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Entscheidung 13 WF 1/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 13.02.2023
Aktenzeichen 13 WF 1/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0213.13WF1.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der am 22.11.2022 erlassene Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin - 52 F 34/22 - abgeändert.

Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen der Antragsteller und die beteiligte Mutter je zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsteller und die beteiligte Mutter je zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der beschwerdeführende Antragsteller, dem das Amtsgericht in einer Abstammungssache sämtliche Kosten auferlegt hat, erstrebt die hälftige Tragung der Kosten durch die am Verfahren beteiligte Mutter des betroffenen Kindes.

Der Antragsteller hatte nach Vorliegen eines seine Vaterschaft feststellenden gerichtlichen Abstammungsgutachtens (Bl. 36) seinen verfahrenseinleitenden Antrag auf Anfechtung der von ihm vorgerichtlich noch während der Schwangerschaft der Mutter am 01.02.2022 gegenüber dem Jugendamt anerkannten Vaterschaft (Bl. 4) vom 11.04.2022 (Bl. 1) mit Schriftsatz vom 20.10.2022 (Bl. 51) zurückgenommen.

Durch die angefochtene Entscheidung vom 22.11.2022 (Bl. 56) hat das Amtsgericht dem Antragsteller die gesamten Verfahrenskosten auferlegt, da er sich im Hinblick auf die vorgerichtliche Anerkennung der Vaterschaft mit deren Anfechtung ohne erkennbaren Anlass widersprüchlich verhalten und unwahre Angaben gemacht habe, indem er sexuelle Kontakte zur Mutter abgestritten habe.

Mit seiner Beschwerde vom 20.12.2022 (Bl. 66) beanstandet der Antragsteller die Kostenentscheidung als ermessenfehlerhaft. Er habe erst nach Anerkennung der Vaterschaft Kenntnis von den Umständen erlangt, die ihn an seiner Vaterschaft zweifeln lassen mussten. Die Mutter verteidigt die angefochtene Entscheidung (Bl. 4 der elektronischen Akte, im Folgenden elA).

II.

Die nach §§ 58 ff. FamFG statthafte Beschwerde gegen eine isolierte Kostenentscheidung in einer nicht vermögensrechtlichen Familiensache ist in zulässiger Weise erhoben; insbesondere hängt die Zulässigkeit nicht vom Erreichen einer Mindestbeschwer von mehr als 600 € gemäß § 61 Abs. 1 FamFG ab (BGH FamRZ 2014, 282; OLG Brandenburg, 2. Senat für Familiensachen, FamRZ 2022, 1125).

Die Beschwerde ist in der Sache begründet.

Die Vorschriften über das Verfahren in Abstammungssachen (§§ 169ff. FamFG) enthalten, da § 183 FamFG nur den Fall der erfolgreichen Anfechtung erfasst, für den hier vorliegenden Fall einer streitlosen Verfahrensbeendigung keine Sondervorschriften für die Kostenentscheidung. Nach den hier anwendbaren §§ 83 Abs. 2, 81 Abs. 1 S. 1, S. 2 FamFG ist über die Verfahrenskosten nach billigem Ermessen zu entscheiden. Die vom erstinstanzlichen Gericht auf der Grundlage dieser Vorschriften getroffene Entscheidung ist dabei nicht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen. Vielmehr ist das Beschwerdegericht zu einer eigenen Ermessensentscheidung berufen (BGH FamRZ 2013, 1876; Senat FamRZ 2022, 890).

Bei dem hier auszuübenden Ermessen sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, und damit neben dem voraussichtlichen Unterliegen eines Beteiligten - vorliegend des Antragstellers - auch die Frage, wer das Verfahren veranlasst hat. Die Frage, inwiefern ein Beteiligter Anlass für die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens hatte, ist in Fällen wie dem vorliegenden ein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 81 Abs. 1 FamFG von maßgeblicher Bedeutung ist (BGH FamRZ 2014, 744 Rn. 17 mwN; Senat, Beschluss v. 31.01.2020, 13 WF 4/20, FamRZ 2021, 545).

Bei einem - wie vorliegend - in der Sache erfolglosen Vaterschaftsanfechtungsverfahren entspricht es billigem Ermessen, einem Vater die gesamten Verfahrenskosten dann nicht aufzuerlegen, wenn er berechtigte Zweifel an seiner Vaterschaft haben durfte und vor Kenntnis des Abstammungsgutachtens nicht sicher sein konnte, ob er der Vater des beteiligten Kindes ist (BGH FamRZ 2014, 744; Senat FamRZ 2021, 545; OLG Brandenburg, 2. Senat für Familiensachen FamRZ 2022, 1125; 1. Senat für Familiensachen, JurBüro 2012, 602; OLG Frankfurt BeckRS 2017, 102813). Auf solche berechtigten Zweifel kann sich der Antragsteller vorliegend mit Erfolg berufen.

Berechtigte Zweifel an der Vaterschaft sind zu bejahen, wenn die Mutter Mehrverkehr während der Empfängniszeit einräumt (BGH FamRZ 2014, 744), wenn die Mutter dem später festgestellten biologischen Vater mehrfach vorgeschlagen hatte, eine sogenannte offene Beziehung zu führen und sich in sozialen Medien als „single“ ausgegeben hat (OLG Brandenburg FamRZ 2021, 545), wenn die Mutter während der Empfängniszeit auch mit einem Expartner engen Kontakt pflegte, und der später festgestellte Vater mit ihr ausdrücklich verabredet hatte, kein gemeinsames Kind zu zeugen (OLG Brandenburg, BeckRS 2014, 2325), oder wenn die Beziehung zur Mutter während der Empfängniszeit nicht durchgängig bestand und die Mutter kurz nach der Beendigung der Beziehung mit dem Mann eine Lebensgemeinschaft eingegangen ist, den sie vor der gesetzlichen Empfängniszeit kennengelernt hatte (OLG Frankfurt BeckRS 2017, 102813).

Hieran gemessen durfte der Antragsteller berechtigte Zweifel an seiner Vaterschaft haben, weil die Mutter - unbestrittenermaßen - bis kurz vor Beginn der gesetzlichen Empfängniszeit (06.07.2021 bis 01.11.2021) mit ihrem früheren Lebensgefährten sexuelle Kontakte hatte und sich auch nach der endgültigen Trennung vom Antragsteller im November 2021 wieder jenem Mann zuwandte. Für den von der Mutter mit dem Argument, die Beziehung zum Antragsteller bereits Anfang Juli 2021 wieder aufgenommen zu haben, in Abrede gestellten Verkehr mit einem anderen Mann während der Empfängniszeit, trägt der Antragsteller zwar nur vor, die Beziehung zu ihr erst Mitte August 2021 wieder aufgenommen zu haben. Konkrete Anhaltspunkte für diesen - mehrere Wochen nach Beginn der Empfängniszeit - liegenden Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Beziehung legt der Antragsteller nicht dar. Wegen der extrem kurzen Zeitspanne zwischen dem von der Mutter eingeräumten Zeitpunkt der Beendigung ihrer Beziehung zu ihrem früheren Lebensgefährten - Ende Juni 2021- und dem Beginn der Empfängniszeit am 06.07.2021 ist dem Antragsteller aber nicht anzulasten, die etwaige Vaterschaft des ehemaligen Lebensgefährten der Mutter für möglich zu halten, zumal die Mutter mit diesem Mann auch nach der endgültigen Trennung vom Antragsteller wieder zusammenkam.

Die Behauptung des Antragstellers, mit der Mutter erst Mitte August 2021 wieder zusammen gekommen zu sein, stellt auch kein widersprüchliches Verhalten gegenüber der vorgerichtlichen Anerkennung der Vaterschaft dar. Vor Kenntniserlangung über die zwischenzeitliche Beziehung der Mutter zu ihrem früheren Lebensgefährten musste der Antragsteller keinen Anlass dafür haben, sich über die Übereinstimmung des Zeitpunkts der Wiederaufnahme seiner Beziehung zu ihr mit dem Beginn des Empfängniszeitraums Gedanken zu machen. Schließlich ist seine - zunächst pauschale - Behauptung in der Antragsschrift, mit der Mutter „keinen sexuellen Verkehr“ gehabt zu haben, zwar unwahr, wird aber durch die weitere Angabe, bis Mitte August 2021 keinen Verkehr gehabt zu haben, näher konkretisiert; da die Unwahrheit dieser Behauptung nicht festgestellt ist, kommt ein Regelfall nach § 81 Abs. 2 Nr. 3 FamFG auch insoweit nicht in Betracht.

Eine Beteiligung des Kindes an den Kosten seines Abstammungsverfahren ist unbillig, da es selbst nicht zur Unsicherheit über die Vaterschaft beigetragen oder Anlass zur Verfahrenseinleitung gegeben hat.

In einer Gesamtschau führen vorstehende Gesichtspunkte zu einer Ermessenausübung dahin, beide Eltern mit jeweils der Hälfte der gerichtlichen Kosten sowie mit ihren eigenen außergerichtlichen Kosten zu belasten.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 81 FamFG. Eine Wertfestsetzung ist entbehrlich (Nr. 1910 ff. KV FamGKG).

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht, § 70 Abs. 2 FamFG.