Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 1 OLG 53 Ss 51/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 10.08.2022
Aktenzeichen 1 OLG 53 Ss 51/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0810.1OLG53SS51.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 28. Februar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Brandenburg a. d. H. verurteilte den Angeklagten am 17. Mai 2021 wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung der Geldstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Leipzig und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 25,00 €.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten verwarf die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam mit Urteil vom 28. Februar 2022 als unbegründet.

Den Feststellungen des Landgerichts zufolge befuhr der vielfach, auch einschlägig vorbestrafte Angeklagte am 24. August 2019 gegen 23:50 Uhr mit dem angemieteten Lkw …, amtliches Kennzeichen: …, unter anderem die dreispurig ausgebaute Bundesautobahn A … in Fahrtrichtung F… im Bereich des Straßenabschnitts … auf Höhe des Kilometers …, obwohl er unter dem Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln stand und infolgedessen nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, was er bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkannt hätte. Der Angeklagte fuhr auf der geraden und trockenen Fahrbahn bei geringer Verkehrsdichte mit eingeschaltetem rechtem Richtungsweiser aufgrund seiner durch Betäubungsmittelkonsum verstärkten Alkoholisierung in wechselnder Geschwindigkeit von 40 km/h bis 140 km/h Schlangenlinien über die gesamte Fahrbahnbreite. Dabei kam er unter weiterer Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt mehrfach von der Fahrbahn ab und kollidierte mit der rechten Schutzleitplanke und der Mittelschutzleitplanke, die dadurch Beschädigungen davontrugen, die den Angeklagten unbeeindruckt ließen. Infolge der Kollisionen öffnete sich die Motorhaube des Transporters, was dazu führte, dass der Angeklagte den vor ihm liegenden Streckenabschnitt nicht mehr sehen konnte. A… N… fiel die Fahrweise des Angeklagten auf. Die Polizeikommissaranwärterin folgte dem Fahrzeug mit eingeschaltetem Warnblinklicht über den Zeitraum von etwa 30 Minuten und meldete es zunächst der Polizei … und sodann, nach Überquerung der Landesgrenze, Brandenburg. In diesem Zeitraum versuchten andere Verkehrsteilnehmer, den Transporter zu überholen, die eine Kollision nur durch Abbremsen verhindern konnten. Kurz vor der Anschlussstelle G… folgte der Angeklagte den zwischenzeitlich eingetroffenen Polizeibeamten, die den in der Front erheblich beschädigten Transporter herannahend schon im Gegenverkehr wahrgenommen hatten; er hatte die von der Polizeibeamtin S… B… herausgehaltene Kelle bemerkt und reagierte auf das Herauswinken.

Die dem Angeklagten um XX:XX Uhr entnommene Blutprobe enthielt eine Alkoholkonzentration von 0,42 mg/g. Zudem wurden im Blut 9,6 ng/ml THC, 4,0 ng/ml 11-OH-THC, 71 ng/ml THC-COOH, 12 ng/ml Methamphetamin, 15 ng/ml Cocain, 140 ng/ml Benzoylecgonin und 21 ng/ml Methylecgonin nachgewiesen.

Der Angeklagte, dessen Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, im Tatzeitraum nicht beeinträchtigt war und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, nicht erheblich vermindert war, war zum Führen des Kraftfahrzeugs nicht berechtigt, weil ihm das Amtsgericht Eilenburg im Strafverfahren zum Aktenzeichen 956 Js 28933/18 die in P… ausgestellte EU-Fahrerlaubnis mit Beschluss vom 31. August 2018 gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen hatte.

Der Landesbetrieb Straßenwesen des Landes Brandenburg wandte für die Reparatur der kollisionsbedingt beschädigten Leitplanken Kosten in Höhe von 2.563,50 € auf.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner am 02. März 2022 bei Gericht angebrachten Revision, die er nach am 12. April 2022 erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe an seinen Verteidiger mit Anwaltsschriftsatz vom 10. Mai 2022, der am selben Tag bei dem Landgericht eingegangen ist, begründet hat. Der Angeklagte rügt mit näheren Ausführungen die Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragt in Übereinstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in deren Stellungnahme vom 20. Juni 2022, das angefochtene Urteil des Landgerichts Potsdam vom 28. Februar 2022 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Potsdam zurückzuverweisen.

II.

Die gemäß §§ 333 StPO statthafte und entsprechend §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten hat in der Sache - vorläufig - Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 20. Juni 2022 ausgeführt:

„1.

Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, sodass es eines Eingehens auf die erhobene Verfahrensrüge nicht bedarf.

a)

Die Feststellungen, auf denen die Verurteilung wegen (tateinheitlich begangener) fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs beruht, sind lückenhaft, soweit der Tatbestand die Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert voraussetzt.

Die Wertgrenze für die entsprechende Annahme liegt bei 750,00 € (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 4 StR 245/10 -, Juris). Abzustellen ist auf den (drohenden) Schaden an der gefährdeten Sache, der - ausgehend vom Verkehrswert - nach der am Marktwert zu bemessenden Wertminderung zu berechnen ist (vgl. BGH a. a. O.). Zum Wert der nach den Urteilsfeststellungen beschädigten Leitplanke verhält sich das Urteil jedoch nicht. Mitgeteilt ist allein, dass 'für die Reparatur der kollisionsbedingt beschädigten Leitplanken Kosten in Höhe von 2.463,50 €' aufgewendet worden seien (UA S. 8). Damit ist der Wiederherstellungsaufwand genannt, der indes irrelevant ist. Entscheidend ist allein der Wert der Leitplanke selbst (vgl. BH, Beschluss vom 19. Januar 1999 - 4 StR 663/18 -, Juris).

b)

Obschon der neue Tatrichter alle in Tateinheit stehenden Delikte in einer neuen Hauptverhandlung ohnehin wiederum zu prüfen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 Ss 98/08 -), sei bemerkt, dass jedenfalls zweifelhaft ist, ob die Feststellungen zum Schuldspruch wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auf einer tragfähigen Beweisgrundlage beruhen.

Ohne Fahrerlaubnis im Sinne des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG fährt auch derjenige, dem die Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen ist. Dies gilt jedoch nur dann, wenn dem Betroffenen der Beschluss über die Fahrerlaubnisentziehung amtlich (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. März 2990 - 1 Ss 135/90 -, Juris) oder ihm der Inhalt jedenfalls formlos mitgeteilt worden ist (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2015 - III-1 Rvs 225/15 -, Juris).

Die Urteilsfeststellungen weisen aus, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis mit Beschluss des Amtsgerichts Eilenburg vom 31. August 2018 vorläufig entzogen war. Die weitere Feststellung, der 'Angeklagte hatte von diesem Beschluss auch Kenntnis' (UA S. 11), ist jedoch nicht durch Erhebung von Art und Zeitpunkt der Kenntnisgabe untersetzt.

In diesem Zusammenhang dürfte die Revision nicht unzutreffend darauf hinweisen, dass zur Frage des Fortbestehens der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung zur Tatzeit schon vor dem Hintergrund des gegen den Angeklagten in jenem Verfahren schließlich lediglich verhängten Fahrverbots Feststellungen hätten getroffen werden sollen.

2.

Auch der Rechtsfolgenausspruch erweist sich als rechtsfehlerhaft.

a)

Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass sich das Urteil rechtsfehlerhaft nicht zum Vollstreckungsstand der Gesamtgeldstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Leipzig vom 28. Februar 2020 verhält. Das Revisionsgericht kann daher nicht beurteilen, ob die Einbeziehung der Geldstrafen nach Auflösung der Gesamtgeldstrafe zu Recht gemäß § 55 Abs. 1 StGB erfolgt ist oder - für den Fall ihrer Erledigung - ein Härteausgleich vorzunehmen gewesen wäre.

b)

Hinsichtlich des verhängten Fahrverbots, das als „Denkzettel“ für nachlässige und leichtsinnige Kraftfahrer vorgesehen ist, hat das Landgericht die Zeitspanne von zwei Jahren und sechs Monaten seit der Tat unerörtert gelassen. Seine Warn- und Besinnungsfunktion kann das Fahrverbot - auch im Hinblick auf seinen Strafcharakter - aber nur dann erfüllen, wenn es sich in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter auswirkt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24. Juli 2012 - III-2 Rvs 37/12 - m. w. N., Juris).

Hierzu verhält sich das Urteil nicht, was besorgen lässt, dass sich das Landgericht der Möglichkeit des Absehens (auch) von der Fahrverbotsverhängung nicht bewusst war. In diesem Kontext lässt das Urteil bei den erforderlichen Strafzumessungserwägungen außer Acht, dass der Angeklagte seit der Tat nicht mit Verkehrsdelikten aufgefallen ist. Ebenso fehlt es auch hier an der Mitteilung, ob das im vorangegangenen Urteil verhängte Fahrverbot als 'Denkzettelmaßnahme' - gegebenenfalls mit dem gewünschten Besinnungserfolg - bereits vollstreckt ist.

Auf den aufgezeigten Mängeln beruht das Urteil.“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an, sie entsprechen der Sach- und Rechtslage.

Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass sich die Rechnung der Verkehrstechnik W… e. K. vom 23. Oktober 2019 (Bd. I Bl. 193 GA) entgegen der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Annahme über einen Brutto-, nicht über einen Nettobetrag in Höhe von 2.563,50 € verhält. Unter Abzug der Position 001.0001, welche die zur Reparatur erforderliche Verkehrssicherung betrifft, verbleibt ein Betrag von 1.094,20 € netto, durch den die 750,00 € betragende Wertgrenze immer noch überschritten wäre. Da nicht der Wiederherstellungsaufwand, sondern der Wert der Sache maßgeblich ist, wird aufzuklären sein, ob, wie die Revision meint, ein Abzug neu für alt zu erfolgen hat.