Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 15.02.2023 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 1 N 58/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0215.OVG1N58.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 14 Abs 4 StrG BB, § 18 Abs 1 S 1 StrG BB, § 21 Abs 1 S 1 StrG BB |
Anliegergebrauch im Sinne des § 14 Abs. 4 BbgStrG ist als gesteigerte Form des Gemeingebrauchs keine Sondernutzung im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG. Eine Sondernutzungsgebühr kann hierfür nicht erhoben werden.
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 16. Juli 2021, dem Beklagten zugestellt am 26. Juli 2021, wird abgelehnt.
Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Beklagte.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 49,00 EUR festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Beklagten angeführten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Unter Zugrundelegung des nach § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO maßgeblichen Zulassungsvorbringens bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Beklagte hat mit seinem Vorbringen einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Urteils nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat der gegen den Sondernutzungsgebührenbescheid des Beklagten vom 26. März 2019 gerichteten Anfechtungsklage stattgegeben, weil der Kläger sich mit der Aufstellung des Baugerüstes vor seinem Haus noch im Rahmen des gebührenfreien Anliegergebrauchs bewegt habe und hierfür mangels Sondernutzung keine Sondernutzungsgebühr erhoben werden dürfe. Der Beklagte tritt der Annahme des Verwaltungsgerichts, es habe lediglich ein Anliegergebrauch i. S. d. § 14 Abs. 4 BbgStrG vorgelegen, ausdrücklich nicht entgegen (S. 1 seines Zulassungsvorbringens vom 23. September 2021). Er meint jedoch, auch beim Anliegergebrauch handele es sich um eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung der Straße und somit nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 4 sowie des § 18 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG um eine Sondernutzung, für die nach der Sondernutzungsgebührensatzung der Stadt Neuruppin vom 18. Februar 2002 eine Sondernutzungsgebühr erhoben werden dürfe.
Das trifft nicht zu. Allerdings ist dem Beklagten einzuräumen, dass die Regelung des § 18 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG nicht ausdrücklich klarstellt, dass auch der Anliegergebrauch der Straße keine Sondernutzung darstellt (so etwa § 18 Abs. 1 Satz 1 SächsStrG) und daher gebührenfrei ist. In der Rechtsprechung des Senats ist jedoch geklärt, dass es sich bei dem Anliegergebrauch (lediglich) um eine gesteigerte Form des Gemeingebrauchs handelt (vgl. etwa Beschluss vom 31. Oktober 2014 – 1 M 14.14 – BA S. 3 zu § 14 BbgStrG; Beschluss vom 15. Dezember 2021 – 1 S 132/21 – BA S. 9 zur vergleichbaren Rechtslage nach § 10 Abs. 3 BerlStrG) und mithin nicht um eine Sondernutzung. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, regelt das Brandenburgische Straßengesetz den Anliegergebrauch als einen besonderen Fall des Gemeingebrauchs in § 14 Abs. 4 BbgStrG und grenzt ihn dadurch einerseits von dem allen Nutzern der Straße offenstehenden (allgemeinen) Gemeingebrauch i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG ab, andererseits jedoch auch von der Sondernutzung i. S. d. § 18 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG (vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl., § 7 Rn. 356).
Hätte der Gesetzgeber den Anliegergebrauch als einen Unterfall der Sondernutzung behandelt wissen wollen, hätte es näher gelegen, die ihn regelnde Norm in § 18 BbgStrG zu verorten und nicht (als dessen Absatz 4) in § 14 BbgStrG. Dies hat der Gesetzgeber – mit Absicht – nicht getan. Die Regelungen des § 14 Abs. 4 und des § 18 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG waren wortgleich bereits im Brandenburgischen Straßengesetz vom 11. Juni 1992 (GVBl. I S. 186) enthalten. Die Begründung des insoweit unverändert verabschiedeten Gesetzentwurfs dieses Gesetzes lässt keinen Zweifel daran, dass der Gesetzgeber den Anliegergebrauch nicht als Unterfall der Sondernutzung angesehen hat. Dort heißt es:
„… er (der Anliegergebrauch) ist keine Sondernutzung (§ 18)“ (LT-Drs. 1/827 S. 93 zu § 14 BbgStrG).
Dementsprechend lautet die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 18 BbgStrG:
„Bestimmte Nutzungen der Straße über den Gemeingebrauch (§ 14) und über den Anliegergebrauch hinaus sind Sondernutzungen und als solche erlaubnispflichtig“ (a. a. O. S. 95).
§ 21 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG eröffnet die Möglichkeit der Erhebung von Sondernutzungsgebühren nur für Sondernutzungen der Straße, nicht auch für den Anliegergebrauch. Hiervon geht zu Recht auch der Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2019 aus. Da auch nach der Begründung des Zulassungsantrags hier ein Anliegergebrauch vorliegt, zeigt der Beklagte mit seinem Vorbringen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheids nicht auf.
2. Nach allem hat der Beklagte auch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan. Die Rechtssache verursacht keine das normale Maß erheblich überschreitenden Schwierigkeiten. Es wird insbesondere keine entscheidungserhebliche Fragestellung dargelegt, die mit offenem Ausgang in einem Berufungsverfahren zu klären wäre.
3. Die erhobene Grundsatzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rechtfertigt gleichfalls nicht die Zulassung der Berufung.
Eine konkrete klärungsbedürftige und -fähige Frage von grundsätzlicher Bedeutung bezeichnet der Beklagte nicht. Der Sache nach wirft er die Frage auf, ob es sich bei dem Anliegergebrauch um eine Sondernutzung handelt, für die gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG Gebühren erhoben werden können. Diese Frage ist nach dem zuvor Gesagten zu verneinen, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürfte.
Die im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid zitierte Sondernutzungsgebührensatzung der Stadt Neuruppin sieht nach ihrem § 1 Gebühren allein für eine Sondernutzung der Straße vor. Ob danach für die Tarifnummern 1 a-c und 2 a-d der Sondernutzungsgebührensatzung im Zusammenhang mit der Aufstellung von Baugerüsten noch ein Anwendungsbereich verbleibt, wäre einer Klärung im Berufungsverfahren nicht zugänglich. Aufgrund der vorrangigen gesetzlichen Regelung des § 21 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG und des dem entsprechenden § 1 der Sondergebührensatzung käme das nur in Betracht in Fällen, in denen es sich bei der Aufstellung eines Baugerüstes im Einzelfall nicht lediglich um einen Anliegergebrauch handelt. Wie eingangs bereits ausgeführt, stellt der Beklagte vorliegend jedoch nicht in Abrede, dass es sich bei der Aufstellung des Baugerüstes durch den Kläger im Jahr 2015 noch um einen Anliegergebrauch der Straße handelte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).