Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat | Entscheidungsdatum | 13.02.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 4 N 32/22 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0213.OVG4N32.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 61 Nr 2 VwGO, § 78 VwGO, § 16a Abs 7 GleichstG BE |
Die Anfechtung der Wahl einer Frauenvertreterin nach Berliner Landesrecht ist gegen den Rechtsträger (hier das Land Berlin) zu richten.
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. Dezember 2021 wird abgelehnt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der Senat prüft nur die nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegten Gründe (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Gemessen an dem Zulassungsvorbringen des Beklagten hat das Verwaltungsgericht die Wahlen der Frauenvertreterin für die Direktion Einsatz/Verkehr bei der Polizei Berlin und ihrer Stellvertreterin zu Recht für ungültig erklärt.
Der Beklagte hält die Annahme des Verwaltungsgerichts, die gegen ihn als Klagegegner gerichtete Klage sei zulässig, für unzutreffend und macht mit der Zulassungsbegründung insoweit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils sowie mit Blick auf die Verfahrensart die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO). Zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Begründetheit der Klage verhält sich der Zulassungsantrag nicht.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind gegeben, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und auch die Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses solchen Zweifeln unterliegt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. April 2020 – OVG 4 N 24.19 – juris Rn. 1). Das ist hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat an seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten, wonach richtiger Beklagter im Wahlanfechtungsverfahren der Rechtsträger der Dienststelle ist, in der die Wahl durchgeführt wurde. Die Anfechtung der Wahl der Frauenvertreterin und deren Stellvertreterin erfolge gemäß § 16a Abs. 7 Satz 1 LGG bei dem Verwaltungsgericht. Mangels spezieller Regeln zum Anfechtungsgegner finde die Verwaltungsgerichtsordnung Anwendung. Entsprechend § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO sei die Klage gegen den Rechtsträger der betroffenen Behörde zu richten. Das Wahlanfechtungsverfahren sei kein Organstreitverfahren. Vor diesem Hintergrund komme eine Klage gegen die gewählte Frauenvertreterin oder deren gewählte Stellvertreterin oder gegen den Wahlvorstand nicht in Betracht.
Der Beklagte zeigt mit dem Zulassungsvorbringen keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung auf.
Ergibt sich die Verfahrensart aus der Verwaltungsgerichtsordnung, ist das Verfahren kontradiktorisch und Beklagter der Rechtsträger (Beschluss des Senats vom 5. März 2020 – OVG 4 L 1/20 – juris Rn. 16). Im Verwaltungsprozess gilt grundsätzlich das Rechtsträgerprinzip. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist Ausdruck dieses Grundprinzips, das auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 78 VwGO maßgeblich ist (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 2. August 2017 – 1 S 542/17 – juris Rn. 25; Meissner/Schenk: in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, VwGO § 78 Rn. 26). Die Auseinandersetzung des Beklagten mit dem Anwendungsbereich von § 78 VwGO führt daher nicht auf ein anderes Ergebnis. Richtig ist, dass § 78 VwGO auf die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zugeschnitten ist und bei der allgemeinen Leistungsklage und allgemeinen Feststellungsklage keine Anwendung findet. Bei diesen Klagen gilt unmittelbar das Rechtsträgerprinzip als allgemeiner Grundsatz (vgl. Meissner/Schenk, a.a.O.).
Die vom Beklagten für entscheidungserheblich gehaltene Frage, inwieweit sich die Dienststelle Fehlverhalten des Wahlvorstandes zurechnen lassen müsse, stellt sich hier bei der Bestimmung des richtigen Klagegegners nach dem Rechtsträgerprinzip nicht. Soweit nicht die Rechtsträgerschaft einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts in Rede steht, was hier nicht der Fall ist, ist Rechtsträger in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Seiten der öffentlichen Hand das Land Berlin. Da das Land Berlin von der in § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eröffneten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, kommt eine Behörde als Klagegegner grundsätzlich nicht in Betracht.
Anderes gilt in einem Organstreitverfahren, für das § 61 Nr. 2 VwGO die Voraussetzung schafft und in dem das Rechtsträgerprinzip nicht weiter führt. Hier ist die Klage gegen das Organ, den Organteil oder den Funktionsträger zu richten, der nach dem materiellen Recht verpflichtet ist (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 78 Rn. 16 m.w.N.) bzw. dem die interne Kompetenz zuzurechnen oder die behauptete Kompetenzverletzung anzulasten ist (Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, VwGO § 78 Rn. 54 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 8. April 2010 – 6 C 3.09 – juris Rn. 14) und des Senats (vgl. Beschluss vom 5. März 2020 – OVG 4 L 1/20 – juris Rn. 14) davon ausgegangen, dass es sich bei dem Wahlanfechtungsverfahren nach § 16a Abs. 7 LGG nicht um einen Organstreit handelt. Die von dem Beklagten hiergegen erhobenen Einwendungen überzeugen nicht.
Der Beklagte meint, es sei nicht einzusehen, weshalb das Bundesgleichstellungsgesetz in seinem § 34 ein Organstreitverfahren regeln sollte, in dessen Anwendungsbereich das entsprechende Organ direkt Beklagter sein könne und in demselben Gesetz, jedoch in § 21 für den Bereich der Wahlanfechtung, ein Verfahren, welches sich gegen den Rechtsträger richte. Das Landesgleichstellungsgesetz des Landes Berlin (LGG) enthalte eine vergleichbare Verfahrenssituation. Entsprechend § 21 BGleiG enthalte § 16a Abs. 7 LGG Regelungen über die Wahlanfechtung wegen Wahlrechtsverstößen und entsprechend § 34 BGleiG enthalte § 20 LGG Regelungen über Verfehlungen der Dienststelle.
Diese Argumentation verfängt nicht. Die Wahlanfechtung und die der Frauenvertreterin eröffnete Möglichkeit, gegen die Verletzung ihrer Rechte gerichtlich vorzugehen, müssen nicht deswegen prozessual identisch behandelt werden, weil beide Rechtsschutzmöglichkeiten Gegenstand ein und desselben Gesetzes sind. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich klargestellt, dass es sich bei dem Wahlanfechtungsverfahren, das die Rechtmäßigkeit der Wahl der Gleichstellungsbeauftragten und damit gewissermaßen erst die Basis für ihre organschaftlichen Rechtsbeziehungen zur Dienststellenleitung betrifft, anders als bei der Klage nach § 22 BGleiG (a.F.; jetzt § 34 BGleiG) nicht um einen Organstreit handelt (BVerwG, Urteil vom 8. April 2010 – 6 C 3.09 – juris Rn. 14). Diese zum Bundesgleichstellungsgesetz (a.F.) ergangene Rechtsprechung ist ohne weiteres auf die aktuelle Rechtslage auch nach dem Landesgleichstellungsgesetz übertragbar.
Der Beklagte stützt seine Kritik an der Rechtsprechung der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2007 (– 6 A 1.06 – juris Rn. 20) und entnimmt diesem, maßgeblich für die Bestimmung des Klagegegners sei das Abstellen auf einen Zurechnungsakt in Form einer Bestellung der gewählten Kandidatinnen, der nach dem Berliner Landesrecht gerade nicht vorgesehen sei.
Entgegen der Auffassung des Beklagten führt die genannte Entscheidung jedenfalls im Licht der zitierten späteren Judikate des Bundesverwaltungsgerichts nicht auf ein anderes Ergebnis als die Geltung des Rechtsträgerprinzips in einem dem Regime der Verwaltungsgerichtsordnung unterliegenden Wahlanfechtungsverfahren. Die vom Beklagten in Bezug genommenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2007 stehen im Zusammenhang mit der Begründung, warum entgegen einer Stimme aus der Kommentarliteratur nicht die Gleichstellungsbeauftragte und ihre Stellvertreterin Anfechtungsgegnerinnen sind. Die dort im Ergebnis getroffene Entscheidung, dass es sich bei der Wahlanfechtung nicht um ein Organstreitverfahren handelt, hat das Bundesverwaltungsgericht 2010 (a.a.O.) ausdrücklich bekräftigt. Seinem Urteil vom 19. September 2012 (– 6 A 7.11 – juris Rn. 14) hat es ohne Weiteres das Rechtsträgerprinzip zugrunde gelegt.
Die Rechtsträgerschaft des Landes Berlin steht nicht wegen der – so der Beklagte – „dienststellenunabhängigen“ Ausgestaltung der Wahl der Frauenbeauftragten und ihrer Stellvertreterin in Zweifel. Unerheblich ist auch, dass die Frauenvertreterin nicht wie die Gleichstellungsbeauftragte nach Bundesrecht kraft Gesetzes ausdrücklich der Personalverwaltung und unmittelbar der Dienststellenleitung zugeordnet ist (vgl. § 24 Abs. 1 BGleiG). Die Frauenvertreterin wird in (je)der Dienststelle (vgl. § 16 Abs. 1 LGG) gewählt und übt dort ihr Amt aus. Sie ist ebenso wie der für die Durchführung einer konkreten Wahl bestellte Wahlvorstand für das Land Berlin tätig. Maßgeblich ist letztendlich nicht die Zuordnung zur Dienststelle, sondern zum Land Berlin.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt voraus, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 4. Juni 2018 – OVG 4 N 41.17 –). Die Frage von grundsätzlicher Bedeutung muss ausformuliert werden (OVG Münster, Beschluss vom 1. April 2020 – 10 A 2667/19 – juris Rn. 14). Einer Rechtsfrage fehlt die grundsätzliche Bedeutung, wenn sich die Antwort ohne Weiteres und unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und keine Zweifel bestehen oder wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist (Rudisile, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, VwGO § 124 Rn. 32). Das ist hier der Fall.
Der Beklagte formuliert die Fragen: „Welche Verfahrensart ist für die Wahlanfechtung nach § 16a Abs. 7 LGG Berlin vor dem Verwaltungsgericht vorgesehen? Ist eine Analogie zum Beschlussverfahren nach § 91 Abs. 2 PersVG Berlin zu ziehen?“. Für die Beantwortung dieser Fragen bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens.
Die Wahlen der Frauenvertreterin und ihrer Stellvertreterin sind nach Maßgabe des § 16a Abs. 7 LGG „beim Verwaltungsgericht“ anfechtbar. Ist das Verwaltungsgericht zuständig, findet die Verwaltungsgerichtsordnung nach bundesrechtlicher Vorgabe Anwendung (Beschluss des Senats vom 5. März 2020 – OVG 4 L 1/20 – juris Rn. 10). In Anwendung der VwGO ist die Wahlanfechtung durch eine Klage geltend zu machen (vgl. v. Roetteken, BGleiG, Stand April 2021, § 21 BGleiG 2015 Rn. 43; BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2007 – 6 A 1.06 – juris und vom 19. September 2012 – 6 A 7.11 – juris).
Für eine entsprechende Anwendung der Regelungen zum arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 91 Abs. 2 PersVG besteht mangels gesetzlicher Grundlage kein Raum. § 16a Abs. 7 LGG ist zwar der personalvertretungsrechtlichen Wahlanfechtungsnorm (§ 25 BPersVG; § 22 PersVG) nachgebildet (entsprechend zu § 21 BGleiG: v. Roetteken, BGleiG, Stand April 2021, § 21 BGleiG 2015 Rn. 2, 5 und 54). Im Personalvertretungsrecht ergibt sich die Geltung der Bestimmungen über das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren indes nicht schon aus der Wahlanfechtungsnorm, sondern erst aus § 108 Abs. 2 BPersVG bzw. § 91 Abs. 2 PersVG. Für die Wahlanfechtung nach § 16a Abs. 7 LGG hat der Landesgesetzgeber ebenso wie der Bundesgesetzgeber für die Wahlanfechtung gemäß § 21 BGleiG keine entsprechende Regelung getroffen. Nichts spricht für die Annahme des Beklagten, dies sei „planwidrig“ mit der Folge einer „planwidrigen Regelungslücke“ geschehen. Der Beklagte zitiert selbst aus der Gesetzesbegründung. Danach hatte der Gesetzgeber das Personalvertretungsgesetz vor Augen. Der Umstand, dass er dortige Regelungen nicht übernommen hat, deutet nicht darauf, dass er diese übersehen hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).