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Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG für einen vietnamesischen Staatsangehörigen, der sicher und dauerhaft in sein Herkunftsland Vietnam zurückkehren kann.


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 3. Kammer Entscheidungsdatum 16.01.2023
Aktenzeichen VG 3 L 376/22 ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2023:0116.3L376.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 24 AufenthG, EUBes 2022/382, EGRL 55/2001

Leitsatz

Bei vietnamesischen Staatsangehörigkeiten besteht auch dann kein Anscheinsbeweis dafür, dass diese regelmäßig nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren können, wenn sie zuvor über einen unbefristeten Aufenthaltstitel für die Ukraine verfügten.

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

A. Die sinngemäßen Anträge des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 14. November 2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Oktober 2022 anzuordnen,

hilfsweise,

dem Antragsgegner zu untersagen, ihm vor einer Entscheidung über seinen Widerspruch vom 14. November 2022 gegen den Bescheid vom 21. Oktober 2022 abzuschieben,

haben beide keinen Erfolg.

I. Der Hauptantrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der – wie die Ablehnung der Erteilung einer beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), die Abschiebungsandrohung nach § 16 des Brandenburgischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes und die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 und S. 2 AufenthG – gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO in Verbindung mit dem entsprechend anzuwendenden § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen oder wenn dessen Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides in diesem Sinne sind nur gegeben, wenn ein Erfolg des hiergegen gerichteten Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg, wobei die Rechtmäßigkeit lediglich in einem – im Vergleich zum Hauptsacheverfahren – beschränkten Umfang überprüft werden muss.

2. An diesen Grundsätzen gemessen muss das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung des Suspensiveffektes seines Widerspruchs gegen die angegriffenen Entscheidungen hinter dem öffentlichen Interesse an deren sofortiger Vollziehung zurücktreten.

Denn die Kammer geht bei der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung davon aus, dass der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit dem angegriffenen Bescheid zu Recht abgelehnt hat (dazu nachfolgend unter a.). Auch die Abschiebungsandrohung und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnen keinen rechtlichen Bedenken (dazu nachfolgend unter b.).

a. Die Kammer teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG hat. Danach wird einem Ausländer, dem auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der Richtlinie 2001/55/EG vorübergehender Schutz gewährt wird und der seine Bereitschaft erklärt hat, im Bundesgebiet aufgenommen zu werden, [...] für die nach den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie bemessene Dauer des vorübergehenden Schutzes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Einen solchen Beschluss fasste der Rat der Europäischen Union am 4. März 2022 im Hinblick auf diejenigen Menschen, die vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine flüchteten.

Dieser Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 sieht die Aufnahme nicht nur von Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit und deren Familienangehörigen vor, sondern auch von Staatenlosen bzw. Drittstaatsangehörigen, die in der Ukraine internationalen oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben oder sich aus anderen Gründen rechtmäßig dort aufgehalten haben.

Da der Antragsteller unstreitig ausschließlich vietnamesischer Staatsangehöriger ist und in der Ukraine auch keinen internationalen oder gleichwertigen nationalen Schutz genossen hat, kommt für ihn der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur in Betracht, soweit der genannte Ratsbeschluss dies in seinem Art. 2 Abs. 2 auch für nicht-ukrainische Staatsangehörige vorsieht. Dieser lautet:

„Die Mitgliedstaaten wenden entweder diesen Beschluss oder einen angemessenen Schutz nach ihrem nationalen Recht auf Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine an, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren.“

Dass der Antragsteller sich aufgrund eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels in der Ukraine aufgehalten hat, ist nicht umstritten.

Der Antragsgegner hat allerdings zu Recht angenommen, dass dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis nach den vorstehend dargestellten Regelungen nicht zusteht, weil er in der Lage ist, sicher und dauerhaft in sein Herkunftsland Vietnam zurückzukehren.

Der Antragsteller kann seine gegenteilige Auffassung nicht auf einen Anscheinsbeweis stützen.

Denn die Annahme eines Anscheinsbeweises setzt einen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und es deshalb rechtfertigt, die besonderen Umstände des einzelnen Falles in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen (BVerwG, Urteil vom 1. März 1995 – 8 C 36/92 –, juris Rn. 14 m.w.N.).

Es trifft aber keineswegs zu, dass nicht-ukrainische Staatsangehörige mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel für die Ukraine regelmäßig nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren könnten. Man denke nur an Staatsangehörige westlicher Staaten, wie den USA, die über einen solchen unbefristeten Aufenthaltstitel für die Ukraine verfügten und gleichwohl jederzeit aus Deutschland sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren können.

Entsprechendes gilt regelmäßig auch für vietnamesische Staatsangehörige. Insoweit ergibt sich aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes, dass eine Rückkehr vietnamesischer Staatsangehöriger aus Deutschland in ihr Herkunftsland sowohl rechtlich als auch tatsächlich möglich ist und in den vergangenen Jahren unter Geltung eines zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Vietnam geschlossenen Reintegrationsabkommens auch in tausenden Fällen erfolgt ist. Probleme bestehen weder in Bezug auf die Sicherung des Existenzminimums des Antragstellers, bei dem es sich um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann handelt, noch bezogen auf die medizinische Versorgung (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Sozialistischen Republik Vietnam, Stand: November 2022, S. 19 ff.).

Spricht danach die allgemeine Auskunftslage für die Möglichkeit einer sicheren und dauerhaften Rückkehr in das Herkunftsland Vietnam und sind deshalb die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG i.V.m. dem Durchführungsbeschluss des Rates der Europäischen Union nicht erfüllt, so ändert sich hieran auch nichts durch die vom Antragsteller in Bezug genommenen Ausführungen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat aus den (an die für das Aufenthaltsrecht zuständigen Ministerien und Senatsverwaltungen der Länder gerichteten) Schreiben vom 14. April 2022 und vom 5. September 2022. Denn auch soweit darin ausgeführt wird, es sei bei Personen mit unbefristetem Aufenthaltstitel für die Ukraine „prima facie von einer maßgeblichen Verbindung in der Ukraine und damit davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückzukehren“, wird auch in diesem Schreiben festgestellt, dass eine solche „prima facie-Schlussfolgerung“ (jedenfalls) „widerleglich“ sei (S. 5 des Länderschreibens vom 5. September 2022).

Bezogen auf den aus Vietnam stammenden Antragsteller wäre auch eine solche „Schlussfolgerung“ widerlegt, da die Möglichkeit seiner sicheren und dauerhaften Rückkehr durch die allgemeine Auskunftslage bestätigt und auch nicht durch konkreten Vortrag im Einzelfall in Zweifel gezogen wird.

b. Im Hinblick auf die Abschiebungsandrohung und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots lassen sich rechtlich beachtliche Fehler weder dem Vortrag des Antragstellers entnehmen noch sind sie bei der auch insoweit gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung sonst ersichtlich.

II. Der hilfsweise gestellte Antrag, dem Antragsgegner eine Abschiebung des Antragstellers zu untersagen, hat ebenfalls keinen Erfolg. Denn insoweit fehlt neben der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes auch jeder Vortrag zu dem insoweit geltend gemachten Anordnungsanspruch. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass einer Abschiebung des Antragstellers Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe entgegenstehen würden.

B. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 u. Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes. Dabei orientiert sich die Kammer an Nr. 8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der danach maßgebliche Auffangwert war im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Begehrens zu halbieren.