Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 17.11.2022 | |
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Aktenzeichen | 5 L 155/22 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2022:1117.5L155.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 17 Abs 4a S 1 BImSchG |
1. Ermessenfehler bei der Festlegung der Höhe einer Sicherheitsleistung für Abfallentsorgungsanlagen haben die Rechtswidrigkeit der nachträglichen Anordnung in ihrer Gesamtheit zur Folge.
2. Soweit in Entsorgungspreislisten für einzelne Abfallkategorien weitere Differenzierungen nach der Materialbeschaffenheit getroffen werden, trifft die Behörde bei der Anwendung der Entsorgungspreisliste im Rahmen des behördlichen Ermessens die Pflicht diese Differenzierung nachvollziehbar zu begründen sowie entsprechend anzuwenden.
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 01. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Mai 2022 wird wiederhergestellt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 79.225,44 Euro festgesetzt.
Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 17. Juni 2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 01. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Mai 2022 wiederherzustellen,
hat Erfolg.
Der Antrag der Antragstellerin ist nach verständiger Würdigung ihres Vorbringens und Rechtsschutzziels (vgl. §§ 122 Abs. 1, 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)) vor dem Hintergrund, dass der Antragsgegner ihren Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04. Mai 2022 beschieden hat, auszulegen als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 17. Mai erhobenen Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 01. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Mai 2022. Mit diesem wurde der Antragstellerin die Erbringung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 158.450,88 Euro für die Abfallentsorgungsanlage in S… aufgegeben, die die bisherige Sicherheitsleistung in Höhe von 21.663,36 Euro vom 01. September 2014 ersetzt. Mit Blick auf den nach Ziffer II. des Ausgangsbescheides vom 01. März 2021 gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entfallenden Suspensiveffekt ihrer Klage ist der so verstandene Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag hat Erfolg, wenn entweder die Vollziehungsanordnung an einem formellen Mangel im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO leidet oder wenn das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies ist dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da dann an dessen sofortiger Voll-ziehung kein öffentliches Interesse bestehen kann. Dagegen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes das private Interesse des Antragstellers daran, von der Vollziehung vorläufig verschont zu bleiben, wenn sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist und zusätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse hinzutritt.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell nicht zu beanstanden (I.). Allerdings überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der nachträglichen Anordnung (II.).
I. Der Antragsgegner ist seiner Begründungspflicht gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO im ausreichenden Maße nachgekommen.
Das formale Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verlangt, dass die Behörde die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe darlegt, die im konkreten Einzelfall ein Vollziehungsinteresse ergeben und die zu ihrer Entscheidung geführt haben, von der Anordnungsmöglichkeit des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO Gebrauch zu machen. Die vom Antragsgegner im Bescheid niedergelegten Gründe lassen in nachvollziehbarer Weise die konkreten Erwägungen erkennen, die ihn dazu veranlasst haben, von der Möglichkeit, die sofortige Vollziehung anzuordnen, Gebrauch zu machen. Der Antragsgegner möchte insoweit insbesondere der Gefahr vorbeugen, dass beim Eintritt der Insolvenz der Antragstellerin noch vor Bestandskraft des Bescheids die Allgemeinheit für die Entsorgung der Abfälle aufkommen muss. Eine Risikobegrenzung sei insbesondere für das hier streitige relativ große Abfalllager mit großem negativem Marktwert notwendig (vgl. VG Potsdam, Beschluss vom 25. Januar 2021 - VG 14 L 884/20; VG Magdeburg, Beschluss vom 29. Januar 2013 – 2 B 297/12 –, juris Rn. 16). Darauf, ob die die Sofortvollzugsanordnung tragenden Erwägungen des Antragsgegners inhaltlich in jeder Hinsicht überzeugen, kommt es für die Erfüllung des formellen Begründungserfordernisses aus § 80 Abs. 3 VwGO nicht an.
II. Das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einzig möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat eine Anfechtungsklage Aussicht auf Erfolg. Die nachträgliche Anordnung ist voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage ist § 17 Abs. 4a Satz 1 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) Hiernach soll zur Erfüllung der Pflichten nach § 5 Absatz 3 bei Abfallentsorgungsanlagen im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 1 auch eine Sicherheitsleistung angeordnet werden. Nach § 5 Abs. 3 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten, zu betreiben und stillzulegen, dass auch nach einer Betriebseinstellung 1. von der Anlage oder dem Anlagengrundstück keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft hervorgerufen werden können, 2. vorhandene Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden und 3. die Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes des Anlagengrundstücks gewährleistet ist.
1. Der Anwendung des § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG steht nicht bereits der am 05. November 2014 zwischen der Antragstellerin und dem Land Brandenburg, vertreten durch das Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz geschlossene öffentlich-rechtliche Vertrag entgegensteht, vermöge dessen § 3 Abs. 2 keine nachträgliche Anordnung gemäß § 17 BImSchG erfolgt, solange die Vertragslagermengen eingehalten werden und sich die Sach- und Rechtslage auch im Übrigen nicht ändert. Die Voraussetzungen für das Eingreifen dieser Zusicherung lagen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einzig möglichen und zulässigen summarischen Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht vor. Ausweislich des Kurzprotokolls zur Standortkontrolle des Antragsgegners vom 08. Dezember 2021 lagerte die Antragstellerin im Verhältnis zur Vertragslagermenge das ca. 4-fache an Ziegeln (einschließlich RC-Material), das ca. 1,3-fache an Holz (AI- AIII) sowie das ca. 18-fache an gemischten Bau- und Abbruchabfällen. Soweit die Antragstellerin vorträgt, die Lagermengen seien grob überschätzt worden, trägt ihr Einwand nicht. Zum einen kommt es im Rahmen von § 3 Abs. 2 des öffentliche-rechtlichen Vertrages ausweislich des Wortlauts der Vorschrift nur darauf an, dass die Vertragslagermengen nicht eingehalten werden, nicht aber um wieviel sie tatsächlich überschritten worden sind. Zum anderen kann und muss das Gericht im Rahmen der summarischen Prüfung nur überprüfen, ob die Mengenberechnungen plausibel sind. Anhaltspunkte dafür, dass die geschätzten Mengen nicht plausibel sind, sind nicht ersichtlich. Bei der Standortbegehung wurden die Haufwerke vermessen und unter Hinzuziehung der Dichte der Abfälle die Lagermenge berechnet. Hinzu kommt, dass die von der Antragstellerin in ihrer Jahresübersicht 2021 vom 29. März 2022 vorgelegten Lagermengen für Ziegel und gemischte Bau- und Abbruchabfälle im Verhältnis zur Vertragslagermenge ebenfalls erhöht sind.
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, inwieweit der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen den Parteien überhaupt noch wirksam ist und ob die in § 3 Abs. 2 erfolgte Zusicherung einer Nichtanwendung des § 17 BImSchG an die Überschreitung von Vertragslagermengen und damit die tatsächlichen Lagermengen geknüpft werden kann, wenn Grundlage einer nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG nur die maximal genehmigten nicht aber die tatsächlich vorhandenen Lagermengen sein dürfen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12. März 2008 – 7 C 44.07 – BVerwGE 131, 11-19 = juris Rn. 42) .
2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 a Satz 1 BImSchG sind gegeben.
Die Anlage der Antragstellerin ist eine Abfallentsorgungsanlage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG zur Behandlung von nicht gefährlichen Abfällen (Bauschuttrecyclinganlage) und zur zeitweiligen Lagerung von nicht gefährlichen und gefährlichen Abfällen gemäß Nr. 8.11.2.4, 8.12.1.2 und 8.12.2 des Anhangs zur Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (4. BImSchV) und ausweislich der Genehmigung vom 07. Juni 2010.
Die Anordnung einer Sicherheitsleistung ist nach dem Wortlaut der Vorschrift zur Erfüllung der Pflichten nach § 5 Abs. 3 BImSchG zulässig. Eine Anordnung scheidet daher jedenfalls dann aus, wenn solche Pflichten für die Antragstellerin zweifelsfrei nicht bestehen (Bay. VGH, Beschluss vom 30. September 2014 – 22 ZB 13.579 – juris Rn. 25, 28). Für die Antragstellerin bestehen im Fall einer Betriebseinstellung jedenfalls die Pflichten nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG, wonach sicherzustellen ist, dass auch nach einer Betriebseinstellung vorhandene Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden.
Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass es sich bei den von ihr gelagerten Materialien, wie den Betonlichtmasten und wohl auch dem Bauschutt nicht um Abfall handelt, da beides von ihr aufgearbeitet und wieder dem Markt zugeführt wird, trägt ihr Einwand nicht. Nach § 5 Abs. 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) endet die Abfalleigenschaft eines Stoffes oder Gegenstandes, wenn dieser ein Verwertungsverfahren durchlaufen hat und so beschaffen ist, dass 1. er üblicherweise für bestimmte Zwecke verwendet wird, 2. ein Markt für ihn oder eine Nachfrage nach ihm besteht, 3. er alle für seine jeweilige Zweckbestimmung geltenden technischen Anforderungen sowie alle Rechtsvorschriften und anwendbaren Normen für Erzeugnisse erfüllt sowie 4. seine Verwendung insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt führt. Es kann dahinstehen, ob schon allein durch das Scheiden und Brechen der Abfall zumindest so vorbereitet wird, dass andere Materialen ersetzt werden können und darin eine Verwertung im Sinne von § 3 Abs. 23 KrWG zu sehen ist. Selbst wenn, müssten darüber hinaus die in den § 5 Abs. 1 Nr. 1–4 aufgeführten Bedingungen kumulativ erfüllt sein. Faktisch bestimmen diese Bedingungen die Anforderungen an das Verwertungsverfahren (BT-Drs. 17/6052, 77). Erst der Augenblick, in dem ein Stoff oder Gegenstand die Bedingungen erfüllt, ist gleichbedeutend mit dem Abschluss des Verwertungsverfahrens (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Mai 2017 – OVG 11 S 78.16 –, juris Rn. 12; Cosson, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.) BeckOK Umweltrecht, 63. Edition Stand: 01.04.2019, § 5 KrwG Rn. 37). Anhaltspunkte, dass beide Materialen jedenfalls die für ihre jeweiligen Zweckbestimmungen geltenden technischen Anforderungen sowie alle Rechtsvorschriften und anwendbaren Normen für Erzeugnisse erfüllen und ihre Verwendung insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt führt, sind weder ersichtlich noch von der Antragstellerin vorgetragen.
3. Der Antragsgegner hat auch das ihm zustehende Entschließungsermessen ermessenfehlerfrei ausgeübt.
Die Anordnung der Sicherheitsleistung „soll“ erfolgen. Die Ausgestaltung als Soll-Vorschrift macht deutlich, dass von dem Verlangen nach einer Sicherheitsleistung lediglich in atypischen Fällen abzusehen ist. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, sicherzustellen, dass die öffentliche Hand bei Zahlungsunfähigkeit des Betreibers einer Abfallentsorgungsanlage nicht die zum Teil erheblichen Sicherungs-, Sanierungs- und Entsorgungskosten zu tragen hat (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 28). Bei einer an diesem Ziel der Vorschrift orientierten Auslegung liegt ein atypischer Fall nur dann vor, wenn aufgrund besonderer Umstände die Gefahr, dass die öffentliche Hand bei Insolvenz des Betreibers der Anlage hohe Kosten zu tragen hat, auch ohne Sicherheitsleistung verneint werden kann. Das bedeutet umgekehrt, dass bereits das allgemeine Liquiditätsrisiko grundsätzlich zur Anordnung einer Sicherheitsleistung führt. Eines konkreten Anlasses für die Forderung einer Sicherheit bedarf es nicht (BVerwG, Beschluss vom 3. März 2016 – 7 B 44/15 – Buchholz 406.25 § 17 BImSchG Nr 6 (L,ST), Rn. 16).
Anhaltspunkte, die für eine Atypik und damit eine ermessensfehlerhafte Entscheidung des Antragsgegners streiten, sind weder durch die Antragstellerin vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere haben nicht alle von der Antragstellerin auf ihrem Grundstück zum Zwecke der späteren Aufbereitung gelagerten oder zu lagernden Abfälle - auch unter Berücksichtigung möglicher Marktschwankungen - einen gesichert und auch prognostisch positiven Marktwert, so dass für den Fall der Betriebseinstellung eine Belastung der öffentlichen Hand gleichsam auszuschließen wäre, weil die Abfälle ohne weitere Behandlung an Dritte veräußert bzw. abgegeben werden könnten und eine hinreichend große Nachfrage bestünde (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. August 2015 – 8 A 2725/13 –, juris Rn. 81). Dass die Antragstellerin einzelne Posten, wie von ihr vorgetragen, zu einem positiven Marktwert verkaufen kann, rechtfertigt die Annahme eines atypischen Falls nicht. Eine besondere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit des Betreibers rechtfertigt für sich allein keinen Verzicht auf eine Sicherheitsleistung, weil das allgemeine Insolvenzrisiko auch bei einer aktuell guten wirtschaftlichen Situation nicht für die Zukunft ausgeschlossen werden kann (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Mai 2021 – 10 S 709/19 –, juris Rn. 41).
Soweit die Antragstellerin ihren Einwand, das regelmäßige Brechen des Betons zeige, dass eine Sicherheit bereits dem Grunde nach nicht erforderlich wäre, dahingehend verstanden wissen will, dass die Aufbereitung des Input-Materialies mit Blick auf ihre sodann gegebene Weiterveräußerung einen atypischen Fall begründen würde, überzeugt dieser nicht. § 17 Abs. 4a BImSchG differenziert nicht danach, ob in der Anlage Abfälle nur zwischen- oder endgelagert werden. Hinzu kommt, dass die Aufbereitung ihrerseits auch Geld kostet und von einem insolventen Unternehmen regelmäßig nicht geleistet werden kann. Die gemäß § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG regelmäßig zu fordernde Sicherheitsleistung bezweckt somit auch, dem der öffentlichen Hand drohenden finanziellen Risiko vorzubeugen, das darin liegen kann, dass im Insolvenzfall auf einem Anlagengelände noch Material (ggf. in beträchtlichen Mengen) lagert, das - ohne Aufbereitung - wertlos oder nahezu wertlos ist (und das im ungünstigsten Fall sogar noch Schaden an Boden und Grundwasser verursachen könnte) und das erstens nur unter (möglicherweise hohem) Aufwand und zweitens erst dann aufbereitet werden kann, nachdem für die Aufbereitung ein geeignetes anderes Unternehmen gefunden werden konnte (Bayerischer VGH, Beschluss vom 9. Januar 2019 – 22 CS 18.2003 –, juris Rn. 10).
4. Der Antragsgegner hat jedoch bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung der Höhe nach in einer der gerichtlichen Überprüfung unterliegenden Weise (§ 114 Satz 1 VwGO) fehlerhaft von seinem Ermessen Gebrauch gemacht.
Die Nachsorgepflichten des § 5 Abs. 3 BImSchG, deren Erfüllung durch die Anordnung einer Sicherheitsleistung gewährleistet werden soll, entstehen erst nach der – gleich aus welchem Grund erfolgenden – Betriebseinstellung und damit zu einem bei Bescheiderlass nicht vorhersehbaren künftigen Zeitpunkt. Ob dann der Anlagenbetreiber noch liquide sein wird, ist im Allgemeinen nicht vorhersehbar (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 29). Insoweit liegt der Festsetzung der Sicherheitsleistung eine Prognose der Kosten einer künftigen Ersatzvornahme zugrunde, die im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die Anordnung betrifft in der Zukunft liegende Pflichten, und die Behörde muss abschätzen, ob und in welchem Umfang diese Pflichten entstehen werden. Eine solche Prognose ist schon ihrem Wesen nach stets mit Unwägbarkeiten hinsichtlich ungewisser zukünftiger Entwicklungen belastet. Die Anordnung der Sicherheit ist nur daraufhin überprüfbar, ob der Beklagte bei seiner Entscheidung den zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat und ob die Prognose der Kosten über die voraussichtlichen Entsorgungskosten vertretbar ist (OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 L 87/11 –, juris Rn. 47 m.w.N.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. August 2015 – 8 A 2725/13 –, juris Rn. 88).
Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Ermessen der Behörde durch Verwaltungsvorschriften, die die Behörde vorbehaltlich der Besonderheiten des Einzelfalls intern binden, im Interesse einer gleichmäßigen Verwaltungspraxis konkretisiert werden kann, auch bezüglich der Festsetzung einer Sicherheitsleistung für Abfallbehandlungsanlagen gilt (vgl. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 39; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, a.a.O., Rn. 45). Um eine derartige Konkretisierung handelt es sich zum einen bei dem Erlass Nummer 5/1/10 „Sicherheitsleistung bei Abfallentsorgungsanlagen“ des Ministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (MLUK) vom 18. Oktober 2010 (ABl./10, [Nr. 43], S.1778), zuletzt geändert durch Erlass des MLUK vom 12. Juni 2020 (ABl./20, [Nr. 27], S.595), nach dessen Punkt 2.1. „Die zuständige Behörde (...) zur einheitlichen Vorgehensweise Festlegungen zur Berechnung der Sicherheitsleistung treffen und dabei auch pauschale Beträge beispielsweise für Nebenkosten in Ansatz bringen [kann] sowie „[b]ei der Höhe der zukünftigen Entsorgungskosten (...) die üblichen Entsorgungskosten des Abfallwirtschaftsmarkts zugrunde gelegt werden [sollen].“ Zum anderen ist auch die interne Dienstanweisung vom 10. September 2018 zur einheitlichen Ermessensausübung bei der Ermittlung der Höhe der Sicherheitsleistungen, die gemäß § 12 Abs. 1 oder § 17a Abs. 4a BImSchG erhoben werden, eine solche Konkretisierung. Zwar handelt es sich bei der Dienstanweisung nicht um eine veröffentlichte Verwaltungsvorschrift (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 1 Rn. 212). Ungeachtet dessen ist die Dienstanweisung ausweislich ihres Wortlauts offensichtlich zum Zwecke auf die Lenkung des Ermessens der Genehmigungsbehörden bei der Festsetzung der Sicherheitsleistungen der Höhe nach ausgerichtet; von einer entsprechenden rechtlichen Innenwirkung gegenüber den Behörden ist daher auszugehen (vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 1 Rn. 215; vgl. zum Ganzen: Bayerischer VGH, Urteil vom 19. März 2021 – 22 B 20.1347 –, juris Rn.22).
Soweit ist das Vorgehen des Antragsgegners nicht zu beanstanden. Dieser führt zur einheitlichen Ermessenausübung eine Berechnungstabelle Gesamtentsorgungskos-ten (Entsorgungspreise und -erlöse als Anlage 1 zur internen Dienstanweisung vom 10. September 2018), die eine Übersicht der Preise für die jeweiligen Abfallarten enthält. Anhand der Preise gemäß der Liste mit Stand Dezember 2019 hat der Antragsgegner die Sicherheitsleistung angepasst. Es bestehen keine Anhaltspunkte für Zweifel an einer gleichmäßigen Betätigung des Ermessens durch den Antragsgegner gegenüber den Betreibern von Abfallentsorgungsanlagen in seinem Zuständigkeitsbereich. Ferner sind Anhaltpunkte, dass diese Entsorgungspreisliste, wie von der Antragstellerin vorgetragen, nicht nachvollziehbar ist, nicht ersichtlich. Ausweislich der vorangehenden methodischen Hinweise werden die einzelnen Erkenntnisquellen ausdrücklich aufgeführt und dargelegt, dass die angegebenen Preise das 70%-Perzentil der vorliegenden Daten darstellen. Die Antragstellerin kann vor diesem Hintergrund auch nicht mit ihrem Einwand gehört werden, es hätte Berücksichtigung finden müssen, dass sie die Abfallkategorie „170107, Gemische aus Beton, Ziegeln, Fliesen und Keramik mit Ausnahme derjenigen, die unter 170106 fallen“ – anders als in der Entsorgungspreisliste aufgeführt – zu einem bestimmten, positiven Marktwert veräußert habe.
Soweit die Antragstellerin vorträgt, die vorhandenen Lagermengen seien durch den Antragsgegner nur geschätzt worden, die vor dem Grundstück lagernden Mengen seien ihr nicht zurechenbar, sie lagere gar keine Ziegel auf ihrem Grundstück und Boden/Steine nur in Kleinstmengen sowie, dass es zu berücksichtigen sei, dass die erhöhten Mengen auf pandemiebedingte Auswirkungen zurückzuführen seine, deren fehlende Berücksichtigung seitens des Antragsgegners unverhältnismäßig sei, kann sie im Rahmen von § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG nicht gehört werden. Grundlage der Festsetzung sind nicht die tatsächlich vorhandenen Lagermengen. Zur Ermittlung der Nachsorgekosten kann die Behörde auf die in der Anlage bei Betriebseinstellung potentiell lagernden Abfälle abstellen und jedenfalls die durch die immissionsschutzrechtliche Genehmigung maximal zugelassene Abfallmenge zu Grunde legen (vgl. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 42; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. August 2015 – 8 A 2725/13 –, juris Rn. 90). Soll entsprechend dem Gesetzeszweck die öffentliche Hand vor anfallenden Nachsorgekosten bewahrt bleiben, ist dieses Vorgehen sachgerecht, weil der konkrete Umfang der Abfalllagerung im Zeitpunkt einer Insolvenz nicht abzusehen ist. Der Anlagenbetreiber ist berechtigt, die Abfallmenge bis zur zugelassenen Gesamtkapazität ohne Mitteilung zu erhöhen und die Abfallart innerhalb des Genehmigungsrahmens zu variieren. Insbesondere bei Abfällen mit negativem Marktwert kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihre Annahme bei drohender Insolvenz eingeschränkt oder gar eingestellt würde (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. August 2015 – 8 A 2725/13 –, juris Rn. 90).
Allerdings hat der Antragsgegner seiner Berechnung nicht die zutreffende Menge an genehmigtem Abfall zugrunde gelegt. Im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 04. Mai 2022 als maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt bestimmt sich die maximal zugelassene Abfallmenge nach der Genehmigung vom 07. Juli 2010, dem öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 05. November 2014, dem Anzeigebescheid vom 09. März 2017, dem Anzeigebescheid vom 07. Juli 2017 sowie dem Anzeigebescheid vom 28. Juli 2021. Ausweislich des Anzeigebescheides vom 28. Juli 2021 beläuft sich die genehmigte Menge für die Abfallkategorie „170201, Holz (AI-AIII)“ auf 40t und die für „170904, gemischte Bau- und Abbruchabfälle“ auf 100t. In der nachträglichen Anordnung wurde diese Änderung, die im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides schon bestandskräftig war, nicht berücksichtigt. Die Berücksichtigung dieser Änderung hätte zumindest für die Abfallkategorie „170201, Holz (AI-AIII)“ die Festsetzung einer um 60% niedrigeren Sicherheitsleistung zur Folge mit der Konsequenz, dass sich die Gesamtsumme der Sicherheitsleistung reduzieren würde.
Ferner ist die Zuordnung einzelner genehmigter Abfalllagermengen zu den zwischen nicht aufgearbeitetem und aufgearbeitetem Material differenzierenden Kategorien in der Entsorgungspreisliste auf Grundlage der hier allein maßgeblichen summarischen Prüfung nicht nachvollziehbar. Die Genehmigung i.V.m. den einzelnen Anzeigebescheiden ordnen die Abfallkategorien „170101 Beton“, „170102 Ziegel“, „170302 Bitumengemische, mit Ausnahme derjenigen, die unter 170301 fallen“ sowie „170504 Boden und Steine mit Ausnahme derjenigen, die unter 170503 fallen“, mit der entsprechenden Menge in Tonnen sowohl dem Eingangslager als dem Ausgangslager zu. In der nachträglichen Anordnung wird für die Abfallkategorien „170101 Beton“, „170102 Ziegel“ sowie „170504 Boden und Steine mit Ausnahme derjenigen, die unter 170503 fallen“, die dem Ausgangslager zugeordnete genehmigte Menge als RC-Material bzw. aufgearbeitetes Material bezeichnet und den in der Entsorgungspreisliste aufgeführten Abfallkategorien „170101-A, Beton, aufbereitet (Output)“, „170102-A, Ziegel, aufbereitet (Output)“ und „170504-A, Boden und Steine mit Ausnahme derjenigen, die unter 170503 fallen, aufbereitet (Output)“ zugeordnet sowie in der Konsequenz der in der Liste aufgeführte positive Markpreis zugrunde gelegt. Dem entgegenstehend werden die dem Eingangs- und dem Ausgangslager zugeordneten Lagermengen für die Abfallkategorie „170302 Bitumengemische, mit Ausnahme derjenigen, die unter 170301 fallen“ in der nachträglichen Anordnung zusammengefasst, obwohl die mittlere Entsorgungspreisliste auch hier zwischen den Kategorien „170302-A-As Bitumengemische/Asphalt mit Ausnahme derjenigen die unter 170301 fallen, nicht aufbereitet (Input)“ und „170302-N-As Bitumengemische/Asphalt mit Ausnahme derjenigen die unter 170301 fallen, aufbereitet (Output)“ fallen, unterscheidet und im ersten Fall einen positiven Marktwert und im zweiten Fall einen negativen Marktwert zuschreibt. Es ist dem Antragsgegner unbenommen, in seiner Entsorgungspreisliste die einzelnen Abfallkategorien mit Blick auf die Marktgängigkeit der Materialien weiter nach der Qualität der Materialien aufzuschlüsseln. Wenn er diese Differenzierung aber zur Anwendung bringt, bedarf es vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes einer plausiblen Begründung für diese Differenzierung in Form einer nachvollziehbaren Auslegung der jeweiligen Kategorie „aufbereitet (Output)“ und entsprechenden Subsumtion der bei der Antragstellerin vorgefundenen Materialien. Diese fehlt hier. Weder aus der Begründung der streitgegenständlichen Bescheide noch aus den zugrundeliegenden Verwaltungsvorgängen folgt, auf welcher Grundlage die unterschiedliche Einordnung der Abfallarten und entsprechenden Lagermengen aus dem Ausgangslager erfolgt.
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Ermessensfehler ist die nachträgliche Anordnung voraussichtlich in ihrer Gesamtheit rechtswidrig. Wenn die Festsetzung der Sicherheitsleistung, wie hier, der Höhe nach im Ermessen der Behörde steht, ist die Festsetzung bei Ermessensfehlern grundsätzlich aufzuheben (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 25. August 1992 – 8 B 59.91 –, juris Rn.23), denn nach § 114 Satz 1 VwGO ist die Kontrolle des Gerichts bei der Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen auf die Feststellung etwaiger Ermessensfehler beschränkt. Die Verwaltungsgerichte sind nicht befugt, eigenes Ermessen auszuüben und/oder gerichtliches Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde zu setzen. Zumal ohne eine (unzulässige) eigene Auslegung der dem Ermessen zugrundeliegenden Verwaltungsvorschriften seitens des Gerichts nicht festgestellt werden kann, in welcher Höhe die Sicherheitsleistung hätte festgesetzt werden müssen. Die nachträgliche Anordnung wäre auch nicht in Höhe des rechtmäßig festgesetzten Teilbetrages aufrechtzuerhalten. Dies führte zu einer Aufteilung der behördlichen Ermessensentscheidung in einen zulässigen und einen unzulässigen Teil. Eine Ermessensentscheidung ist jedoch nicht teilbar (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 16. Juni 2020 – 11 LC 138/19 –, juris Rn. 57).
In Konsequenz kann die Frage dahinstehen, ob die im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides geltende aktuelle Entsorgungspreisliste vom 01. Dezember 2021 zur Anwendung hätte kommen müssen und die Nichtanwendung dieser internen Verwaltungsvorschrift auch Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der nachträglichen Anordnung hat. Ferner kann dahinstehen, ob die Durchführung eines Verfahrens nach § 15 BImSchG nach § 4 Abs. 1 Satz 2 des zwischen den Parteien geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages nicht nur eine Änderung der genehmigten Lagermengen, sondern auch eine Änderung der Vertragslagermengen bzw. eine entsprechende Kündigung dieses Vertrages als Rechtsfolge hat. Nicht entschieden werden muss auch die zwischen den Parteien streitige Frage, ob auch für Abfälle mit positivem Marktwert ein Zuschlag für Nebenkosten erhoben werden darf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz. Der streitbefangene Geldbetrag in Höhe der Sicherheitsleistung war dabei für das einstweilige Rechtsschutzverfahren zu halbieren (Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs).