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Entscheidung OVG 5 NC 17/22


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat Entscheidungsdatum 27.02.2023
Aktenzeichen OVG 5 NC 17/22 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0227.OVG5NC17.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 123 Abs 1 VwGO, Art 12 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 StVG, § 10 Abs 5b HSchulG BE, § 15 Abs 1 S 1 HebG, § 1 Abs 2 S 1 KapVO BE, § 41 ÄApprO, § 146 VwGO, Art 6 Abs 2 S 2 StVG, Abs 3 S 6 StVG, § 1a KapVO BE, § 14 Abs 2 KapVO BE, § 20 Anl 2b Ziff Ia KapVO BE, § 20 Ziff III Nr 2 KapVO BE

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. November 2022 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragsgegnerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich im Wege der einstweiligen Anordnung ihre vorläufige Zulassung zum Studium im Studiengang Angewandte Hebammenwissenschaft (Bachelor of Science) im ersten Fachsemester an der Antragsgegnerin außerhalb der durch die festgesetzte Zulassungszahl bestimmten Ausbildungskapazität vom WS 2022/23 an begehrt.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat dem Antrag stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass es für die Berücksichtigung der Veranstaltungsarten Skills Training - ST - und Hochschulische Praxisbegleitung - HPB - an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage fehle. Anlage 2, Ziffer III, Nr. 2 KapVO enthalte eine (verbindliche) Festlegung der Veranstaltungsarten (k) nebst den dazugehörigen Anrechnungsfaktoren (f), Betreuungsrelationen (g) und Betreuungsfaktoren (b). Getrennt in die Lehrveranstaltungstypen A bis G seien dort 23 unterschiedliche Veranstaltungsarten aufgeführt, nicht aber die von der Antragsgegnerin bei der Kapazitätsberechnung berücksichtigten Arten ST und HPB. Diese Lehrveranstaltungsarten seien (lediglich) in der von der Antragsgegnerin selbst erlassenen Studienordnung für den Bachelorstudiengang Angewandte Hebammenwissenschaft vom 18. Juni 2021 - StudO - enthalten. Dort sehe § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nrn. 4 und 5 vor, dass unter anderem ST und HPB als Lehrveranstaltungen in den Präsenzphasen von der Antragsgegnerin angeboten würden. Hiervon ausgehend habe die Antragsgegnerin bei ihrer Kapazitätsberechnung zahlreiche Lehrveranstaltungen als ST berücksichtigt und dabei einen ausbildungsintensiven Anrechnungsfaktor (f = 0,5) und kleine Gruppengröße (g = 10) zu Grunde gelegt. Dies führe bei allen in den Kapazitätsunterlagen der Antragsgegnerin als ST gekennzeichneten Modulen (H01, H02, H03, H05, H06, H07, H09, H10, H11, H13, H14, H17, H18 und H21) zu einem vergleichsweise hohen Curriculareigenanteil - CA -. Vergleichbares gelte für die von der Antragsgegnerin bei der Kapazitätsermittlung angerechneten Veranstaltungen HPB (Module HPM2, HPM5 und HPM7) mit einem ebenfalls ausbildungsintensiven Anrechnungsfaktor (f = 0,3) und einer besonders kapazitätsbegrenzenden Gruppengröße (g = 1). Diese Regelungen in der StudO der Antragsgegnerin ließen sich nicht mit den insoweit vorrangigen Vorgaben in der KapVO vereinbaren, in der weder ST noch HPB als Veranstaltungsart aufgeführt seien.

Es handele sich insoweit auch nicht um eine abweichende Festsetzung von Zulassungszahlen i. S. des Art. 6 Abs. 2 StV i. V. m. § 20 KapVO, da es hierfür bereits an Regelungen fehle, die einen Erprobungs- oder Modellcharakter des Studienganges Angewandte Hebammenwissenschaft an der Antragsgegnerin vorsähen (vgl. zum Modellstudiengang Medizin an der Antragsgegnerin bspw. § 1a KapVO). Darüber hinaus seien vorliegend nicht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 StV i. V. m. § 20 KapVO (bewusst) Zulassungszahlen abweichend von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 StV festgesetzt worden, sondern die den Zulassungszahlen zugrunde liegende Kapazitätsberechnung sei fehlerhaft erfolgt, weil sie nicht auf den in der KapVO vorgesehenen Veranstaltungsarten beruhe.

Der Verordnungsgeber habe die Anrechnungsfaktoren und die Gruppengröße für die Veranstaltungen ST und HPB auch nicht quasi „mitnormiert“, ohne sie in der Anlage 2 zur KapVO gesondert aufzuführen, indem er diese im Rahmen der vorläufigen Berechnung des CA vor der Festsetzung des Curricularnormwertes - CNW - zur Kenntnis genommen habe. Für eine solche „Mitnormierung“ gebe es keine Anhaltspunkte. Wenn der Verordnungsgeber über die in der KapVO bereits vorhandenen 23 verschiedenen Veranstaltungsarten weitere Arten hätte normieren wollen, so hätte er diese - wie auch sonst in der Vergangenheit - in die Anlage 2 aufnehmen können und müssen. Dies habe der Verordnungsgeber jedoch nicht getan, auch nicht, als er kürzlich andere Regelungen in der Anlage 2 zur KapVO durch Gesetz vom 16. September 2022 geändert habe.

Nichts anderes folge aus dem Hinweis der Antragsgegnerin aus dem vergangenen Wintersemester 2021/2022 auf andere, in der Anlage 2 zur KapVO aufgeführte Veranstaltungsarten mit ähnlichen Gruppengrößen und Betreuungsrelationen, wie die Veranstaltung k10 (Praxisübung in Klinischer Psychologie) und k17 (Kleingruppenprojekt, betreutes externes Praktikum). Es sei schon nicht erkennbar, warum diese Veranstaltungsarten inhaltlich näher an den oben beschriebenen Arten ST und HPB liegen sollten als andere Veranstaltungsarten, bei deren Berücksichtigung anstelle der Veranstaltungen ST und HPB bei ansonsten unveränderter Kapazitätsberechnung bereits eine Jahreskapazität von gerundet 76 Studienplätzen vorhanden wäre. Es könne im Ergebnis dahinstehen, welche der bereits in der KapVO enthaltenen Veranstaltungsarten den von der Antragsgegnerin in ihrer StudO geschaffenen Veranstaltungen ST und HPB am ähnlichsten seien. In studienplatzbezogenen Eilverfahren seien die Verwaltungsgerichte nicht befugt, fehlende, nicht in der KapVO festgesetzte Veranstaltungsarten durch eigene Berechnungen des Lehraufwands zu ersetzen.

Da es vorliegend hinsichtlich der Veranstaltungsarten ST und HPB an wirksamen kapazitätsbegrenzenden Normen des zu solchen Regelungen allein berufenen Gesetz- bzw. Verordnungsgebers fehle, finde die Aufnahmefähigkeit der Antragsgegnerin ihre Grenze (erst) an ihrer Funktionsunfähigkeit. Zu der Frage, wie eine Funktionsunfähigkeit zu bestimmen sei, würden in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen vertreten. Zu der festgesetzten bzw. vergebenen Zahl der Studienplätze würden weitere Plätze im Bereich von 7,5 bis 15 Prozent addiert. Maßgeblich sei dabei stets, dass das Spannungsfeld aus verfassungs- und einfachrechtlich geschützten Rechten der Studienbewerber, der schon Studierenden, der Hochschulen und der an den Hochschulen Lehrenden zu berücksichtigen und in einen Ausgleich zu bringen sei. Hiervon ausgehend habe die Kammer in vergleichbaren Fällen zuletzt für die Bestimmung der Grenze, ab der die Funktionsfähigkeit der Antragsgegnerin hinsichtlich eines Studiengangs ernstlich gefährdet wäre, einen Wert von 10% bezogen auf die tatsächlichen Zulassungszahlen angesetzt. Von einem solchen Wert sei auch im vorliegenden Verfahren für den Bachelorstudiengang Angewandte Hebammenwissenschaft auszugehen. Für diesen seien 63 Studienplätze festgesetzt worden, so dass hiernach zumindest (6,3, gerundet also) 6 weitere Studienplätze vorhanden seien. Wenn man allerdings hiervon abweiche und die Funktionsfähigkeit nur bis zu einem Aufschlag von 7,5 % der festgesetzten Studienplätze annehme, so seien selbst dann noch (4,7, gerundet also) 5 weitere außerkapazitäre Studienplätze verfügbar, von denen die Antragstellerin einen Platz für sich beanspruchen könne. Danach seien vorliegend für alle (drei) der als Zweitstudienberberinnen um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchenden Antragstellerinnen noch Studienplätze außerhalb der festgesetzten Aufnahmekapazität vorhanden.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin fristgerecht Beschwerde eingelegt und begründet.

II.

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen der Antragsgegnerin befindet, hat keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist bei Zugrundelegung dieses Prüfungsumfangs nicht zu beanstanden.

1. Die Beschwerde rügt zunächst, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es gebe für eine „Mitnormierung“ der Gruppengrößen und Anrechnungsfaktoren keine Anhaltspunkte, könne nicht nachvollzogen werden. Der in Anlage 2 Teil B. I. a KapVO festgesetzte und auf zwei Nachkommastellen gekürzte Curricularnormwert (4,82) entspreche exakt der Summe der sich aus der Curricularanteilsberechnung der Antragsgegnerin ergebenen Summe der Curricularanteile (4,8217 Deputatstunden [DS]). In der Curricularanteilsberechnung - die der Festsetzung des Curricularnormwerts zugrunde gelegen habe - würden angesetzt:

- Skillstraining: f = 0,5; g = 10

- Hochschulische Praxisbegleitung: f = 0,3; g = 1

Jedenfalls habe die Antragsgegnerin den ihr normativ vorgegebenen Curricularnormwert durch die Gestaltung ihres Studienplans nicht überschritten. Die Curricularnormwerte seien keine beliebig veränderbaren Rechengrößen, sondern Normen, die durch die KapVO gesetzt würden. Ihre Festlegung beruhe auf einem Meinungs- und Entscheidungsbildungsprozess des Normgebers, der komplexe Elemente des Einschätzens und Abwägens, der Vorsorge und Vorausschau, des Kompromisses zwischen gegenläufigen Interessen, Auffassungen und Gewichtungen enthalte und daher nur einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliege. Soweit die Antragsgegnerin sich aber im Rahmen der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Bindung an den in der KapVO festgesetzten CNW halte, sei es rechtswidrig, ihr aufzuerlegen, Studienanfänger bis an die Grenze ihrer Funktionsfähigkeit aufzunehmen.

Mit diesem Vorbringen verkennt die Beschwerde, dass es für eine bewusste „Mitnormierung“ der streitgegenständlichen Veranstaltungen bzw. deren Anrechnungsfaktoren und der Gruppengröße keine Anhaltspunkte gibt. Zwar sind in der Studienordnung für den Bachelorstudiengang Angewandte Hebammenwissenschaften der Charité - Universitätsmedizin (Studienordnung B.Sc. Angewandte Hebammenwissenschaft) vom 18. Juni 2021 (Amtl. Mitteilungsblatt der Charité, Nr. 268, S. 2147), die der den genannten Studiengang erstmals erfassenden Verordnung zur Änderung der Kapazitätsverordnung vom 23. Juli 2021 (GVBl. Nr. 58, S. 901) vorausgegangen ist, die Lehrveranstaltungen Skills Training (ST) (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 4 StudO) und Hochschulische Praxisbegleitung (HPB) (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 5 StudO) genannt. In Kenntnis dessen und angesichts der Tatsache, dass diese Lehrveranstaltungen keiner der in der Kapazitätsverordnung vorgesehenen 23 Veranstaltungsarten entsprechen, hätte der Verordnungsgeber die Lehrveranstaltungen ST und HPB als Teil der durch Rechtsverordnung festzusetzenden Normwerte (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 6 des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008 - StV) jedoch ausdrücklich in die KapVO aufnehmen und die Anrechnungsfaktoren sowie die Gruppengröße festlegen müssen. Dass dies auch - trotz des Beschlusses des VG Berlin vom 21. Februar 2022 - VG 30 L 754/21 - sowie der schriftlichen Entscheidung des VG Berlin vom 3. Juni 2022 im entsprechenden Hauptsacheverfahren - VG 30 K 857/21 - in der 32. Verordnung zur Änderung der Kapazitätsverordnung vom 16. September 2022 (GVBl. Nr. 46, S. 543) nicht erfolgt ist, kann nicht als der Wille einer bewussten Mitregelung angesehen werden, eher als ein schlichtes Vergessen oder Übersehen. Insoweit verbieten sich jedoch Spekulationen über den Willen des Verordnungsgebers, der im Zweifel schon aus Gründen der Rechtssicherheit an den ausdrücklichen Regelungen festzuhalten ist. Dass die Antragsgegnerin ihre weiteren Veranstaltungen derart angepasst hat, dass der in der KapVO, Anlage 2, Teil B, Abschnitt I. a) - Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften, Gesundheitswissenschaften allgemein, Klinische Hebammenwissenschaften (Charité) - vorgegebene Curricularnormwert (4,82) erreicht wird, ändert nichts an der fehlenden, jedoch erforderlichen normativen Grundlage.

2. Die Beschwerde meint des Weiteren, das Verwaltungsgericht verkenne die Reichweite des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 StV. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 StV i. V. m. §§ 1 Abs. 2 Satz 1, 20 KapVO könnten Zulassungszahlen abweichend von den Bestimmungen des Zweiten und Dritten Abschnitts der KapVO festgesetzt werden, bei der Erprobung neuer Studiengänge und -methoden, bei der Neuordnung von Studiengängen und Fachbereichen und beim Aus- oder Aufbau der Hochschulen. Die Regelung des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 StV sehe mithin drei Fallkonstellationen für eine abweichende Kapazitätsberechnung vor. Modellstudiengänge i. S. d. § 41 ÄApprO bildeten mitnichten den einzigen Tatbestand, der eine abweichende Kapazitätsberechnung rechtfertige. Der im Wintersemester 2021/22 erstmals angebotene Bachelorstudiengang Angewandte Hebammenwissenschaft falle unter die Konstellation „Neuordnung von Studiengängen“. Es handele sich hierbei nicht nur um einen neu eingerichteten Studiengang. Vielmehr sei die Hebammenausbildung durch das Hebammenreformgesetz vom 22. November 2019 vollständig akademisiert worden. Inzwischen würden alle Hebammen akademisch im Rahmen von Regelstudiengängen ausgebildet. Das Studium sei als duales Studium ausgestaltet und weise einen weiterhin hohen Praxisanteil auf. Es existierten daher noch keinerlei Erfahrungen hinsichtlich der kapazitätsrechtlichen Besonderheiten dieses Studiengangs, die der Verordnungsgeber in seine Überlegungen zur Regelung der Kapazitätsberechnung hätte einbeziehen können. Aus kapazitätsrechtlicher Sicht rechtfertige sich die Anwendung der Innovationsklausel daher zum einen durch die neuen Lehrveranstaltungsarten „Skills Training“ und „Praxisbegleitung“, für die der Verordnungsgeber noch keine gesonderten Anrechnungsfaktoren und Gruppengrößen in Anlage 2 KapVO vorgesehen habe. Zum anderen rechtfertigten die Probleme des durch die Ausbildungsplätze bestehenden Engpasses die Anwendung der Innovationsklausel. Obwohl in § 14 Abs. 2 KapVO nicht als Verminderungstatbestand normiert, stelle in der Praxis der „Ausbildungsplatz“ bei der verantwortlichen Praxiseinrichtung einen kapazitätsbegrenzenden Engpass dar. Der Engpass resultiere aus den nicht vorhandenen Kapazitäten in den Kreißsälen und den fehlenden Praxisanleiterinnen. Gemäß § 11 Abs. 2 HebG bestehe das duale Studium aus einem berufspraktischen Studienteil und einem hochschulischen Studienteil. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 HebG übernehme eine Praxiseinrichtung die Verantwortung für die Durchführung des berufspraktischen Teils gegenüber der studierenden Person (verantwortliche Praxiseinrichtung). Sie schließe mit der studierenden Person für die Dauer des Studiums einen Vertrag (§ 15 Abs. 1 Satz 2 HebG). Verantwortliche Praxiseinrichtung könne nur ein Krankenhaus nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HebG sein (§ 15 Abs. 2 HebG). Gemäß § 27 Abs. 1 HebG sei zwischen dem Inhaber oder Träger der verantwortlichen Praxiseinrichtung und der studierenden Person ein Vertrag zur akademischen Hebammenausbildung zu schließen. Die Tatsache, dass § 14 Abs. 2 KapVO (noch) keinen entsprechenden Verminderungstatbestand vorsehe, rechtfertige gerade die Anwendung der Innovationsklausel. Dem Verordnungsgeber müsse eine gewisse Beobachtungszeit eingeräumt werden, bevor er entscheide, ob ein neuer Verminderungstatbestand in der KapVO normiert werden solle. Die vom Verwaltungsgericht verlangte „bewusste“ Festsetzung der Zulassungszahlen gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 StV i. V. m. § 20 KapVO abweichend von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 StV folge nicht aus dem Wortlaut dieser Normen und könne daher auch nicht gefordert werden.

Auch diese Argumentation vermag die verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht mit Erfolg zu erschüttern. Der Verordnungsgeber hat sowohl in der 31. als auch in der 32. Verordnung zur Änderung der Kapazitätsverordnung für den Studiengang Klinische Hebammenwissenschaften (Charité) - anders als zuvor etwa für den - im Übrigen auch als solchen konzipierten - Modellstudiengang Medizin, vgl. § 1a KapVO - keine Regelungen getroffen, die den Schluss darauf zuließen, dass dieser Studiengang der sog. Innovationsklausel unterfiele. Auch in der Studienordnung für den hier streitigen Studiengang finden sich keine Hinweise etwa zu Ziel und Dauer einer etwaigen Erprobung, der Evaluation, des eventuellen Abbruchs des Versuchs und seiner Folgen etc. Allein der Umstand, dass es einen Studiengang zuvor noch nicht gab, führt indes nicht zur Anwendbarkeit der Innovationsklausel des § 6 Abs. 2 Satz 2 StV. Abgesehen hiervon wäre, selbst wenn § 6 Abs. 2 Satz 2 StV anwendbar wäre, eine (Ermessens-)Entscheidung über die Inanspruchnahme der von dieser Vorschrift eröffneten Möglichkeit erforderlich, denn die Festsetzung der Zulassungszahl „kann“ in den Fällen des § 6 Abs. 2 Satz 2 StV abweichend von § 6 Abs. 2 Satz 1 StV festgesetzt werden, dies muss aber nicht geschehen. Für eine solche Entscheidung ist nichts ersichtlich. Dementsprechend hat auch die Antragsgegnerin die jährliche Aufnahmekapazität nach den Bestimmungen des Zweiten und Dritten Abschnitts der KapVO ermittelt. Soweit sie auf einen „Engpass“ aufgrund begrenzter Ausbildungsplätze verweist, ist es Sache des Verordnungsgebers, einen solchen ggfs. kapazitätsbegrenzenden Engpass in der KapVO abzubilden. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass nicht erkennbar sei, dass die derzeit sechs Praxispartner der Antragsgegnerin nicht über genügend Ausbildungsplätze verfügen würden oder dass es aufgrund der Praxispartner zu einem kapazitätsbegrenzenden Engpass für den dualen Bachelorstudiengang Angewandte Hebammenwissenschaft kommen würde. Dem setzt die Beschwerde lediglich ihre gegenteilige Behauptung entgegen.

3. Die Beschwerde moniert ferner die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu der Frage, wie die Funktionsunfähigkeit der Hochschulen zu bestimmen sei. Hierzu existierten keine gesetzlichen oder verordnungsrechtlichen Vorgaben, weil die Aufnahmekapazität der Hochschulen (ausschließlich) nach den Vorgaben der KapVO zu errechnen sei. Das Verwaltungsgericht gehe von einem willkürlichen Wert von 10% der festgesetzten Zulassungszahl aus. Eine Begründung für diesen Wert enthalte der angefochtene Beschluss nicht. Vielmehr werde auf eine Entscheidung aus dem Jahr 2019 zum Modellstudiengang der Antragsgegnerin verwiesen. Anders als in dem dortigen Fall habe die Antragsgegnerin vorliegend mitnichten signalisiert, sie könne 10%ige Aufschläge auf die errechnete und festgesetzte Zulassungszahl realisieren. In der den Modellstudiengang Medizin betreffenden Entscheidung sei das Verwaltungsgericht zudem davon ausgegangen, dass § 17a KapVO unwirksam sei. Für den Bachelorstudiengang Angewandte Hebammenwissenschaft könne die Aufnahmekapazität dagegen nach den Vorgaben des Zweiten Abschnitts der KapVO berechnet werden. Lediglich die Vorgaben zum Anrechnungsfaktor und zur Gruppengröße für zwei neue Lehrveranstaltungsarten fehlten in der KapVO. Beide Lehrveranstaltungen würden indes in der Studienordnung geregelt. Die Lehrveranstaltung „Hochschulische Praxisbegleitung“ könne im Übrigen nur 1:1 stattfinden. Die Gruppengröße g = 1 sei insbesondere wegen der besonderen geburtshilflichen Situation angemessen. Sie diene dem Schutz der werdenden Eltern, vor allem der gebärenden Mutter. Nach alledem sei es unzulässig, zur Kapazitätsermittlung auf die Grenze der Funktionsunfähigkeit der Antragsgegnerin abzustellen. Vielmehr sei die Kapazitätsberechnung anhand der Vorgaben der KapVO zu überprüfen und die Nichtfestsetzung der Anrechnungsfaktoren und Gruppengrößen für die Veranstaltungsarten Skills Training und Hochschulische Praxisbegleitung für einen Übergangszeitraum zu akzeptieren.

Diesem Beschwerdevorbringen ist entgegenzuhalten, dass es aus Sicht des Senats nicht Aufgabe der Rechtsprechung ist, die vermeintliche Kapazitätsgrenze dann selbst zu bestimmen, wenn es entweder gänzlich an einer gültigen normativen Festsetzung der Berechnungsmethode für die Ausbildungskapazität fehlt (hierzu vgl. Beschluss des VG Berlin vom 8. Juli 2019 - VG 30 L 293.18 -, juris, bestätigt durch Beschluss des Senats vom 6. März 2020 - OVG 5 NC 20.19 u.a. [Humanmedizin Charité, WS 2018/2019] -, juris) oder wenn es hinsichtlich einzelner kapazitätsrechtlicher Vorgaben an einer Entscheidung durch den Verordnungsgeber fehlt. In diesen Fällen rechtfertigt im Hinblick auf die erforderliche Abwägung der betroffenen Interessen allein die Funktionsfähigkeit der Universität eine Beschränkung des Zulassungsanspruchs (zum Ganzen vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 6. März 2020, a.a.O.). Im Übrigen zeigt die Beschwerde keine konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass der vom Verwaltungsgericht gewählte Aufschlag von 10 % (bzw. alternativ 7,5 %) bezogen auf die tatsächliche Zulassungszahl die Grenze der Funktions(un)fähigkeit der Antragsgegnerin nicht korrekt abbildet. Bereits im Wintersemester 2021/2022 hat das Verwaltungsgericht in verschiedenen Eilverfahren bei einer für den Studiengang festgesetzten Zulassungszahl von 63 sechs bzw. fünf weitere Studienplätze (bei einem Aufschlag von 10 % bzw. 7,5 % der festgesetzten Studienplätze) ermittelt, die den jeweiligen Antragstellern im Wege einer vorläufigen Zulassung zuerkannt worden sind (hierzu vgl. Beschluss vom 21. Februar 2022 - VG 30 L 754/21 u.a.-), ohne dass von der Antragsgegnerin hierzu eine Funktionsunfähigkeit des Studiengangs vorgetragen worden oder auch sonst ersichtlich wäre. Entsprechendes gilt für das streitgegenständliche Semester.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).