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Entscheidung 10 K 865/22.A


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 10. Kammer Entscheidungsdatum 31.01.2023
Aktenzeichen 10 K 865/22.A ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2023:0131.10K865.22.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Nach der asylverfahrensunabhängigen Erteilung eines Aufenthaltstitels ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht mehr gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG zuständig.

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. September 2022 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

Die nach eigenen Angaben aus Buéa/Kamerun gebürtige Klägerin stellte am 19. April 2016 bei der Außenstelle Eisenhüttenstadt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag, den sie am 15. September 2016 zurücknahm. Daraufhin stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 14. Oktober 2016 das Asylverfahren ein (Ziffer 1); es versagte nationalen Abschiebungsschutz (Ziffer 2), forderte die Klägerin unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf (Ziffer 3) und verfügte ein 30-monatiges Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 4). Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 25. Oktober 2016 Klage (VG 4 K 2284/16.A), über welche erst mit Urteil vom 20. Mai 2021 - rechtskräftig seit dem 14. September 2021 - in der Weise entschieden wurde, dass die Regelung in Ziffer 4 wegen der noch nicht berücksichtigten Beziehungen der Klägerin zu ihrem inzwischen 2016 in Deutschland geborenen Sohn A..., der bislang als deutscher Staatsangehöriger behandelt wird, sowie zu dem weiteren, 2018 nachgeborenen Sohn E...aufgehoben wurde; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Mit Blick auf den 2016 geborenen Sohn hatte die Ausländerbehörde der Klägerin am 21. Dezember 2017 eine Aufenthaltserlaubnis (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) erteilt; infolge der sodann eingeleiteten - bis heute offenbar nicht abgeschlossenen - Überprüfung der Staatsangehörigkeit jenes Kindes lehnte die Ausländerbehörde eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und erteilte sie der Klägerin am 3. Dezember 2021 eine Fiktionsbescheinigung (§ 81 Abs. 4 AufenthG), die bis heute gültig ist.

Mit Bescheid vom 1. September 2022, zustellungshalber aufgegeben am 28. September 2022, ergänzte das Bundesamt nach vorangegangener Konsultation der Ausländerbehörde den Bescheid vom 14. Oktober 2016 um die (neue) Regelung (Ziffer 4) eines nunmehr 29-monatigen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG auf der Grundlage der aus dem vorangegangenen Verfahren bekannten Umstände.

Hiergegen hat die Klägerin am 10. Oktober 2022 die vorliegende Klage erhoben mit dem Antrag,

den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. September 2022 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und meint, die mit der Klage vorgetragenen Gründe seien bereits zuvor bekannt gewesen und berücksichtigt worden.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 3. Januar 2023 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Bundesamtsakten betr. die Klägerin verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die als Anfechtungsklage statthafte (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 46.20 - juris Rn. 9 f.) und innerhalb der Zweiwochenfrist des § 74 Abs. 1 1. Hs. AsylG rechtzeitig erhobene Klage hat in der Sache Erfolg: der angefochtene Bescheid erweist sich unter Berücksichtigung aller bei Schluss der mündlichen Verhandlung zu Tage liegenden Umstände (§ 77 Abs.1 Satz 1 1. Hs. AsylG [nunmehr i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 - BGBl. I S. 1798 -, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2022 - BGBl. I S. 2817 -]) deshalb als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil das Bundesamt für die getroffene ergänzende Regelung nicht zuständig ist und weil es das Bundesamt überdies versäumt hat, die Klägerin gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG vor Erlass des Bescheides anzuhören.

Die für den Erlass einer Regelung gemäß § 11 AufenthG im hier interessierenden Sinne vorauszusetzende Zuständigkeit des Bundesamts nach § 75 Nr. 12 AufenthG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 [BGBl. I S. 162], zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2022 [BGBl. I S. 2847)] ist nicht gegeben. Denn schon die damaligen Regelungen in Ziffern 3 und 4 des Bescheides vom 14. Oktober 2016 wurden aufgrund der der Klägerin bereits 2017 erteilten Aufenthaltserlaubnis unwirksam (vgl. Urteil der Kammer vom 30. April 2021 - VG 10 K 1430/20.A -), weil durch die Gewährung des mit dem Aufenthaltstitel verbundenen ausländerrechtlichen Bleiberechts die Ausreisepflicht der Klägerin fortgefallen war, deren Vollstreckung die Abschiebungsandrohung vorbereiten sollte. Mit der Ausreisepflicht war wiederum die Grundlage der Abschiebungsandrohung entfallen. Die auf die ursprüngliche Ausreisepflicht zielende und mit ihrem Wegfall erledigte Abschiebungsandrohung kann für eine neu entstehende Ausreisepflicht grundsätzlich nicht erneut als Vollstreckungsmaßnahme genutzt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 - juris, Rn. 21). Die einmal eingetretene Erledigung wird dann auch durch einen späteren Wegfall des Aufenthaltstitels nicht in Frage gestellt (vgl. OVG NW, Beschluss vom 6. Juni 2012 - 18 B 301/12 - juris, Rn. 8). Dies gilt dann gleichermaßen für die seinerzeit in Ziffer 4 jenes Bescheides verfügte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Die besagte Regelung stand nicht für sich allein, sondern knüpfte an die mit dem gleichen Bescheid ausgesprochene Abschiebungsandrohung an, da diese eine Abschiebung im Falle einer unterbliebenen freiwilligen Ausreise ermöglichen sollte (vgl. § 59 AufenthG) und Voraussetzung für die Vollstreckung einer Ausreisepflicht war; das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot galt insoweit nur in dem Fall einer Abschiebung der Klägerin. Entfiel dann - wie hier - die Ausreisepflicht infolge der Erteilung eines Aufenthaltstitels, erledigte sich die Abschiebungsandrohung und damit auch der (hieran anknüpfende) Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall der Abschiebung und die mit ihm erfolgte Befristung, da sie an die Durchsetzung der (nicht mehr bestehenden) Ausreisepflicht im Wege der Abschiebung anknüpfen (vgl. VG Cottbus, Urteil vom 2. April 2020 - 9 K 30/17.A - juris, Rn. 23). Insoweit ging das Urteil vom 20. Mai 2021 folglich ins Leere. Dass der Klägerin (erst) im Dezember 2021 eine Aufenthaltsfiktionsbescheinigung erteilt wurde, ändert hieran nichts.

Hat - wie im vorliegenden Fall - die Ausländerbehörde aus asylverfahrensunabhängigen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, so wird die Ausländerbehörde für den Erlass einer Abschiebungsandrohung zuständig; die Zuständigkeit des Bundesamts entfällt (vgl. OVG NW, Beschluss vom 6. Juni 2012 - 18 B 301/12 - juris Rn. 6, 10 m.w.N.), was vorliegend nach der längst erfolgten Einstellung des Asylverfahrens der Klägerin systematisch zwingend erscheint.

Darüber hinaus liegt ein durchgreifender Verfahrensfehler in Gestalt der unterbliebenen Anhörung der Klägerin vor.

Das Bundesamt hat die Anhörung der Klägerin auch nicht nachgeholt, was gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG zur Heilung des Verfahrensfehlers hätte führen und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hätte erfolgen können (§ 45 Abs. 2 VwVfG).

Es liegt auch kein Fall der entbehrlichen Anhörung vor, namentlich weil sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten gewesen wäre, da von den tatsächlichen Angaben der Klägerin im vorangegangenen Asylklage- und Verwaltungsverfahren nicht zu ihren Ungunsten abgewichen worden bzw. alles bekannt gewesen sei (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG). Denn das Bundesamt hat die angefochtene Regelung trotz Kenntnis davon getroffen, dass die Klägerin sie bereits dem Grunde nach nicht akzeptieren wollte, und es hat insoweit eine für die Klägerin ungünstige Regelung getroffen. Im Übrigen hat es die aus der Mitteilung der Ausländerbehörde gewonnenen Erkenntnisse über den gegenwärtigen Aufenthaltsstatus gegenüber der Klägerin erst im (neuen) Bescheid angeführt.

Nach allem kann es dahingestellt bleiben, ob sich die umstrittene Regelung zu einem 29-monatigen Einreise- und Aufenthaltsverbot sachlich als rechtmäßig erweisen kann, wenn es sich bei der den Sohn A...der Klägerin betreffenden Vaterschaftsanerkennung tatsächlich um eine Täuschung handelt; es läge jedenfalls allein in der Zuständigkeit der Ausländerbehörde, gegenüber der Klägerin eine (erneute) Rückkehrentscheidung sowie abermals ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu verfügen, solange kein weiteres Asylverfahren anhängig ist.

Die Kostenfolgen beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG.