Gericht | VG Cottbus 8. Kammer | Entscheidungsdatum | 13.02.2023 | |
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Aktenzeichen | VG 8 K 3047/17 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0213.8K3047.17.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 11 Abs 2 SchwerbG, § 160 SGB 9, § 77 SGB 9, § 52 SGB 10 |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Klägerin wendet sich gegen die Vollstreckung zweier Feststellungsbescheide des Beklagten zur Höhe der von der Klägerin für die Jahre 1997 und 1998 zu zahlenden Ausgleichsabgabe.
Mit Feststellungsbescheid vom 14. September 1999 stellte der Beklagte gegenüber der zu dieser Zeit als B ... firmierenden Klägerin für das Jahr 1998 eine Ausgleichsabgabe nach § 11 Abs. 2 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) in Höhe von 3.400 DM (= 1.738,39 Euro) fest, da die Klägerin die gesetzliche Pflichtquote von 6% hinsichtlich der Beschäftigung Schwerbehinderter nicht erfüllt und den entsprechenden Ausgleichsabgabenbetrag bislang nicht geleistet habe. Gleichzeitig forderte er die Klägerin zur Zahlung des festgestellten Betrages auf.
Mit entsprechenden Feststellungsbescheid vom 15. November 1999 stellte der Beklagte zudem die von der Klägerin zu leistende Ausgleichsabgabe für das Jahr 1997 in Höhe von 1.000 DM (= 511,29 Euro) fest und forderte die Klägerin zur Zahlung des Betrages auf.
Nachdem trotz nochmaliger Mahnungen vom 28. Oktober 1999 bzw. 20. Dezember 1999 kein Zahlungseingang zu verzeichnen war, leitete die Landeshauptkasse jeweils Vollstreckungsverfahren gegen die Klägerin ein, teilte dem Beklagten jedoch mit Schreiben jeweils vom 24. Februar 2000 mit, dass die Forderungen zur Zeit nicht vollstreckbar seien, weil das unter der Anschrift H ... in C ... betriebene Gewerbe nach Auskunft des Gewerbeamtes zum 31. Dezember 1999 aufgegeben und abgemeldet worden sei. Tatsächlich hatte die Klägerin ihr Gewerbe am 1. Januar 2000 unter der neuen Anschrift Z ... in K ... angemeldet.
Mit Beschluss vom 29. April 2002 eröffnete das Amtsgericht Cottbus unter dem Aktenzeichen 63 IN 367/01 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Geschäftsführers der Klägerin, H ... . Daraufhin meldete die Landeshauptkasse im Auftrag des Beklagten mit Schreiben vom 29. Mai 2002 gegenüber dem Insolvenzverwalter Forderungen in Höhe von insgesamt 4.563,68 Euro an, die sich aus den Beträgen der für die Jahre 1997, 1998 und 2002 erhobenen Ausgleichsabgaben gemäß § 11 Abs. 2 SchwbG/§ 77 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) und den Säumniszuschlägen für die Jahre 1997 und 1998 zusammensetzten. Die Forderungen wurden im Rahmen der Prüfverhandlung beim Amtsgericht Cottbus anerkannt. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2003 korrigierte der Beklagte die Forderungsanmeldung dahingehend, dass Forderungen für das Jahr 2002 nicht mehr erhoben würden und sich der angemeldete Betrag daher nunmehr auf insgesamt 3.123,68 Euro belaufe. Nachdem am 19. Januar 2005 der Schlusstermin stattgefunden hatte, erhielt der Beklagte, der sich unter dem 19. März 2008 mit einer Sachstandsanfrage an den Insolvenzverwalter gewandt hatte, am 22. Oktober 2008 aus der Insolvenzmasse einen Betrag in Höhe von 101,62 Euro ausgezahlt, den er auf die Ausgleichsabgabe für das Jahr 1997 verbuchte. Mit Beschluss vom 25. November 2008 wurde Herrn B ... die Restschuldbefreiung erteilt.
Bereits mit Schreiben vom 7. April 2008 hatte der Beklagte die Klägerin auf die noch offenen Forderungen in Höhe von 511,29 Euro (Ausgleichsabgabe für 1997) und 1.738,39 Euro (Ausgleichsabgabe für 1998) hingewiesen und um unverzügliche Zahlung gebeten. Hierauf entgegnete die Klägerin mit Schreiben vom 25. April 2008 und berief sich insbesondere auf eine Verjährung der Forderungen. Ausweislich eines internen Vermerks vom 18. September 2008 unterlagen zu diesem Zeitpunkt die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) zur Erhebung der Ausgleichsabgabe einer Überarbeitung, die auch das Thema der Verjährung betraf. Der Beklagte entschied deshalb, die Forderungen nicht nach der bisherigen Arbeitsanweisung niederzuschlagen, sondern zunächst eine Entscheidung des Vorstandes der BIH hinsichtlich der künftig anzuwenden Verjährungsvorschriften abzuwarten.
Mit Schreiben vom 12. April 2016 wies er Beklagte die Klägerin erneut auf die noch offenen Forderungen in Höhe von nunmehr 409,67 Euro (Ausgleichsabgabe für 1997) und 1.738,39 Euro (Ausgleichsabgabe für 1998) hin. Ausweislich eines internen Vermerks vom selben Tage sei dem Beklagten verborgen geblieben, dass die Gewerbeabmeldung der Klägerin zum Ende des Jahres 1999 lediglich aufgrund einer Sitzverlegung erfolgt sei. Aus diesem Grund seien die Forderungen hilfsweise im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Geschäftsführers der Klägerin angemeldet worden, wobei dem Insolvenzverwalter der Fehler nicht aufgefallen sei und er sogar den Betrag in Höhe von 101,62 Euro ausgezahlt habe. Der Irrtum sei 2008 bemerkt worden. Nach Vertagung der Entscheidung zur weiteren Vorgehensweise bis zum Erscheinen der BIH-Empfehlungen sei aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin weiterhin mit dem Hinweis auf ein nach Schlussverteilung aufgehobenes Insolvenzverfahren erfasst gewesen sei, zunächst nicht aufgefallen, dass die Forderung erneut hätte geltend gemacht werden müssen.
Mit Schreiben vom 21. April 2016 berief sich die Klägerin daraufhin zum einen auf Erfüllung, wofür angesichts des langen Zeitraums die Beweislast auf den Beklagten übergegangen sein müsse. Sofern eine Zahlung nicht erfolgt sein sollte, habe sie davon ausgehen dürfen und müssen, dass eine weitere Verfolgung nach dem Stillhalten der Behörde über mehr als 15 Jahre nicht mehr stattfinde, so dass die Forderung auch deshalb gegenstandslos erscheine. Vorsorglich werde zudem die Einrede er Verjährung erhoben, die nach den Vorschriften der Abgabenordnung spätestens fünf Jahre nach Ablauf des Feststellungsjahres, hier also am 1. Januar 2005 eingetreten sei. Nachdem der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 25. April 2016 darauf hingewiesen hatte, dass der Anspruch im Hinblick auf die bestandskräftigen Feststellungsbescheide gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erst mit Ablauf von 30 Jahren verjähre, entgegnete die Klägerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 28. April 2016, dass die 30jährige Verjährungsfrist nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht einschlägig sei. Vielmehr fänden die Vorschriften der Abgabenordnung zur Zahlungsverjährung entsprechende Anwendung, wonach die Zahlungsansprüche bereits erloschen seien. Nach weiterem Schriftwechsel, in dessen Rahmen die Klägerin zudem eine Verwirkung geltend machte, forderte die zuständige Vollstreckungsbehörde diese mit Schreiben vom 9. September 2016 zu Zahlung auf. Den hiergegen von der Klägerin beantragten Vollstreckungsaufschub lehnte der Beklagte ab, woraufhin mit Schreiben vom 18. Juli 2017 unter Ankündigung der Zwangsvollstreckung eine erneute Zahlungsaufforderung an die Klägerin erging. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2017 setzte die Vollstreckungsbehörde eine letzte Zahlungsfrist auf den 20. Dezember 2017 fest.
Daraufhin hat die Klägerin am 20. Dezember 2017 die vorliegende Klage erhoben.
Ihren zeitgleich gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Verwaltungsgericht Cottbus mit Beschluss vom 7. Juni 2018 – VG 3 L 733/17 – abgelehnt. Ihre hiergegen erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 27. Juli 2018 – OVG 6 S 34.18 – zurückgewiesen. Auch ihre insoweit erhobene Anhörungsrüge vom 7. August 2018 ist erfolglos geblieben.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die streitgegenständlichen Feststellungsbescheide nicht vollstreckbar seien, da die entsprechenden Forderungen verjährt bzw. verwirkt seien. Hierzu wiederholt und vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen, wonach vorliegend nicht § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB, sondern die Vorschriften der Abgabenordnung zur Zahlungsverjährung entsprechend anwendbar seien und die Verjährungsfrist daher fünf Jahre betrage. Bei Fehlen einer eigenständigen Verjährungsregelung sei nach der Rechtsprechung nicht ohne Weiteres § 195 BGB anzuwenden, was vielmehr erst dann in Betracht komme, wenn speziellere Verjährungsfristen nicht analogiefähig seien. Die Zahlungsverjährung des § 228 der Abgabenordnung (AO) sei analogiefähig und habe gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 (AO) mit Ablauf des Jahres 1999 begonnen, so dass mit Ablauf des Jahres 2004 auch die Ausgleichsabgabe 1998 verjährt sei. Hiervon sei im Jahr 2008 auch der Beklagte ausgegangen, wie der entsprechende Vermerk vom 18. September 2008 belege. In der Hoffnung, dass die neuen Empfehlungen von einer längeren Verjährungsfrist ausgehen würden, sei der Vorgang aber einfach liegen gelassen worden, was treuwidrig gewesen sei. Vielmehr hätte er die Ausgleichsabgaben (nach der derzeit geltenden Behördenauffassung und der entsprechenden Arbeitsanweisung 02/2004 vom 28. April 2004 niederschlagen müssen. Da die Feststellungsbescheide aus dem Jahr 1999 datierten, sei im Hinblick auf die 15jährige Untätigkeit des Beklagten auch Verwirkung eingetreten. Der Umstand, dass der Beklagte die Forderungen in dem Insolvenzverfahren angemeldet habe, so dass es schließlich zu einer Quotenzahlung aus dem Vermögen des Herrn B ... gekommen und eine Restschuldbefreiung erteilt worden sei, hindere den Beklagten, die Ansprüche weiter beizutreiben. Spätestens mit Erteilung der Restschuldbefreiung würden die Ausgleichsabgabenforderungen, wie sie in der Insolvenztabelle festgestellt worden seien, als erfüllt gelten. Insofern habe sie, die Klägerin, auch ohne entsprechende Erklärung des Beklagten davon ausgehen können, dass die Ansprüche erledigt seien und sie nicht noch einmal in Anspruch genommen werde.
Die Klägerin beantragt,
dem Beklagten zu untersagen, ihr gegenüber aus den Feststellungsbescheiden zur Erhebung der Ausgleichsabgabe 1997 und 1998 vom 14. September 1999 und vom 15. November 1999 zu vollstrecken.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass vorliegend eine 30jährige Verjährungsfrist gelte, wofür er auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Cottbus (VG 3 L 733/17) und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG 6 S 34.18) im zugehörigen Eilrechtsschutzverfahren Bezug nimmt. Demnach seien die Forderungen noch nicht verjährt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und des Vortrages der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang (1 Heft) sowie auf die Gerichtsakte des zugehörigen Eilverfahrens VG 3 L733/17 (OVG 6 S 34.18) ergänzend Bezug genommen.
Über die Klage kann die Kammer durch die Einzelrichterin, der das Verfahren mit Beschluss vom 3. Mai 2022 zur Entscheidung übertragen worden ist, ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Klägerin und der Beklagte hiermit einverstanden erklärt haben, § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dem Beklagten die Vollstreckung der in den bestandskräftigen Feststellungsbescheiden vom 14. September 1999 und vom 15. November 1999 titulierten Ausgleichsabgabenforderungen für die Jahre 1997 und 1998 untersagen zu lassen.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Forderungen nicht verjährt.
Maßgebliche Rechtsgrundlage insoweit ist § 52 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), der der vor seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2002 geltenden Rechtslage entspricht (vgl. hierzu ausführlich bereits Verwaltungsgericht Cottbus, Beschluss vom 7. Juni 2018 – VG 3 L 733/17 –-, S. 4 EA).
Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X hemmt ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruches eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruches. Ist der Verwaltungsakt unanfechtbar geworden, beträgt die Verjährungsfrist nach Absatz 2 der Regelung 30 Jahre.
Hiernach ist hinsichtlich der vorliegend verfahrensgegenständlichen Ausgleichsforderungen von einer 30jährigen Verjährungsfrist auszugehen, die noch nicht abgelaufen ist. Denn die – bestandskräftigen – Feststellungsbescheide vom 14. September 1999 und vom 15. November 1999 dienen im Sinne des § 52 SGB X der Durchsetzung von Ansprüchen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers.
Die Regelungen über das Sozialverwaltungsverfahren nach dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch sind vorliegend anwendbar. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB X gelten die Vorschriften über das Sozialverwaltungsverfahren für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach diesem Gesetzbuch ausgeübt wird. Dies erfasst auch die Einziehung der Ausgleichsabgabe nach § 11 Abs. 2 SchwerbG/§ 77 SGB IX a.F. bzw. nunmehr § 160 SGB IX n.F. Diese Vorschriften ermächtigen das zuständige Integrationsamt zum Erlass eines Feststellungsbescheides über die rückständige Ausgleichsabgabe, wenn der zu ihrer Entrichtung gesetzlich verpflichtete Arbeitgeber damit mehr als drei Monate im Rückstand ist. Der Bescheid dient also der Beitreibung der kraft Gesetzes entstandenen Forderung und ist Vollstreckungstitel. Als solcher hat er auch verjährungshemmende Wirkung (vgl. zum Ganzen ebenso bereits: Verwaltungsgericht Cottbus, Beschluss vom 7. Juni 2018 – VG 3 L 733/17 –-, S. 3 f. EA; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Juli 2018 – OVG 6 S 34.18 –, S. 2 f. EA).
Für eine entsprechende Anwendung der Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung ist hier angesichts dessen entgegen der Auffassung der Klägerin kein Raum. Mit ihrer Bezugnahme auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 7. Oktober 1996 – 2 S 632/95 –, juris, und des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 1984 – 3 C 86/82 –, juris, verkennt sie insbesondere, dass dort die Anwendung der Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung nur für den Fall des Fehlens einer eigenständigen, spezialgesetzlichen Verjährungsregelung angenommen wird, die hier aber mit § 52 SGB X gegeben ist. Wie bereits das Verwaltungsgericht Cottbus in seinem Beschluss vom 7. Juni 2018 ausgeführt hat, galt im Zeitpunkt des Erlasses der hier verfahrensgegenständlichen Feststellungsbescheide auch das Schwerbehindertengesetz als besonderer Teil des Sozialgesetzbuches (Verwaltungsgericht Cottbus, Beschluss vom 7. Juni 2018 – VG 3 L 733/17 –-, S. 3 EA).
2. Ebenso wenig kann sich die Klägerin erfolgreich auf eine Verwirkung der verfahrensgegenständlichen Forderungen berufen.
Verwirkung ist nur anzunehmen, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Anspruchs längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Februar 1974 - III C 115.71 –, juris Rn. 18; und Beschluss vom 13. Juni 2022 – 8 B 52/21 –, juris Rn. 7; Verwaltungsgericht Cottbus, Beschluss vom 7. Juni 2018 – VG 3 L 733/17 –-, S. 4 f. EA).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Zwar ist nach Erlass der Feststellungsbescheide im Jahr 1999 bis zur Einleitung des diesem Verfahren zu Grunde liegenden Vollstreckungsverfahren im Jahr 2016 unbestreitbar ein längerer Zeitraum vergangen, wobei der Beklagte entgegen dem Vorbringen der Klägerin keineswegs über den gesamten Zeitraum schlicht untätig geblieben ist. Vielmehr hat er die Forderungen sowohl Anfang des Jahres 2000 als auch im April 2008 gegenüber der Klägerin geltend gemacht und zudem deren anderweitige Beitreibung im Rahmen des von 2002 bis 2008 währenden Insolvenzverfahrens des Geschäftsführers der Klägerin versucht.
Jedoch genügt allein ein längeres Zuwarten des Berechtigten nicht, um eine Verwirkung zu begründen (vgl. so bereits Verwaltungsgericht Cottbus, Beschluss vom 7. Juni 2018 – VG 3 L 733/17 –-, S. 5 EA; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Juli 2018 – OVG 6 S 34.18 –, S. 3 f. EA). Hinzutretende besondere Umstände, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, hat die Klägerin aber nicht hinreichend vorgetragen und sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
Namentlich vermag ihr Hinweis auf die durch den Beklagten erfolgte Anmeldung der Forderungen im Insolvenzverfahren ihres Geschäftsführers nicht durchzudringen. Denn zum einen lässt dieses Vorgehen gerade nicht den Rückschluss zu, der Beklagte verzichte auf einen Ausgleich der offenen Forderungen, deren Beitreibung er im Gegenteil ersichtlich gleichsam „mit allen Mitteln“ versucht hat. Zum anderen hat die Klägerin nicht hinreichend plausibel dargelegt, dass sie nach Erteilung der Restschuldbefreiung tatsächlich darauf vertraut hätte, dass der Beklagte seine Forderungen ihr gegenüber nicht mehr geltend macht. Denn im Eilrechtschutzverfahren hat sie zur Begründung ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus geltend gemacht, von der Forderungsanmeldung und der im Ergebnis erfolgten Auszahlung eines Betrages in Höhe von 101,62 Euro bis dahin gar keine Kenntnis gehabt zu haben, zumal das Insolvenzverfahren ihres Geschäftsführers – was zutrifft – keinen Bezug zu den streitigen Forderungen gehabt habe. Ohnehin hat die Klägerin schließlich auch nicht dargelegt, dass sie sich infolge ihres behaupteten Vertrauens in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hätte, dass ihr durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hindert auch die Herrn B ... nach §§ 286 ff. der Insolvenzordnung (InsO) erteilte Restschuldbefreiung nicht die weitere Geltendmachung der Ausgleichsansprüche. Denn durch die Erteilung der Restschuldbefreiung wurde lediglich Herr B ... als Schuldner von allen gegen ihn gerichteten persönlichen Vermögensansprüchen befreit, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden waren. Wie die Klägerin aber in ihrer Beschwerdebegründung vom 4. Juli 2018 selbst zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei den hier in Rede stehenden Ausgleichsforderungen nicht um persönliche Verbindlichkeiten ihres Geschäftsführers; Schuldnerin dieser Forderungen ist vielmehr einzig die Klägerin. Daher erstreckt sich die Restschuldbefreiung nicht auf diese Forderungen, woran auch nichts ändert, dass der Beklagte die Forderungen in der doppelt irrtümlichen Annahme, die Klägerin existiere nicht mehr und Herr B ... hafte für deren Verbindlichkeiten, in dem Insolvenzverfahren angemeldet hat. Denn weder diese Anmeldung noch der Umstand, dass die Ansprüche von dem Insolvenzverwalter ebenfalls unter Verkennung der Sach- und Rechtslage anerkannt und quotiert wurden, machten Herrn B ... zum Schuldner der Forderungen und den Beklagten zu dessen Gläubiger.
Ob die Auszahlung des Betrages in Höhe von 101,62 Euro an den Beklagten dennoch insoweit schuldbefreiend wirkte oder ggf. zu kondizieren wäre und dann (nochmals) von der Klägerin gefordert werden könnte, kann dahinstehen, da sich die hier zugrundeliegende Vollstreckung jedenfalls nur auf einen entsprechend verringerten Betrag bezieht.
3. Schließlich vermag auch der Einwand der Klägerin nicht zu überzeugen, der Beklagte habe sich treuwidrig verhalten, als er den Vorgang im Jahr 2008 in der Hoffnung liegen gelassen habe, die neuen BIH-Empfehlungen würden von einer längeren Verjährungsfrist ausgehen.
Bei den Empfehlungen der BIH zur Erhebung der Schwerbehindertenausgleichsabgabe handelt es sich um eine Arbeits- und Auslegungshilfe zur einheitlichen Anwendung des geltenden Rechts. Wie sich dem internen Vermerk des Beklagten vom 18. September 2008 entnehmen lässt, hatte sich das Integrationsamt des Landes Brandenburg zu diesem Zeitpunkt bereits dem Vorschlag der Arbeitsgruppe der BIH zur Überarbeitung dieser Empfehlungen angeschlossen, der eine Anwendung der Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches vorsah; insoweit stand nur noch die Entscheidung des Vorstandes der BIH aus. Die Klägerin hat nicht im Ansatz substantiiert dargelegt, inwiefern das Abwarten des Abschlusses dieses Überarbeitungsprozesses, der letztlich lediglich der legitimen Überprüfung der eigenen Rechtsanwendungspraxis diente, treuwidrig sein könnte. Weder sollten in irgendeiner Hinsicht vollendete Tatsachen geschaffen noch geschützte Rechtspositionen rückwirkend beschnitten werden, namentlich hat die Klägerin nichts dafür dargetan und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass der Beklagte ihr gegenüber zuvor ein schützenswertes Vertrauen erzeugt hätte, sich nicht auf eine längere Verjährungsfrist zu berufen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. § 188 Satz 2 VwGO findet keine Anwendung, da Streitigkeiten um die Erhebung der Ausgleichsabgabe nicht zum von § 188 Satz 2 VwGO ausschließlich erfassten Bereich der Schwerbehindertenfürsorge gehören. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.