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Kündigung wegen Flugzeugabbau


Metadaten

Gericht ArbG Cottbus 6. Kammer Entscheidungsdatum 21.09.2021
Aktenzeichen 6 Ca 78/21 ECLI ECLI:DE:ARBGCOT:2021:0921.6CA78.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 17 KSchG, § 1 Abs 2 KSchG

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 67.630 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen sowie Weiterbeschäftigung und einen Zwischenzeugnisanspruch.

Die Beklagte ist eine Fluggesellschaft mit Sitz in Großbritannien, die günstige Flüge innerhalb Europas und angrenzenden Staaten anbietet und damit im Low-Cost-Segment agiert. Sie beschäftigte am betroffenen Standort des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER) vor Ausspruch der Kündigung regelmäßig insgesamt 1.482 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des fliegenden Personals sowie regelmäßig weitere 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bodenbetrieb. Die Niederlassung am BER ist die einzige Niederlassung der Beklagten in Deutschland.

Der zum Zeitpunkt der Kündigung 43jährige verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 24. September 2018 als Captain beschäftigt, zunächst am Flughafen Tegel, sodann ab dem 1. November 2020 am BER. Sein monatliches Gehalt beträgt 13.526,- Euro brutto.

Bei der Beklagten existiert eine Personalvertretung für das fliegende Personal, die aufgrund des nach § 117 Abs. 2 BetrVG geschlossenen, zuletzt mit Wirkung ab 07.02.2018 neugefassten Tarifvertrages gebildet wurde.

Seit April 2020 befindet sich das fliegende Personal der Beklagten in Kurzarbeit.

Die Beklagte verhandelte mit der Personalvertretung seit dem 30. Juni 2020 über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Sie informierte die Personalvertretung und den Wirtschaftsausschuss mit Schreiben vom 30. Juni 2020 über eine geplante Betriebsänderung (Anlage 5 der Beklagten). Diese hatte zum Inhalt, die bei der Beklagten an den Standorten Schönefeld und Tegel (nunmehr am BER) stationierten Flugzeuge um 16 Flugzeuge auf dann 18 verbleibende Flugzeuge zu reduzieren und die Anzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zu 738 in Deutschland zu reduzieren, frühestens zum Winter 2020.

Am 21. Oktober 2020 schlossen die Personalvertretung und die Beklagte einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan (Anlagen 6 der Beklagten).

Die Beklagte und die Personalvertretung nahmen Verhandlungen zum Interessenausgleich und dem damit verbundenen Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG am 29. Juli 2020, 5. August 2020, 14. August 2020, 21. August 2020 und am 25. August 2020 auf und berieten über die geplante Massenentlassung und eine Vermeidung von Entlassungen. Dabei stellte die Beklagte die Gründe für die Betriebsänderung, die Zahl der Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollten, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie die Berechnung der zu zahlenden Abfindungen dar. Die Personalvertretung präsentierte am 25. August 2020 einen Gegenvorschlag; die Beklagte nahm hierzu am 07.09.2020 Stellung. Weitere Verhandlungen folgten am 07.09.2020, 16.09.2020, 24.09.2020, 30.09.2020 und 01.10.2020, 14.10.2020, 16.10.2020 und am 19. und 20.10.2020. Ziffer 6 des Interessenausgleichs vom 21. Oktober 2020 enthält schließlich die Bestätigung der Personalvertretung über deren ordnungsgemäße Unterrichtung und Beteiligung nach § 17 KSchG und insbesondere zu dem durchgeführten Konsultationsverfahren sowie die abschließende Stellungnahme zur beabsichtigten Massenentlassung.

Mit Schreiben vom 20. November 2020 reichte die Beklagte bei der Agentur für Arbeit Königs Wusterhausen (über Cottbus) vorsorglich und bei der Agentur für Arbeit Berlin für die bereits geschlossenen Flughäfen Schönefeld und Tegel sowie bei der für den BER zuständigen Agentur für Arbeit Königs-Wusterhausen über Cottbus eine Massenentlassungsanzeige ein. Der Eingang wurde am 23. November 2020 bestätigt.

Die Beklagte hörte vor Ausspruch der Kündigung die Personalvertretung mit Schreiben vom 17. November 2020 an (Anlage 13 der Beklagten).

Mit Schreiben vom 25. November 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger ordentlich.

Mit der am 16. Dezember 2020 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage, die nach Cottbus verwiesen wurde, verfolgt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, Weiterbeschäftigung, Zwischenzeugnis sowie die Freistellung von Kosten der Rechtsverfolgung.

Der Kläger bestreitet, dass die unternehmerische Entscheidung des Abbaus von 16 Flugzeugen und Einschränkung des Flugverkehrs getroffen wurde. Die Springertätigkeit für etwaige Ausfälle solle künftig wegen des Brexits nicht mehr London sondern Berlin erbringen. Dazu benötige die Beklagte eine Personalreserve, die sie im Vortrag nicht aufführe.

Der Kläger trägt vor, die eigentliche unternehmerische Entscheidung reduziere sich auf die Entscheidung zum Personalabbau. Die Corona-Pandemie und die dadurch entstehenden Folgen nutze die Beklagte für einen Personalabbau. Die unternehmerische Entscheidung sei auch rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte behalte zudem die wesentliche Anzahl an Slots. Dies sei jedenfalls im Jahr 2020/2021 (Winterflugplan) der Fall. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, dass sie nur noch 604 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für 18 verbleibende Flugzeuge benötige. Der Crew-Faktor sei in keiner Weise erklärt. Zuvor habe man mit fast 7 Vollzeitbesatzungen pro Flugzeug geplant und gearbeitet. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, wie der Crew-Faktor zustande komme. Die weiteren bisherigen 16 Flugzeuge würden nur auf andere Niederlassungen verlegt, um den Kündigungsschutz zu unterlaufen. Die Beklagte nehme lediglich eine Rochade vor. Die Beklagte habe auch kein Flugzeug „ausgeflottet“. Außerdem würden die weiter im Juni 2021 zu entlassenden Beschäftigten nicht 320 sein, denn die Beklagte habe tatsächlich nur beabsichtigt, 270 Vollzeitkräfte im zweiten Schritt zu entlassen.

Die Mietfläche sei reduziert worden, weil das Check in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch das Briefing der Crew vor Beginn des Flugs nicht mehr in den Crewräumen am Boden erfolge, sondern erst im Flugzeug selbst.

Der Kläger hätte auch versetzt werden können nach Faro, Malaga oder Amsterdam. Die Beklagte lasse First Officers ein Trainingsprogramm absolvieren zum Captain, um den Personalbedarf zu decken. Dies wiederspreche dem behaupteten Wegfall der Arbeitsplätze. Die Beklagte hätte auch alle Standorte in Europa in die Sozialauswahl einbeziehen müssen, weil es sich um einen Flugbetrieb handele. Die Hierarchieebene zwischen Co-Piloten (First Officer) und Flugkapitänen sei gleich, denn arbeitsvertraglich seien beide austauschbar. Flugkapitäne könnten unproblematisch auch als Co-Piloten eingesetzt werden. Der Kläger habe auch kurz zuvor seine Ausbildung als Line Training Instructor abgeschlossen. Er sei deshalb ebenso wie die übrigen Line Training Instructors aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Im Übrigen sei die Ehefrau des Klägers chronisch erkrankt. Dies sei ein Umstand, der bei der Sozialauswahl und der Interessenabwägung zu berücksichtigen sei.

Die Personalvertretung sei bereits nicht ordnungsgemäß gebildet worden. Es hätte eine neue Personalvertretung gebildet werden müssen. Die Personalvertretung habe bei der Erstellung des Punkteschemas für die Sozialauswahl zudem nicht mitgewirkt, was zur Unwirksamkeit der Kündigung führe. Die Herausnahme einzelner Beschäftigter aus der Sozialauswahl sei nicht richtig. Es gebe keinen Grund dafür, beispielsweise Trainer aus der Sozialauswahl herauszunehmen.

Die Unterrichtung nach § 17 KSchG sei fehlerhaft, da die Berechnung für die Abfindungen nicht mitgeteilt worden sei. Auch die Beteiligung nach § 117 Abs. 2 in Verbindung mit § 111 BetrVG sei fehlerhaft. Der Kläger sei bei der Massenentlassung nicht erfasst worden. Die Berufsgruppe 5231 sei nicht korrekt benannt worden.

Der Kläger beantragt zuletzt unter Klagerücknahme im Übrigen,

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die beklagtenseitige Kündigung vom 25. November 2020 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes, sich auf Art und Dauer sowie Führung und Leistung erstreckendes Zwischenzeugnis zu erteilen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 28.02.2021 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den bisherigen Bedingungen aus dem Arbeitsvertrag vom 20.9.2018 als Flugkapitän/Captain weiter zu beschäftigen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten der Rechtsverfolgung (Gerichtskosten und Gebühren, Rechtsanwaltskosten) in dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Cottbus Aktenzeichen 6 Ca 78/21 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, sie habe die unternehmerische Entscheidung bereits am 21. Oktober 2020 und damit vor Zugang der Kündigung getroffen und mit der Umsetzung begonnen. Es handele sich um einen innerbetrieblichen Kündigungsgrund in Form einer Entscheidung, das Flugprogramm anzupassen und die Anzahl der am Flughafen Berlin-Brandenburg stationierten Flugzeuge sowie die absolvierten Flüge zu reduzieren, um damit die Kosten zu reduzieren und effizienter zu werden. Die Beklagte habe die Flugzeuge auch bereits abgezogen. Die Mietflächen am BER habe die Beklagte entsprechend reduziert. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestehe nicht. Die Base am BER sei die einzige deutsche Niederlassung. Eine Sozialauswahl erstrecke sich nach dem Kündigungsschutzgesetz ausschließlich auf die Bundesrepublik Deutschland, weil nur hier das Kündigungsschutzgesetz Anwendung finde. Der Kläger sei nur mit weiteren Kapitänen hierarchisch vergleichbar. Das Punktschema sei durch das Bundesarbeitsgericht bereits anerkannt. Nach dem Punkteschema gehöre der Kläger zu den zu entlassenden Personen. Interessenausgleich und Konsultationsverfahren sowie Personalvertretungsanhörung seien ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Die Entscheidung habe auch greifbare Formen angenommen. Dass sich die Beklagte zusammen mit der Personalvertretung für Mai Juni 2021 vorbehalten habe, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe die weiteren 320 Arbeitsplätze durch Entlassungen abgebaut werden würden, ändere nichts an der unbedingten und bereits beschlossenen Entlassungsentscheidung von 418 Positionen. Die Betriebsparteien machten von der Möglichkeit, mehr Beschäftigte sofort zu entlassen, lediglich nicht Gebrauch. Diese Entscheidung könne nicht gegen den Arbeitgeber gewendet werden. Der Abbau von 418 Stellen sei ein Weniger gegenüber 738 Vollzeitpositionen. Dies sei jedenfalls zulässig.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage war vollumfänglich abzuweisen. Die Kündigung der Beklagten vom 25. November 2020 ist nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Sie ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam und hat das Arbeitsverhältnis des Klägers unter Einhaltung der formalen Voraussetzungen wirksam beendet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Er hat auch keinen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Der Anspruch auf Freistellung von den Kosten der Rechtsverfolgung besteht jedenfalls nicht gegenüber der Beklagten. Hier hätte ein Dritter verklagt werden müssen.

A) Wirksamkeit der Kündigung

Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam.

I. Soziale Rechtfertigung der Kündigung

Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG, weil dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers nach dem 28. Februar 2021 entgegenstehen. Die Beklagte hatte die unternehmerische Entscheidung getroffen, 16 Flugzeuge am Standort BER abzubauen und den entsprechenden Flugverkehr von Berlin aus zu reduzieren. Innerdeutscher Flugverkehr sollte gänzlich eingestellt werden. Die Entscheidung hat auch greifbare Formen angenommen, die die Prognose rechtfertigten, bei Ablauf der Kündigungsfrist werde es an einem Beschäftigungsbedarf für den Kläger fehlen.

1. Betriebliche Erfordernisse, die zur Kündigung führen, können sich aus inner- oder außerbetrieblichen Umständen ergeben. Zu den innerbetrieblichen Umständen gehören die Umstellung oder Einschränkung bzw. Einstellung der Produktion und allgemein Rationalisierungsmaßnahmen, welche sich in einer Organisationsänderung oder Vergabe von Arbeiten niederschlagen können. Es muss sich um eine organisatorische Maßnahme handeln, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt, vgl. BAG vom 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 07, S. 798.

a) Vorliegend führt die Entscheidung zur Reduktion der Betriebsmittel von 34 auf 18 Flugzeuge an der Base BER und die Reduktion des Flugprogramms zur Reduktion des Beschäftigungsbedarfs. Auch der Abschluss des Interessenausgleichs vom 21. Oktober 2020 und die dortige Beschreibung der unternehmerischen Entscheidung sowie deren Umsetzung sprechen dafür, dass diese unternehmerische Entscheidung so geplant und dann getroffen wurde.

b) Die Entscheidung zur Reduktion der Flugzeuge und der Anpassung des Flugprogramms ist auch dauerhaft angelegt. Es handelt sich vorliegend nach Überzeugung der Kammer nicht um eine vorübergehende Maßnahme, sondern sie beruht auf der Entscheidung, dauerhaft mit weniger Flugzeugen und einem entsprechend geringeren Flugprogramm zu operieren. Auch die im Interessenausgleich vom 21.10.2020 getroffene Entscheidung, hinsichtlich der weiter noch zur Disposition stehenden weiteren 320 Arbeitskräfte führt nicht zur möglichen Rücknahme der Kündigungsentscheidung der ersten 418 Positionen. Der Arbeitgeber darf weniger kündigen als ihm eigentlich aufgrund der unternehmerischen Entscheidung nach Kündigung an Arbeitskräften wegfiele. Die Reduktion der Flugzeuge und die Anpassung des Flugprogramms ist auf Dauer getroffen worden. Das spiegelt auch der Interessenausgleich wieder. Lediglich die weiteren 320 Arbeitskräfte können möglicherweise von Kündigungen zum Teil verschont werden.

Die Entscheidung zur Reduktion der an der Base BER stationierten Flugzeuge um 16 Flugzeuge und der entsprechend eingeschränkte Flugverkehr von dieser Base aus hatte im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung greifbare Formen angenommen.

(1) Die Beklagte hat zur Überzeugung der Kammer dargelegt, dass sie den Sommerflugplan 2021 als ersten neuen Flugplan nach Zugang der Kündigung tatsächlich mit weniger als 50 % des Vorjahres, nämlich das Jahr vor Corona 2019 bestritt. Die Beklagte stellte den innerdeutschen Flugverkehr insgesamt ein, was 388 Sektoren ausmachte und reduzierte insgesamt die für den Sommer 2021 geplanten Flüge. Dies ergab auch die zur Akte gereichte Flottenplanung vom 27. November 2020.

Selbst wenn es so wäre, wie die Klägerseite darlegt, dass der BER durch Besatzungen aus anderen europäischen Städten genauso häufig angeflogen werde wie zuvor und die Flüge lediglich durch für die Beklagte günstigere Besatzungen aus Malaga, Barcelona und Faro durchgeführt würden, liegt darin keine den Kündigungsschutz umgehende unternehmerische Entscheidung. Die Zuordnung der Flugzeuge zu anderen Standorten außerhalb Europas bleibt erlaubt. Sie führt auch zum Wegfall des Arbeitsplatzes in Deutschland. Wenn auch der Arbeitskräftebedarf insgesamt bei der Beklagten europaweit nicht sinkt, sinkt er doch aufgrund der Verlagerung des Standortes in Deutschland. Soweit dieser andere Standort des Flugzeugs sich nicht mehr in Deutschland befindet, findet dort auch kein deutsches Recht Anwendung. Dabei ist auch irrelevant für diesen Rechtsstreit, über wie viele Flugzeuge die Beklagte insgesamt verfügt. Entscheidend ist aus Sicht der Kammer der in Deutschland geführte Betrieb, vgl. BAG NZA 14, S. 730.

(2) Die Beklagte hat auch die Bodendienstleistungsverträge entsprechend angepasst und die Mietflächen verringert. Ob dies ausschließlich geschehen ist, weil die Crew nunmehr auf den Flug nicht mehr am Boden sondern im Flugzeug vorbereitet wird, mag dahinstehen. Die Reduktion der Mietflächen ist jedenfalls ein weiteres Indiz und führt zur Annahme, dass die Beklagte tatsächlich begonnen hat, die unternehmerische Entscheidung umzusetzen.

(3) Soweit die Klägerseite meint, es seien mehr Flugzeuge ständig am BER stationiert, hat die Beklagte dazu ausgeführt, dass es sich um zwei weitere Flugzeuge handelt, die als Reserve am BER geparkt sind, weil dort auch die für Europa einzige Wartungsstation der Beklagten ist. Zwei Flugzeuge sind europaweit für etwaige Flugzeugausfälle am BER dauerhaft geparkt. Die Beklagte hat zudem ausgeführt, dass dauerhaft nur noch maximal 18 Lines of Flying (Tagesflugprogramm für eine Besatzung und eine Maschine) am BER durchgeführt und Personal hierfür vorzuhalten ist. Die Beklagte hat auch zu den noch im Jahr 2019 beflogenen 1430 Sektoren (Flügen) und deren Reduktion im Jahr 2021 vorgetragen. Dabei ist die Reduktion unterschiedlich in den jeweiligen Wochen und nach dem jeweiligen Planungsstand.

(4) Die vom Kläger zur Akte gereichte Tabelle (Blatt 497 bis 500 der Akte) der Abfahrten vom BER gibt zwar an, wieviel unterschiedliche Flugzeuge vom BER zu anderen Destinationen abgeflogen sind. Diese Flugzeuge können aber – und so war der Vortrag der Beklagten in der Kammerverhandlung – tatsächlich zuvor von einem anderen Ort zum BER geflogen sein und sodann zurück. 29 verschiedene Flugzeuge am BER an einem Tag bedeuten keinesfalls, dass diese 29 Flugzeuge beim BER stationiert sein müssten.

(5) Die Anzahl der im Jahr 2020 von der Beklagten zur Verfügung stehenden Slots am BER ist dabei allenfalls Indiz. Die Beklagte hat dazu aber vorgetragen, dass das Jahr 2020 nicht repräsentativ ist, weil in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie so gut wie kein Flugverkehr stattfand und die Slots behalten werden durften. Die Beklagte hat die Anzahl der Slots für das Jahr 2021 reduziert. Das hat sie nochmals in der Kammerverhandlung verdeutlicht und dargelegt. Die Slots sind jedoch nur Zeitfenster für Starts und Landungen am Flughafen. Aus welchen Gründen Fluggesellschaften solche Slots vorhalten mag dahinstehen. Jedenfalls ist unstreitig, dass Slots, die zu weniger als 80 % genutzt werden, wieder zurückgegeben werden und an andere Fluggesellschaften vergeben werden.

c) Bei einem Abbau von 16 Flugzeugen führt dies zu einem Wegfall der Arbeitsplätze des fliegenden Personals um 47 %. Die Beklagte beschäftigte zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung regelmäßig 1.482 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als fliegendes Personal. 47 % hiervon sind 697 Beschäftigte.

Nach dem Interessenausgleich sollten zunächst 418 Personen entlassen werden. Die Beklagte hat sich zusammen mit der Personalvertretung für weniger zu entlassende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entschieden als der Wegfall der Flugzeuge rechtfertigen würde.

Die Beklagte hat zudem dargelegt, wie sich die Zahl der wegfallenden Positionen auf die einzelnen Berufsgruppen und Hierarchieebenen verteilt: 69 Kapitäne, 76 First Officer, 76 Cabin Manager und 197 Flugbegleiterstellen entfallen dauerhaft. Da zuvor 16 Beschäftigte des fliegenden Personals durch eigene Veranlassung ausschieden und nach Abschluss des Interessenausgleichs noch weitere 56 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des fliegenden Personals durch Freiwilligenprogramm ausschieden, verblieben noch 346 auszusprechende betriebsbedingte Kündigungen.

Auch die Verteilung auf die jeweilige Hierarchieebene ist nachvollziehbar dargelegt: Es fielen folgende Stellen nach der von der Beklagten in der Kammerverhandlung dargelegten Berechnung der Besatzungsquote weg: 64 Kapitäne, 70 First Officer (Senior First Officer, First Officer und Second Officer), 63 Cabin Manager und 149 Flugbegleiter.

2. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit

Die Beklagte war nicht verpflichtet, dem Kläger einen Arbeitsplatz außerhalb von Deutschland an einer anderen Europäischen Base anzubieten. Die Beklagte konnte den Kläger auch nicht außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes nach Spanien, Portugal oder Frankreich versetzen. Nach dem Arbeitsvertrag war die Versetzung lediglich innerhalb Deutschlands zulässig. Dass der Kläger sich arbeitsvertraglich verpflichtete, außerhalb Deutschlands auf europäischen Flügen zu arbeiten, ist davon unabhängig. Eine Versetzungsmöglichkeit besteht nicht. Die Beklagte musste deshalb auch nicht nach sozialen Kriterien mögliche freie Arbeitsplätze in anderen Ländern zu anderen vertraglichen Bedingungen und anderen Rechtsordnungen unterliegenden Arbeitsverhältnissen anbieten. Das macht die Kündigung nicht unwirksam. Darin liegt auch nach Überzeugung der Kammer keine unberechtigte Benachteiligung des Klägers. Die Arbeitsverträge in anderen Ländern unterliegen anderen Rechtsordnungen. Hier besteht keine Pflicht zum Anbieten der weiteren Arbeitsplätze in anderen Ländern, vgl. BAG NZA 2014, S. 730. Auch die Verpflichtung zum Angebot anderer Arbeitsplätze beschränkt sich auf das Bundesgebiet.

3. Sozialauswahl

Die von der Beklagten vorgenommene Sozialauswahl führt ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Beklagte hat zu Recht Hierarchieebenen gebildet. Hierbei waren die Kapitäne von den First Officers zu trennen und die Cabin Manager von den Flugbegleitern. Es handelt sich jeweils um unterschiedliche Arbeitsverträge. Selbst wenn ein Pilot die Arbeit eines Copiloten ausführen kann, gilt dies nicht umgekehrt. Damit liegt bereits keine Austauschbarkeit vor. Die Beklagte hat auch zu Recht Sonderqualifikationen berücksichtigt und Linie Training Captains, Type Rating Instructors und Type Rating Examiners sowie Data and Technology Officer und Kapitäne mit IT-Zusatzfunktion aus der Sozialauswahl herausgenommen. Diese Zusatzqualifikationen sind durch Zusatzvereinbarungen gesondert geregelt und führten jeweils zu einer höheren Vergütung oder einer nicht verzichtbaren Qualifikation. Der Kläger mag zwar diese Qualifikation besitzen, eine entsprechende Änderungsvereinbarung wurde jedoch noch nicht mit ihm getroffen. Er hat diese Aufgabe noch nicht übertragen bekommen.

Auch die Hierarchieebenen der Cabin-Manager waren von den Flight-Attandance Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu trennen, denn Cabin-Manager bilden eine höhere Hierarchieebene und haben Zusatzvereinbarungen getroffen und werden entsprechend bezahlt und eingesetzt.

Die Beklagte hat auch dargelegt, welche Personen jeweils Mitglied oder Ersatzmitglied mit Einsatz bei der Personalvertretung waren und deshalb besonderen Kündigungsschutz genossen oder welche Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung in der Elternzeit waren. Diese brauchte die Beklagte nicht zu berücksichtigen. Sie waren aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Es wäre jetzt Sache der Klägerseite gewesen, diesen konkreten auf bestimmte Personen bezogenen Vortrag zu widerlegen.

Hinsichtlich der tatsächlich vergleichbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war das von der Beklagten vergebene und angewandte Punkteschema nicht zu beanstanden. Die Beklagte brauchte auch solche Mitarbeiter noch nicht aus der Sozialauswahl herauszunehmen, die erst die Zusatzqualifikation abgeschlossen hatten, aber noch keine Zusatzvereinbarung mit der Beklagten getroffen hatten und demnach noch nicht die Aufgaben übertragen bekommen hatten. Sie musste auch bei der Sozialauswahl nicht berücksichtigen, wenn eine weitere Unterhaltsverpflichtung unmittelbar bevorstand, weil etwa ein Kind geboren werden würde. Auch noch nicht vollständig zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vollendete Betriebszugehörigkeitsjahre mussten nicht eingerechnet werden. Schließlich brauchte die Beklagte Elternzeitanträge, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht gestellt waren, nicht berücksichtigen. Sie führten nicht zu einem gesonderten Schutz. Zuletzt brauchte die Beklagte den besonderen Umstand beim Kläger, die chronische Erkrankung der Ehefrau, nicht im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigen. Es ist zulässig, sich strikt an das Punkteschema zu halten und weitere Gesichtspunkte nicht zu bewerten.

Letztlich musste die Personalvertretung auch nicht an der Erstellung des Punkteschemas mitwirken, sollten Mitbestimmungsrechte verletzt worden sein, führte dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, vgl. BAG vom 06.07.2006 – 2 AZR 442/05.

II. Andere Unwirksamkeitsgründe

Die Kündigung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als unwirksam.

1. Konsultationsverfahren und Massenentlassungsanzeige

Die Beklagte hat die Personalvertretung mit Schreiben vom 30. Juni 2020 über die geplante Massenentlassung unterrichtet und die unternehmerische Entscheidung mündlich vorgestellt. Es fanden unstreitig an zahlreichen Tagen bis einschließlich 21. Oktober 2020 Besprechungen und Interessenausgleichsverhandlungen mit der Personalvertretung statt. Unstreitig wurde auch über die Vermeidung von Entlassungen nach § 17 KSchG beraten.

Die Beklagte hat auch ordnungsgemäß die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit Cottbus, die für den BER zuständig ist, eingereicht. Die Beschäftigten waren bereits zuvor zum BER versetzt worden. Der Eingang wurde auch bei der Agentur für Arbeit am 23. November 2020 bestätigt. Das Konsultationsverfahren war laut Interessenausgleich mit Unterzeichnung desselben am 21. Oktober 2020 abgeschlossen.

Es waren auch die entsprechenden Berufsgruppen vertreten. Die jeweiligen Kläger sind in der Massenentlassungsanzeige aufgeführt.

2. Anhörung der Personalvertretung nach § 57 TVPV

Mit Schreiben vom 17.11.2020 hörte die Beklagte die Personalvertretung nochmals zur Kündigung an. Der Personalvertretungsvorsitzende bestätigte den Eingang der Anhörungen. Sie gab die Gründe der Kündigung an und erläuterte die jeweiligen Sozialdaten. Die Stellungnahmefrist der Personalvertretung lief mithin am 24. November 2020 ab. Die Beklagte sprach die Kündigungen erst nach Ablauf dieser Frist am 25. November 2020 aus.

III. Weiterbeschäftigungsanspruch

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung, weil das Arbeitsverhältnis beendet worden ist.

IV. Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses

Der Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses nach § 109 GewO und dem Grundsatz von Treu und Glauben besteht regelmäßig nur während eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses, vgl. Küttner-Poeche, Personalhandbuch 2020, Zeugnis Rn 3.

V. Anspruch auf Freistellung von den Kosten der Rechtsverfolgung

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten der Rechtsverfolgung. Denn nach dem im Arbeitsvertrag in Verbindung mit dem Versicherungsschein aufgeführte Versicherungsschutz berechtigt nur den Kläger selbst gegenüber dem Versicherer den Anspruch geltend zu machen. Versicherungsnehmer ist die Beklagte, versicherte Person ist jeder Beschäftigte der Beklagten. Nur die vom persönlichen Geltungsbereich erfassten Piloten selbst sind anspruchsberechtigt und müssen ihre Ansprüche selbst gegenüber der Versicherung geltend machen. Im Übrigen besteht der Anspruch bereits deshalb nicht, weil der Sachbearbeiter zur Schadensregulierung allen Ansprüche n schriftliche zustimmen muss, bevor irgendwelche Rechtskosten anfallen. Die Versicherung übernimmt nur Rechtskosten, denen der Versicherer zuvor zugestimmt hat.

B) Kosten und Streitwert

Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Die Kosten waren dem im Rechtsstreit unterliegenden Kläger aufzuerlegen. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG. Der Wert des Kündigungsschutzantrags entsprach drei Bruttomonatsgehältern. Der Weiterbeschäftigungsantrag hat den Streitwert um ein weiteres Bruttogehalt erhöht. Der Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses hat den Streitwert ebenfalls um ein Bruttomonatsgehalt erhöht. Der Anspruch auf Freistellung von den Kosten wurde pauschal festgesetzt.