Gericht | VG Frankfurt (Oder) 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 09.01.2023 | |
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Aktenzeichen | VG 5 L 332/22 | ECLI | ECLI:DE:VGFRANK:2023:0109.5L332.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1.a. Die aufschiebende Wirkung der von der A ... erhobenen Klage VG 5 K /22 gegen den Bescheid über die Festsetzung eines Herstellungsbeitrags vom 29. Juni 2022 und den Widerspruchsbescheid vom 24. August 2022 wird angeordnet.
2.b. Die Aufhebung der Vollziehung des Bescheides über die Festsetzung eines Herstellungsbeitrags vom 29. Juni 2022 wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf 418,82 € festgesetzt.
I.
Die A ... begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Bescheid über die Festsetzung eines Herstellungsbeitrags.
Sie ist Eigentümerin eines in Fürstenwalde, A ... 11 belegenen Grundstücks, das seit dem Jahre 2015 an den in der A ... befindlichen Hauptsammler angeschlossen ist. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2011 setzte der Antragsgegner für das Grundstück der Antragstellerin einen Herstellungsbeitrag (Schmutzwasser) in Höhe von 1.675,27 € auf der Grundlage einer mit Wirkung zum 1. Januar 2010 beschlossenen Beitragssatzung fest. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Antragstellerin (Klägerin) am 18. Mai 2012 Klage (Az.: VG 5 K /12). Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) gab der Klage der A ... mit Urteil vom 29. Oktober 2020 statt. Die Aufhebung des Beitragsbescheides begründete der erkennende Einzelrichter im Kern damit, dass eine Beitragsveranlagung des streitbefangenen Grundstücks wegen eingetretener „hypothetischer Festsetzungsverjährung“ unzulässig sei. Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen. Einen Antrag des damaligen Beklagten und heutigen Antragsgegners auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 30. Mai 2022 ab, da das Zulassungsvorbringen insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils weckte (Az.: OVG 9 N 28/21).
Unter dem 29. Juni 2022 erließ der Antragsgegner einen neuen „Bescheid über die Festsetzung eines Herstellungsbeitrags“, mit dem er wiederum unter Verweis auf die mit Wirkung zum 1. Januar 2010 beschlossene Beitragssatzung die Zahlung eines Herstellungsbeitrags (Schmutzwasser) für das Grundstück der A ... in der vorbezeichneten Höhe verlangte. Der Antragsgegner bezog sich darauf, dass ein anschlussbereiter Schmutzwasserkanal vor dem Grundstück der A ... vorhanden und das Grundstück an die zentrale Schmutzwasseranlage angeschlossen worden sei. Zugleich „verrechnete“ der Antragsgegner die „Zahlung zum Bescheid“ vom 7. Oktober 2011 mit dem nunmehr festgesetzten Herstellungsbeitrag. Auch gegen den neuen Beitragsbescheid legte die Antragstellerin Widerspruch ein, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2022 zurückwies. Nach Ansicht des Antragsgegners sei die sachliche Beitragspflicht mit der Vornahme des Anschlusses des Grundstücks an die öffentliche Abwasseranlage im April 2015 entstanden.
Die A ... hat am 23. September 2022 Klage erhoben (Az.: VG 5 K /22) und am 7. Oktober 2022 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung bezieht sie sich unter anderem auf das rechtskräftige Urteil in dem Rechtsstreit VG 4 K /12, mit dem ein identischer Heranziehungsbescheid zwischen denselben Beteiligten mit dem gleichen Regelungsinhalt aufgehoben worden sei.
Der Antragsgegner ist weiterhin der Auffassung, dass die sachliche Beitragspflicht durch die Herstellung des Anschlusses erst im Jahre 2015 entstanden sei.
II.
Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung der von der A ... erhobenen Klage VG 5 K /22 gegen den Bescheid über die Festsetzung eines Herstellungsbeitrags vom 29. Juni 2022 und den Widerspruchsbescheid vom 24. August 2022 anzuordnen sowie
die Aufhebung der Vollziehung des Bescheides über die Festsetzung eines Herstellungsbeitrags vom 29. Juni 2022 anzuordnen,
hat vollumfänglich Erfolg.
1. Die erneute Anfechtungsklage gegen einen - mit der ersten Anfechtungsklage aufgehobenen - inhaltsgleichen wiederholenden Verwaltungsakt ist zulässig, da die jeweiligen Aufhebungsbegehren verschieden sind (Eyermann/Rennert, VwGO 15. Auflage, § 121 Rn. 10).
2. Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 S. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO - die aufschiebende Wirkung einer Klage oder eines Widerspruchs gegen einen Verwaltungsakt dann anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts in diesem Sinne sind nur gegeben, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg, wobei die Rechtmäßigkeit lediglich in einem im Vergleich zum Hauptsacheverfahren beschränkten Umfang geprüft wird. Dabei ist regelmäßig von der Gültigkeit der einer Abgabenerhebung zu Grunde liegenden Satzung auszugehen. Das Gericht hat sich auf die (summarische) Kontrolle der äußeren Gültigkeit der Normen und sich ersichtlich aufdrängender Satzungsfehler sowie die Prüfung spezieller Einwände der Antragsteller gegen das Satzungsrecht und die sonstigen Voraussetzungen der Abgabenerhebung zu beschränken, wobei die Prüfung der Einwendungen der Antragsteller dort ihre Grenze findet, wo es um die Klärung schwieriger Rechts- und Tatsachenfragen geht (st. Rspr., vgl. bereits OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 23. September 1996 – 2 B 53/96 –). Abgabenbescheide sind nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar, damit schwebende Rechtsbehelfsverfahren die Finanzierung öffentlicher Aufgaben nicht gefährden. Diese grundsätzliche Wertung darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs immer schon dann anzuordnen ist, wenn der Fall eine im Eilverfahren nicht zu klärende Frage aufwirft. Vielmehr ist es auch in diesem Fall zuzumuten, die Abgaben zunächst einmal zu zahlen. Das gilt umso mehr, als der Betroffene sicher sein kann, gezahlte Abgaben zurückzuerhalten, falls sich die Abgabenerhebung in der Hauptsache als rechtswidrig erweist. Etwaigen, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) nicht zu vereinbarenden, unzumutbaren Ergebnissen für den Betroffenen, die sich durch die eingeschränkte Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abgabenerhebung ergeben können, wird durch die Härteklausel des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO vorgebeugt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. November 2009, – 9 S 25.09 –, juris).
3. Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes ist hier dem vorläufigen Rechtsschutzantrag der A ... stattzugeben, weil nach dem derzeitigen Erkenntnisstand auf der Grundlage der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und des Vortrags der Beteiligten der Beitragsbescheid vom 29. Juni 2022 und der ergangene Widerspruchsbescheid vom 24. August 2022 offensichtlich rechtswidrig sind. Es spricht alles dafür, dass die A ... rechtswidrig veranlagt wurde.
a) Denn der Beitragserhebung steht aller Voraussicht nach § 121 VwGO entgegen. Danach binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. Oktober 2020 hatte schon zum Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheids des Antragsgegners vom 29. Juni 2022 Rechtskraft erlangt. Das erstinstanzliche Urteil war, nachdem der unanfechtbare Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Mai 2022 ergangen war, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbar (vgl. auch VG Magdeburg, Beschluss vom 24. August 2004 – 9 B 176/04 –, Rn. 11, juris).
b) Der erneuten Heranziehung der A ... zu einem Schmutzwasserbeitrag steht diese Rechtskraft des im Rechtsstreit VG 4 K /12 ergangenen Urteils vom 29. Oktober 2020 entgegen. Denn der gegenständliche (Schmutzwasser-)Bei-tragsbescheid vom 29. Juni 2022 entspricht inhaltlich dem Bescheid vom 07. Oktober 2011, der mit dem vorgenannten Urteil aufgehoben worden ist. Der Erlass eines solchen wiederholenden Bescheides verstößt hier gegen das aus der Rechtskraft des genannten Urteils erwachsende Wiederholungsverbot. Danach darf die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen erlassen. Dabei geht es um die durch das Urteil gezogene Schlussfolgerung aus Rechtsnorm und Lebenssachverhalt; diese Folgerung gilt jedenfalls, soweit und solange Rechtsnorm und Lebenssachverhalt im Entscheidungserheblichen unverändert sind (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Januar 2012 – OVG 9 S 48.11 –, Seite 3 des Beschlussabdrucks; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 25. Februar 2014 – 1 K 528/11, juris Rn. 23).
c) Dies ist vorliegend der Fall. Insbesondere hatte die vorgehende Anfechtungsklage VG 5 K /12 nicht bloß wegen eines Form- oder Verfahrensfehlers oder wegen eines Ermessensfehlers Erfolg. Denn vorliegend erfolgte die Aufhebung des Herstellungsbeitragsbescheides vom 7. Oktober 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2012 deswegen, „weil die Beitragsveranlagung des streitbefangenen Grundstücks wegen eingetretener „hypothetischer Festsetzungsverjährung“ unzulässig ist“ (VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 29. Oktober 2020 – VG 4 K /12 – S. 8 des Urteilsabdrucks). Die sachliche Beitragspflicht für das streitbefangene Grundstück hätte vor Ablauf des 31. Dezember 1999 entstehen können, weil für das streitbefangene Grundstück vor diesem Zeitpunkt eine rechtlich gesicherte Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Abwasserentsorgungsanlage des Zweckverbandes gegeben war (VG Frankfurt (Oder), a.a.O., S. 10 des Urteilsabdrucks). Die Herstellung des betriebsbereiten Hauptsammlers in der A ... vor dem Grundstück der Antragstellerin und die Fertigstellung der Anschlussleitung vom Hauptsammler zum Grundstück der Antragstellerin sind vor dem für den Eintritt der (hypothetischen) Festsetzungsverjährung maßgeblichen Stichtag, dem 1. Januar 2000, erfolgt (VG Frankfurt (Oder), a.a.O., S. 14 des Urteilsabdrucks). Dass das fragliche Grundstück tatsächlich erst seit dem Jahre 2015 an den in der A ... befindlichen Hauptsammler angeschlossen ist, beseitigt nicht die Wirkungen der bereits eingetretenen „hypothetischen Festsetzungsverjährung“, denn diese rekurriert auf das „hypothetische“ Entstehen der sachlichen Beitragspflicht und nicht auf den tatsächlichen Anschluss des Beitragsgrundstücks an die öffentliche Schmutzwasseranlage. Das OVG Berlin-Brandenburg hat diesbezüglich in seinem Nichtzulassungsbeschluss vom 30. Mai 2022 (Az.: OVG 9 N 28/21) im Hinblick auf die Zurückweisung des Zulassungsantrags des damaligen Beklagten und heutigen Antragsgegners auch keine abweichenden Feststellungen getroffen, sondern lediglich (ergänzend) ausgeführt, dass der Abwasseranschlussbeitragsbescheid vom 7. Oktober 2011 auch bei nicht greifendem Vertrauensschutz gegenüber der Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg (n.F.) rechtswidrig und aufzuheben wäre.
d) Ist aber die Aufhebung des Verwaltungsakts auf einen „irreparablen“ Verstoß gegen materielles Recht gestützt, darf die Behörde den gleichen Verwaltungsakt ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage regelmäßig nicht erneut erlassen. Dieses Wiederholungsverbot lässt sich unmittelbar aus der Rechtskraftwirkung des stattgebenden Urteils der 4. Kammer vom 29. Oktober 2020 herleiten. Das „ne bis in idem“ wendet sich – wegen der im Anfechtungsprozess typischerweise vertauschten Angreifer- und Verteidigerrollen – bereits im Vorfeld eines neuen Verfahrens gegen die im Erstprozess unterlegene Behörde: Sie darf den obsiegenden Kläger nicht durch ein im Widerspruch zu der rechtskräftigen Entscheidung stehendes Verhalten erneut in die gleiche Prozesssituation zwingen. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, bedarf es weder eines besonderen Streitgegenstandsbegriffs der Anfechtungsklage noch der Annahme einer erweiterten Rechtskraftwirkung. Verletzt die Behörde das Wiederholungsverbot, kann der wiederholte Verwaltungsakt nicht nur zum Gegenstand eines erneuten Verfahrens gemacht werden; er ist wegen der präjudiziellen Wirkung der Entscheidung aus dem Erstprozess ohne Sachprüfung aufzuheben (vgl. Schoch/Schneider/Clausing/Kimmel, 43. EL August 2022, VwGO § 121 Rn. 81).
4. Nach alldem ist auch die antragsgemäße Aufhebung der Vollziehung des Bescheides über die Festsetzung eines Herstellungsbeitrags vom 29. Juni 2022 gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO anzuordnen. Der Begriff „Vollziehung“ ist als Gegenbegriff zur aufschiebenden Wirkung i. S. des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu verstehen, mit der Folge, dass deren umfängliche Reichweite geteilt wird. "Vollziehung“ meint damit alle Maßnahmen, die gesetzlich an den Erlass bzw. die Vollziehbarkeit eines vorangegangenen Verwaltungsaktes anknüpfen und im weitesten Sinne der Umsetzung seiner Regelungsziele dienen. Das schließt die freiwillige Befolgung des Verwaltungsaktes ebenso ein, wie beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung das Gebrauch machen von der Begünstigung (vgl. Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18. Oktober 2004 – 3 M 265/04 –, Rn. 14, juris). Für die Aufrechnung bzw. die „Verrechnung mit einer fälligen Gegenforderung“ gilt nichts Anderes, da auch diese an die Vollziehbarkeit der (hier im Streit stehenden) Beitragsforderung anknüpft (vgl. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes, wobei die Kammer in ständiger Spruchpraxis bei Anträgen auf Regelung der Vollziehung von Abgabenbescheiden ¼ der streitigen Geldleistung zugrunde legt (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Kopp/Schenke, VwGO, Anh
§ 164, Rn. 14 Nr. 1.5).