Gericht | OLG Brandenburg 12. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 10.01.2023 | |
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Aktenzeichen | 12 U 111/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:0110.12U111.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Antrag des Klägers, das Verfahren nach § 148 ZPO analog bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 und bis zur Entscheidung des BGH im Verfahren VIa ZR 335/21 auszusetzen, wird zurückgewiesen.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 17.05.2022 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az. 12 O 149/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
1.1 Hierzu besteht für den Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten „Dieselskandal“ geltend.
Er erwarb am 07.04.2018 bei der S. GmbH in B. einen gebrauchten Pkw des Typs Seat Alhambra zu einem Kaufpreis von 30.990,00 € brutto. Das Fahrzeug wies bei Übergabe eine Laufleistung von 19.000 km auf und ist mit einem von der Beklagten hergestellten Motor des Typs EA 288 (Abgasnorm Euro 6) ausgestattet. Der Kläger hat behauptet, in dem Motor seien mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen manipulierten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB zu. Soweit in dem Fahrzeug ein „Thermofenster“ zur Anwendung komme, könne dahinstehen, ob es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Insoweit fehle es jedenfalls an der für eine Haftung nach § 826 BGB notwendigen Sittenwidrigkeit und einem Schädigungsvorsatz. Zwar habe der Kläger die Verwendung einer entsprechenden „Umschaltlogik“ bzw. einer Zykluserkennung wie bei dem Motor EA 189 behauptet. Diese Behauptungen sehe die Kammer durch die Untersuchungen des KBA als widerlegt an. Unabhängig davon könne selbst dann, wenn sich die Einschätzung des KBA als rechtlich fehlerhaft erwiesen, kein haftungsbegründendes Verhalten der Beklagten angenommen werden. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit scheide ebenso wie die Annahme eines vorsätzlichen Handelns aus, soweit sich eine Tathandlung im Einzelfall als rechtlich vertretbar erweise. Komme die maßgebliche Fachbehörde im Rahmen einer komplexen Überprüfung zu der Überzeugung, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen zum Einsatz kämen, könne nicht zulasten des betroffenen Fahrzeugherstellers von einem sittenwidrigen oder vorsätzlichen Handeln ausgegangen werden. Dafür, dass sich das Verhalten der Fachbehörde als rechtswidrig darstelle, bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Insbesondere seien keine konkreten Anhaltspunkte erkennbar, dass die Beklagte in dem maßgeblichen EG-Typgenehmigungsverfahren unter bewusstem Einsatz von Täuschungen gehandelt habe. Dass im Übrigen Systeme der Abgasrückführung und -nachbehandlung eingebaut seien, bei denen der Stickstoffoxidausstoß im Realbetrieb von dem im Prüfstand abweiche, lasse nicht beweissicher auf eine Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten schließen. Ansprüche aus § 831 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bestünden ebenfalls nicht. Auch Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV kämen nicht in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Der Kläger hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 23.05.2022 zugestellte Urteil mit einem am 23.06.2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und sein Rechtsmittel – nach auf rechtzeitigen Antrag verlängerter Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.08.2022 - mit einem an diesem Tage eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Kläger verfolgt sein Begehren in der Berufung in vollem Umfang unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens weiter. Ansatzpunkt des Verfahrens sei nicht das „Thermofenster“, sondern die Zykluserkennung mit Auswirkungen auf das Abgasverhalten. Das Landgericht habe die Substantiierungsanforderungen überspannt. Er könne mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Konzeption und die genaue Funktionsweise des Motors keine ingenieurgleichen Kenntnisse der konkreten Wirkung von der Abschalteinrichtung haben. Er habe greifbare Umstände angeführt, die den Verdacht begründeten, dass sein Fahrzeug eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen aufweise. So habe er konkret vorgetragen, dass das Fahrzeug aufgrund einer Weg-Zeit-Sensierung erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem behördlichen Prüfstand des NEFZ oder im realen Straßenverkehr befinde. Abhängig davon arbeite das Emissionskontrollsystem mit der Folge, dass die gesetzlichen Vorgaben lediglich auf dem Prüfstand erreicht würden bzw. die Emissionswerte geschönt würden. Greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung lägen nicht erst dann vor, wenn das KBA auch bezüglich des betroffenen Fahrzeugtyps eine Rückrufaktion angeordnet habe. Zudem ermittele das KBA nicht selbstständig das Vorhandensein von Abschalteinrichtungen, sondern lege bei dessen Prüfung die Angaben der Hersteller zugrunde. Die Beurteilung, ob eine Abschalteinrichtung zulässig sei, sei darüber hinaus eine Rechtsfrage. Das KBA habe technisch keinerlei Möglichkeiten, die Software zu überprüfen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung Bezug genommen.
Der Kläger kündigt an zu beantragen,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.152,02 € zuzüglich Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Seat Alhambra mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ...;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet;
3. die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 1.501,19 € freizustellen.
Darüber hinaus beantragt der Kläger,
das Verfahren nach § 148 Abs. 1 ZPO analog bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 bzw. bis zur Entscheidung des BGH im Verfahren BGH VIa ZR 335/21 auszusetzen.
Die Beklagte kündigt an zu beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unzulässig, weil die Berufungsbegründungsschrift entgegen § 520 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO keinen einlassungsfähigen Inhalt habe. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil unter Hinweis auf Rechtsprechung von Oberlandesgerichten sowie des Bundesgerichtshofs in Parallelfällen.
II.
A.
Eine Aussetzung nach § 148 ZPO in analoger Anwendung im Hinblick auf das Vorlageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zum Aktenzeichen C-100/21 sowie die dortigen Schlussanträge des Generalanwalts beim Gerichtshof der Europäischen Union vom 02.06.2022 zu dem Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022, C-100/21, Celex-Nr. 62021CC0100, juris) hält der Senat in Ausübung seines richterlichen Ermessens nicht für angebracht.
Soweit der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 vorschlägt, auf die erste und zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 dahin auszulegen seien, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, führt dies nicht zu einer Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
Die Richtlinie 2007/46 selbst kann schon kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sein, da sie an die Mitgliedstaaten gerichtet ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 10.08.2022 - 5 U 818/22, juris).
Soweit der Generalanwalt betont, das Interesse des individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, sei aus europarechtlichen Erwägungen schutzbedürftig (vgl. Rn. 50, juris), entspricht dies der Rechtsprechung des BGH. Gleiches gilt für das Erfordernis, die seitens der Käufer gegen den Hersteller bei schuldhaftem Agieren bestehenden Ansprüche mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen auszugestalten (Rn. 53-55, juris). Soweit vom dort vorlegenden Gericht nach den Ausführungen des Generalanwalts (Rn. 58, juris) angedeutet wird, die Haftung nach § 826 BGB lasse eine Herstellerhaftung gleichsam nicht zu und stelle keinen Anreiz dar, die europarechtlichen Vorgaben zu beachten, widerspricht diese Annahme der aktuellen Rechtsprechung des BGH zur Herstellerhaftung bei der unzulässigen Ausgestaltung von Abgassteuerungen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verschuldensunabhängig ausgestaltete Mängelgewährleistungsansprüche des Erwerbers gegen den Verkäufer eines solchen Fahrzeugs begründen kann, die auch dann, wenn der Verkäufer nicht mit dem Hersteller identisch ist, über die Regresshaftung wirtschaftlich den Hersteller treffen (vgl. KG, Beschluss vom 28.07.2022 - 4 U 1/22, juris Rn. 108). Schließlich sind auch die nach deutschem Recht vorgesehenen Strafen und Bußgelder z.B. nach § 37 Abs. 1 EG-FGV und die hoheitlichen Befugnisse der Aufsichtsbehörden in Rechnung zu stellen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2022 - 24 U 115/22, juris Rn. 96ff.). Aus diesem Grunde sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den in Rede stehenden Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und bereits an die fahrlässige Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022 - VII ZR 438/21 -, Rn. 3, juris). Es bedarf daher in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze i.S. des § 823 Abs. 2 BGB (vgl. OLG München, Beschluss vom 25.07.2022 - 24 U 2890/22, juris).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Pressemitteilung des BGH vom 01.07.2022. Dieser lässt sich nicht entnehmen, dass der BGH seine bisherige Rechtsprechung zu der fehlenden drittschützenden Wirkung der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV aufgeben will. Aus der Pressemitteilung folgt daher weder eine Pflicht zur Aussetzung noch zum faktischen Abwarten. Ebenso ändert sich hierdurch nichts an der „acte-clair“-Rechtsprechung des BGH.
B.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gem. §§ 517 ff. ZPO eingelegt worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt die Berufungsbegründung auch noch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO. Auch wenn die Berufungsbegründung in großen Teilen wortwörtlich mit Berufungsbegründungen in anderen beim Senat anhängigen Fällen, in denen die Klagepartei ebenfalls von den klägerischen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, übereinstimmt, lässt sich ihr noch hinreichend deutlich entnehmen, aus welchen Gründen der Kläger das landgerichtliche Urteil für fehlerhaft hält, indem er geltend macht, sein Vorbringen zum Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen sei hinreichend substantiiert, weshalb das Landgericht fehlerhaft von einer Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten abgesehen habe.
Die Berufung ist jedoch nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffenden Gründen, auf die Bezug genommen wird, abgewiesen. Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1.
Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich nicht aus den §§ 826, 31 BGB.
a) Voraussetzung dieses Anspruchs ist ein sittenwidriges Handeln der Beklagten. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 –, Rn. 15, juris).
Danach kann zwar die heimliche Verwendung einer als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizierenden Software (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 a.a.O. juris Rn. 17; Beschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17, juris Rn. 6 ff.) sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB sein und daher Ansprüche des gutgläubigen Käufers wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung rechtfertigen. Denn es steht einer bewussten arglistigen Täuschung des Käufers gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes zu erschleichen und die derart betroffenen Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer hinsichtlich des uneingeschränkten Fortbestands der Typgenehmigung gezielt ausnutzt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 a.a.O., juris Rn. 25).
b) Im Streitfall hat der Kläger jedoch nicht substantiiert vorgetragen, dass sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, vergleichbar mit der im Motor EA 189 verbauten Prüfstandserkennung, versehen war, und die Beklagte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) arglistig über das Vorhandensein einer solchen Abschalteinrichtung getäuscht hat. Dabei geht der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes davon aus, dass eine Behauptung erst dann unbeachtlich ist, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können. Vom Kläger kann insbesondere nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, weshalb er vom Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgeht und wie diese konkret funktionieren. Vielmehr ist von ihm nur zu fordern, dass er greifbare Umstände anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf (BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 –, Rn. 8ff, juris). Solche Umstände wie in dem der Entscheidung des BGH zugrunde liegenden Fall, etwa dass sein Fahrzeug von einer Rückrufaktion betroffen war oder die Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen die Beklagte hinsichtlich des Motorentyps EA 288, hat der Kläger im Streitfall nicht vorgetragen.
aa) Der Umstand, dass die Beklagte im Motortyp EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung nebst Prüfstanderkennung ("Umschaltlogik") verwendet hat, stellt noch keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür dar, dass dies auch beim Motortyp EA 288 der Fall gewesen ist (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 04.12.2020 – 9a U 2074/19, juris Rn. 30; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2021, 16a U 196/19, juris Rn. 54; OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2021, I-13 U 434/20, juris Rn. 73; OLG Schleswig, Urteil vom 11.01.2022 – 7 U 84/21, juris Rn. 37).
bb) Die Überschreitung der zulässigen Grenzwerte für den Stickoxidausstoß im Straßenbetrieb bei Einhaltung der Grenzwerte im Prüfstandsbetrieb ist als solche ebenfalls nicht geeignet, den Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zu ziehen (vgl. OLG Stuttgart a.a.O., juris Rn. 59 ff.; OLG Frankfurt, Urteil vom 07.10.2020, 4 U 171/18, juris Rn. 44; OLG Hamm, a.a.O., juris Rn. 75; OLG Schleswig a.a.O., juris Rn. 38). Denn für Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6 ist allein der NEFZ-Prüfzyklus maßgeblich, der viele reale Bedingungen im Straßenverkehr (u.a. Drehzahl, Beladung, Außentemperatur, Höhenunterschiede) nicht abbildet. Dieser Umstand ist im Übrigen auch dem KBA bekannt, ohne dass es allein deshalb zu Rückrufen oder gar Fahrzeugstillegungen gekommen ist.
cc) Soweit sich der Kläger offenbar auf eine manipulierte Abgasnachbehandlung durch Verwendung einer Fahrkurvenerkennung (auch als Zykluserkennung bezeichnet) stützen will, stellt eine solche Fahrkurvenerkennung nicht per se eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, sondern nur dann, wenn sie dazu benutzt wird, um die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu verändern, dass deren Wirksamkeit im normalen Fahrbetrieb verringert wird (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 26.08.2021 - 22 U 105/20, juris Rn. 80; OLG Oldenburg, Urteil vom 19.03.2021 – 6 U 328/20, juris Rn. 61; OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2021 – 16a U 202/19, juris Rn. 56; OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.01.2022 – 2 U 61/21, juris Rn. 37; OLG Schleswig, Urteil vom 21.01.2022 - 1 U 37/21, juris Rn. 45). Selbst wenn man jedoch unterstellt, dass eine solche Fahrkurvenerkennung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren wäre, kann allein daraus ein objektiv sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht abgeleitet werden. Der darin liegende Gesetzesverstoß wäre für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz emissionsbeeinflussender Einrichtungen im Verhältnis zum Kläger als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierzu bedürfte es weiterer Umstände. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2022 - VIa ZR 334/21, Rn. 19 m.w.N.).
Greifbare Anhaltspunkte für ein derartiges Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat substantiiert unter Vorlage entsprechender Stellungnahmen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) in anderen Verfahren vorgetragen, dass unabhängig von einer Fahrkurvenerkennung die gesetzlich vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerte eingehalten werden und nach den vom KBA vorgenommenen Untersuchungen eines vergleichbaren Fahrzeugtyps mit dem Motor EA 288 die Fahrkurvenerkennung keinen Einfluss auf das Emissionsverhalten hat und deshalb eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorliegt. Die Fahrkurvenerkennung wird danach zur Umschaltung der Betriebsmodi der Abgasrückführung im Rahmen der Typprüfung genutzt, wobei eine Verringerung der Raten der Abgasrückführung durch die Abgasnachbehandlung kompensiert werden kann. Zugleich hat die Beklagte dargelegt, dass sie die Fahrkurvenerkennung gegenüber dem KBA bereits im Oktober 2015 und mit dem Schreiben vom 29.12.2015 offengelegt hat, sodass von einer arglistigen Täuschung des KBA und einem vorsätzlich sittenwidrigen Verhalten der Beklagten keine Rede sein kann (vgl. OLG München, Urteil vom 15.06.2021 – 9 U 5466/20, Rn. 36 ff., juris; OLG Köln, Urteil vom 30.06.2021 – 5 U 254/19, Rn. 38 juris; zum Ganzen auch OLG Schleswig, Urteil vom 11. Januar 2022 – 7 U 84/21; OLG Saarbrücken a.a.O.; OLG Naumburg, Urteil vom 17. Dezember 2021 – 8 U 11/21, juris). Dass die Fahrkurvenerkennung evident unzulässig wäre, woraus womöglich ohne weiteres der Schluss auf ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen gezogen werden könnte, ist nicht erkennbar (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2022 a.a.O. Rn. 22).
Konkrete Umstände, die dafür sprechen könnten, dass das KBA bei seinen Prüfungen nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, ergeben sich aus dem Klägervorbringen nicht. Es erscheint zudem fernliegend, dass das KBA im Rahmen der durchgeführten Überprüfungen die vom Kläger gerügten Abschalteinrichtungen übersehen und deshalb im Rahmen seiner Beurteilung unberücksichtigt gelassen haben könnte, obwohl es dabei Kenntnis von der auf seine Täuschung ausgerichteten Vorgehensweise der Beklagten im Zusammenhang mit dem Motor EA 189 hatte und es deshalb naheliegt, dass es bei der Untersuchung der nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals überprüften Fahrzeuge mit einem Motor des Typs EA 288 besondere Gründlichkeit walten ließ (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.01.2022 a.a.O. Rn. 25). Zudem hatte das KBA – wie der Kläger mit den vorgelegten Auszügen aus der Applikationsrichtlinie und den Unterlagen der Deutschen Umwelthilfe selbst vorträgt – Kenntnis von den beeinflussenden Faktoren und sieht „jeden Einfluss als relevant an“.
Auch kann ein Schädigungsvorsatz der Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch den Kläger am 07.04.2018 nicht festgestellt werden.
Da für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln ist, ist nicht allein auf den Zeitpunkt des Zulassungsverfahrens für das streitgegenständliche Fahrzeug abzustellen, sondern der Beurteilung ist das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten (hier Abschluss des Kaufvertrags im April 2018) zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn - wie hier - die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat (BGH, Urteile vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20 und 25.05.2020 - VI ZR 252/19).
Unter Berücksichtigung der Ausführungen und Erwägungen des Bundesgerichtshofs in den vorgenannten Entscheidungen, denen der Senat folgt, kann das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der Verwendung der Fahrkurvenerkennung bei der gebotenen Gesamtbetrachtung bei dem hier streitgegenständlichen Erwerb eines Fahrzeugs mit einem Motor des Typs EA 288 (EU 6) im April 2018 nicht (mehr) als besonders verwerflich im Sinne des § 826 BGB angesehen werden (OLG Hamm, Urt. vom 14.12.2021 - I-19 U 232/20; OLG Dresden, Urteil vom 16.08.2022 - 17 U 574/22, juris Rn. 35). Nachdem die Beklagte das KBA bereits im Jahr 2015 über die von ihr bei dem Motor EA 288 eingesetzte Fahrkurvenerkennung informiert hatte und das KBA daraufhin nach den von ihr durchgeführten Untersuchungen die Fahrkurvenerkennung nicht als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft hat, kann ein (auch nur bedingter) Schädigungsvorsatz der Beklagten im Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs durch den Kläger nicht festgestellt werden, da mit einer Betriebsuntersagung nicht zu rechnen war (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.04.2022 - 8 U 235/21). In dem für die Beurteilung des Verhaltens der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des Pkws im April 2018 ist damit das Verhalten der Beklagten auch unter diesem Gesichtspunkt nicht (mehr) als besonders verwerflich und damit auch nicht (mehr) als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB anzusehen.
dd) Aus dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (sogenanntes „Thermofenster“) folgt ebenfalls kein Anspruch aus § 826 BGB. Der Kläger verfolgt diesen Gesichtspunkt mit der Berufung offensichtlich nicht weiter, indem er ausführt, Hauptansatzpunkt sei nicht das „Thermofenster“, sondern die Zykluserkennung.
Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers unstreitig durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei geringeren Außentemperaturen reduziert (und möglicherweise ganz abgeschaltet) wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Der darin liegende Gesetzesverstoß wäre auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinnen erstrebt hat, für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände. Bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 25.11.2021 - III ZR 202/20, Rn. 14; BGH, Urteil vom 23.11.2021 - III ZR 200/21, WM 2021, 2153 Rn. 21 ff; BGH, Urteile vom 13.07.2021 - VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 Rn. 13 und vom 16.09.2021 - VII ZR 190/20, WM 2021, 2108 Rn. 16; Beschlüsse vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19 und vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 28).
Dafür fehlen vorliegend greifbare Anhaltspunkte. Entgegen der Auffassung des Klägers genügt es nicht, lediglich zu behaupten, die Beklagte habe die entsprechende Software bewusst in die Motorsteuerung eingebaut, um die Typgenehmigung zu Unrecht zu erhalten; sie habe gewusst, dass die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht erfüllt gewesen seien. Sie habe das KBA - auch durch Nichtangabe der näheren Parameter der Abgasrückführung - über das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht. Aus dem Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission "Volkswagen" vom April 2016 ergibt sich, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet wurden. Begründet wurde dies mit dem Erfordernis des Motorschutzes, wobei diese Frage vor allem die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007 betraf. Dementsprechend haben sowohl das KBA als auch das zuständige Fachministerium den Einsatz eines Thermofensters, bei dem die Hersteller die Abgasreinigung temperaturabhängig zurückfahren, jedenfalls dann nicht grundsätzlich in Frage gestellt, wenn die Einrichtung notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 a.a.O. Rn. 31). Im Hinblick auf diese nicht eindeutige Rechtslage können allein aus dem Einsatz eines Thermofensters keine Anhaltspunkte dafür hergeleitet werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen dies als illegal angesehen und gebilligt haben. Eine möglicherweise fahrlässige Verkennung der Rechtslage durch die Beklagte genügt jedenfalls für die Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit ihres Verhaltens nicht. Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters ("nähere AGR-Parameter") gegenüber dem KBA folgen entgegen der Auffassung der Berufung keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein agierten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn dem KBA war die Verwendung von Thermofenstern bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz bekannt. Es war deshalb zu einer Überprüfung des Emissionsverhaltens des Fahrzeugs - gegebenenfalls nach weiteren Rückfragen beim Hersteller - ohne weiteres in der Lage (vgl. BGH a.a.O Rn. 26). Nach alledem fehlen im vorliegenden Fall greifbare Anhaltspunkte für eine bewusste Täuschung des KBA (vgl. BGH, Beschluss vom 25.11.2021 a.a.O. Rn. 15).
Der Einsatz von „Thermofenstern“ wird auch heute nicht generell als rechtswidrig angesehen. Vielmehr befindet sich die Beurteilung in der Entwicklung und ist zudem bereits tatbestandlich von verschiedenen Fragen abhängig. Dagegen, dass die Beklagte im Zusammenhang mit der Entwicklung des in seiner Wirkungsweise dargelegten „Thermofensters“ aufgrund der vom Kläger behaupteten und für einen Vorwurf der Sittenwidrigkeit erforderlichen Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes in dem Bewusstsein, möglicherweise einen Gesetzesverstoß zu begehen, gehandelt habe und dies zumindest billigend in Kauf genommen haben könnte, spricht zudem die Einschätzung des KBA im Untersuchungsbericht. Das KBA hat bis heute den bekannten Sachverhalt nicht zum Anlass für einen Rückruf genommen. Der Beklagten kann nicht zum Vorwurf gereichen, die Vorschriften rechtlich ebenso zu bewerten wie das KBA. Jedenfalls aber steht dies dem Schluss auf ein sittenwidriges Handeln der Beklagten entgegen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2021 – 16a U 202/19 –, Rn. 70; OLG München, Urteil vom 14.04.2021 – 15 U 3584/20 –, Rn. 71, juris). An dieser Einschätzung ändert auch das zwischenzeitlich ergangene Urteil des EuGH vom 17.12.2020 in der Rechtssache C-693/18 nichts. Selbst wenn man die Ausführungen des EuGH auf den Sachverhalt betreffend das „Thermofenster“ überträgt, folgt daraus nicht, dass die seinerzeitige Auffassung der Beklagten betreffend die Zulässigkeit, die für die Beurteilung des Verhaltens als besonders verwerflich maßgebend ist, offensichtlich unvertretbar war.
ee) Ein Anspruch besteht auch nicht wegen eines fehlerhaft programmierten OBD-Systems. Das OBD-System kann schon per definitionem keine Abschalteinrichtung sein, da es nicht auf das Abgasreinigungssystem einwirkt, sondern lediglich Fehlfunktionen anzeigen soll. Es kann daher offenbleiben, ob das System falsch programmiert worden ist, da weder eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, noch die Voraussetzungen eines deliktischen Anspruchs gegeben sind (OLG Schleswig, Urteil vom 11.01.2022 a.a.O. Rn. 55). Die vom Kläger in erster Instanz erfolgte Behauptung einer Manipulation des OBD-Systems wird mit der Berufung ersichtlich auch nicht weiter aufrechterhalten.
ff) Schließlich vermag auch der Vortrag des Klägers zur Abgasreinigung mittels SCR-Katalysator einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht schlüssig zu begründen. Nach dem Vortrag der Beklagten verfügt der im streitgegenständlichen Fahrzeug vorhandene SCR-Katalysator nicht über eine unterschiedliche Steuerung, je nachdem ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Straßenbetrieb befindet, um Emissionsgrenzwerte einzuhalten. Auch die Abgasminderungssysteme (AGR und SCR-Katalysator) werden danach im streitgegenständlichen Fahrzeug sowohl im Straßenbetrieb als auch auf dem Prüfstand gleich gesteuert. Diese Sichtweise wird wiederum durch die Einschätzung des KBA als zuständiger Typgenehmigungsbehörde und den Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ aus April 2016 bestätigt. Dafür, dass zusätzlich zur Temperaturabhängigkeit beim streitgegenständlichen Fahrzeug eine Steuerung der Abgasrückführung vorliegt, die unzulässigerweise danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor (vgl. OLG München, Beschluss vom 01.03.2021, 8 U 4122/20, juris).
c) Ein Schadensersatzanspruch des Klägers scheitert letztlich auch daran, dass nicht ersichtlich ist, dass er überhaupt einen Schaden erlitten hat. Der Kläger macht als Schaden die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit geltend. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt jedoch voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O. Rn. 46). Der BGH hat betreffend Fahrzeuge mit EA 189-Motoren, bei denen eine unzulässige Abschalteinrichtung vorlag, einen Schaden deshalb bejaht, weil das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Geschädigten nicht voll brauchbar war, weil die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung bestand und deshalb ein vernünftig handelnder Käufer von dem Erwerb des Fahrzeuges abgesehen hätte. Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohte zu keinem Zeitpunkt, denn das KBA hatte zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeuges durch den Kläger umfangreiche Untersuchungen betreffend den EA 288-Motor durchgeführt und war zu dem Ergebnis gekommen, dass unzulässige Abschalteinrichtungen nicht vorliegen, und hat deshalb keinen Rückruf angeordnet. Der Kläger hat das Fahrzeug auch bis heute uneingeschränkt nutzen können. Es ist auch nicht ansatzweise erkennbar, dass ein Rückruf oder eine Betriebsuntersagung in naher Zukunft unmittelbar bevorstehen könnten. Nachdem mittlerweile mehr als 6 Jahre vergangen sind, ohne dass die Gefahr des Entzugs der Betriebserlaubnis für das streitgegenständliche Fahrzeug substantiell im Raum stehen würde, ist für den Senat nicht erkennbar, aus welchen Gründen das Fahrzeug für den Kläger für den bestimmungsgemäßen Gebrauch untauglich sein und auf dieser Grundlage ein Schaden vorhanden sein soll (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 20.06.2022 – 3 U 51/22, juris Rn. 17).
Insoweit kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf den Beschluss des BGH vom 28.01.2020 (a.a.O.) stützen, wonach greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschalteinrichtungen nicht erst nach Anordnung eines Rückrufs vorlägen, denn damit war lediglich der Fall gemeint, dass das KBA den betreffenden Motor noch nicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen untersucht hatte, nicht aber der vorliegende umgekehrte Fall, dass bei diesbezüglichen Untersuchungen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden sind (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 14.05.2021 - 6 U 310/20, juris Rn. 74). Auf den lediglich wegen einer Konformitätsabweichung erfolgten Rückruf von Modellen des Typs T6 kann sich der Kläger in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg berufen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 01.06.2021 - 34 U 81/20, juris Rn. 62ff.; Thüringer OLG, Urteil vom 23.08.2022 - 7 U 771/21, juris Rn. 64).
2.
Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bestehen ebenfalls nicht. Abgesehen davon, dass eine Täuschungshandlung der Beklagten nicht vorliegt, fehlt es an der erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 a.a.O. Rn. 19 ff.).
3.
Ebenso wenig bestehen Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, da es sich bei den genannten Normen nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 a.a.O. Rn. 76; Urteil vom 30.07.2020 a.a.O. Rn. 11ff.; Beschluss vom 04.05.2022 - VII ZR 656/21). Die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 führen zu keiner anderen Bewertung. Insoweit wird auf die Ausführungen unter A. verwiesen.
Selbst wenn man jedoch einen Charakter der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB bejahen würde, führt dies im Streitfall nicht zu einer Haftung der Beklagten. Unabhängig davon, ob unter den konkreten Umständen ein fahrlässiges Handeln der verantwortlichen Vertreter der Beklagten gem. § 276 Abs. 2 BGB zu bejahen wäre, was zweifelhaft erscheint, wenn das KBA als zuständige Typgenehmigungsbehörde nach eigener gründlicher Prüfung von der Zulässigkeit sowohl des „Thermofensters“ als auch der Fahrkurvenerkennung ausgeht und der Beklagten keine andere Einschätzung abverlangt werden kann (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 20.06.2022 a.a.O. Rn. 15), fehlt es jedenfalls - wie vorstehend unter 1 c) ausgeführt - an einem Schaden. Das Fahrzeug des Klägers ist zugelassen und verfügt über eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung, die es ihm erlaubt, das Fahrzeug innerhalb der EU zuzulassen und zu veräußern. Es ist nicht ersichtlich, dass insoweit eine Änderung zu erwarten wäre (vgl. Thüringer OLG, Urteil vom 23.08.2022 a.a.O., juris Rn. 77).
4.
Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen oder Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Ebenso ist der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzuges unbegründet.
III.
Die Rechtssache weist auch weder grundsätzliche Bedeutung auf, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten.
Der Vorgehensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO stehen auch nicht die vom Kläger angeführten Entscheidungen des OLG Köln vom 10.03.2022 im Verfahren 24 U 112/21 und des OLG Naumburg vom 09.04.2021 im Verfahren 8 U 68/20, die eine Haftung der Beklagten für den Motor EA 288 bejaht haben, entgegen. Die Entscheidung des OLG Köln erging zu einem Erwerb im April 2015. Das OLG Naumburg hat seine Auffassung mittlerweile ausdrücklich aufgegeben (vgl. OLG Naumburg, Urteile vom 10.12.2021 - 8 U 64/21; vom 16.12.2021 - 8 U 36/21; vom 17.12.2021 - 8 U 1/21, 8 U 11/21, 8 U 54/21 und 8 U 58/21, jeweils bei juris). Im Übrigen rechtfertigt allein die abweichende Würdigung des Sachverhalts keine Revisionszulassung (vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2021 - VII ZR 99/21, juris Rn. 28).
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).