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Entscheidung 13 WF 143/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 05.01.2023
Aktenzeichen 13 WF 143/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0105.13WF143.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 19. Juli 2022 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Bezirksrevisor wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Festsetzung einer Einigungsgebühr nach Nummer 1003 Abs. 2 VV RVG im Rahmen der Verfahrenskostenhilfevergütung für die im Kindesschutzverfahren gemäß §§ 1666, 1666a BGB beigeordnete Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter.

Das betroffene im August 2018 geborene Kind S… lebte zuerst bei seiner Mutter. Mit der Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt … im Juli 2020 war die Mutter nicht einverstanden. Das Jugendamt hat angeregt, der Mutter gemäß §§ 1666, 1666a BGB Teile der elterlichen Sorge zu entziehen, um das Wohl des Kindes sicherzustellen.

Mit Beschluss vom 22. September 2021 ist der Mutter die Beschwerdegegnerin im Rahmen der Verfahrenskostenhilfebewilligung als Hauptbevollmächtigte beigeordnet worden.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht in einem zweiten Termin (Bl. 222 f.) "folgendes festgehalten ...

Im Einvernehmen mit allen Beteiligten soll S… zeitnah in den mütterlichen Haushalt zurückgeführt werden.

Dazu wird ebenfalls im Einvernehmen mit allen Beteiligten Frau L… von heute, ... bis voraussichtlich ... in der Nähe der Einrichtung in einer Unterkunft die weitere Annäherung von S… durch ihre eigene Betreuung vornehmen. Voraussichtlich am Montag, den ... wird Frau L… S… dann endgültig zu sich nach Hause nehmen.

Frau K… erklärt für das Jugendamt … verbindlich die Kostenübernahme für die Unterkunft von Frau L… bis längstens Montag, ....

Frau L… erklärt sich bereit und verpflichtet sich, auf Anforderung des Jugendamtes zu unregelmäßigen Drogenscreenings, um ihre Drogenabstinenz nachzuweisen.

Frau L… verpflichtet sich, S… spätestens zu Beginn des neuen Schuljahres in einem Kindergarten anzumelden, eventuell auch früher nach Absprache mit dem Jugendamt und entsprechend der Bedürfnisse von S….

...

Frau L… verpflichtet sich, zeitnah für S… einen Termin in einer psychiatrischen Institutsambulanz für Kinder und Jugendliche zu vereinbaren zur Erlangung einer grundlegenden kinderpsychiatrischen Diagnostik.

Ferner verpflichtet sie sich, S… eine eventuell nach der Diagnostik empfohlene Psychotherapie zu ermöglichen.

Frau L… verpflichtet sich, S… zeitnah in einer logopädischen Praxis vorzustellen ...

Frau L… stellt hiermit verbindlich beim Jugendamt in … den Antrag auf Hilfe zur Erziehung in der Form der sozialpädagogischen Familienhilfe.

Frau L… verpflichtet sich, zu einer zukünftigen kooperativen Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und für das Jugendamt gut erreichbar zu sein.

Frau L… beabsichtigt, eine Mutter-Kind-Kur zu beantragen und auch eine eigene Psychotherapie entsprechend der Empfehlung des Sachverständigen aufzunehmen. Vor dem Hintergrund voraussichtlich langer Wartezeiten wird sie sich zeitnah bereits jetzt um einen Termin zu einer Psychotherapie bemühen."

Anschließend hat es das Kindesschutzverfahren eingestellt und eine Kostenentscheidung getroffen.

Die Hauptbevollmächtigte der Mutter hat beantragt, ihre VKH-Vergütung unter Einschluss einer Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003, 1000 VV RVG festzusetzen (Bl. 15 VK). Die zuständige Rechtspflegerin hat die Verfahrenskostenhilfevergütung unter Abzug der geltend gemachten Einigungsgebühr festgesetzt (Bl. 20 VK). Nachdem die Rechtspflegerin der hiergegen eingelegten Erinnerung der Hauptbevollmächtigten nicht abgeholfen hatte (Bl. 42 VK), hat die zuständige Richterin mit dem angefochtenen Beschluss, auf dessen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird, die Verfahrenskostenhilfevergütung unter Einschluss der Einigungsgebühr festgesetzt (Bl. 45). Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Bezirksrevors hat sie nicht abgeholfen (Bl. 58 VK) und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt.

Die Einzelrichterin hat das Verfahren mit Beschluss vom 4.1.2023 wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen, §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 S. 2 RVG.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Der beigeordneten Hauptbevollmächtigten der Mutter steht auch die von ihr geltend gemachte Einigungsgebühr zu.

1. Nach Nr. 1000 Nr. 1, Anm. V S. 2 VV-RVG entsteht die Einigungsgebühr "für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird". Nach Nr. 1003 Anm. 2 VV-RVG "entsteht die Gebühr" in Kindschaftssachen "auch für die Mitwirkung am Abschluss eines gerichtlich gebilligten Vergleichs (§ 156 Abs. 2 FamFG) und an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt".

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird die Frage, ob eine Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV RVG in Verfahren nach §§ 1666 BGB anfallen kann, nicht einheitlich beantwortet.

a) Vielfach (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 2017, 308; OLG Hamm MDR 2014, 37; OLG Koblenz OLG Report Mitte 10/2015 Anm. 1, OLG Stuttgart FamRZ 2011, 1814; KG FamRZ 2011, 245; OLG Celle, FamRZ 2011, 246; OLG Brandenburg, 1. Familiensenat, NZFam 2019, 594) wird dies mit der Begründung verneint, im Unterschied zu Sorgerechtsverfahren nach § 1671 BGB oder zu Umgangs- und Herausgabeverfahren, in welchen die Kindeseltern bei Abschluss einer Vereinbarung im Rahmen von § 156 Abs. 1 FamFG in Ausübung der durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG eingeräumten Befugnisse handelten, gehe es in Kindesschutzverfahren nach § 1666 BGB um die Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes über das Kindeswohl nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG. Bei Kindesschutzverfahren nach § 1666 BGB handele es sich um von Amts wegen einzuleitende Verfahren, die der Disposition der Verfahrensbeteiligten in Gänze entzogen sind. Auf eine Vereinbarung der Beteiligten komme es in diesen Verfahren nicht - jedenfalls nicht im Sinne einer Streitbeilegung - an; eine solche mache eine gerichtliche Prüfung in Bezug auf den gesamten Verfahrensgegenstand nicht entbehrlich. Dass das Gericht bei seiner abschließenden Entscheidung eventuelle Absprachen oder Vereinbarungen der Eltern zu bedenken habe, stehe dem nicht entgegen, da diese - anders als in Verfahren nach § 1671 BGB - keinerlei Bindungswirkung entfalteten und daher vom Gericht unter Kindeswohlaspekten sogar negiert werden könnten (vgl. OLG Brandenburg Beschl. v. 21.5.2019 – 9 WF 11/19, BeckRS 2019, 11065 Rn. 5, beck-online; Schneider/Volpert/Fölsch/Hoppe, Kostenrecht, 3. A., Nr. 1003 VV RVG, Rn. 12).

b) Demgegenüber wird vertreten, dass auch in Kindesschutzverfahren nach § 1666 BGB eine Einigungsgebühr gem. Nr. 1000 I, 1003 VV-RVG anfällt, wenn der Verfahrensbevollmächtigte eines Elternteils am Zustandekommen einer Vereinbarung mitwirkt und durch die Vereinbarung eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder die Entscheidung der Vereinbarung folgt (vgl. OLG FamRZ 2022, 1301; OLG Frankfurt a. M. FamRZ 2022, 45; OLG Karlsruhe NJW 2019, 2948; OLG Hamburg FamRZ 2022, 47). Nach dem Wortlaut der Bestimmungen fielen auch Kindesschutzverfahren unter die Vorschriften der Nrn. 1000 und 1003 VV RVG, in denen allgemein von Kindschaftssachen die Rede sei, zu denen auch Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB gehörten.

Diese Auslegung sei mit der Gesetzessystematik vereinbar. Die Vorschrift in 1003 VV RVG erwähne einerseits gerichtlich gebilligte Vergleiche nach § 156 Abs. 2 FamFG, andererseits sonstige Vereinbarungen in Kindschaftssachen. Auch in Verfahren nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB bedürfe es bei Vorhandensein einer Vereinbarung noch zusätzlich eines richterlichen Gestaltungsaktes in Gestalt eines Beschlusses. Auch in diesen Fällen, die wegen der Notwendigkeit eines richterlichen Gestaltungsaktes nur durch Beschluss beendet werden können, fiele unstreitig eine Einigungsgebühr an.

Zweck der Vorschrift sei es, "die streitvermeidende oder -beendende Tätigkeit des Rechtsanwalts weiter zu fördern und damit gerichtsentlastend zu wirken" (BT-Drs. 15/1971, 204). Auch dieses Auslegungskriterium streite für die Entstehung einer Einigungsgebühr, wenn das gefundene Einvernehmen die Abfassung eines zu begründenden Beschlusses erledige. Sei schließlich eine Vereinbarung geeignet, einen familiengerichtlichen Eingriff in das Sorgerecht entbehrlich werden zu lassen, entspreche dieses Vorgehen dem in §§ 1666, 1666a BGB verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

c) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Auch wenn Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB von der Offizialmaxime beherrscht werden, so können, wie der vorliegende Fall zeigt, auch in solchen Verfahren von den Beteiligten Vereinbarungen getroffen werden, die sich als tatsächliche Grundlage für eine positive Kindeswohlprognose eignen und deshalb eine gerichtliche Entscheidung zum Schutz des Kindes entbehrlich machen.

Soweit die Gegenauffassung ins Feld führt, der Verfahrensgegenstand in Kindesschutzverfahren sei der Disposition der Beteiligten entzogen, kommt es nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der seit dem 1.9.2009 geltenden Regelungen und dem hierdurch zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers nicht maßgeblich an. Zur Begründung der Neuregelung hat der Gesetzgeber ausgeführt (S. 341 BT-Drks Drucksache 16/6308, S. 341):

„Mit dem neuen Absatz 5 Satz 2 soll nunmehr im Gesetz ausdrücklich zum Ausdruck gebracht werden, dass die Einigungsgebühr in Kindschaftssachen auch dann entstehen kann, wenn die Beteiligten nicht vertraglich über den Gegenstand der Einigung verfügen können. Dies unterstreicht die besondere Bedeutung der Streit vermeidenden Einigung gerade in Kindschaftssachen und entspricht der derzeitigen Rechtsprechung.“

und

„Die Gründe für den Vorschlag des neuen Absatzes 5 Satz 2 der Anmerkung zu Nummer 1000 VV RVG gelten auch für das gerichtliche Verfahren. Entgegen der sonst üblichen Regelungstechnik, dass alle Voraussetzungen für das Entstehen der Einigungsgebühr in der Anmerkung zu Nummer 1000 zu finden sind, wird für Kindschaftssachen eine Regelung in der Anmerkung der für das gerichtliche Verfahren geltenden Gebührenregelung vorgeschlagen, weil das FamFG in seinem § 156 Abs. 2 das Institut des gerichtlich gebilligten Vergleichs einführt, der nur in einer laufenden Kindschaftssache hinsichtlich des Umgangsrechts geschlossen werden kann. Hinsichtlich der Vereinbarungen im Übrigen wird vorgeschlagen, das Anfallen der Einigungsgebühr davon abhängig zu machen, dass der Vorschlag durch die gerichtliche Entscheidung umgesetzt wird.“ (vgl. hierzu auch OLG Hamburg Beschl. v. 1.7.2021 – 2 WF 46/21, BeckRS 2021, 23954 Rn. 8, beck-online).

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber speziell für Verfahren nach Maßgabe von § 1666 BGB das Entstehen einer Einigungsgebühr ausschließen wollte, ergeben sich danach weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte der Gesetzesänderung.

Auch soweit die Gegenmeinung damit begründet wird, es komme in Verfahren nach §§ 1666 BGB auf eine Vereinbarung der Beteiligten nicht an, weil diese das Gericht nicht einer Prüfung in Bezug auf den gesamten Verfahrensgegenstand enthebe, so unterscheiden sich Situation und Prüfungsaufwand insoweit nicht von der Sachlage bei gemäß § 156 Abs. 2 FamFG zu genehmigenden Vergleichen. Auch bei der Billigung von Vergleichen nach § 156 Abs. 2 FamFG obliegt dem Gericht vor Billigung die amtswegige Prüfung, ob die zu genehmigende Vereinbarung dem Kindeswohl nicht widerspricht, § 156 Abs. 2 S. 2 FamFG. Auch in diesen Verfahren bindet eine von den Beteiligten gefundene Einigung das Gericht nicht, sondern es kann zum Wohl des Kindes davon abweichen und eine eigene Entscheidung am Maßstab des Kindeswohls treffen (BeckOK FamFG/Schlünder, 44. Ed., § 156 Rn. 17).

Entsprechendes gilt schließlich auch in Sorgerechtsstreitigkeiten, die auf Antrag eingeleitet werden. Auch in diesen Verfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Schließen die Beteiligten in solchen Verfahren Vereinbarungen, hat das Familiengericht vor seiner Entscheidung ebenfalls jedenfalls eine Negativkontrolle als Ausfluss des staatlichen Wächteramts durchzuführen (vgl. OLG Hamm NJW 1999, 68; BeckOK BGB/Veit, 63. Ed., § 1671 BGB Rn. 33).

2. Die Voraussetzungen für das Entstehen der Einigungsgebühr liegen vor. Durch die Vereinbarung wurde eine in das Sorgerecht eingreifende Sachentscheidung entbehrlich.

Gegenstand des vom Jugendamt angeregten gerichtlichen Verfahrens nach § 1666 BGB war die Frage, ob gerichtliche Maßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich sind, weil das Jugendamt Zweifel daran hatte, ob die Mutter im Hinblick auf möglichen Drogenkonsum und Lebensgestaltung zur Sicherstellung des Wohls ihres Kindes bereit und in der Lage ist.

Gegenstand der getroffenen Vereinbarung sind vorliegend der weitere Aufenthalt und die Betreuung des betroffenen Kindes sowie Verpflichtungen der Mutter zu Drogenscreenings, Kindergartenanmeldung, Wahrnehmung von Terminen und Therapien mit dem Kind, sowie einer eigenen Therapie durch die Mutter und Absichtserklärungen hinsichtlich der weiteren Zusammenarbeit zwischen Mutter und Jugendamt.

Der Inhalt und die Einstellung des Verfahrens unmittelbar nach Protokollierung der Vereinbarung durch das Gericht sprechen entscheidend dafür, dass durch die Vereinbarung die tatsächliche Grundlage für die die Einstellungsentscheidung tragende günstige Prognose für das Kindeswohl geschaffen worden und die Erforderlichkeit familiengerichtlicher Maßnahmen zur Sicherstellung des Kindeswohls entfallen ist. Eine in das Sorgerecht eingreifende Sachentscheidung ist deshalb gerade aufgrund der Vereinbarung entbehrlich geworden.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, §§ 56 Abs. 2 S. 2, 3, 33 Abs. 9 RVG.

Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 4 S. 3 RVG.