Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 28.11.2022 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 104/22 (S), 1 Ws 104/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:1128.1WS104.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortige Beschwerde der Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor bei dem Landgericht Potsdam, werden unter Abänderung des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 24.06.2022 - 24 KLs 8/12 - die dem früheren Angeklagten H... J... aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab dem 06. April 2021 auf
36.785,07 Euro
festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem früheren Angeklagten darin erwachsenen notwendigen Auslagen tragen die Landeskasse zu 36 Prozent und der frühere Angeklagte zu 64 Prozent.
Der Beschwerdewert wird auf 31.848,86 Euro festgesetzt.
I.
Der frühere Angeklagte nahm in einem Wirtschaftsstrafverfahren vor dem Landgericht Potsdam (24 KLs 8/12) zwischen dem 10.02.2017 und dem 06.06.2018 an 31 Sitzungstagen als Angeklagter an der Hauptverhandlung teil. Er wurde freigesprochen, die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen wurden der Landeskasse auferlegt. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Unter dem 1. April 2021 beantragte der Freigesprochene bei dem Landgericht Potsdam, ihm Auslagen in Höhe von insgesamt 57.783,35 Euro zu erstatten, mit weiterem Antrag vom 25. Mai 2021 bezifferte er die Erstattungsforderung auf 88.338,60 Euro. Sie setzt sich wie folgt zusammen:
Strafverteidigerkosten:
35.995,20 Euro
Fahrtkosten:
22.289,40 Euro
Übernachtungskosten:
3.720,00 Euro
Tagegeld:
1.584,00 Euro
Verdienstausfall:
24.750,00 Euro
In der von dem Bezirksrevisor bei dem Landgericht Potsdam eingeholten Stellungnahme vom06.09.2021 führt dieser unter anderem aus, dass der vormalige Angeklagte zu den ersten fünfzehn Hauptverhandlungsterminen nicht unter seiner Anschrift in der Schweiz, sondern unter seiner deutschen Wohnanschrift geladen worden sei, sodass die beantragten Reise- und Übernachtungskosten nur teilweise erstattungsfähig seien.
Nach hierzu erfolgter Stellungnahme des Freigesprochenen vom 29. Oktober 2021 setzte die Rechtspflegerin des Landgerichts Potsdam mit Beschluss vom 11. November 2021 die dem Freigesprochenen aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen zunächst auf 14.718, 56 Euro fest. Dabei erkannte sie unstreitig entstandene Strafverteidigerkosten in Höhe von 2.372,06 Euro und die unstreitig entstandenen Reisekosten des Freigesprochenen in Höhe von 12.346,50 Euro an. Nach weiterem Vortrag des Freigesprochenen, der die Auffassung vertritt, dass ein Verdienstausfall durch ihn nicht detailliert nachgewiesen werden müsse, und Stellungnahme des Bezirksrevisors setzte die Rechtspflegerin des Landgerichts Potsdam mit Beschluss vom 24. Juni 2022 die dem Freigesprochenen aus der Landeskasse noch zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 57.296,07 Euro fest. Dabei erkannte sie weitere Strafverteidigerkosten in Höhe von 25.447,21 Euro, weitere Reisekosten des Freigesprochenen (Fahrtkosten, Übernachtungskosten und Tagegeld) in Höhe von 7.998,86 Euro sowie einen Verdienstausfall in Höhe von 23.850 Euro an.
Der angefochtene Beschluss vom 24. Juni 2022 ist dem Bezirksrevisor bei dem Landgericht Potsdam am 12. Juli 2022 zugestellt worden. Mit der am 14. Juli 2022 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde wendet sich der Bezirksrevisor gegen die zusätzlich festgesetzten Reisekosten und die festgesetzte Entschädigung für Verdienstausfall des Freigesprochenen. Er trägt vor, der Freigesprochene habe erstmals im Kostenfestsetzungsverfahren vorgebracht, dass er zu den ersten fünfzehn Hauptverhandlungstagen nicht aus D... (Hessen), sondern aus A... (Schweiz) nach Potsdam angereist sei. Die Ladung zu diesen Terminen sei aber an die Anschrift des Freigesprochenen in D... erfolgt und habe ihn dort offenbar auch erreicht. Die Reise- und Übernachtungskosten seien deshalb – so wie ursprünglich erfolgt – für die ersten fünfzehn Hauptverhandlungstermine lediglich in der Höhe anzusetzen, wie sie für eine Anreise aus D... entstanden sind.
Ein Verdienstausfall sei dem Freigesprochenen nicht entstanden. Dieser sei auch nicht glaubhaft gemacht worden. Der insoweit vorgelegte Mandatsvertrag belege, dass der Freigesprochene von seinem Vertragspartner eine monatliche Entschädigung über 18.000 CHF erhalten habe. Eine Kürzung oder Streichung dieses Betrages wegen der Abwesenheit des Freigesprochenen aufgrund der Gerichtstermine sei nicht vorgetragen worden.
Der Freigesprochene vertritt in seiner am 12. September 2022 abgegebenen Stellungnahme die Auffassung, dass die ihm im angefochtenen Beschluss zuerkannten Reisekosten korrekt festgesetzt worden seien, da er während der gesamten Hauptverhandlung seinen Wohnsitz in A... gehabt habe. Bezüglich des festgesetzten Verdienstausfalls ist kein weiterer Vortrag erfolgt.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist gem. § 464b Satz 3 StPO, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Über die Beschwerde entscheidet der Senat in der im Strafverfahren vorgesehenen Besetzung mit drei Berufsrichtern, da sich das Verfahren vorliegend nach den Grundsätzen der Strafprozessordnung richtet und daher eine Zuständigkeit des Einzelrichters nach Auffassung der herrschenden Meinung, die der Rechtsprechung des Senats entspricht, nicht besteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 464b Rn. 7; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2012, 160; Senatsbeschluss vom 5. August 2013 -1 Ws 55/13 -; OLG Celle, JurBüro 2016, 373; OLG München, Beschluss vom 30. Januar 2017 - 4c Ws 5/17 -).
Die sofortige Beschwerde wurde fristgerecht (§ 464b Satz 4 StPO) eingelegt; der Beschwerdewert des § 304 Abs. 3 StPO von 200,00 Euro ist überschritten.
2. In der Sache erzielt das Rechtsmittel einen Teilerfolg, überwiegend ist die sofortige Beschwerde begründet. Zugunsten des Freigesprochenen sind gemäß §§ 464a, 464b StPO notwendige Auslagen in Höhe von 36.785,07 Euro (einschließlich Gebühren und Auslagen der Verteidigung in Höhe von 25.447,21 Euro) festzusetzen.
Soweit die Rechtspflegerin des Landgerichts Potsdam Gebühren und Auslagen der Verteidigung in Höhe von 25.447,21 Euro anerkannt hat, hat die Beschwerdeführerin die landgerichtliche Entscheidung hingenommen. Die Gebühren und Auslagen der Verteidigung in Höhe von 25.447,21 Euro sind folglich bereits ausgezahlt worden. Eine Entscheidung des Senats war daher nur bezüglich der dem Freigesprochenen zuerkannten weiteren Reise- und Übernachtungskosten sowie dem gewährten Tagegeld und dem ihm zuerkannten Verdienstausfall veranlasst.
Bezüglich der dem Freigesprochenen zusätzlich zuerkannten Reise- und Übernachtungskosten sowie hinsichtlich des gewährten Tagegelds ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden.
Dem Freigesprochenen ist jedoch keine Entschädigung wegen des von ihm geltend gemachten Verdienstausfalls zu gewähren. Ihm steht insoweit nur eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 464b Abs. 2 Nr. 1 StPO, § 20 JVEG zu.
a) Reise- und Übernachtungskosten sowie Tagegeld
Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung unbegründet, soweit die Erstattung der Reise- und Übernachtungskosten sowie des Tagegeldes in der festgesetzten Höhe angegriffen wird. Zutreffend ist die Rechtspflegerin des Landgerichts davon ausgegangen, dass dem Freigesprochenen auch bezüglich der ersten fünfzehn Hauptverhandlungstage die Kosten zu erstatten sind, die ihm durch die jeweils erforderliche Anreise von seinem Wohnsitz in der Schweiz entstanden waren.
Gemäß § 5 Abs. 5 JVEG, der hier entsprechende Anwendung findet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 464a Rdnr. 15), hat ein Beteiligter, der dem Gericht nicht unverzüglich anzeigt, dass er zum Termin von einem anderen als dem in der Ladung angegebenen Ort anreist, grundsätzlich nur Anspruch auf den Ersatz der durch die Anreise von dem in der Ladung angegebenen Ort entstehenden Kosten. Es kann jedoch dahinstehen, ob das Gericht von der Anreise des Freigesprochenen aus der Schweiz, nämlich von seinem Wohnsitz in A..., informiert worden ist. Die Regelung des § 5 Abs. 5 JVEG gilt nicht ausnahmslos. Die unverzügliche Anzeige der Anreise von einem anderen Ort als dem in der Ladung angegebenen Ort soll dem Gericht nur die Prüfung ermöglichen, ob es an der Ladung festhalten will (Schneider, JVEG, § 5 Rdnr. 70 m. w. N.). Die Ladung des (vormaligen) Angeklagten wäre vorliegend wegen seiner notwendigen Anwesenheit in jedem Fall aufrechterhalten worden, sodass ihm die Mehrkosten zu erstatten sind, die durch die An- und Rückreise von und zu seinem Wohnsitz in der Schweiz entstanden sind (vgl. OLG Celle, NStZ-RR 2013, 62; Schneider, JVEG, 4. Auflage, § 5 Rdnr. 80). Es ist auszuschließen, dass die Wirtschaftsstrafkammer den Freigesprochenen abgeladen hätte, wenn er seine Anreise aus der Schweiz rechtzeitig angezeigt hätte.
Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Freigesprochene während der Hauptverhandlung einen Nebenwohnsitz in Deutschland hatte, von dem aus er hätte anreisen können. Eine Verletzung der dem Freigesprochenen obliegenden Pflicht zu kostenschonender Prozessführung ist somit nicht ersichtlich. Der Freigesprochene hatte ausweislich der eingeholten Auskunft des Meldeamts der Stadt D... vom 02.05.2022 bereits seit dem 04.01.2016 seinen Wohnsitz nicht mehr an der Anschrift in D..., unter der er an den ersten fünfzehn Hauptverhandlungstagen geladen worden ist. Als Abmeldewohnung ist mit Einzugsdatum vom 04.01.2016 lediglich „Schweiz“ erfasst. Sein dortiger Wohnsitz befand sich ausweislich der vorgelegten Wohnsitzbescheinigung der Gemeindeverwaltung der Einwohnergemeinde A... seit dem 01.01.2016 in ... A..., ....
b) Verdienstausfall
Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf Erstattung einer Entschädigung für Verdienstausfall.
Nach § 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO gehört zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten auch die Entschädigung für eine notwendige Zeitversäumnis nach den Vorschriften, die für die Entschädigung von Zeugen gelten. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften der §§ 20, 22 JVEG.
Ein Anspruch des Freigesprochenen auf Entschädigung für Verdienstausfall nach § 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO, § 22 JVEG besteht nicht, die Zeitversäumnis ist gemäß § 20 JVEG zu vergüten.
Zwar muss der Nachweis eines Verdienstausfalls nicht erbracht werden, wenn die Lebensstellung des Zeugen und seine regelmäßige Erwerbstätigkeit die Vermutung rechtfertigen, dass er etwas versäume (vgl. BeckOK KostR/Bleutge JVEG § 22 Rdnr. 2).
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Näheres zur Lebensstellung und zur Erwerbstätigkeit des Freigesprochenen ergibt sich nicht aus dem Urteil und ist auch nicht ausreichend vorgetragen. Aus den Urteilsfeststellungen zur Person lässt sich lediglich entnehmen, dass der Freigesprochene ... studiert und später als Gesellschafter und Geschäftsführer verschiedene Unternehmen geleitet hat. Der vorgelegte Mandatsvertrag zwischen dem Freigesprochenen und der (X) AG vom 01.10.2013 belegt lediglich, dass der Freigesprochene mit der Beratung bei der Entwicklung, Planung und Fertigstellung eines Hotelneubaus beauftragt worden ist und hierfür monatlich pauschal 18.000 CHF erhalten hat. Ein Verdienstausfall seitens des Freigesprochenen während der gegen ihn geführten Hauptverhandlung liegt danach nicht nahe. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Freigesprochene grundsätzlich in der Lage war, über seine Arbeitszeit frei zu verfügen, sodass seine prozessbedingte Abwesenheit nicht ohne weiteres einen konkreten Verdienstausfall gehabt haben muss. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Freigesprochenen, der zu Beginn der Hauptverhandlung bereits ... Jahre alt war, ist auch nicht unbedingt zu erwarten, dass er neben der im Rahmen des Mandatsvertrages ausgeübten Tätigkeit weitere Aufträge angenommen hätte. Der Freigesprochene musste daher die Grundlagen für eine Verdienstausfallentschädigung darlegen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 9. Juni 2004 – 2 Ws 183/04, BeckRS 2015, 4978). Daran fehlt es, der vorgelegte Mandatsvertrag reicht dafür nicht aus. Darüber hinaus ist nichts vorgetragen worden, was für die Annahme eines konkreten Verdienstausfalls spricht. Es hätte sich angesichts der zeitlichen Belastung durch das Strafverfahren geradezu aufgedrängt, im Einzelnen darzulegen, welche Vermögenseinbußen der Freigesprochene erlitten hat oder welche beruflichen Tätigkeiten er nicht hat entfalten können. Eine Entschädigung für Verdienstausfall nach § 22 JVEG steht nur demjenigen zu, der tatsächlich einen Verdienstausfall erlitten hat.
Dem Freigesprochenen ist damit nur eine Entschädigung für Zeitversäumnis in Höhe von 3,50 Euro je Stunde gemäß § 464b Abs. 2 StPO, § 20 JVEG (in der Fassung vom 01.08.2013 bis zum 31.12.2020) zu gewähren. Da die Entschädigung für Zeitversäumnis gegenüber der Entschädigung für Verdienstausfall nach dem Wortlaut des § 20 JVEG ein Minus darstellt, umfasst der Antrag auf Entschädigung für Verdienstausfall den Antrag auf Entschädigung für Zeitversäumnis. Der Senat setzt gemäß § 309 Abs. 2 StPO die dem Freigesprochenen zustehende Entschädigung selbst fest. Wegen der anzusetzenden Anzahl der versäumten Stunden wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Es ergibt sich folglich im Hinblick auf die Entschädigung für Zeitversäumnis ein Erstattungsbetrag in Höhe von 3339,00 Euro (insgesamt 954 Stunden zu je 3,50 Euro).
3. Der Teilerfolg der Beschwerde führt zu einer Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO.
Die Höhe des Beschwerdewertes ergibt sich aus der Differenz zwischen dem in der Ausgangsinstanz festgesetzten Betrag in Höhe von 57.296,07 Euro und dem nicht angefochtenen Erstattungsbetrag in Höhe von 25.447,21 Euro.