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Entscheidung 10 UF 44/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 15.12.2022
Aktenzeichen 10 UF 44/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:1215.10UF44.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 3. August 2022, Az. 42 F 42/22, wird zurückgewiesen.

2. Die Mutter trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Mutter, die als Ärztin tätig ist, fordert die Übertragung der Gesundheitssorge für ihren Sohn E… auf sich im Wege einstweiliger Anordnung.

Die Mutter und der Vater waren seit dem 17. Juli 2006 verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder, der am 30. Oktober 2005 geborene J… A… und der am 28. Juli 2009 geborene B… E…, hervorgegangen. Im Jahr 2017 erfolgte die Scheidung der Ehe. Seit der Trennung im Jahr 2015 haben die Eltern eine Vielzahl von familiengerichtlichen Verfahren geführt, die unter anderem Sorgerecht und Umgangsrecht zum Gegenstand hatten und die Ausdruck einer hoch konfliktgeprägten Elternschaft sind.

Mit Beschluss vom 28. September 2020 - 3 UF 28/19 - entschied das Kammergericht, dass die elterliche Sorge für den sich bei der Mutter aufhaltenden Sohn J… A…, allein der Mutter und für den sich beim Vater aufhaltenden Sohn E…, allein dem Vater übertragen wird. Der Senat wies mit Beschluss vom 21. Januar 2022 - 10 UF 78/21 – eine auf unbegleitete Umgänge der Mutter mit E… gerichtete Beschwerde der Mutter zurück; begleitete Umgänge lehnt die Mutter ab.

E… befindet sich wegen venöser Malformationen seit Jahren in ärztlicher Behandlung. Dabei handelt es sich um zu Schwellungen führende Gefäßfehlbildungen, die sich bei E… unter anderem im Schultergürtel und Armbereich zeigen. Im Jahr 2018 erfolgte wegen dieser Fehlbildungen eine Operation.

Die Mutter hat die Auffassung vertreten, dass ihr die Gesundheitsfürsorge für E… übertragen werden müsse. Der Vater sei nicht in der Lage, sich um eine ausreichende kinderärztliche Betreuung von E… zu kümmern, insbesondere fehle jedes Problembewusstsein im Umgang mit dringend behandlungsbedürftigen Fehlbildungen, die die Mutter als Tumore bezeichnet. Auch kümmere sich der Vater überhaupt nicht um die Sprachentwicklungsverzögerung von E…. Zudem zeige E… depressives Verhalten. Die Mutter hat sinngemäß beantragt, dass ihr im Wege einstweiliger Anordnung die Gesundheitssorge in Abänderung der Entscheidung des Kammergerichts vom 28. September 2020 - 3 UF 28/19 - übertragen werde.

Der Vater hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er kümmere sich sorgfältig um die gesundheitlichen Belange von E…. Die venöse Malformation werde auf ärztlichen Rat regelmäßig und zwar jährlich kontrolliert. Weiteres Tätigwerden sei derzeit nicht veranlasst, da E… keine Beeinträchtigungen wegen der Fehlbildungen schildere und auch sonst derzeit keine weiteren Behandlungen ärztlich empfohlen seien.

Das Amtsgericht hat einen Verfahrensbeistand bestellt sowie E… und die Eltern angehört. Insoweit wird auf die Vermerke zur mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2022 (Bl. 187 AG) und zur Anhörung von E… vom 5. Juli 2022 (Bl. 213 AG) Bezug genommen. Darüber hinaus hat das Jugendamt mit Bericht vom 28. Juni 2022 (Bl. 211 AG) Stellung genommen.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 3. August 2022 hat das Amtsgericht den Antrag der Mutter auf einstweilige Übertragung der Gesundheitssorge für E… zurückgewiesen. Es sei schon nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Abänderung der Entscheidung des Kammergerichts vom 28. September 2020 - 3 UF 28/19 -, mit der dem Vater das alleinige Sorgerecht für E… übertragen worden ist, vorlägen. Das Kammergericht habe eben jene Umstände intensiv erörtert, die von der Mutter zum Gegenstand des hiesigen Verfahrens gemacht worden seien. Es sei auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich seit der Entscheidung des Kammergerichts relevante Umstände verändert haben könnten.

Darüber hinaus sei auch nicht ersichtlich, dass der Vater seinen Pflichten im Rahmen der Gesundheitssorge nicht hinreichend nachkomme. Vielmehr habe E… – bestätigt durch die Angaben des Verfahrensbeistands und des Jugendamtes - bei seiner Anhörung geschildert, dass es ihm gut gehe. Auch habe das Verfahren ergeben, dass der Vater die erforderlichen Arzttermine mit E… wahrnehme.

Zudem zeige die Mutter mit dem Inhalt ihrer zahlreichen Schriftsätze, dass sie das Wohl von E… aus den Augen verloren habe und sich im Wesentlichen auf Anwürfe auch gegen die beteiligen Behörden konzentriere. Eine einstweilige Übertragung der Gesundheitssorge auf die Mutter würde das Wohl von E… überhaupt erst gefährden.

Hiergegen richtet sich der ausdrücklich als Beschwerde bezeichnete Rechtsbehelf der Mutter, mit dem sie ihr erstinstanzliches Vorbringen vertiefend wiederholt. Einen ausdrücklichen Antrag stellt die Mutter nicht.

Der Vater beantragt ebenfalls unter vertiefender Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Verfahrensbeistand hat im Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 Stellung genommen (Bl. 55 OLG). Darüber hinaus hat der Senat im Ergebnis erfolglos ein Verfahren vor dem Güterichter angeregt und der Mutter mehrfach auf Antrag Akteneinsicht gestattet, um auf diesem Weg eine Einigung der Beteiligten zu fördern, die allerdings nicht zustande gekommen ist. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Senat hat nach vorherigem Hinweis gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG unter Absehen von der Durchführung eines Termins entschieden, weil das Amtsgericht die Beteiligten bereits angehört hat, von einem weiteren Termin keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren und das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hatte. Es kann offenbleiben, ob die Beschwerde unzulässig ist (1.). Denn sie ist jedenfalls unbegründet (2.).

1. Es spricht einiges dafür, dass die Beschwerde unzulässig ist. Die Beschwerde in einstweiligen Anordnungsverfahren ist gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 1 FamFG nur zulässig, wenn das Gericht des „ersten Rechtszugs auf Grund mündlicher Erörterung“ über die elterliche Sorge entscheidet. Zwar hat das Amtsgericht einen Verhandlungstermin durchgeführt. Allerdings hat das Amtsgericht nach dem Verhandlungstermin einen Bericht des Jugendamtes angefordert und diesen ebenso wie die nachträgliche Anhörung des Kindes dann in seinem Beschluss ohne erneuten Verhandlungstermin berücksichtigt.

Bei einem derartigen Verfahrensverlauf wird überwiegend vertreten, dass eine einstweilige Anordnung nicht mehr auf einer mündlichen Erörterung beruht, wenn nach der Erörterung weitere Ermittlungen durchgeführt wurden oder der Tatsachenstoff auf andere Weise erweitert wurde und eine Entscheidung erst danach ergeht (so für die nachträgliche Einreichung eines Berichts des Jugendamtes: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. April 2020 – 13 UF 59/20 –, Rn. 5, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 23. März 2020 – 2 UF 32/20 –, Rn. 57, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 1. Juli 2019 – 2 WF 140/19 –, Rn. 2, juris; KG Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 16 WF 234/07 –, Rn. 4, juris; Feskorn in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 57, Rn. 4; Dürbeck in: Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl., Rn. 13; a.A. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 1. November 1985 – 12 WF 148/85 S –, juris; Keidel/Giers, FamFG 20. Aufl. 2020, § 57 Rn. 5a).

2. Ob vorliegend deshalb etwas anderes gelten könnte, weil die anwaltlich vertretene Mutter ihren ausdrücklich als Beschwerde bezeichneten Rechtsbehelf eingelegt hat, nachdem sie selbst im Verhandlungstermin angeregt hat, nicht erneut mündlich zu verhandeln, sondern den Bericht des Jugendamtes schriftlich einzuholen, kann allerdings offenbleiben. Denn selbst wenn die Beschwerde zulässig sein sollte, ist sie jedenfalls unbegründet.

Grundsätzlich ist zwar die Zulässigkeit eines Rechtsmittels vor dessen Begründetheit zu prüfen. Im Beschwerdeverfahren gilt dieser Grundsatz jedoch nicht ausnahmslos. Ist eine Beschwerde jedenfalls offenkundig unbegründet, hat ihre Zurückweisung keine weitergehenden Folgen als ihre Verwerfung und stehen auch im Übrigen Interessen der Parteien – des Beschwerdeführers oder des Beschwerdegegners – nicht entgegen, kann unabhängig von der Zulässigkeit der Beschwerde eine Sachentscheidung über sie ergehen (BGH, Beschluss vom 30. März 2006 – IX ZB 171/04 –, Rn. 4, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. August 2018 – 20 W 2/13 –, Rn. 41, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. Juli 2015 – 20 W 5/14 –, Rn. 69, juris; OLG Köln, Beschluss vom 16. Oktober 2014 – I-2 Wx 146/14 –, Rn. 8, juris; Abramenko in: Prütting/Helms, FamFG 6. Aufl., § 68, Rn. 16; Keidel/Sternal, FamFG 20. Aufl. 2020, § 68 Rn. 63; MüKoFamFG/A. Fischer, 3. Aufl. 2018, FamFG § 68 Rn. 25). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Zurückweisung hat vorliegend keine weitergehenden Folgen als die Verwerfung. Rechtsschutzinteressen der Mutter - etwa im Hinblick auf § 54 Abs. 2 FamFG - sind schon deshalb nicht erheblich berührt, weil sie selbst im amtsgerichtlichen Verhandlungstermin auf die Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des Jugendamtes samt baldiger Entscheidung des Amtsgerichts hingewirkt hat.

Die Beschwerde ist offenkundig unbegründet, weil es dem Antrag der Mutter am Anordnungsgrund fehlt (a) und darüber hinaus auch - so wie das Amtsgericht zutreffend entscheiden hat - kein Anordnungsanspruch besteht (b).

a) Die Beschwerde ist schon deshalb offenkundig unbegründet, weil für das auf Antrag der Mutter vom Amtsgericht als einstweiliges Anordnungsverfahren geführte Verfahren der erforderliche Anordnungsgrund fehlt. Gemäß § 49 FamFG kommt eine einstweilige Anordnung im Rahmen der elterlichen Sorge nur in Betracht, wenn ein sofortiges Eingreifen ohne abschließende Klärung zur Vermeidung der Beeinträchtigung des Kindeswohls dringend geboten ist, also das Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden kann (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 5. Dezember 2000 – 7 WF 209/00 –, juris; Staudinger/Coester (2019) BGB § 1696, Rn. 140). Eine solche Dringlichkeit liegt offensichtlich nicht vor. Das dringende Bedürfnis zu sofortigem, einstweiligem Einschreiten besteht erst dann, wenn eine Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die für die Rechte und Interessen der Beteiligten entstehen, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, die Hauptsache aber im Sinne des Antragstellers entschieden würde, schwerer wiegen als die Nachteile, die durch die vorläufige Maßnahme eintreten können, die aber aufzuheben und rückabzuwickeln ist, wenn sich der Antrag in der Hauptsache als erfolglos erweisen sollte (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. April 2015 – 13 UF 70/15 –, Rn. 19, juris).

Zwar ist für die Prüfung der Dringlichkeit zunächst auf das Vorbringen der Mutter abzustellen, die insbesondere aus der venösen Malformation, einer Sprachentwicklungsstörung und einer Depression für E… gesundheitliche Gefahren ableitet und meint, dass sich der Vater nicht hinreichend um diese Umstände kümmere. Falls dieses Vorbringen der Mutter zuträfe, könnten tatsächlich Gefahren für die Gesundheit von E… bestehen. Unterstellt das Vorbringen der Mutter ist zutreffend, fehlt es gleichwohl an erheblichen Vorteilen, die den Nachteil überwiegen könnten, dass für E… mit einem erneuten Wechsel von Teilen des Sorgerechts – nunmehr auf die Mutter – die besonders bedeutsame Stabilität seiner Lebensverhältnisse wiederum gefährdet wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. September 2014 – 1 BvR 2102/14 –, Rn. 15, juris). Denn die gesundheitlichen Einschränkungen für E… bestehen im Hinblick auf die venösen Malformationen und die Sprachentwicklungsstörung nach dem Vorbringen der Mutter schon seit Jahren, ohne dass von der Mutter ein besonderes Risiko plötzlicher gravierender Verschlechterungen aufgezeigt worden oder sonst ersichtlich ist. Im Hinblick auf den Kontinuitätsgrundsatz und die weitgehend schon lange bestehenden Erkrankungen ergibt sich daher jedenfalls kein klares Überwiegen der Interessen an einer sofortigen abweichenden Regelung der Gesundheitssorge. Dies gilt umso mehr, als eine Übertragung von Teilen des Sorgerechts zu einer Verstärkung des immer noch ganz erheblichen Elternkonflikts und bei E… zu einem massiven Loyalitätskonflikt führen würde.

Daher kann auch offenbleiben, ob das Fehlen eines Anordnungsgrundes nicht auch daraus folgt, dass die Mutter die vermeintlich massiven Gesundheitsgefahren für E… über lange Zeit hingenommen hat, ohne ein Recht auf Übertragung der Gesundheitssorge geltend zu machen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 27. August 2010 – II-4 WF 160/10 –, Rn. 9, juris).

b) Angesichts des Fehlens eines Anspruchsgrundes führt der Senat ergänzend, aber ebenso tragend an, dass der Antrag der Mutter auch deshalb ohne Erfolg bleibt, weil unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anordnungsanspruch besteht. Die Voraussetzungen für die vorliegend maßgebliche Abänderung der Entscheidung des Kammergerichts vom 28. September 2020 - 3 UF 28/19 –, mit der dem Vater das alleinige Sorgerecht für E… übertragen worden ist, sind nicht gegeben. Nach § 1696 Abs. 1 BGB müssen triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe vorliegen, welche eine Änderung der ursprünglichen Regelung angezeigt erscheinen lassen. Diese Regelung stellt im Interesse des Kindes aus Kontinuitätsgründen sicher, dass eine einmal getroffene Sorgerechtsentscheidung, obgleich sie nicht in materielle Rechtskraft erwächst, nicht beliebig und jederzeit, sondern erst nach Erreichen der genannten Änderungsschwelle modifizierbar ist (BVerfG, Beschluss vom 22. September 2014 – 1 BvR 2102/14 –, Rn. 12, juris). Soweit die Mutter dazu wiederholt anführt, es sei ein Verfahren vor dem BVerfG – 1 BvR 82/21 - gegen die Entscheidung des Kammergerichts vom 28. September 2020 anhängig, ändert dieser Umstand nichts an der Anwendbarkeit von § 1696 BGB. Denn entscheidend ist im Hinblick auf § 58 FamFG, ob die betroffene Entscheidung – wie vorliegend - formell rechtskräftig ist (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Mai 2008 – 10 UF 119/07 –, Rn. 15, juris).

Die Anwendung der vorstehenden Maßstäbe führt dazu, dass der Antrag der Mutter offenkundig unbegründet ist. Dabei ist - bei unterstellter Dringlichkeit - zu berücksichtigen, dass im einstweiligen Anordnungsverfahren in Kindschaftssachen regelmäßig die Beteiligten zur Darlegung und Glaubhaftmachung verpflichtet sind (vgl. § 51 Abs. 1 S . 2 FamFG; Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 51 FamFG Verfahren, Rn. 7). Weitergehende zeitaufwändige Ermittlungen etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens kommen dagegen grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 2018 – 1 BvR 383/18 –, Rn. 18, juris). Beim Erlass einstweiliger Anordnungen muss der Sachverhalt daher regelmäßig nicht erschöpfend aufgeklärt werden (Feskorn in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 26, Rn. 9). Die Anwendung der vorstehenden Maßstäbe ergibt, dass kein triftiger Grund gemäß § 1696 Abs. 1 BGB dargelegt und glaubhaft gemacht ist (aa) und auch sonst kein Grund ersichtlich ist, der den Erlass der begehrten Anordnung rechtfertigen würde (bb).

aa) Es liegen schon keine das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden triftigen Gründe gemäß § 1696 Abs. 1 BGB vor, die eine Änderung der ursprünglichen Regelung angezeigt erscheinen lassen. Der Verfahrensbeistand hat während des gesamten Verfahrens geschildert, dass es E… gut gehe und insbesondere der Gesundheitszustand keine Sorgen bereite. Auch im Übrigen haben sich aus der amtsgerichtlichen Anhörung und der Stellungnahme der Beteiligten keine Anhaltspunkte für nicht hinreichend behandelte gesundheitliche Einschränkungen ergeben. Zudem besucht E… die Schule nach der „Corona-Zeit“ auch nach den Ausführungen des Jugendamtes wieder regelmäßig (Bl. 56 OLG, Bl. 211 AG), ohne dass sich Anhaltspunkte für ungewöhnlich viele Fehltage oder sonstige Besonderheiten ergäben. Auch hat der 13-jährige E… in seiner Anhörung nachvollziehbar geschildert, dass es ihm ohne nennenswerte Beeinträchtigungen gut gehe und er wegen seiner Malformationen regelmäßig ärztlich untersucht werde. Irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die gegenwärtigen ärztlichen Behandlungen nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sein könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Daran ändert die von der Mutter im Lauf des Verfahrens vorgelegte Vielzahl von medizinischen Unterlagen nichts. Die Mutter hat wiederholt medizinische Unterlagen aus den Jahren 2015 bis 2018 vorgelegt, die einen Zeitraum lange vor der Entscheidung des Kammergerichts vom 28. September 2020 - 3 UF 28/19 – betreffen. Insofern ist schon kein triftiger Grund vorgetragen oder sonst ersichtlich, warum diese Unterlagen unter Gesundheitsgesichtspunkten eine Änderung der kammergerichtlichen Entscheidung erfordern sollten. Gleiches gilt für das Vorbringen der Mutter, dass sich gesundheitsbezogen im Wesentlichen auf Vorgänge bis zum Jahr 2018 bezieht.

Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die von der Mutter vorgelegten Unterlagen aus den Jahren 2015 bis 2018 samt Vorbringen dazu gegenwärtig noch von Bedeutung sein könnten.

(1) Vielmehr hat das vorliegende Verfahren - wie oben aufgezeigt - ergeben, dass die venösen Malformationen im Jahr 2018 operativ behandelt worden sind und bei derzeitiger Beschwerdefreiheit unter ärztlicher Kontrolle stehen.

Soweit die Mutter wiederholt anregt, eine weitere Stellungnahme des Jugendamtes einzuholen, geht der Senat dem nicht nach. Die erstinstanzlich bereits eingeholte Stellungnahme vom 28. Juni 2022 (Bl. 211 AG) ist hinreichend ergiebig und aktuell. Soweit die Mutter die Beiziehung einer „hausärztlichen Akte“ bei ihr selbst als Mutter fordert, besteht ebenfalls kein weiterer Anlass zum Tätigwerden, weil die Mutter seit Jahren keinen Kontakt mehr mit E… hat und daher nicht ersichtlich ist, welcher weitere Erkenntnisgewinn aus der Akte folgen könnte. Der Senat hat auch davon abgesehen, das von der Mutter gegenüber dem Verfahrensbeistand angeregte MRT einzuholen sowie eine pädiatrische oder kinderonkologische Einschätzung anzufordern (Bl. 136 AG). Der Vater hat im amtsgerichtlichen Erörterungstermin nach den Feststellungen des Amtsgerichts nämlich nachgewiesen, dass die venösen Malformationen von E… durch die Erstellung von MRT´s untersucht worden sind und er darüber hinaus auch in diesem Jahr in einer namhaften Klinik vorstellig geworden sei. Der dortige Chefarzt habe keinen dringenden Handlungsbedarf feststellen können. Dafür hat das Amtsgericht im Erörterungstermin zwei Arztbriefe auszugsweise verlesen, die der Vater nicht vollständig in das Verfahren einführen wollte, weil die Mutter die ihr bislang bekanntgewordenen behandelnden Ärzte von E… mit Meldungen und Strafanzeigen derart bedacht habe, dass die behandelnden Ärzte weitere Behandlungen von E… abgelehnt hätten. Dieses Verhalten hat die Mutter in der Verhandlung zwar bestritten, es kann aber auch offenbleiben, ob das vom Vater geschilderte Verhalten der Mutter zutrifft. Jedenfalls hat sich aus den erstinstanzlich durch den Vater vorgelegten und auszugsweise vorgelesenen Arztbriefen kein unbeachtet gebliebener Handlungsbedarf wegen der venösen Malformationen ergeben (Bl. 189 AG). Der Senat hat im Hinblick auf die auszugsweise Verlesung des Inhalts der Arztbriefe durch das Amtsgericht keine Bedenken, deren Inhalt auch im Beschwerdeverfahren heranzuziehen.

Dagegen hat die Mutter auch im Beschwerdeverfahren nichts vorgebracht, was für einen derzeit unbeachtet gebliebenen Handlungsbedarf spricht. Zwar hat sie eine Vielzahl von Unterlagen aus den Jahren 2015 bis 2018 vorgelegt, aus denen sich insbesondere im Hinblick auf die venösen Malformationen teilweise auch die ärztliche Einschätzung eines Behandlungsbedarfs ergibt. Allerdings hat der Vater für E… im Jahr 2018 die operative Behandlung zweier Malformationen durchführen lassen. Die Mutter kritisiert diese operative Behandlung zwar umfassend insbesondere im Hinblick darauf, welche Untersuchungen der behandelnde Arzt unterlassen habe. Daraus ergeben sich gleichwohl keine Anhaltspunkte dafür, ob und ggf. weshalb der Vater sich nicht hinreichend um die Gesundheit von E… kümmere, zumal er auch den Verlauf der Erkrankung fortlaufend kontrollieren lässt.

(2) Soweit die Mutter vorbringt, E… zeige depressive Verhaltensweisen und Angststörungen, ist schon unklar, worauf sie ihre Annahme stützt, da sie seit Jahren keinen unmittelbaren Kontakt mit ihm hatte. Soweit sie auf Schilderungen der Großmutter von E… Bezug nimmt, wonach E… infolge „Vertrocknung und Verödung“ an einer „schweren Angststörung und Depression“ leide (Bl. 38 OLG), hat das vorliegende Verfahren keine Umstände aufgezeigt, die in irgendeiner Weise auf Depressivität oder Angststörungen von E… hindeuten könnten – insbesondere nicht die von der Mutter vorgelegte Fotografie von E…, die das Kind mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck zeigt. Vielmehr haben das Amtsgericht und der Verfahrensbeistand anhand ihrer eigenen Ermittlungen E… als im Stimmungsbild unauffälligen Jungen erlebt.

(3) Schließlich hat das Amtsgericht ausgeführt, dass vermeintliche Sprachstörungen von E… nahezu nicht hörbar seien. Auch insoweit ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich, was dennoch auf eine unzureichende Wahrnehmung der Gesundheitssorge durch den Vater hindeuten könnte. Daher liegt auch insoweit kein Anhaltspunkt dafür vor, dass eine Übertragung der Gesundheitssorge auf die Mutter dem Kindeswohl zuträglich wäre.

(4) Soweit die Mutter schließlich noch gelegentlich auf eine Neurodermitis von E… (Bl. 48 OLG) Bezug nimmt, wird erst recht kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass diese nicht ordnungsgemäß behandelt würde.

(5) Insgesamt ist damit weder ein bei der kammergerichtlichen Entscheidung unberücksichtigt gebliebener Umstand, noch ein solcher Umstand, der erst nach der kammergerichtlichen Entscheidung aufgetreten ist, ersichtlich, auf den eine Änderung der kammergerichtlichen Entscheidung gestützt werden könnte. Damit fehlt es bereits tatbestandsmäßig an einem triftigen Grund gemäß § 1696 Abs. 1 BGB, der Mutter die Gesundheitssorge zu übertragen.

bb) Der Senat ist abschließend unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten in eine umfassende Abwägung aller vorstehend erörterten Gesichtspunkte eingetreten, aber auch danach liegt kein triftiger Grund vor, der zur Änderung der in der kammergerichtlichen Entscheidung erfolgten Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater berechtigen könnte.

Daran ändert sich nichts dadurch, dass die Mutter, die sich trotz schon lange Zeit fehlenden Kontaktes zu E… weiterhin als dessen Hausärztin bezeichnet, grundsätzlich als Ärztin in besonderem Maße dazu geeignet sein sollte, die Gesundheitssorge für E… wahrzunehmen und dies grundsätzlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen wäre. Denn die Mutter hat durch ihr Agieren im vorliegenden Verfahren und in dem vor dem Senat geführten Verfahren 10 UF 78/21 deutlich gemacht, dass für sie in der Vielzahl der zwischenzeitlich geführten familienrechtlichen Verfahren das Wohl von E… in den Hintergrund geraten ist. Ihr in einer Vielzahl von Schriftsätzen eingebrachtes Vorbringen ist nicht nur mit oft neben Sache liegenden und sich wiederholenden Erwägungen darauf gerichtet, den Vater in möglichst schlechtem Licht darzustellen. Vielmehr kommt hinzu, dass die Mutter auch die an der Vielzahl ihrer Verfahren beteiligten Personen mit teils persönlichen Anwürfen angeht. So hat etwa eine Mitarbeiterin des Jugendamtes „von massiven Nachstellungen der Jugendamtsmitarbeiter durch die Antragstellerin“ (Bl. 208 AG) berichtet. Der Vater hat solches Verhalten der Mutter auch gegenüber den behandelnden Ärzten von E… beschrieben, die sich deshalb weigerten, E… weiter zu behandeln. Zwar ist dieses Verhalten sicherlich auch durch die aus Sicht der Mutter gemachten negativen Erfahrungen mit Justiz und Jugendämtern bedingt. Daher mag ihre Vorgehensweise Ausdruck ihrer kritischen Sichtweise sein, deutet aber auch darauf hin, dass das Wohl ihres Sohnes nicht mehr zentraler Maßstab für ihre Verfahrensführung ist, sondern die Auseinandersetzung mit dem Vater und diversen staatlichen Stellen im Mittelpunkt steht.

Auch sonst sind keine Umstände dafür ersichtlich, dass eine Änderung der zum Sorgerecht bereits getroffenen Entscheidung des Kammergerichts dem Kindeswohl dienlich sein könnte. Zwar ist dem Senat aus dem Verfahren 10 UF 78/21 bekannt, dass der Vater abseitigen Verschwörungserzählungen zuneigt und diese ohne jede erkennbare Zurückhaltung dem dort bestellten Sachverständigen umfassend geschildert hat. Das ändert allerdings nichts daran, dass - wie aufgezeigt - keine Anhaltspunkte erkennbar geworden sind, dass die Gesundheitssorge vom Vater bisher nicht zum Wohle von E… hinreichend wahrgenommen wird. Darüber hinaus zeigt das Schreiben des Jugendamtes vom 28. Juni 2022, dass die Situation von E… bei seinem Vater immer wieder durch das Jugendamt kontrolliert worden ist und sich bisher keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung durch den Vater gezeigt haben. Auch das Kammergericht hat dazu in seinem Beschluss vom 28. September 2020 ausgeführt, dass sich der Vater ausweislich seiner Anhörung angemessen um die Gesundheit von E… sorge. Hinzu kommt, dass dem Interesse des Kindes und vorliegend auch dem ausdrücklich geäußerten Willen von E… an der Stabilität seiner Lebensverhältnisse besondere Bedeutung beizumessen ist (BVerfG, Beschluss vom 22. September 2014 – 1 BvR 2102/14 –, Rn. 15, juris). Daher besteht unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitssorge derzeit kein Anlass, die Entscheidung des Kammergerichts zu ändern.

Auch im Übrigen ist kein Grund ersichtlich, der den Erlass der begehrten Anordnung rechtfertigen könnte. Angesichts der massiven Elternkonflikte kommt als milderes Mittel auch keine Teilung der Gesundheitssorge auf beide Eltern in Betracht.

cc) Schließlich hat der Senat erwogen, ob gemäß § 26 FamFG weitere Ermittlungen – etwa durch die von der Mutter geforderte Beiziehung von Akten der Vielzahl der zwischen dem Vater und der Mutter bisher geführten familiengerichtlichen Verfahren, von medizinischen Unterlagen oder der Anordnung medizinischer Untersuchungen - angezeigt sein könnten, weil die Mutter im Hinblick auf ihr fehlendes Sorgerecht und den fehlenden Umgang mit E… nur wenig Erkenntnismöglichkeiten in Bezug auf dessen Gesundheitszustand hat, dies aber nach Abwägung verneint. Denn die Mutter hat nach den vorstehenden Ausführungen schon keine erheblichen Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass sich der Vater gegenwärtig nicht adäquat um die Gesundheit von E… kümmern könnte. Solche Anhaltspunkte haben sich auch nicht aus dem Verlauf des Verfahrens ergeben. Das Gericht ist aber nicht dazu verpflichtet, allen nur theoretisch denkbaren Möglichkeiten nachzugehen und hierzu Ermittlungen anzustellen (Prütting in: Prütting/Helms, FamFG, § 26 Ermittlung von Amts wegen, Rn. 22), erst recht nicht im einstweiligen Anordnungsverfahren. Daher stellt etwa auch der Umstand, dass die Mutter ihr Führungszeugnis vorgelegt hat, keinen Anlass dar, um vom Vater ebenfalls ein solches abzufordern – wovon die Mutter allerdings ausgeht.

dd) Insgesamt liegt danach schon kein triftiger Grund vor, der eine Änderung der kammergerichtlichen Entscheidung rechtfertigen könnte. Auch eine besondere Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitserwägungen führt zu keinem davon abweichenden Ergebnis. Schließlich ist auch keine Korrektur dieses Ergebnisses im Hinblick auf die eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten mangels Kontaktes der Mutter mit E… angezeigt.

c) Danach ist die Beschwerde unbegründet, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowohl mangels Anordnungsgrundes als auch mangels Anordnungsanspruchs keinen Erfolg hat.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG, da angesichts der klaren Rechtslage kein Bedürfnis für die Überprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung bestand.

IV.

Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 70 Abs. 2 FamFG ein Rechtsmittel nicht gegeben.

V.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 41 FamGKG; der Umfang und Inhalt des Sachvortrags der Beteiligten erforderte jedenfalls im Beschwerdeverfahren keine höhere Festsetzung.