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Entscheidung 9 UF 170/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 23.01.2023
Aktenzeichen 9 UF 170/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0123.9UF170.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde des bestellten Amtsvormunds wird der Beschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 18. November 2022 - Az. 6 F 429/22 (2) - teilweise abgeändert und unter Aufrechterhaltung der Entscheidung im Übrigen (Ziffern 1. und 2.) zu Ziffer 3. wie folgt neu gefasst:

3.

Es wird Vormundschaft eingerichtet. Zum Vormund wird das Jugendamt des Landkreises (Y) bestellt.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft allein die Frage der Bestellung des „richtigen“ Amtsvormunds für den am … 2007 geborenen ….

Der Jugendliche lebte seit vielen Jahren bei den Pflegeeltern S… und R… K… in W…, denen im Oktober 2015 auch das - ursprünglich der Mutter allein zustehende - Sorgerecht übertragen worden war. Nachdem der Jugendliche nach einer Krise die Pflegefamilie, in der er zuletzt durch Probleme mit Drogen und Alkohol, Schulverweigerung und auch körperliche Übergriffe gegen die Pflegemutter aufgefallen war, im Juni 2022 mit zunächst unbekanntem Ziel verließ und später eine Rückkehr in deren Haushalt beharrlich ausschloss, beantragten die Pflegeeltern im September 2022 die Entlassung aus der sorgerechtlichen Verantwortung und Anordnung der Amtsvormundschaft.

Der Jugendliche hielt sich seit Sommer 2022 in unterschiedlichen Kriseninterventionsstellen in den Landkreisen (Y) und (X) auf, war aber auch immer wieder abgängig. Zuletzt befand er sich seit dem 15. September 2022 in der Einrichtung der … gGmbH in O… .

Die leiblichen Eltern des Jugendlichen, zu denen kaum persönlicher Kontakt bestand, haben im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht am 15. November 2022 übereinstimmend erklärt, aus persönlichen Gründen nicht in der Lage zu sein, ihren Sohn in einen ihrer Haushalte aufzunehmen und/oder das Sorgerecht für ihren Sohn auszuüben und Verantwortung für J... in anstehenden wichtigen Entscheidungen zu übernehmen.

Der eine Rückkehr zu den Pflegeeltern weiterhin ausschließende Jugendliche selbst und anknüpfend daran auch der Verfahrensbeistand regten Anordnung der Amtsvormundschaft an.

Mit Beschluss vom 18. November 2022 hob das Amtsgericht Bernau bei Berlin die Übertragung des Sorgerechts für J... auf die Pflegeeltern auf, entzog der sodann wieder allein sorgeberechtigten Mutter die elterliche Sorge, ordnete Vormundschaft für den Jugendlichen an und bestellte zum Vormund das Jugendamt des Landkreises (X).

Gegen diese ihm am 29. November 2022 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 5. Dezember 2022 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde des Amtsvormunds beim Jugendamt des Landkreises (X), der mit näherer Darlegung eines (erneut) auf Dauer angelegten ständigen Aufenthalts des Jugendlichen im Landkreis (Y) um Entlassung aus der angeordneten Vormundschaft und Begründung derselben beim Jugendamt des Landkreises (Y) erstrebt.

Der Senat hat die Beteiligten schriftlich angehört. Der Verfahrensbeistand tritt dem Beschwerdeantrag bei. Die übrigen Beteiligten, insbesondere auch das im Verfahren seit jeher beteiligte Jugendamt des Landkreises (Y), hatten Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung und haben davon keinen Gebrauch gemacht.

II.

Die Beschwerde des zum Amtsvormund bestellten Jugendamts des Landkreises (X) ist gemäß §§ 58 ff. FamFG statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Das mithin zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Der hier betroffene Jugendliche hatte seinen Lebensmittelpunkt über viele Jahre im Bezirk des Landkreises (Y); er ist dem dortigen Jugendamt aufgrund seiner wechselvollen und schwierigen Lebensgeschichte in diesen Jahren gut bekannt geworden. Im Bezirk des Landkreises (X) hielt er sich - nach seiner „Flucht“ aus der Pflegefamilie vorübergehend vollends entwurzelt - im Herbst 2022 nur kurzzeitig in einer Kriseninterventionseinrichtung auf. Nach dem Anhörungstermin beim Amtsgericht wurde … zunächst in einer Krisenunterkunft in E… (Landkreis (Y)) aufgenommen. Er äußerte den Wunsch, den Schulbesuch in B… wieder aufnehmen zu wollen. Seit dem 1. Dezember 2022 hält sich J... im Haushalt von Frau G... in B… auf, die dem Jugendlichen vor Jahren durch seine Pflegeeltern bekannt gemacht und eine Bezugs- und Vertrauensperson für J... geworden war, der bereit ist, deren Regeln zu akzeptieren und sich einzufügen. Sowohl Frau G... als auch J... haben den Wunsch, den dortigen Aufenthalt auf Dauer anzulegen und an den bisherigen Schulbesuch im Nibelungenviertel in B… anzuknüpfen.

Bei dieser Sachlage ist - im Interesse und zum Wohle des betroffenen Jugendlichen (§ 1887 Abs. 1 BGB) - der Anregung des bestellten Amtsvormunds auf Entlassung aus dieser Verantwortung und Bestellung des Jugendamts des Landkreises (Y) zum neuen Amtsvormund zu entsprechen. Die - nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII grundsätzlich richtige - Anknüpfung an den Wohnsitz der Mutter, die nach antragsgemäßer Aufhebung des Sorgerechts der Pflegeeltern allerdings nur für eine logische Sekunde wieder in ihr ursprünglich alleiniges Sorgerecht eingesetzt war, das ihr jedoch mit der hier zugrunde liegenden und insoweit rechtskräftigen Entscheidung sogleich wieder entzogen worden ist, verbietet sich für die Einsetzung des Amtsvormunds. Das Jugendamt des Landkreises (Y) hingegen kann praktisch ohne Reibungsverluste auf das dort umfangreich vorhandene Wissen um die persönliche Lebensgeschichte und die Schwierigkeiten des Jugendlichen zurückgreifen und ist vor allem der nach § 86 Abs. 3, Abs. 2 Satz 4 SGB VIII mit Blick auf den derzeitigen und (wieder) auf Dauer angelegten tatsächlichen Aufenthalt des Jugendlichen in B… der örtlich zuständige Träger für Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und als solcher auch zum Amtsvormund zu bestellen.

Die Bestellung eines Einzelvormunds kommt (weiterhin) nicht in Betracht. Die Lebensgestaltung des Jugendlichen war zuletzt durch (selbst gewählte) Entwurzelung aus der Pflegefamilie und mindestens vorübergehendem Abbruch aller sozial-räumlichen Kontakte geprägt; J... war überwiegend „auf Trebe“, wurde wohl auch wiederholt delinquent und wusste selbst nicht, wohin mit sich. Die Aufnahme in den Haushalt der Frau G... dauert noch nicht sehr lange an und muss sich erst noch bewähren. Für die Wiedereingliederung in einen geordneten Alltag mit Schulbesuch und die Verteidigung in den laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren besteht indes dringender Handlungsbedarf. Insoweit ist jedenfalls derzeit der Rückgriff auf die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Amtsvormunds unverzichtbar.

Nach alledem war der Amtsvormund auszutauschen und an Stelle des Jugendamts des Landkreises (X) das Jugendamt des Landkreises (Y) zu bestellen.

Der Senat hat gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne erneute mündliche Anhörung der Beteiligten entschieden, weil hiervon ein weitergehender Erkenntnisgewinn für den eng begrenzten Beschwerdegegenstand nicht zu erwarten war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.