Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 24.01.2023 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 1 AR 2/23 (SA Z) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:0124.1AR2.23SA.Z.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Funktionell zuständig ist die 3. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus.
I.
Die Antragstellerin nimmt als Miterbin der am 26.11.2019 verstorbenen Frau M… G…S…(im Folgenden: Erblasserin) den Antragsgegner unter Berufung darauf, dass er Betreuer sowie Konto- und Generalbevollmächtigter der Erblasserin gewesen sei, auf Auskunft – unter anderem – über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin durch Vorlage eines vollständigen Nachlass- und Bestandsverzeichnisses in Anspruch.
Sie hat dazu mit anwaltlichem Schriftsatz vom 4.5.2022 beim Landgericht Cottbus die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Stufenklage beantragt. Die unter dem Gesichtspunkt ihrer Zuständigkeit für erbrechtliche Streitigkeiten im Sinne des § 72a Abs. 1 Nr. 6 GVG zunächst mit der Sache befasste 3. Zivilkammer des Landgerichts hat das Vorliegen einer erbrechtlichen Streitigkeit verneint und die Sache der 4. Zivilkammer als der zuständigen allgemeinen Zivilkammer vorgelegt. Die 4. Zivilkammer hat unter dem 28.9.2022 die Antragsschrift dem Antragsgegner zur Stellungnahme zugeleitet; gleichzeitig hat sie die Parteien darauf hingewiesen, dass sie und die 3. Zivilkammer uneinig über das Vorliegen einer erbrechtlichen Streitigkeit seien, und dazu ebenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Darauf haben der Antragsgegner mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12.10.2022 und die Antragstellerin mit Schriftsätzen vom 14.10.2022 und 24.11.2022 vorgetragen.
Durch Beschluss vom 2.12.2022 hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus sich für unzuständig erklärt mit der Begründung, dass eine erbrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 72a Abs. 1 Nr. 6 GVG vorliege. Die daraufhin erneut mit der Sache befasste 3. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus hat sich durch Beschluss vom 22.12.2022 ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.
II.
Auf die Vorlage durch die 3. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus ist deren funktionelle Zuständigkeit für den vorliegenden Rechtsstreit auszusprechen.
1.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht über den vorliegenden Zuständigkeitsstreit zu entscheiden. Die Regelung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist nach allgemeiner Auffassung auf Fälle wie den vorliegenden, in denen mehrere Spruchkörper desselben Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung dieses Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung wie der des § 72a Abs. 1 Nr. 6 GVG abhängt, entsprechend anzuwenden (Senat, Beschluss vom 17.5.2021, 1 AR 20/21 (SA Z), zitiert nach juris; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2020, 101 AR 99/20, zitiert nach juris; KG, Beschluss vom 22.3.2018, 2 AR 11/18, zitiert nach juris; OLG Nürnberg MDR 2018, 1015, 1016; OLG Hamburg, Beschluss vom 12.10.2018, 6 AR 17/18, zitiert nach juris; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 36 Rn. 39; MünchKomm./Patzina, ZPO, 6. Aufl. § 36 Rn. 6; jeweils m. w. N.).
2.
Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
a)
Die Vorschrift eröffnet die Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts auch im Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe vor der Rechtshängigkeit der Hauptsache, wenn – wie hier geschehen – das Verfahren durch die Mitteilung der Antragsschrift an die gegnerische Prozesspartei in Gang gesetzt worden ist (BGH, Beschluss vom 16.4.2019, X ARZ 143/19, zitiert nach juris; Beschluss vom 30.7.2009, Xa ARZ 167/09, zitiert nach juris).
b)
Sowohl die 4. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus als auch die 3. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, und zwar erstere durch den Beschluss vom 2.12.2022 und letztere durch den Vorlagebeschluss vom 22.12.2022. Beide Entscheidungen genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekannt gemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat NJW 2004, 780; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36, Rn. 34 f.).
3.
Die Zuständigkeit der 3. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus folgt aus der Bindungswirkung der Beschlussfassung der 4. Zivilkammer des Landgerichts vom 2.12.2022.
a)
Die Regelungen in § 281 Abs. 2 Satz 2, 4 ZPO sind auf die Frage des Bestehens einer funktionellen Zuständigkeit nach §§ 72a, 119a GVG entsprechend anzuwenden (BGH, Beschluss vom 26.7.2022, X ARZ 3/22, zitiert nach juris). Der Senat gibt im Lichte der genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung seine frühere Rechtsprechung, dass auf Abgaben und Verweisungen im Zusammenhang mit § 72a GVG die Vorschriften des § 281 ZPO weder direkt noch analog anwendbar seien (Senat, Beschluss vom 30.12.2021, 1 AR 47/21 (SA Z)), auf.
b)
Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung und Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH, Beschluss vom 17.5.2011, X ARZ 109/11, zitiert nach juris; Senat, JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; jeweils m. w. N.).
Den derart zu konkretisierenden Einschränkungen der Bindungswirkung hält die Beschlussfassung der 4. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus stand.
Dem Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör ist durch die Verfügung der Kammer vom 28.9.2022 genügt worden.
Die Beschlussfassung der 4. Zivilkammer des Landgerichts entbehrt auch nicht jeder gesetzlichen Grundlage. Sie steht im Einklang damit, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der gesetzlichen Sonderzuständigkeit nach § 72a Abs. 1 Nr. 6 GVG alle erbrechtlichen Angelegenheiten im Sinne des 5. Buches des Bürgerlichen Gesetzbuchs unterfallen (BT-Drucks. 19/13828, 22 f.; Senat, Beschluss vom 21.2.2022, 1 AR 4/22 (SA Z), zitiert nach juris; Beschluss vom 17.5.2021, 1 AR 20/21 (SA Z), zitiert nach juris) und sie damit jedenfalls die § 27 ZPO unterfallenden Fallgestaltungen erfasst (Zöller/Lückemann, a. a. O., § 72a GVG, Rn. 9; Musielak/Voit/Wittschier, ZPO, 19. Aufl., § 72a GVG, Rn. 8; Anders/Gehle/Hunke, ZPO, 81. Aufl., § 72a GVG, Rn. 13; weitergehend: Senat, Beschluss vom 21.2.2022, 1 AR 4/22 (SA Z), zitiert nach juris; KG, Beschluss vom 30.8.2021, 2 AR 38/21, zitiert nach juris; BeckOK/Graf, GVG, Stand 15.11.2022, § 72a, Rn. 16b; Graf/Feldmann, GVG, § 72a, Rn. 16b).
Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus hat dabei in – jedenfalls – vertretbarer Weise angenommen, dass der besondere Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 ZPO nicht nur für die Auskunftsklage gegen den Erbschaftsbesitzer nach § 2027 Abs. 1 BGB, sondern auch für den anderweitigen Besitzer nach § 2027 Abs. 2 BGB gilt. Dies entspricht der Sichtweise der einschlägigen Rechtsprechung (OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.9.1980, 1 W 1404/80, zitiert nach juris) und weiter Teile der Literatur (Zöller/Schultzky, a. a. O., § 27, Rn. 5; Staudinger/Raff, BGB, Neubearbeitung 2020, § 2027, Rn. 69; Soergel/Dieckmann, BGB, 14. Aufl., § 2027, Rn. 16; jurisPK/Ehm, BGB, 5. Aufl., § 2027, Rn. 13; Erman/Horn, BGB, 16. Aufl., § 2027, Rn. 9; Jauernig/Stürner, BGB, 18. Aufl., § 2027, Rn. 4; Brox/Walker, Erbrecht, 27. Aufl., Rn. 592; Anders/Gehle/Bünningmann, a. a. O., § 27, Rn. 7; wohl auch: Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Aufl., § 2027, Rn. 5; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 43. Aufl., § 27, Rn. 1; MünchKomm./Patzina, ZPO, 6. Aufl., § 27, Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Lange, ZPO, 13. Aufl., § 27, Rn. 3; a. A.: Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 27, Rn. 13; Musielak/Voit/Heinrich, a. a. O., § 27, Rn. 5; MünchKomm./Helms, BGB, 9. Aufl., § 2027, Rn. 14; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, ZPO, 5. Aufl., § 27, Rn. 10; BeckOK/Mueller-Christmann, BGB, Stand 1.11.2022, § 2027, Rn. 10; Burandt/Rojahn/Gierl, Erbrecht, 4. Aufl., § 2027 BGB, Rn. 13). Dass die 4. Zivilkammer des Landgerichts dabei von einem Besitz des Antragsgegners am Nachlass ausgegangen ist, kann zwar nicht nachvollzogen werden, da ein diesbezüglicher Vortrag der Antragstellerin nicht ersichtlich ist und der Antragsgegner im Schriftsatz vom 12.10.2022 einen solchen ausdrücklich verneint hat. Darin liegt indes nicht mehr als ein einfacher Subsumtionsfehler der Kammer, der – noch – nicht zu einem Entfallen der Bindungswirkung führt.
Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus ist mit der einschlägigen Rechtsprechung (BayObLG, Beschluss vom 15.9.2020, 101 AR 99/20) und damit in ebenfalls – mindestens – vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass die Verfolgung weiterer, der Zuständigkeit der allgemeinen Zivilkammer unterfallender Ansprüche durch die Antragstellerin dem Bestehen der Sonderzuständigkeit nach § 72a Abs. 1 GVG nicht entgegensteht, sondern vielmehr zur Zuständigkeit des nach § 72a Abs. 1 GVG berufenen Spruchkörpers für das gesamte Verfahren führt.
Es führt zu keinem anderen Ergebnis, dass sowohl die 4. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus im Beschluss vom 2.12.2022 als auch die 3. Zivilkammer des Landgerichts im Vorlagebeschluss vom 22.12.2022 lediglich die eigene Unzuständigkeit ausgesprochen haben, ohne gleichzeitig die Verweisung des Verfahrens an einen anderen Spruchkörper – ausdrücklich – auszusprechen. Denn es reicht aus, dass die 4. Zivilkammer des Landgerichts durch den den Parteien bekannt gemachten Beschluss vom 2.12.2022 ihre Zuständigkeit verneint und, geschehen durch die Begleitverfügung desselben Datums, die Sache dem 3. Zivilsenat des Landgerichts zur Übernahme vorgelegt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 26.7.2022, X ARZ 3/22, zitiert nach juris).
Schließlich ist es ebenfalls ohne Belang, dass keine der Parteien die Abgabe oder Verweisung des Verfahrens beantragt hat. Denn die gerichtsinterne Abgabe an den zuständigen Spruchkörper hat von Amts wegen zu erfolgen, weshalb für die entsprechende Anwendung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO maßgebend und ausreichend ist, dass ein Spruchkörper sich aufgrund einer gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung für nicht zuständig angesehen und die Sache deshalb an einen anderen Spruchkörper abgegeben hat (BGH a. a. O.).
Demgemäß ist für den vorliegenden Fall die funktionelle Zuständigkeit der 3. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus auszusprechen.