Gericht | OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 21.04.2022 | |
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Aktenzeichen | 10 UF 51/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0421.10UF51.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 14.04.2021 abgeändert.
Auf Antrag des Vaters wird die elterliche Sorge für das am 11.07.2011 geborene Kind F... Krumpelt beiden Eltern gemeinsam übertragen.
Die Gerichtskosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz haben die Eltern je zur Hälfte zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert wird auf 4.000 € festgesetzt.
I. |
I.
Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen für die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge liegen (jedenfalls jetzt) vor.
1.
Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu, wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen), wenn sie einander heiraten oder soweit ihnen das Familiengericht die elterliche Sorge gemeinsam überträgt, § 1626a Abs. 1 BGB. Gemäß § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB überträgt das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht, § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB.
2.
Ob im vorliegenden Fall die Vermutung greift, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht oder ob das Amtsgericht aufgrund weiterer Ermittlungen
- hier sogar unter Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens –
zutreffend zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Voraussetzungen für die gemeinsame elterliche Sorge nicht vorliegen, kann dahinstehen.
Denn jedenfalls jetzt im Beschwerdeverfahren, nachdem der Vater eine Sorgerechtsvollmacht vorgelegt hat, ist beiden Eltern die elterliche Sorge gemeinsam zu übertragen.
3.
Auch bei der "negativen" Kindeswohlprüfung nach § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB ist vorrangiger Maßstab für die Entscheidung das Kindeswohl. Notwendig ist die umfassende Abwägung aller für und gegen die gemeinsame Sorge sprechenden Umstände. Dafür gelten die zur Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB entwickelten Grundsätze (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 13 ff., NJW 2016, 2497).
Gründe, die der gemeinsamen elterlichen Sorge im Sinne von § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB entgegenstehen können, sind bereits dann gegeben, wenn sich aus den dem Gericht dargelegten oder sonst ersichtlichen konkreten tatsächlichen Anhaltspunkten die Möglichkeit ergibt, dass die gemeinsame elterliche Sorge nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Unbeachtlich sind dagegen Umstände, die keinen Bezug zum konkreten Fall oder dem Wohl des Kindes aufweisen. Es genügt aber, wenn konkrete tatsächliche Umstände dargelegt werden oder erkennbar sind, die ein Indiz gegen die gemeinsame elterliche Sorge sein können. Liegen hinreichende Anhaltspunkte vor, löst dies die Amtsermittlungspflicht aus und führt zur im normalen Sorgerechtsverfahren durchzuführenden umfassenden Prüfung (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 32, NJW 2016, 2497). Erst wenn sich nach erschöpfender Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, ergibt sich aus der negativen Formulierung der Kindeswohlprüfung die (objektive) Feststellungslast dahin, dass im Zweifelsfall die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Eltern gemeinsam auszusprechen ist (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 38, NJW 2016, 2497). Bei der Entscheidung über die Anordnung oder Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist zu berücksichtigen, wenn es im Verhältnis der Eltern an einer Grundlage für ein Zusammenwirken im Sinne des Kindeswohls fehlt. Ein nachhaltiger und tiefgreifender Elternkonflikt kann zur Folge haben, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 21, NJW 2016, 2497). Das Vorliegen eines Elternkonflikts oder die Ablehnung der gemeinsamen elterlichen Sorge durch die Mutter sprechen für sich genommen allerdings noch nicht gegen die gemeinsame elterliche Sorge. Allein die Verweigerungshaltung eines Elternteils ist kein entscheidender Gesichtspunkt dafür, dass die Beibehaltung oder Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl widerspricht. Dass Eltern in Einzelfragen verschiedener Meinung sind und ihre Meinungsverschiedenheiten im Einzelfall streitig ausgetragen haben, genügt ebenfalls nicht, um die gemeinsame elterliche Sorge abzulehnen. Es gehört zur Normalität im Eltern-Kind-Verhältnis, dass sich in Einzelfragen die für das Kind beste Lösung erst aus Kontroversen herausbildet. Hierdurch können sogar mehr Argumente abgewogen werden als bei Alleinentscheidungen und so dem Kindeswohl besser entsprechende Ergebnisse erreicht werden. Insbesondere sieht das Gesetz für einzelne kontrovers diskutierte und von den Eltern nicht lösbare Fragen mit § 1628 BGB ein geeignetes Instrumentarium vor (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 22, NJW 2016, 2497).
Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt allerdings ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 23, NJW 2016, 2497). Die gemeinsame elterliche Sorge ist daher nicht anzuordnen, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen. Maßgeblich ist, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird. Die Gefahr einer erheblichen Belastung des Kindes kann sich im Einzelfall auch aus der Nachhaltigkeit und der Schwere des Elternkonflikts ergeben (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 24, NJW 2016, 2497). Eine vollständige Kommunikationsverweigerung der Eltern muss allerdings nicht gegeben sein. Die Kommunikation der Eltern ist bereits dann schwer und nachhaltig gestört, wenn sie zwar miteinander in Kontakt treten, hierbei aber regelmäßig nicht in der Lage sind, sich in der gebotenen Weise sachlich über die Belange des Kindes auszutauschen und auf diesem Wege zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen. Dann ist zu prüfen, ob hierdurch eine erhebliche Belastung des Kindes zu befürchten ist (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 25, NJW 2016, 2497). Die Belastung des Kindes muss nicht bereits tatsächlich bestehen. Es genügt die begründete Befürchtung, dass es zu einer solchen Belastung kommt (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 26, NJW 2016, 2497). Zur Annahme einer zukünftigen Belastung genügt die begründete Besorgnis, dass die Eltern auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche Auseinandersetzungen beizulegen. Denn ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen. Notwendig ist hierfür die Einschätzung im Einzelfall, ob der Elternkonflikt so nachhaltig und so tiefgreifend ist, dass gemeinsame, dem Kindeswohl dienliche Entscheidungen der Eltern in den wesentlichen Belangen der elterlichen Sorge auch für die Zukunft nicht gewährleistet sind (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 27, NJW 2016, 2497). Ebenfalls nicht erforderlich ist die zusätzliche Feststellung einer günstigen Prognose der Alleinsorge eines Elternteils dahingehend, dass die Eltern aufgrund der gerichtlichen Entscheidung für die Alleinsorge ihren Streit nicht fortsetzen werden. In die Abwägung ist vielmehr einzubeziehen, ob durch die Alleinsorge die Konfliktfelder zwischen den Eltern eingegrenzt werden, was für sich genommen bereits dem Kindeswohl dienlich sein kann, während bereits das Risiko, dass das Kind durch die Begründung der gemeinsamen Sorge verstärkt dem fortdauernden Konflikt der Eltern ausgesetzt wird, dem Kindeswohl entgegenstehen kann (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 28, NJW 2016, 2497). Zu den wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge, für die ein Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten gefordert werden muss, gehören alle nach § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB gemeinsam zu treffenden Entscheidungen, zu denen auch die Grundentscheidungen über den persönlichen Umgang des Kindes mit dem nicht betreuenden Elternteil zählen. Die Art und Weise, wie die Eltern insoweit in der Lage zu gemeinsamen Entscheidungen sind, kann bei der Gesamtabwägung nicht unberücksichtigt bleiben (BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 29, NJW 2016, 2497).
4.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist schon zweifelhaft, ob – wie von der Mutter geltend gemacht und auch vom Amtsgericht angenommen – tatsächlich keine Grundlage für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht. Dies kann aber auf sich beruhen. Denn jedenfalls mit Rücksicht auf die vom Vater inzwischen erteilte Sorgerechtsvollmacht liegen die Voraussetzungen dafür, den Eltern die gemeinsame elterliche Sorge zu übertragen, vor.
a)
Die Frage, ob im Hinblick auf eine eingeschränkte Kommunikation zwischen den Eltern die Voraussetzungen für eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge grundsätzlich gegeben sind, braucht hier nicht entschieden zu werden.
Gegen eine hinreichende Kommunikationsfähigkeit der Eltern spricht zunächst der Umstand, dass weiterhin gerichtliche Verfahren zwischen ihnen anhängig sind. So hat der Vater im Senatstermin vom 02.11.2021 eingeräumt, wegen Verstoßes gegen die Umgangsregelung Ordnungsgeldanträge gestellt zu haben. Die Mutter hat im Senatstermin vom 23.11.2021 erklärt, entsprechende Anträge vor fünf bis sechs Wochen im Hinblick auf die Verspätungen des Vaters anlässlich des Umgangs gestellt zu haben. Auch ist das Verfahren betreffend den Kindesunterhalt noch offen, wobei der Streit der Eltern sich anscheinend auf die Frage beschränkt, ob der Vater Unterhalt oberhalb des Mindestunterhalts zu zahlen hat. Schließlich weist die Mutter in ihrem Schriftsatz vom 20.12.2021 zurecht auf das offensichtlich nach wie vor anhängige Verfahren 42 F 221/16 hin, in dem der Vater die Mutter wegen ausgefallenen Umgangs auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nimmt und sich aktuell durch Anwaltsschriftsatz vom 01.12.2021 geäußert hat.
Auch die unterschiedliche Wahrnehmung der Eltern hinsichtlich einzelner Streitpunkte, etwa zu den Fragen, warum die vereinbarte Videotelefonie nicht funktioniert hat oder welcher Elternteil eher bereit ist, vereinbarte Umgangstermine zu tauschen, spricht gegen die Annahme, sie könnten sich zum Wohl des gemeinsamen Kindes ausreichend miteinander verständigen.
Die Mutter hat sich bei ihrer Anhörung im Senatstermin vom 23.11.2021 als psychisch stark angeschlagen gezeigt. Sie hat schon einleitend angegeben, den Anhörungsvermerk über den in ihrer Abwesenheit stattgefunden früheren Senatstermin nur „überflogen“ zu haben, da solche Schreiben sie „stressten“. Im weiteren Verlauf hat sie erklärt, sie reagiere psychosomatisch sehr stark und sei froh, dass der Vater nicht anwesend sei. Sie habe Angst, dass etwas Schlimmes passiere, dass sie ihn anschreie, nach ihm schlage; sie sei über ihn sehr häufig wütend. Seit etwa einem halben Jahr befinde sie sich wieder in psychologischer Behandlung. Sie leide an Depressionen. Die psychologische Behandlung soll ihr helfen, Wege zu finden, wie sie gelassen werden könne. Die Nacht vor dem Gerichtstermin habe sie nur wenig geschlafen. Diese Angaben lassen zum einen darauf schließen, dass auf Seiten der Mutter eine ausreichende Grundlage für eine Kommunikation mit dem Vater nicht gegeben ist. Zum anderen ließe sich aber auch mit Rücksicht auf die offensichtlich sehr starke psychische Belastung der Mutter argumentieren, es sei für das Kindeswohl besser, wenn auch der psychisch weniger belastete Vater in die maßgeblichen Entscheidungen mit einbezogen wird. Hier könnte der bereits angesprochene Grundsatz greifen, dass die für das Kind beste Lösung erst aus Kontroversen heraus gebildet werde, weil hierdurch sogar mehr Argumente abgewogen werden können als bei Alleinentscheidungen und so dem Kindeswohl besser entsprechende Ergebnisse erreicht werden. Dafür könnte hier auch der Umstand sprechen, dass die Mutter selbst angegeben hat, ihr im Jahr 2003 geborener Sohn habe zeitweise nicht bei ihr, sondern bei ihren Eltern gelebt; mithin hat die Mutter insoweit eine Entlastung bei den Erziehungsaufgaben benötigt.
Der Vater hat bei seiner Anhörung im Senatstermin vom 02.11.2021 einen relativ gelassenen Eindruck vermittelt. Dies steht aber mit seinen schriftlichen Äußerungen nicht völlig in Einklang. Das zeigt sich etwa an seinem Schreiben vom 14.12.2021 auf die Verfügung des Senats vom 30.11.2021. In jener Verfügung war dem Vater aufgegeben worden, binnen zwei Wochen zu den Angaben der Mutter im Senatstermin vom 23.11.2020 Stellung zu nehmen, ebenso zu den Äußerungen seiner Tochter im Termin, hier insbesondere zu dem von der Tochter wiedergegebenen Gespräch über Impfungen gegen das Corona-Virus. Dies hat der Vater in seinem Schreiben vom 14.12.2021 zum Anlass genommen, Verwunderung darüber zu äußern, dass Politik in einem familiengerichtlichen Verfahren eine Rolle spiele. Zugleich hat er die Gelegenheit genutzt, ausführliche Gedanken zur Frage der Notwendigkeit von Corona-Impfungen, insbesondere bei Kindern, zu äußern. Dies war aber gar nicht der Grund für die Auflage des Senats. Vielmehr ist es darum gegangen festzustellen, ob und gegebenenfalls wie tiefgehend der Vater die Impfproblematik mit seiner Tochter erörtert hat und inwieweit ihm in diesem Zusammenhang daran gelegen war, das Thema mit F... kindgerecht zu besprechen. Der Umstand, dass der Vater stattdessen gleich die Gelegenheit genutzt hat, eine „politische“ Diskussion zu führen, lässt befürchten, dass er auch in anderen das Kind betreffenden Zusammenhängen der Mutter gegenüber geneigt ist, Grundsatzdiskussionen zu führen. Im Übrigen stellt sich der Vater auch nicht uneingeschränkt als psychisch unbelastet dar. Vielmehr hat er in dem von der Mutter mit Schriftsatz vom 20.12.2021 zur Akte gereichten Schriftsatz vom 01.12.2021 zu dem schon angesprochenen Verfahren 42 F 291/16 geltend gemacht, er habe infolge einer Nichtgewährung von Umgang Depressionen erlitten.
Ein weiteres beredtes Beispiel für die gestörte Kommunikation der Eltern ist der Umstand, dass sie auf den Verfahrenskostenhilfeantrag des jeweils anderen Elternteils mit konkreten Einwänden hinsichtlich der dort vermeintlich nicht gegebenen Bedürftigkeit reagiert haben. Der Vater hat im Senatstermin vom 02.11.2021 insoweit der Mutter vorgeworfen, sie könne zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nur Angaben ins Blaue hinein machen, da sie zuletzt vor elf Jahren bei ihm gewesen sei. Es stellt sich die Frage, warum der Vater sich dann seinerseits im Schreiben vom 19.07.2021 (Bl. 231 der Gerichtsakte) in der Lage gesehen hat, die Feststellung zu treffen, die Antragsgegnerin könne die Kosten des Verfahrens aus eigenen finanziellen Mitteln bestreiten.
In welchem Umfang F... unter dem Streit der Eltern leidet, ist nicht ganz eindeutig zu Tage getreten. Die Mutter hat bei ihrer Anhörung am 23.11.2021 selbst angegeben, sie habe gestaunt, wie gefasst die Tochter reagiert habe, während sie, die Mutter aufgeregt sei und gedacht habe, das müsse sich auf das Kind übertragen. Es sei aber fröhlich gewesen. F... selbst machte bei ihrer Anhörung im selben Termin keinen belasteten Eindruck. Vielmehr hat sie relativ sachlich erklärt, dass aus ihrer Sicht alles so bleiben solle wie bisher, weil es sonst wieder Streit gebe. Sie hat dann auch die Angst geäußert, da mit hineingezogen zu werden. Sie befürchte, dass es zu ganz großen Streit kommen werde und glaube, davon dann etwas mitzubekommen. Insoweit hat sich das Mädchen recht rational mit den Problemen zwischen den Eltern auseinandergesetzt, nicht aber den Eindruck vermittelt, hierunter stark zu leiden. Zugleich hat F... deutlich gemacht, dass sie den Vater gern besuche und man bei ihm viele schöne Sachen mache. Der Vater seinerseits hat in seinem Schreiben vom 14.12.2021 behauptet, es habe noch nie einen Streit zwischen der Mutter ihm gegeben, bei dem seine Tochter anwesend gewesen sei, und abgesehen von den Gerichtsverfahren habe es ohnehin generell nie einen Streit gegeben. Die Verfahrensbeiständin hingegen hat in ihrem Bericht vom 07.10.2021 die Sorgen und Ängste von F... vor weiteren Streitigkeiten im Falle der gemeinsamen elterlichen Sorge bei ihrer Empfehlung in den Vordergrund gestellt.
Dies alles kann aber auf sich beruhen.
b)
Denn selbst wenn man zugunsten der Mutter unterstellte, die soeben genannten Umstände ständen im Rahmen einer Gesamtabwägung einer Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegen, so gelangte man doch unter Berücksichtigung der vom Vater im Beschwerdeverfahren unter dem 14.12.2021 erklärten Sorgerechtsvollmacht zu einem anderen Ergebnis.
aa)
Mit der Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung der Alleinsorge auf den antragstellenden Elternteil gem. § 1671 BGB ist zwangsläufig ein Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht des anderen Elternteils verbunden. Auch die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge unterliegt daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie kommt insbesondere nur dann in Betracht, wenn dem Kindeswohl nicht durch mildere Mittel als die Sorgerechtsübertragung entsprochen werden kann (BGH, Beschluss vom 29.04.2020 – XII ZB 112/19 Rn. 18, FamRZ 2020, 1171; vgl. auch Löhnig, NJW 2020, 2150). Die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen kann eine Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Das setzt allerdings auch eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraus, soweit eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 21, 28).
bb)
Diese Rechtsprechung ist auf ein Verfahren wie das vorliegende, in dem der nicht mit der Mutter verheiratete Vater die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge gemäß § 1626a Abs. 2 S. 1 BGB begehrt, zu übertragen. Wie bereits ausgeführt, ist auch bei nach § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB zu treffenden Entscheidung vorrangiger Maßstab das Kindeswohl, wobei die zur Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB entwickelten Grundsätze gelten. Dies ist gerade vor dem Hintergrund, dass auch der nicht mit der Mutter verheiratete Vater sich auf das Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG berufen kann (vgl. BeckOGK/Schumann, Stand 01.09.2021, BGB § 1626a Rn. 20), gerechtfertigt.
Unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze ist die vom Vater vorgelegte Vollmacht grundsätzlich geeignet, die Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge herbeizuführen.
(1)
Die Vollmacht ist wirksam erteilt worden.
Auf die Sorgerechtsvollmacht finden die gesetzlichen Regeln der Stellvertretung nach den §§ 164 ff. BGB unmittelbar Anwendung (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 24; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.05.2021 – 20 UF 18/21, BeckRS 2021, 15985 Rn. 43). Die Erteilung einer Vollmacht ist eine selbstständige, einseitige, nicht annahmebedürftige Erklärung des Vollmachtgebers (BGH, Urteil vom 05.12. 2006 - XI ZR 341/05, NJW-RR 2007, 1202 Rn. 18). Das Grundverhältnis für die Sorgerechtsvollmacht ist regelmäßig das sich aus dem fortbestehenden gemeinsamen Sorgerecht ergebende gesetzliche Rechtsverhältnis (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 25 f.). Mithin ist es für die Wirksamkeit der vom Antragsgegner vorgelegten Vollmacht ohne Bedeutung, dass diese nur von ihm unterschrieben worden ist.
(2)
Der erteilten Vollmacht stehen nicht die von der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter im Schriftsatz vom 10.02.2022 geäußerten Bedenken entgegen, die Vollmacht sei jederzeit widerrufbar.
Es trifft allerdings zu, dass der Vater die Vollmacht grundsätzlich jederzeit widerrufen kann. Dieser Umstand steht einer Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge aber nicht entgegen.
Auch wenn die Vollmacht mangels Disponibilität des Elternrechts nicht wirksam unwiderruflich erteilt werden kann, bedarf es keiner – ohnedies unsicheren – Prognose, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Vollmacht vom vollmachtgebenden Elternteil künftig widerrufen werden könnte. Da die wirksam erteilte Vollmacht den hauptverantwortlichen Elternteil mit erweiterten Handlungsbefugnissen ausstattet, ergäbe sich insoweit erst durch den tatsächlich erklärten Widerruf der Vollmacht eine geänderte Sachlage, die sodann als Grund für eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB oder gegebenenfalls für die Abänderung einer bereits ergangenen Entscheidung nach § 1696 BGB angeführt werden kann (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 35, 39).
Wenn die Vollmacht – wie hier – bis zu ihrem schriftlichen Widerruf gelten soll, ist dies nicht zu beanstanden. Ein solches Schriftformerfordernis kann grundsätzlich auch für den Widerruf einer Sorgerechtsvollmacht vorgesehen werden (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.05.2021 – 20 UF 18/21, BeckRS 2021, 15985 Rn. 44).
(3)
Auch die Äußerung der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter im Senatstermin vom 23.11.2021, eine weiterreichende Bevollmächtigung der Mutter durch den Vater Stelle erfasst eine alleinige elterliche Sorge dar, gebietet nicht die Aufrechterhaltung der Alleinsorge durch die Mutter.
Denn die Vollmacht kann weder allgemein als in der Regel ungeeignet angesehen werden, weil die elterliche Sorge des die Vollmacht erteilenden Elternteils nur formal aufrechterhalten bliebe, noch bleibt ihre Eignung auf Fälle beschränkt, in denen zwischen dem Kind und dem vollmachtgebenden Elternteil ein persönlicher Kontakt besteht (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 34). Somit entfällt grundsätzlich die Erforderlichkeit eines gerichtlichen Eingriffs in die elterliche Sorge durch die Erteilung einer „Sorgerechtsvollmacht“. Insbesondere steht dieser Bewertung nicht die vermeintliche Gefahr einer gemeinsamen elterlichen Sorge als „leere Hülle“ entgegen (Prinz, NZFam 2020, 747, 755). Vielmehr ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob die Vollmacht unter den gegebenen Umständen ausreicht, um die Kindesbelange verlässlich wahrnehmen zu können (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 34).
(4)
Schließlich steht der gemeinsamen elterlichen Sorge, so wie sie nun auf der Grundlage der vom Vater erteilten Vollmacht praktiziert werden wird, der Wille des Kindes nicht entgegen.
Allerdings hat F... sich wiederholt und so zuletzt auch im Senatstermin vom 23.11.2021 dahin geäußert, dass es bei der alleinigen elterlichen Sorge der Mutter bleiben solle. Sie hat dies mit der Befürchtung, dass es weiterhin zu schweren Streitigkeiten zwischen den Eltern kommen könne, auch nachvollziehbar begründet. Die Verfahrensbeiständin hat in ihren Stellungnahmen vom 13.08.2021 und vom 07.10.2021 die Äußerungen des Kindes als authentisch eingeschätzt.
Inwieweit der Willensäußerung des zehn Jahre alten Mädchens bei der Entscheidung über die alleinige oder gemeinsame elterliche Sorge maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. hierzu auch OLG Brandenburg - 1. Familiensenat -, Beschluss vom 19.03.2008 – 9 UF 213/07, BeckRS 2008, 16527; OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, Beschluss vom 25.11.2010 - 10 UF 135/10, BeckRS 2010, 30458; OLG Brandenburg - 3. Familiensenat -, Beschluss vom 29.04.2021 – 15 UF 64/21, BeckRS 2021, 10772 Rn. 53; OLG Brandenburg - 5. Familiensenat -, Beschluss vom 29.07.2013 - 3 UF 47/13, BeckRS 2013, 19107; s.a. OLG Brandenburg – 4. Familiensenat - Beschluss vom 19.09.2012 – 13 UF 9/11, BeckRS 2012, 21727; Lack, in: Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Aufl., § 1671 BGB Rn. 81), kann offenbleiben. Denn im vorliegenden Fall ist die vom Vater erteilte weiterreichende Vollmacht zu beachten, die – wie bereits ausgeführt – unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge gebietet. Bei der Anhörung des Mädchens durch den Senat ist der Versuch unternommen worden, die in Aussicht gestellten bzw. schon erteilten wechselseitigen Vollmachten der Eltern kindgerecht zu erklären. F... hat aber zu erkennen gegeben, dass sie dies noch nicht so ganz verstanden hat. Ähnlich ist es der Verfahrensbeiständin ergangen, als sie F... erklären wollte, was eine Vollmacht sei und was diese für sie bedeuten könne. Das ergibt sich aus dem Bericht der Verfahrensbeiständin vom 07.10.2021.
(5)
Nach dem Vorstehenden besteht im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedenfalls keine Veranlassung, die gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich der schulischen Angelegenheiten, der Gesundheitsfürsorge, der Vertretung vor Behörden und Versicherungen sowie der Vermögensangelegenheiten nicht zuzulassen. Denn insoweit hat der Vater der Mutter eine umfassende Vollmacht erteilt. Unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse der Mutter bedarf es keiner weitergehenden Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern. Das gilt auch für die zwischenzeitlich streitigen Fragen. Denn sowohl in Bezug auf die Wahl der weiterführenden Schule als auch in Bezug auf Impfungen des Kindes ist die Mutter durch die Vollmacht in die Lage versetzt worden, alleinige Entscheidungen zu treffen.
(6)
Nichts anderes gilt aber auch für das Aufenthaltsbestimmungsrecht.
Allerdings hat der Vater insoweit seine Vollmacht eingeschränkt. Er hat aber bislang den ständigen Aufenthalt und Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Mutter nicht in Frage gestellt. Deshalb wäre auch dann, wenn die Kommunikationsfähigkeit zwischen den Eltern in jedem Fall hinreichend ausgeprägt gewesen wäre, von der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht auszunehmen gewesen. Der Hintergrund der Einschränkung der Vollmacht insoweit dürfte darin zu sehen sein, dass der Vater vermeiden möchte, im Falle eines Umzugs der Mutter nicht in die Frage des zukünftigen Aufenthaltsorts des Kindes einbezogen zu werden.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Die Wertfestsetzung ergeht auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.