Gericht | OLG Brandenburg 2. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 09.02.2023 | |
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Aktenzeichen | 2 OLG 53 Ss-OWi 193/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:0209.2OLG53SS.OWI193.2.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 11. Februar 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Königs Wusterhausen zurückverwiesen.
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom 11. Februar 2022 „wegen [fahrlässigen] Verstoßes gegen das Brandenburgische Ladenöffnungsgesetz“ eine „Gesamtgeldbuße“ von 900 € verhängt.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene das von ihm in der … in … geführte Lebensmittelgeschäft „…“ (Einzelhandel mit Lebensmitteln wie Fleisch- und Backwaren, Obst, Gemüse, Getränken, Zigaretten, Süßigkeiten, Haushaltswaren, Imbiss) an den Sonntagen vom 29. November 2020 (18:38 Uhr), 21. März 2021 (15:17 Uhr) und 4. April 2021 (16:30 Uhr) geöffnet. In dem in den Urteilsgründen näher beschriebenen Geschäft mit einer Größe von ca. 6 × 12 m² befanden sich u.a. auch mit Milchprodukten gefüllte Kühlschränke sowie eine ca. 4 m breite Theke für Backwaren und darüber hinaus diverse Regale mit verschiedenen Lebensmitteln.
Die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Verbot der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 BbGLöG) für Verkaufsstellen, deren Angebot in erheblichem Umfang aus privilegierten Warengruppen wie Back- oder Konditorwaren, Milch und Milcherzeugnisse u.a. bestehe, hat das Amtsgericht verneint (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 BbgLöG) und das Verhalten des Betroffenen als fahrlässig begangene Ordnungswidrigkeit in drei Fällen gewertet. Die Formulierung „in erheblichem Umfang“ sei so zu verstehen, dass die genannten Warengruppen das Kerngeschäft der Verkaufsstelle und damit die überwiegende Produktpalette darstellen müssen. Der Umfang der Milch- und Milchprodukte sowie der Back- und Konditorwaren im Geschäft des Betroffenen mache jedoch nur ca. 1/5 bis 1/4 des Gesamtangebots aus. Das Hauptangebot des Betroffenen stelle sich als das eines Supermarktes dar, welches durch den Verkauf von Backwaren lediglich ergänzt werde.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
II.
1. Die Übertragung der Sache an den mit drei Richtern besetzen Bußgeldsenat beruht auf § 80a Abs. 3 OWiG. Es ist geboten, das Urteil des Amtsgerichts zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen.
2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG zulässig und hat mit der Sachrüge Erfolg.
a) Das Amtsgericht hat seiner Würdigung der dem Betroffenen zur Last gelegten Ordnungswidrigkeiten eine unzutreffende Auslegung des Bußgeldtatbestandes zugrunde gelegt (§ 12 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1 Nr. 1 BbgLöG).
aa) § 4 Abs. 1 Nr. 1 BbgLöG bestimmt, dass abweichend von § 3 Abs. 2 Nr. 1 BbgLöG an Sonn- und Feiertagen in der Zeit von 7:00 Uhr bis 19:00 Uhr für die Dauer von fünf zusammenhängenden Stunden Verkaufsstellen geöffnet sein dürfen, deren Angebot in erheblichem Umfang aus einer oder mehreren der Warengruppen Blumen und Pflanzen, Zeitungen und Zeitschriften, Back- und Konditorwaren, Milch und Milcherzeugnissen besteht. Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 BbgLöG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen den §§ 4 bis 9 Waren zum gewerblichen Verkauf oder Waren außerhalb der genannten Warengruppe anbietet.
Die vom Amtsgericht getroffene Wertung, dass die Formulierung „in erheblichem Umfang“ so zu verstehen sei, dass die genannten Warengruppen das Kerngeschäft der Verkaufsstelle und damit die überwiegende Produktpalette darstellen müssten (UA S. 9 Abs. 3), findet im Gesetzestext keine hinreichende Stütze. Danach ist abweichend von den Regelungen anderer Bundesländer, in denen entsprechende Einschränkungen für das Warenangebot von Verkaufsstellen im Hinblick auf ein Kernsortiment ausdrücklich so geregelt sind (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1 Hamburgisches Ladenöffnungsgesetz „Hauptsortiment“; § 4 Nr. 4 HLöG „überwiegend“; § 5 Abs. 1 Satz 1 LöffG M-V „Hauptsortiment“, § 4 Abs. 1 LÖffZG SH „hauptsächlich“), vielmehr maßgeblich, dass die Verkaufsstellen nach Art und Umfang des Angebots („erheblich“) die Gewähr dafür bieten, den typischen Bedarf aus den privilegierten Warengruppen, wie er an Sonn- und Feiertagen anfällt, befriedigen zu können. Dies setzt – neben einer gewissen Kontinuität des Angebots – nach Umfang und Breite ein Sortiment voraus, wie es üblicherweise in einem (sei es auch kleineren) Bäcker- und/oder Milcherzeugnisse verkaufenden Betrieb vorgehalten wird, zu dessen Bestimmung maßgeblich der Wareneinsatz herangezogen werden kann (vgl. zu § 12 Abs. 1 LadschlG (Bund) i.V.m. der VO v. 21. Dezember 1957 [BGBl. I S. 1881] zur Sonntagsöffnung von „Verkaufsstellen, in denen in erheblichem Umfang Blumen feilgehalten werden“: BGH, Urt. v. 7. Juni 1996 – I ZR 114/94, zit. nach Juris). Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Drucksache des Landtages Brandenburg 4/3592, zu § 4), der zur Befriedigung der an Sonn- und Feiertagen besonders hervortretenden Bedürfnisse der Bevölkerung entgegenzukommen (vgl. ebenso in der vorliegenden Bußgeldsache bereits: Senat, Beschl. v. 11. November 2021 - 2 OLG 53 Ss-OWi 407/21).
Die insoweit erforderlichen Feststellungen zur Frage des (erheblichen) Umfangs der vom Betroffenen angebotenen Backwaren und Milchprodukte hat das Amtsgericht unter Beachtung des vorstehenden Maßstabes nicht getroffen, sondern allein darauf abgestellt, dass das Angebot jedenfalls nicht zum überwiegenden Teil aus diesen Warengruppen bestand, und im Übrigen offengelassen, ob es für sich genommen nach der Breite und Tiefe des Angebots an Back- und Konditorwaren bzw. Milchprodukten ausreichend war (UA S. 8 Abs. 3).
bb) Feststellungen hierzu waren auch nicht im Hinblick darauf entbehrlich, dass der Betroffene sein Geschäft nicht nur zum Verkauf von Produkten aus den privilegierten Warengruppen, sondern insgesamt mit der gesamten Angebotspalette an weiteren Lebensmitteln und sonstigen Waren geöffnet hat.
Jedenfalls dem im vorliegenden Verfahren allein maßgeblichen Bußgeldtatbestand (§ 12 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) ist nicht mit der hierbei erforderlichen Bestimmtheit zu entnehmen, dass die Öffnung einer Verkaufsstelle an Sonn- und Feiertagen auch dann ordnungswidrig sein soll, wenn sich das Angebot nicht ausschließlich auf die jeweiligen Warengruppen beschränkt.
Gemäß Art. 103 Abs. 2 GG darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit vor dem Zeitpunkt der Tatbegehung gesetzlich bestimmt war; dies gilt auch für Ordnungswidrigkeitentatbestände (vgl. BGH, Urt. v. v. 16. November 2022 - VIII ZR 290/21, zit. nach Juris mwN.). Die Normadressaten müssen im Regelfall bereits anhand des Wortlauts voraussehen können, ob ein Verhalten unter die Norm fällt oder nicht. Ist der Tatbestand weiter gefasst, kann sich die erforderliche Bestimmtheit aus einer Auslegung unter Rückgriff auf weitere Normen ergeben; ausgeschlossen ist jedoch eine Rechtsanwendung, die tatbestandsausweitend über den Inhalt der Norm hinausgeht, wobei der - aus Sicht des Normadressaten zu bestimmende - Wortsinn einer Vorschrift die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation einer Norm darstellt (BGH, aaO.).
Nach diesem Maßstab ist der Bußgeldtatbestand zwar einerseits hinreichend bestimmt, insbesondere einer konkretisierten Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „in erheblichem Umfang“ zugänglich. Die Regelung kann indes nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit dahingehend ausgelegt werden, dass Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen ausschließlich zum Verkauf der privilegierten Warengruppen öffnen dürfen. Auch wenn der Gesetzgeber sich einen solchen Regelungsinhalt vorgestellt haben mag und darüber hinaus Sinn und Zweck der Norm gegen die Zulässigkeit einer Öffnung von Geschäften mit einem breiten Angebotssortiment an Sonn- und Feiertagen sprechen, entbehrt das Gesetz insoweit – entgegen den Regelungen anderer Bundesländer mit diesbezüglich klar formulierten Einschränkungen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BerlLadÖffG „ausschließlich“; § 6 Abs. 2 Satz 1 Hamburgisches Ladenöffnungsgesetz; § 5 Abs. 1 Satz 1 LöffG M-V: „für die Abgabe von“; § 7 Abs. 1 SächsLadÖffG, § 5 Abs. 1 LÖffZeitG LSA; § 9 Abs. 1 ThürLadÖffG „zum Verkauf von“) – einer klaren und für den Normadressaten hinreichend erkennbaren Regelung.
Dass das Angebot der Verkaufsstellen in Fällen der Sonntagsöffnung „allein“ aus einer privilegierten Warengruppe bestehen darf, ergibt sich auch nicht hinreichend deutlich daraus, dass gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 BbgLöG ein Verstoß gegen §§ 4 bis 9 beim Anbieten „von Waren zum gewerblichen Verkauf“ entgegen diesen Regelungen oder von „Waren außerhalb der genannten Warengruppen“ ordnungswidrig sein soll. Da sich die Vorschrift nicht nur auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 BbgLöG, sondern auf sämtliche in §§ 4 bis 9 BbgLöG geregelten Fallgestaltungen bezieht, in denen zum Teil eindeutig nur Verkaufsangebote für konkrete Produktgruppen zulässig sind (vgl. u.a. § 4 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 BbgLöG), lässt sich auch daraus eine entsprechende Ausdehnung des Bußgeldtatbestandes nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit herleiten.
Entsprechendes gilt hinsichtlich der (amtlichen) Gesetzesüberschrift zu § 4 „Verkauf bestimmter Waren an Sonn- und Feiertagen“. Auch hieraus lässt sich mit Blick auf den Wortlaut dieser Regelung nicht mit der für einen Bußgeldtatbestand erforderlichen Bestimmtheit ersehen, dass Verkaufsstellen im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 BbgLöG ausschließlich die genannten Waren anbieten bzw. verkaufen dürfen.
Darüber hinaus bliebe bei Annahme einer – im Gesetzestext nicht hinreichend klar zum Ausdruck kommenden – Beschränkung des Sonntagsverkaufs auf privilegierte Warengruppen auch unklar, ob nur Verkaufsstellen mit einem generell auf die entsprechende Produktpalette beschränktem Angebot öffnen dürften (vgl. die Länderregelungen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 BerlLadÖffG, § 8 Abs. 1 Nr. 1 LadschlG Bremen, § 5 Abs. 1 Nr. 1 LöffZeitG LSA) oder auch Verkaufsstellen, die ein breiteres Angebot haben, wenn dieses an Sonn- und Feiertagen entsprechend eingeschränkt wird.
cc) Diese Normauslegung betrifft allein den zugrunde liegenden Bußgeldtatbestand und die dabei gemäß Art. 103 Abs. 2 GG zu beachtenden Einschränkungen. Ob und inwieweit die Verkaufsregelungen im Brandenburgischen Ladenöffnungsgesetz verwaltungsrechtlich abweichend zu würdigen sind, obliegt nicht der Beurteilung durch den Senat.
b) Das Amtsgericht hat sich darüber hinaus nicht damit auseinandergesetzt, ob insoweit ein vermeidbarer Verbotsirrtum vorlag (§ 11 Abs. 2 OWiG), obwohl Veranlassung hierzu bestanden hätte.
Nach den Urteilsgründen hat das Tatgericht (grob) fahrlässiges Verhalten zugrunde gelegt, weil sich der Betroffene zwar Rechtsrat eingeholt habe, aufgrund der ergangenen Bußgeldbescheide die entgegenstehende Auffassung der Ordnungsbehörde jedoch kannte und er darüber hinaus daran hätte zweifeln müssen, dass sein „kleiner Supermarkt“ anders als „Supermarktketten“ mit einer Backwarentheke öffnen dürfe. Da der Betroffene nach den Feststellungen indes „dem Rat seines Verteidigers, der ihm ausdrücklich die Zulässigkeit der Öffnung an Sonntagen zugesagt hatte“, gefolgt war (UA, S. 2/3), lag jedenfalls der ersten, dem Betroffenen zur Last gelegten Tat vom 29. November 2020 das Vorliegen eines vermeidbaren Verbotsirrtums auf der Hand, wobei aus den von der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend dargelegten Gründen hierbei die näheren Umstände zur Nachfrage des Betroffenen und der Auskunft seines Verteidigers maßgeblich sind, die das Amtsgericht indes nicht festgestellt und gewürdigt hat.
c) Ferner ist auch die Rechtsfolgenentscheidung nicht frei von Rechtsfehlern.
Das Amtsgericht hat zu Unrecht eine „Gesamtgeldbuße“ verhängt. Bei der Verwirklichung mehrerer Ordnungswidrigkeiten wie hier sind die jeweiligen Geldbußen nicht in einer Gesamtgeldbuße, sondern einzeln festzusetzen (vgl. Göhler/Gürtler/Thoma, OWiG 18 Aufl. § 20 Rn. 2).
Bei den Erwägungen zur Bemessung der Geldbuße hat das Tatgericht rechtsfehlerhaft einen Verdienst des Betroffenen an Sonntagen von 200 € bis 300 € zugrunde gelegt, obwohl der Betroffene nach den Urteilsgründen seinen Umsatz an einem Sonntag mit 200 bis 300 € angegeben hat (UA S. 4 Abs. 1).
3. Das angefochtene Urteil unterliegt insoweit der Aufhebung und bedarf erneuter tatgerichtlicher Verhandlung und Entscheidung (§ 79 Abs. 6 OWiG). Dass das Amtsgericht zum genaueren Umfang des Warenangebots des Betroffenen noch hinreichend konkrete Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung führen können, erscheint trotz des Zeitablaufs möglich.