Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 1 Ws 151/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 09.01.2023
Aktenzeichen 1 Ws 151/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0109.1WS151.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Potsdam werden aufgehoben:

a) der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 17. November 2022,

b) die Anordnung der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 31. August 2022 bzw. 05. September 2022, an der Anordnung der Beendigung der Unterbrechung der Strafvollstreckung festzuhalten.
Der Staatsanwaltschaft Potsdam wird aufgegeben, zeitnah über den Antrag auf Unterbrechung der Strafvollstreckung vom 25. August 2022 nach Maßgabe dieses Beschlusses neu zu entscheiden.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen.

Gründe

I.

Der Verurteilte wurde durch Urteil des Landgerichts Potsdam vom 05. April 2019 (23 KLs 20/18) wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen bandenmäßigen und bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

Nachdem sich der Verurteilte nach Ladung zum Strafantritt am 11. September 2019 selbst zur Strafvollstreckung gestellt hatte, hat die Staatsanwaltschaft Potsdam unter dem 25. September 2019 die Unterbrechung der Strafvollstreckung wegen Haftuntauglichkeit des Verurteilten gemäß § 455 Abs. 4 StPO angeordnet. Das Vorliegen des Unterbrechungsgrundes überprüfte die Staatsanwaltschaft in regelmäßigen Abständen.

Der Verurteilte leidet an einer COPD mit starker astmathischer Komponente und wiederholten (Infekt-)Exazerbationen.

Am 03. Mai 2022 ersuchte die Staatsanwaltschaft Potsdam das Gesundheitsamt R… um amtsärztliche Untersuchung des Verurteilten und um Erstattung eines Gutachtens zu seiner Vollzugstauglichkeit. Zugleich sollte zu etwaigen Möglichkeiten der Behandlung des Verurteilten im Rahmen des Strafvollzugs Stellung genommen werden.

In der amtsärztlichen Stellungnahme zur Vollzugstauglichkeit des Verurteilten vom 23. Juni 2022 kommt die Amtsärztin zu dem Ergebnis, dass aus ärztlicher Sicht bei dem Verurteilten Vollzugstauglichkeit vorliege. Nach einer Erörterung der Befundlage mit dem Anstaltsarzt der JVA … sei man gemeinsam zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund der der Vollzugsanstalt angegliederten Krankenhausabteilung im Klinikum (1) die Voraussetzungen bestünden, den Verurteilten auch im Falle von Exazerbationen seiner COPD-Erkrankung oder dauerhaften Sauerstoffpflichtigkeit adäquat medizinisch versorgen zu können.

Mit Verfügung vom 08. Juli 2022 ordnete die Staatsanwaltschaft Potsdam daraufhin die Beendigung der Strafunterbrechung an und lud den Verurteilten erneut zum Strafantritt.

Diese Ladung wurde dem Verurteilten am 14. Juli 2022 zugestellt. Da der Verurteilte dieser Ladung nicht Folge leistete, erließ die Staatsanwaltschaft Potsdam unter dem 29. Juli 2022 Haftbefehl, der am 05. September 2022 vollstreckt wurde.

Bereits mit Anwaltsschriftsatz vom 25. August 2022 beantragte der Verurteilte unter Übersendung eines vorläufigen Entlassungsbriefes des … Krankenhauses (2) vom 04. August 2022 die erneute Unterbrechung der Strafvollstreckung.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam lehnte diesen Antrag mit Verfügung vom 31. August 2022 ab.

Ein weiterer Anwaltsschriftsatz vom 01. September 2022 gab der Staatsanwaltschaft unter dem 05. September 2022 keinen Anlass für eine Änderung ihrer Entscheidung.

Mit Schriftsätzen vom 06. und 16. September 2022 beantragte der Verurteilte bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam gegen die Ablehnung der erneuten Unterbrechung der Strafvollstreckung gerichtliche Entscheidung gemäß § 458 Abs. 2 StPO.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam ist diesem Antrag unter dem 20. und 27. Oktober 2022 entgegengetreten.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 17. November 2022, der Staatsanwaltschaft Potsdam zugestellt am 22. November 2022, hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam die Unterbrechung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Potsdam vom 05. April 2019 angeordnet.

Hiergegen richtet sich die am 25. November 2022 eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 24. November 2022.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist der sofortigen Beschwerde mit Verfügung vom 15. Dezember 2022 beigetreten.

II.

Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gemäß § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist eingelegt worden. Es hat in der Sache Erfolg.

1. Die Entscheidung über die Unterbrechung der Vollstreckung steht wie die Entscheidung über Vollstreckungsaufschub im Ermessen der Vollstreckungsbehörde (vgl. KG Berlin, NStZ 1994, 255) und kann gerichtlich auch nur auf Ermessensfehler überprüft werden (vgl. OLG Koblenz 2 Ws 24/14 v. 11.2.2014), also darauf, ob sie von einem rechtlich zutreffenden Begriff des Versagungsgrundes einer Strafunterbrechung ausgeht und auf einer nachvollziehbaren Abwägung der entscheidungserheblichen Umstände beruht (vgl. OLG Celle 1 Ws 424/11 v. 26.10. 2011 - StraFo 2011, 524).

Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen des hier allein als Strafunterbrechungsgrund in Betracht kommenden § 455 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StPO vorliegen, hat die Vollstreckungsbehörde auf der Grundlage sämtlicher ihr im Entscheidungszeitpunkt vorliegender Erkenntnisse eine Gesamtabwägung durchzuführen, bei der die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs einerseits und das Interesse des Verurteilten an der Wahrung seiner verfassungsmäßig verbürgten Rechte, insbesondere seiner durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Gesundheit, andererseits gegenüberzustellen sind und nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein Interessenausgleich herbeizuführen ist. Das Interesse des Gefangenen an der Wahrung seines Grundrechtes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kann jedoch nur dann überwiegen, wenn angesichts seines Gesundheitszustandes zu befürchten ist, dass er wegen der Fortsetzung der Strafvollstreckung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen wird. Vom Vollzug droht die Gefahr dann nicht, wenn er Mittel zur Abhilfe bereit hält. Solche Mittel sind nicht nur die in § 455 Abs. 4 Nr. 3 StPO ausdrücklich genannte Untersuchung und Behandlung in Vollzugseinrichtungen, sondern auch diejenige in einem externen Krankenhaus (§ 65 Abs. 2 StVollzG), die ebenfalls ohne eine Unterbrechung des Vollzuges vonstattengehen können (vgl. BVerfG NStZ-RR 2003, 345; KG Berlin, Beschluss vom 5. Dezember 2013 – 2 Ws 555/13 –).

Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde muss eine für das Gericht nachvollziehbare Darlegung und Abwägung dieser Umstände enthalten (vgl. OLG Koblenz, StraFo 2003, 434). Wird die beantragte Unterbrechung der Vollstreckung versagt, muss die Entscheidung der Strafvollstreckungsbehörde Ausführungen enthalten über die aktuelle Schwere der Erkrankung, die Dauer und die Art und Weise einer erforderlichen Behandlung, die Möglichkeit der Behandlung in einer Vollzugsanstalt oder einem Anstaltskrankenhaus sowie über die Erwartung des Fortbestands der Erkrankung (vgl. OLG Jena, ZfStrVo 2004, 298 f.). Zu berücksichtigen ist auch, welche konkreten Maßnahmen und Rücksichtnahmen im Vollzug aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Verurteilten zu erwarten sind und ob die damit verbundenen Belastungen für alle Beteiligten in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer baldigen Strafvollstreckung zumutbar sind (vgl. OLG Celle, StraFo 2011, 524). Fehlt es daran, unterliegt die Entscheidung der Strafvollstreckungsbehörde bereits deshalb der Aufhebung (vgl. OLG Koblenz, StraFo 2003, 434).

So liegt der Fall hier. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat bei ihrer ablehnenden Entscheidung vom 31. August 2022 lediglich das Ergebnis der amtsärztlichen Stellungnahme vom 24. Juni 2022 in Bezug genommen und ausgeführt, dass eine Behandlung in der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt …  möglich sei. Die eingereichten Unterlagen des … -Krankenhauses (2) und die ärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes würden keine andere Beurteilung rechtfertigen.

Dies erweist sich als nicht ausreichend.

Eine Abwägung der aktuellen gesundheitlichen Situation des Verurteilten, die im Vergleich zum Zeitpunkt der Erstellung des amtsärztlichen Gutachtens und der Beendigung der Strafunterbrechung abweichen dürfte, der Behandlungsmöglichkeiten und den daraus resultierenden Belastungen im Vollzug mit dem bei zunehmender Dauer auch stärker zu gewichtenden staatlichen Anspruch auf Vollstreckung der mehrjährigen Freiheitsstrafe findet nicht statt. Dies ist nachzuholen, und zwar von der Vollstreckungsbehörde.

2. Wegen des Vorstehenden kann auch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer keinen Bestand haben. Sie hat in Überschreitung des ihr nur eingeschränkt möglichen Prüfungsauftrags die Vollzugstauglichkeit des Verurteilten (wenn auch nicht ausreichend vollständig) selbst überprüft; dies ist unzulässig.

Führt die gerichtliche Überprüfung nach § 458 Abs. 2 StPO zu der Feststellung, dass das Ermessen aus rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen fehlerhaft ausgeübt wurde, steht es dem Gericht grundsätzlich nicht zu, anstelle der Vollstreckungsbehörde Strafunterbrechung zu gewähren oder zu versagen (vgl. OLG Koblenz, StraFo 2003, 434 für den Fall von Vollstreckungsaufschub). Dem gleichzusetzen ist der Fall, dass der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde - wie hier - keine Abwägung der entscheidungserheblichen Umstände entnommen und deshalb schon nicht geprüft werden kann, ob das Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt wurde.

Darüber hinaus hat die Strafvollstreckungskammer aber auch den rechtlichen Maßstab für die Überprüfung der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde verkannt, indem sie die Vollzugstauglichkeit nicht anhand von § 455 Abs. 4 StPO, sondern nach § 455 Abs. 2 StPO geprüft hat und abweichend von der Tenorierung in der Begründung der Entscheidung aufführt, die Freiheitsstrafe sei zu unterbrechen, weil bei dem Verurteilten wegen einer Krankheit von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr zu besorgen sei. Zudem findet eine Auseinandersetzung mit den lediglich auszugsweise und selektiv dargestellten ärztlichen Einschätzungen nicht statt.

Die Strafprozessordnung unterscheidet zwischen dem Aufschub (§ 455 Abs. 1 bis 3 StPO) einer bevorstehenden und der Unterbrechung (§ 455 Abs. 4 StPO) einer bereits begonnenen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe und knüpft diese Maßnahmen, wie sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, im Falle nicht akut lebensgefährlicher körperlicher Erkrankungen an unterschiedliche Voraussetzungen, die nicht miteinander vermengt werden dürfen. Zwischen beiden Maßnahmen besteht auch ein erheblicher sachlicher Unterschied, der es ausschließt, die Vorschriften über den Aufschub auf die Unterbrechung (oder umgekehrt) entsprechend anzuwenden (vgl. OLG Koblenz, StraFo 2003, 434; OLG Celle, StraFo 2011, 524; OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Februar 2014 – 2 Ws 22/14 –).

Zudem lässt die Entscheidung gänzlich unberücksichtigt, dass sich, noch bevor die Strafvollstreckungskammer entschieden hat, der Gesundheitszustand des Verurteilten offensichtlich gebessert hat, so dass eine Verlegung des Verurteilten von der externen Bettenstation des städtischen Krankenhauses in die Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel erfolgen konnte.

Seit dem 01. Dezember 2022 befindet sich der Verurteilte wiederum auf der externen Bettenstation des städtischen Krankenhauses.

3. Da nach der letzten Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt … vom 02. Dezember 2022 auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Verurteilten nicht davon auszugehen ist, dass seine Erkrankung trotz schlechten Gesundheitszustandes weder in der Vollzugsanstalt noch in der externen Bettenstation des städtischen Krankenhauses (Klinikum (1)) behandelt werden kann, hat der Senat davon, abgesehen die vorläufige Unterbrechung der Vollstreckung nach § 458 Abs. 3 S. 1 StPO anzuordnen.

Es obliegt nun der Staatsanwaltschaft Potsdam zeitnah ein aktuelles ärztliches Gutachten, vorzugsweise eines Facharztes für Lungenheilkunde, einzuholen, welches insbesondere die Erkenntnisse der behandelnden Ärzte des …-Krankenhauses (2), mit denen der Antrag auf Strafunterbrechung begründet wurde, einbezieht.

III.

Die Entscheidung entspricht weitgehend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2022. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.