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Entscheidung 6 U 116/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 6. Zivilsenat Entscheidungsdatum 07.02.2023
Aktenzeichen 6 U 116/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0207.6U116.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 27. Oktober 2022 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az.:13 O 36/22, wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 101.992,65 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Abgasskandal in Anspruch.

Der Kläger hatte im Jahr 2019 von dem Beklagten zu 3) ein von dessen Streithelferin auf Basis eines Fahrzeugs FIAT Ducato hergestelltes Fahrzeug Lajka Kreos 5009 zu einem Kaufpreis von 92.800 € erworben. Das Fahrzeug ist mit einem Motor 2,3 JTD Multijet 180 Euro 6 ausgestattet. Nach Angaben des Klägers ist die Beklagte zu 1) verantwortliche Herstellerin des Fahrzeugs und die Beklagte zu 2) ihre produzierende Tochter.

Der Kläger hat diverse Mängel geltend gemacht. Er behauptet, das Fahrzeug verfüge über unzulässige Abschalteinrichtungen, u.a. eine Prüfstandserkennungssoftware und ein sog. Thermofenster. Deshalb stoße das Fahrzeug im Straßenbetrieb wesentlich höhere Emissionen aus, als die Typengenehmigung ausweise.

Der Kläger hat zuletzt beantragt:

1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger 92.800 € unter Anrechnung eines Vorteilsausgleichs auf Basis von 12.476 gefahrenen km nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.03.2019 betreffend des Fahrzeugs Lajka Kreos 5009 (Fiat Ducato), Fahrzeugidentifikationsnummer ZFA … zu zahlen;

2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger nutzlose Aufwendungen im Hinblick auf das unter 1. genannte Fahrzeug in Höhe von 9.192,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über Basiszinssatz seit dem 09.03.2022 (Beklagte zu 1) und 2)) bzw. 04.03.2022 (Beklagter zu 3.) zu zahlen;

3. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner den Kläger in Höhe der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.371,87 € freizustellen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die behaupteten Mängel in Abrede gestellt und die Einrede der Verjährung erhoben. Die Beklagte zu 1) hat zudem eingewandt, sie sei eine reine Holdinggesellschaft, die in den Produktionsprozess nicht involviert und an den Entscheidungen über Abgasrückführungssysteme nicht beteiligt sei.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage mit dem am 27. Oktober 2022 verkündetem und dem Kläger am
3. November 2022 zugestelltem Urteil abgewiesen.

Der Kläger hat mit am 9. Dezember 2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, er lege Berufung gegen das Urteil ein und beantrage zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. In dem Schriftsatz heißt es weiter, es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Berufungseinlegung ausschließlich von der Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrags abhänge. Auf Hinweis des Senats, dass die Einlegung der Berufung unter einer Bedingung nicht zulässig sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 15. Dezember 2022 mitgeteilt, er stelle klar, dass mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2022 Berufung eingelegt sei.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Kläger vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe am Tag der Urteilszustellung, dem 3. November 2022, bei seinem Rechtsschutzversicherer eine Deckungsanfrage gestellt für die Durchführung der Berufungsinstanz. Er habe seinen Prozessbevollmächtigten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ohne entsprechende Kostenübernahmeerklärung keine kostenträchtigen Maßnahmen ausgelöst werden sollten. Nach Ablauf der Berufungsfrist habe sein Prozessbevollmächtigter ihn und die Rechtsschutzversicherung darüber informiert, dass mangels Deckungszusage die Berufung nicht eingelegt worden sei. Daraufhin habe der Rechtsschutzversicherer mit Schreiben vom 9. Dezember 2022 mitgeteilt, bereits am 4. November 2022 für das Berufungsverfahren Deckungszusage erteilt und diese per E-Mail an den Prozessbevollmächtigten des Klägers versendet zu haben. Dort sei diese E-Mail nicht eingegangen. Die Fristversäumnis sei danach unverschuldet, weil ihn, den Kläger, das Übermittlungsrisiko nicht treffe und ihm in Anbetracht des Streitwerts eine Berufungseinlegung ohne Deckungszusage nicht zumutbar gewesen sei.

II.

Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen (§ 522 Abs. 1 ZPO), weil der Kläger die Frist zur Einlegung der Berufung (§ 517 ZPO) nicht gewahrt hat. Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden, denn sein Wiedereinsetzungsantrag ist unbegründet.

1. Der Kläger hat die Berufungsfrist und damit eine Notfrist (§ 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO) versäumt. Nach § 517 Abs. 1 ZPO beträgt die Berufungsfrist einen Monat, beginnend mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Innerhalb dieser Frist muss die Berufung gemäß § 519 ZPO durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt werden. Die Berufungsfrist hat mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils an den Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 3. November 2022 zu laufen begonnen (§ 517 Abs. 1 ZPO), sie hat mit Ablauf des 5. Dezember 2022 (Montag) geendet (§§ 187, 188 BGB). Die erst am 9. Dezember 2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangene Berufungsschrift hat die Frist nicht gewahrt.

2. Der gemäß §§ 233 ff. ZPO zulässige - namentlich rechtzeitig angebrachte - Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist ist zurückzuweisen, denn er ist unbegründet.

Nach § 233 ZPO ist einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder weitere, im Gesetz aufgeführten Fristen einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.

Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er unverschuldet an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen wäre. Er hat vorgetragen, dass er die Einlegung des Rechtsmittels von der Erteilung einer Deckungszusage seines Rechtsschutzversicherers abhängig gemacht hat, die ihn erst nach Ablauf der Berufungsfrist erreichte. Er sei nicht bedürftig, aber das Kostenrisiko sei angesichts des Streitwerts hoch und ihm deshalb eine Prozessführung ohne Deckungszusage unzumutbar gewesen. Dies begründet ein fehlendes Verschulden im Hinblick auf die Fristversäumnis allerdings nicht. Die mangelnde Bereitschaft, ein Kostenrisiko zu tragen, stellt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung für sich genommen keinen prozessrechtlich relevanten Hinderungsgrund dar (BGH vom 24. November 2015 - VI ZR 567/15, juris Rn. 2; BSG, Beschluss vom 6. Mai 2020 - B 14 AS 50/19 B, juris).

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Deckungszusage tatsächlich erteilt gewesen sei, sein Prozessbevollmächtigter und er aber unverschuldet davon keine Kenntnis erlangt hätten. Dass der Kläger ohne Deckungszusage kein Rechtsmittel einlegen will, entbindet ihn nicht von der Obliegenheit, die Rechtsmittelfrist im Auge zu behalten. Wenn deren Ende näher rückt, ohne dass er Nachricht vom Rechtsschutzversicherer erhalten hat, muss er bei diesem rückfragen, oder, sofern die Voraussetzungen vorliegen, innerhalb der Berufungsfrist einen Prozesskostenhilfeantrag stellen. Dass nicht der Kläger persönlich, sondern sein Prozessbevollmächtigter den Kontakt zum Rechtsschutzversicherer gehalten hat, entlastet den Kläger nicht, denn er hat sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen zu lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Die Weisung des Mandanten, ohne Deckungszusage kein Rechtsmittel einzulegen, entbindet den Rechtsanwalt davon nicht. Lässt der Rechtsanwalt die Rechtsmittelfrist ohne rechtzeitige Nachfrage beim Rechtsschutzversicherer verstreichen, kann er sich nicht darauf berufen, er sei "rechtlich gehindert" gewesen, das Rechtsmittel einzulegen. Die gegenteilige Auffassung würde im Ergebnis auch dazu führen, dass Rechtsmittelfristen zur Disposition der Rechtsschutzversicherer stünden (BGH, Beschluss vom 4. November 2004 - IX ZB 100/04, juris).

Die unzureichenden Vorkehrungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Fristwahrung waren kausal für das Fristversäumnis, welches bei im Übrigen ordnungsgemäßem Verlauf vermieden worden wäre.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Einer Entscheidung des Senats über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht. Die Vollstreckbarkeit folgt unmittelbar aus dem Gesetz, § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Die Regelung des
§ 708 Nr. 10 S. 2 ZPO, wonach in Zurückweisungsbeschlüssen nach § 522 Abs. 2 ZPO die vorläufige Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils ohne Sicherheitsleistung auszusprechen ist, gilt nicht für Verwerfungsbeschlüsse nach § 522 Abs. 1 ZPO (Götz in MünchKomm/ZPO,
6. Aufl. 2020, § 708, Rn, 17; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 522 Rn. 28; vgl. auch BGH, Beschl. v. 27.08.1993 - IV ZB 14/93, juris).

Einer Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde bedarf es im Hinblick auf § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht.