte Beweiserhebung zu einem abweichenden Ergebnis kommen sollte. Zum anderen weist der erkennende Einzelrichter darauf hin, dass zum derzeitigen Zeitpunkt eine weitere (Teil-)Mobilisierung, die auch ggf. nach anderen Prämissen verlaufen werde, für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann, es fehlt aber insoweit an einer hinreichend belastbaren Tatsachengrundlage für eine entsprechende Prognoseentscheidung, so dass dem Kläger zu 1. zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, vgl. § 77 Abs. 1 S. 1. Halbsatz AsylG – eine Einberufung auch insoweit nicht droht.

Soweit der Prozessbevollmächtigte schließlich in der mündlichen Verhandlung ergänzend ausgeführt hat, dass bei einer (Teil-)Mobilisierung in Tschetschenien keine Rücksicht auf Aufschub- bzw. Ausschlussgründe genommen werde und das in der mündlichen Verhandlung eingesehene Video von Einziehungen von Männern in Tschetschenien berichtet, weist das Gericht darauf hin, dass nach den vorliegenden Erkenntnissen auch nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kläger zu 1. gegen seinen Willen für eine tschetschenische Kampfeinheit eingezogen und in diesem Zuge in die Ukraine entsandt würde oder bei Weigerung mit erheblichen Nachteilen rechnen müsste oder von einer – ohne Rücksicht auf die gesetzlichen Aufschub- bzw. Ausschlussgründe erfolgenden – (Teil-)Mobilmachung in Tschetschenien betroffen ist. Der tschetschenische Machthaber Kadyrow hat zwar – mutmaßlich zum Beweis seiner Loyalität zu Putin und zum Ausbau seiner Macht – die Entsendung nicht nur seiner Spezialeinheit „Kadyrowzy", sondern auch immer weiterer Truppen in die Ukraine versprochen; tausende Truppen wurden bereits entsandt (ACCORD; Anfragebeantwortung u. a. zur Wehrpflicht vom 16. Mai 2022, S. 17 f.). Keiner Entscheidung bedarf, ob es sich insoweit – wie von Kadyrow öffentlich dargestellt – tatsächlich ausschließlich um „Freiwillige" handelt, die in das umkämpfte Gebiet in der Ukraine geschickt werden oder ob – wofür den Erkenntnismitteln einiges entnommen werden kann – jedenfalls ein Großteil der in der Ukraine eingesetzten Kämpfer zu dem Einsatz gezwungen wurden und ihnen mit Gefängnis oder mit Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Verwandten gedroht wird, sollten sie sich widersetzen (ACCORD; Anfragebeantwortung u. a. zur Wehrpflicht vom 16. Mai 2022, S. 17 f. S. 18 ff., „The Insider“: „Threatening mothers and sisters.“ „How Chechen ‚volunteers‘ are forcibly sent to fight in Ukraine“ vom 15. Juni 2022, abrufbar unter: https://theins.ru/en/society/252237, abgerufen am 14. November 2022; vgl. Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 30. Juni 2022 – VG 33 L 158/22.A –; vgl. Verwaltungsgericht Cottbus, Urteil vom 4. August 2022 – VG 1 K 95/19.A -, juris). Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob entgegen der offiziellen Verlautbarung, wonach wegen Übererfüllung der regionalen Quote eine Mobilmachung in Tschetschenien nicht erfolge (vgl. zur Quotenerfüllung den Beitrag: „In der Tschetschenischen Republik wurde der Plan zur Teilmobilisierung übertroffen“, übersetzt mit google translate, vom 23.09.2022, abrufbar unter: https://www.grozny-inform.ru/news/society/143860/), eine Mobilisierung in Tschetschenien gleichwohl erfolge (vgl. zur Anweisung Kadyrows, diejenigen in die Armee einzuberufen, die versuchten, dem Militärdienst zu entgehen, den Beitrag: „Kadyrow wies an, diejenigen aufzurufen, die überhaupt versuchen, von der Armee "abzuschneiden", übersetzt mit google translate, vom 23.09.2022, abrufbar unter: https://www.grozny-inform.ru/news/society/143864/, beides zuletzt abgerufen am 14. November 2022). Es ist nämlich davon auszugehen, dass für den Kläger zu 1. auch insoweit jedenfalls die Möglichkeit des internen Schutzes gemäß § 3e AsylG, der auch für den subsidiären Schutz gilt (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG) besteht. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Kadyrow Kämpfer landesweit – unabhängig von einer etwaigen Wehrpflicht – rekrutiert und daher auch auf Personen zugreifen würde, die außerhalb Tschetscheniens aufhältig sind (vgl. Verwaltungsgericht Potsdam, Gerichtsbescheid vom 8. September 2022 – 6 K 2244/18.A –, juris Rn. 31; Frankfurt (Oder), Urteil vom 22. März 2022 – 6 K 1110/17.A –, juris Rn. 30). Der Verweisung auf den internen Schutz steht auch nicht entgegen, dass es in einer aktuellen Stellungnahme von Memorial vom 29. August 2022 unter Berufung auf die Verwaltungsvorschriften des Innenministeriums der Russischen Föderation über die Erbringung des staatlichen Dienstes für die Registrierung von Bürgern der Russischen Föderation am Aufenthaltsort und am Wohnort innerhalb der Russischen Föderation (Anlage zum Erlass des Innenministeriums der Russischen Föderation vom 31.12.2017 N 984) heißt, dass es für einen jungen Mann im Wehrpflichtalter unmöglich sei, in eine andere Region zu reisen, da er sich nicht in Tschetschenien abmelden dürfe (Memorial, Auskunft im Zusammenhang mit Anträgen russischer Staatsbürger im wehrpflichtigen Alter auf Asyl in anderen Ländern, 29. August 2022). Der Kläger zu 1. fällt – wie dargelegt – altersbedingt bereits nicht darunter.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG und §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.