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Entscheidung S 26 AS 1266/18


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 26. Kammer Entscheidungsdatum 06.03.2023
Aktenzeichen S 26 AS 1266/18 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung seiner mit dem Bescheid vom 19. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Juli 2018 verlautbarten sozialverwaltungsbehördlichen Überprüfungsentscheidungen verpflichtet, die sozialverwaltungsbehördlichen Ablehnungsverfügungen vom 29. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2017 sowie die sozialverwaltungsbehördlichen Ablehnungsverfügungen vom 08. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2017 noch weitergehend abzuändern und dem Kläger passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeiträume vom 01. August 2016 bis zum 31. August 2016, vom 01. Oktober 2016 bis zum 30. November 2016, vom 01. Januar 2017 bis zum 31. März 2017, vom 01. Mai 2017 bis zum 30. September 2017 sowie vom 01. November 2017 bis zum 30. November 2017 ohne Berücksichtigung der dem Kläger in diesen Zeiträumen zugeflossenen Zahlungen der Mutter des Klägers als Einkommen – unter Beibehaltung der bisherigen Berechnungsparameter – und unter Berücksichtigung der für diese Zeiträume bereits gezahlten Leistungen zu gewähren.

Der Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens – dem Grunde nach – zu 9/10 zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren im Wesentlichen darüber, ob dem Kläger über die im Zugunstenverfahren nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bereits zuerkannten Leistungsansprüche hinaus noch höhere Leistungsansprüche zustehen, insbesondere ob – wie der Beklagte im Zugunstenverfahren verfügt hat – die von dem Beklagten berücksichtigten Einnahmen aus Zuwendungen der Mutter des Klägers – der Zeugin E. – den Hilfebedarf des Klägers in den Zeiträumen vom 01. August 2016 bis zum 31. August 2016, vom 01. Oktober 2016 bis zum 30. November 2016, vom 01. Januar 2017 bis zum 31. März 2017, vom 01. Mai 2017 bis zum 30. September 2017 sowie vom 01. November 2017 bis zum 30. November 2017 mindern.

Der im September 1979 geborene Kläger übte nach seinen eigenen Angaben zunächst seit dem Jahre 2011 ein Kleingewerbe im Kraftfahrzeugreparaturbereich aus und gründete im Jahre 2014 zusammen mit seinem Vater und einem Herrn F. die „G-UG (haftungsbeschränkt)“, hielt zunächst 33,3 Prozent der Geschäftsanteile, war als Gesellschaftergeschäftsführer dort angestellt und erhielt für seine Tätigkeit Einkommen als Arbeitnehmer, später verließ der Vater des Klägers die Firma und jeder der verbliebenen Gesellschafter hielt 50 Prozent der Geschäftsanteile.

Nachdem der Beklagte die Gewährung von passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II zunächst wegen vermeintlich fehlender Mitwirkung hinsichtlich seiner Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit bestandskräftig versagt (Versagungsverfügungen vom 26. September 2016 und vom 04. Juli 2017) und im Anschluss wegen der fehlenden Aufklärbarkeit seiner Hilfebedürftigkeit bestandskräftig abgelehnt hatte (Ablehnungsverfügungen vom 29. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2017 und Ablehnungsverfügungen vom 08. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2017), beantragte er unter dem 04. Dezember 2017 die Überprüfung der für die Zeit ab dem 01. Januar 2016 ergangenen Verwaltungsentscheidungen, konkretisierte sein Begehren nach erfolgter Akteneinsicht mit weiterem Schreiben vom 17. Januar 2018 und beantragte nunmehr die Überprüfung der sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidungen des Beklagten vom 29. November 2016 sowie vom 08. August 2017.

Mit sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen vom 19. April 2018 hob der Beklagte ua seine Versagungsverfügungen vom 26. September 2016 und vom 04. Juli 2017 und seine Ablehnungsverfügungen vom 29. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2017 sowie seine Ablehnungsverfügungen vom 08. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2017 auf und gewährte dem Kläger nunmehr passive Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Hierbei berücksichtigte er bei der Leistungsberechnung für die Zeiträume vom 01. August 2016 bis zum 30. November 2016, vom 01. Januar 2017 bis zum 31. März 2017, vom 01. Mai 2017 bis zum 30. September 2017 sowie vom 01. November 2017 bis zum 30. November 2017 neben Einkommen aus geringfügiger nichtselbständiger Tätigkeit bei der „G-UG (haftungsbeschränkt)“ auch Darlehenszahlungen von Frau E. – der Mutter des Klägers – entsprechend der vorgelegten Darlehensverträge sowie weitere Zahlungseingänge auf dem Girokonto des Klägers von Frau E. ohne Darlehensverträge, wobei diese – mit Ausnahme des Monats September 2016, die als „Geschenk“, und des Monats November 2017, die nur als „Einzahlung auf Girokonto“ deklariert worden waren – mit dem Zusatz „Darlehen“ im Buchungstext versehen waren. Insgesamt gewährte der Beklagte dem Kläger eine Gesamtnachzahlung in Höhe eines Betrages von 5.017,33 Euro.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 22. Mai 2018 Widerspruch: Die Darlehensbeträge der Mutter seien zu Unrecht bei der Leistungsermittlung berücksichtigt worden. Der Kläger habe die seit dem Jahr 2016 von seiner Mutter gewährten Darlehen zwischenzeitlich auch mit dem Nachzahlungsbetrag zurückgezahlt, was sich im Einzelnen auch aus den Kontoauszügen ergebe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02. Juli 2018 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die Darlehensgewährungen seien als Einkommen zu berücksichtigen, die Darlehensverträge seien Scheingeschäfte. Der Kläger habe die ihm obliegenden Ratenzahlungsrückzahlungsverpflichtungen nicht vertragsgemäß erfüllt, deshalb fehle es an einer ernsthaften Rückzahlungsverpflichtung. Es habe sich um Zuwendungen aus familiärer Verbundenheit gehandelt.

Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 03. August 2018 Klage erhoben, mit der er sein auf Gewährung höherer Leistungen gerichtetes Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Sozialverwaltungsverfahren. Ergänzend hebt er hervor, soweit der Beklagte im Klageverfahren nunmehr auch Einnahmen aus einer selbständigen Tätigkeit berücksichtigt wissen möchte, sei dies schon mangels erwirtschafteten Gewinns nicht möglich, fiktive Einnahmen müssten jedenfalls ohnehin unberücksichtigt bleiben.

Der Kläger beantragt – ohne Weiterverfolgung des ursprünglich auch streitig gewesenen Leistungsmonats September 2016 – nunmehr,

den Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 19. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. Juli 2018 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Bestimmungen des SGB II für den Zeitraum vom 01. August 2016 bis zum 31. August 2016, vom 01. Oktober 2016 bis zum 30. November 2016, vom 01. Januar 2017 bis zum 31. März 2017, vom 01. Mai 2017 bis zum 30. September 2017 sowie vom 01. November 2017 bis zum 30. November 2017 dem Grunde nach in größerem Umfang zu gewähren als bisher geschehen.

Der Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages wiederholt und vertieft er seine Argumentation aus den angegriffenen Verfügungen. Ergänzend meint er, aufgrund der Beteiligung des Klägers an der von ihm gegründeten Firma seien deren Einnahmen zusätzlich als Einkommen bedarfsmindernd zu berücksichtigen, so dass jedenfalls ein höherer Leistungsanspruch nicht bestehen könne.

Die Kammer hat den Kläger im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 08. März 2023 persönlich angehört und die Mutter des Klägers – Frau E. – als Zeugin vernommen. Wegen der Einzelheiten der persönlichen Anhörung und der Zeugeneinvernahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird schließlich ergänzend auf den Inhalt der Prozess- und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, der geheimen Beratung und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klagen haben im tenorierten Umfang Erfolg.

1. Gegenstand des Klageverfahrens sind die mit dem Bescheid des Beklagten vom 19. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Juli 2018 verlautbarten sozialverwaltungsbehördlichen Überprüfungsentscheidungen, mit denen der Beklagte ua zuvor ergangene ablehnende sozialverwaltungsbehördliche Leistungsverfügungen aufgehoben und dem Kläger passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II gewährt hatte. Streitgegenstand des Verfahrens sind damit die Ansprüche des Klägers auf Verpflichtung des Beklagten auf Gewährung noch höherer Leistungen. Entsprechend des in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrages sind dabei die Zeiträume vom 01. August 2016 bis 31. August 2016, vom 01. Oktober 2016 bis zum 30. November 2016, vom 01. Januar 2017 bis zum 31. März 2017, vom 01. Mai 2017 bis zum 30. September 2017 sowie vom 01. November 2017 bis zum 30. November 2017 streitgegenständlich, höhere Ansprüche für den Zeitraum vom 01. September 2016 bis zum 30. September 2016 hat der Kläger zuletzt nicht mehr geltend gemacht.

2. Der Kläger verfolgt sein Begehren – in sinnentsprechender Auslegung seines Vorbringens (vgl § 123 SGG) – zutreffend mit einer insoweit statthaften Kombination aus Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG, § 54 Abs 1 S 1 Regelung 3 SGG, § 54 Abs 4 SGG sowie § 56 SGG; vgl dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R, RdNr 11 mwN). Dabei begehrt der Kläger mit den Anfechtungsklagen für jeden Monat der Streitzeiträume (vgl zum sog Monatsprinzip die Regelungen des § 11 Abs 2 S 1 SGB II, § 11 Abs 3 S 1 SGB II, § 20 Abs 1 S 3 SGB II, § 37 Abs S 2 SGB II sowie § 41 Abs 1 S 2 SGB II; vgl dazu auch Bundessozialgericht, Urteil vom 30. März 2017 – B 14 AS 18/16 R, RdNr 18 sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 R, RdNr 28) die Abänderung der – die Überprüfung von bewilligenden Verwaltungsakten in noch größerem Umfang ablehnenden – Verwaltungsakte, die der Beklagte mit seinem Bescheid vom 19. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. Juli 2018 verlautbart hat. Die mit ihnen kombinierten Verpflichtungsklagen sind für jeden Monat der Streitzeiträume auf die Erteilung von Verwaltungsakten durch den Beklagten gerichtet, mit denen dieser die begehrte Änderung der bestandskräftigen ablehnenden sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen in noch größerem Umfang bewirkt. Mit den hiermit zusätzlich kombinierten Leistungsklagen begehrt der Kläger schließlich – ebenfalls für jeden Monat der Streitzeiträume – die Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entsprechend der zuvor bewirkten Änderungen. Mithin zielen die Anfechtungsklagen auf die gerichtliche Aufhebung der konkludenten Ablehnungsentscheidungen des Beklagten in dem Bescheid vom 19. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Juli 2018 (§ 95 SGG), die bestandskräftigen Ablehnungsentscheidungen in noch größerem Umfang abzuändern, die Verpflichtungsklagen zielen auf die behördliche Rücknahme der bestandskräftigen Ablehnungsentscheidungen (§ 77 SGG) vom 29. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2017 und vom 08. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2017 in noch größerem Umfang, die Leistungsklagen zielen auf die Gewährung noch höherer Leistungen.

Diese statthaften Klagen sind auch im Übrigen zulässig, sie sind dabei auch zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 S 1 SGG) im Höhenstreit, was auch zulässig ist (vgl hierzu und zu der Zulässigkeit auch bei einer Kombination lediglich aus Anfechtungs- und Verpflichtungsklage: Bundessozialgericht, Urteil vom 11. November 2021 – B 14 AS 41/20 R, RdNr 12 f mwN). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit ist eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der Klage gefolgt wird. Diese Voraussetzungen liegen vor: Ausgehend von dem Vortrag des Klägers kommen mit Blick auf die von ihm dargestellte Einkommenssituation in jedem streitbefangenen Monat höhere Leistungen als bisher von dem Beklagten gewährt in Betracht.

3. Die danach insgesamt zulässigen Klagen sind auch im tenorierten Umfang begründet.

a) Die Abänderungsanfechtungsklagen sind begründet, weil die angegriffenen sozialverwaltungsbehördlichen Überprüfungsentscheidungen rechtswidrig sind und den Kläger im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 SGG in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten beschweren.

aa) Der Beklagte hat es insoweit zu Unrecht abgelehnt, seine gemäß der Regelung des § 77 SGG bindend gewordenen ablehnenden Verfügungen für die streitgegenständlichen Zeiträume nach Maßgabe der Regelungen des § 40 Abs 1 S 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) iVm § 44 Abs 1 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) – in der Fassung, die die genannten Vorschriften vor dem streitbefangenen Zeitraum hatten, weil in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist (sog Geltungszeitraumprinzip, vgl dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 8/20 R, RdNr 21 mwN), was auch für die weiteren zitierten Vorschriften gilt – in noch größerem Umfang zu Gunsten des Klägers abzuändern. Denn anders als der Beklagte meint, liegen die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 S 1 SGB X in noch größerem Umfang vor, als der Beklagte bereits zu Gunsten des Klägers entschieden hat.

bb) Rechtsgrundlage für den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch auf höhere passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende unter Abänderung der sozialverwaltungsbehördlichen Überprüfungsentscheidungen des Beklagten vom 19. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. Juli 2018 ist § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X und §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II. Gemäß § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt auch nach seiner Unanfechtbarkeit mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

cc) Der Entscheidung des Beklagten stand vorliegend nicht bereits entgegen, dass nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folgt, weil sie sie für überzeugend hält, die Sozialverwaltungsbehörde schon eine Rücknahmeentscheidung gemäß § 44 Abs 1 SGB X nicht mehr zu treffen hat, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallfrist liegen (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Mai 2022 – B 7/14 AS 27/21 R, RdNr 18 mwN).

Soweit für Verfahren nach dem SGB II das SGB X mit der abweichenden Maßgabe gilt, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren gemäß § 44 Abs 4 S 1 SGB X ein Zeitraum von einem Jahr tritt (§ 40 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II), hat der Kläger seinen Überprüfungsantrag rechtzeitig gestellt. Die geltend gemachten Leistungszeiträume befinden sich ausgehend von dem am 04. Dezember 2017 gestellten Überprüfungsantrag innerhalb der Jahresfrist. Diese wird nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 4 S 2 SGB X und § 44 Abs 4 S 3 SGB X vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Antrag gestellt worden ist.

dd) Auch die übrigen Voraussetzungen des § 44 Abs 1 S 1 SGB X liegen vor. Insoweit hat der Beklagte bei dem Erlass seiner ablehnenden sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen vom 29. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2017 sowie seiner ablehnenden sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen vom 08. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2017 das Recht unrichtig angewandt oder ist von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwies, und hat deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht. Denn dem Kläger stehen in den streitgegenständlichen Zeiträumen höhere Leistungsansprüche zu als der Beklagte ihm – dem Kläger – bislang gewährt hat.

ee) Gemäß § 19 Abs 1 S 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II, das gemäß § 19 Abs 1 S 3 SGB II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung umfasst. Die Grundvoraussetzungen, um Arbeitslosengeld II zu erhalten (§ 7 Abs 1 S 1 SGB II), erfüllte der Kläger (vgl § 7 Abs 3 Nr 1 SGB II), der in den streitgegenständlichen Zeiträumen 36, 37 und 38 Jahre alt war (vgl § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II), erwerbsfähig war (vgl § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II) und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte (vgl § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II); auch ein von Leistungen nach dem SGB II ausschließender Tatbestand lag nicht vor

Der Kläger verfügte – entgegen der Auffassung des Beklagten – in den streitigen Zeiträumen insbesondere auch nicht über anzurechnendes Einkommen aufgrund der Zahlungen der Mutter des Klägers gemäß § 11 SGB II. Gemäß § 11 Abs 1 S 1 SGB II waren in der strittigen Zeit Einnahmen in Geld (oder Geldeswert) abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen als Einkommen zu berücksichtigen. Indes sind die Zahlungen der Mutter des Klägers in den streitigen Zeiträumen nicht als Einnahmen in Geld (oder Geldeswert) zu bewerten, die den geltend gemachten Hilfebedarf mindern.

Aus dem Wortlaut des § 11 Abs 1 S 1 SGB II folgt zwar keine Definition dessen, was Einkommen ist. Lediglich die im zweiten Satzteil genannten Leistungen sind von vornherein von der Berücksichtigung ausgenommen. Mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Arbeitslosenhilfe und des Bundesverwaltungsgerichts zum Einkommensbegriff im Wohngeldrecht kann auch im Anwendungsbereich des § 11 Abs 1 S 1 SGB II nach Sinn und Zweck der Norm eine von einem Dritten lediglich vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung jedoch nicht als Einkommen qualifiziert werden. Nur der „wertmäßige Zuwachs“ stellt Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 SGB II dar; als Einkommen sind nur solche Einnahmen in Geld oder Geldeswert anzusehen, die eine Veränderung des Vermögensstandes dessen bewirken, der solche Einkünfte hat. Dieser Zuwachs muss dem Leistungsberechtigten zur endgültigen Verwendung verbleiben, denn nur dann lässt er seine Hilfebedürftigkeit in Höhe der Zuwendungen dauerhaft entfallen. Insoweit ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu unterscheiden zwischen (1.) Geldzahlungen oder Sachleistungen, die einem SGB II-Leistungsberechtigten zum endgültigen Verbleib zugewendet werden, und (2.) einem Darlehen, das mit einer Rückzahlungsverpflichtung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegenüber dem Darlehensgeber belastet ist (vgl zu alledem Bundessozialgericht, Urteil vom 06. Oktober 2011 – B 14 AS 66/11 R, RdNr 17 mwN).

Dieser Systematik entsprechend stellen (3.) auch Zuwendungen Dritter, die eine rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Leistung wegen der Ablehnung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes substituieren und nur für den Fall des Obsiegens zurückgezahlt werden sollen, kein Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 SGB II dar. Sie entbinden den Grundsicherungsträger nicht von seiner Leistungsverpflichtung. Wie im Anwendungsbereich des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und des Bundessozialhilfegesetzes kann dem Hilfesuchenden eine zwischenzeitliche Selbstbeschaffung der begehrten Leistung unter dem Gesichtspunkt einer „Zweckverfehlung“ der ursprünglich beantragten Leistung nicht entgegengehalten werden. Gerade wegen der Unaufschiebbarkeit des Bedarfs muss vom Hilfebedürftigen bis zur endgültigen Klärung der Leistungspflicht des Trägers der Grundsicherung übergangsweise eine andere Regelung gefunden werden. Soweit es nicht möglich ist, die Verpflichtungen aus eingegangenen Verbindlichkeiten stunden zu lassen, bleibt es dem Hilfebedürftigen etwa unbenommen, zu marktüblichen Konditionen ein verzinsliches Darlehen aufzunehmen. Soweit dadurch unabwendbar Mehrkosten entstehen, sind auch sie gegebenenfalls von dem Träger der Grundsicherung zu erstatten. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn Hilfebedürftige vorrangig auf freiwillige und kostengünstigere Angebote Dritter zurückzugreifen, die auf freundschaftlicher oder familiärer Verbundenheit beruhen (vgl zu alledem Bundessozialgericht, Urteil vom 06. Oktober 2011 – B 14 AS 66/11 R, RdNr 18 mwN).

Einen ursprünglich bestehenden Anspruch lassen solche Bemühungen dann nicht entfallen, wenn feststeht, dass dem Dritten im Falle des Obsiegens die zugewandten Leistungen zurückerstattet werden. Hiervon ist das Gericht aufgrund der Bekundungen des Klägers und seiner Mutter schon deshalb überzeugt (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG und § 128 Abs 1 S 2 SGG), weil der Kläger die ihm von seiner Mutter zur Verfügung gestellten Beträge sofort nach Erhalt des Gesamtnachzahlungsbetrag an seine Mutter zurückgezahlt hat, was zwischen den Beteiligten ohnehin auch zu Recht nicht streitig ist und sich auch aus den von dem Beklagten im Einzelnen geprüften Kontoauszügen des Klägers ergibt. Vor diesem Hintergrund ist zur Überzeugung der Kammer gegen die Wirksamkeit der Darlehensverträge – ob diese nun schriftlich geschlossen worden sind oder nicht – nichts zu erinnern und deckt sich auch mit den im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Klägers und der Zeugin. Diese haben übereinstimmend – und ohne dass für das Gericht Widersprüchlichkeiten zu Tage getreten wären – bekundet, dass die Mutter des Klägers zu keinem Zeitpunkt davon ausgegangen sei, die ihrem Sohn zur Verfügung gestellten Geldmittel nicht zurückzuerhalten. Abgesehen davon, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer insoweit folgt, weil sie sie für überzeugend hält, unerheblich ist, welche Vereinbarungen zwischen ihm und seiner Mutter für den Fall getroffen worden sind, dass ein Anspruch gegenüber dem Beklagten im Ergebnis eines Widerspruchs- und Klageverfahrens nicht besteht (vgl zu diesem Aspekt Bundessozialgericht, Urteil vom 06. Oktober 2011 – B 14 AS 66/11 R, RdNr 19), sollte die Zuwendung jedenfalls gerade nicht im oben dargestellten Sinne zum endgültigen Verbleib bei dem Kläger und einem wertmäßigen Zuwachs seines Vermögens führen, sondern ihn vielmehr – wie die Mutter des Klägers es ausdrückte – in gewisser Weise vor Obdachlosigkeit bewahren.

Die von dem Beklagten gegen die Ernsthaftigkeit der Darlehensverträge und des Bestehens einer Rückzahlungsverpflichtung vorgebrachten Einwände vermögen die Kammer bei dieser Sachlage nicht zu überzeugen. Abgesehen davon, dass es zuvörderst Aufgabe des Beklagten gewesen wäre, seiner ihm obliegenden Verpflichtung, den Sachverhalt vollständig aufzuklären, ordnungsgemäß nachzukommen, wozu insbesondere auch die Vernehmung von Zeugen gehört (vgl § 20 Abs 1 SGB X, § 20 Abs 2 SGB X und § 21 Abs 1 S 1 SGB X sowie § 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X), ist der volle Beweis für eine Tatsache – hier also das Bestehen einer ernsthaften Darlehensabrede im Sinne des § 488 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzesbuches (BGB) – zwar erst dann erbracht, wenn sie für das erkennende Gericht mit Gewissheit feststeht, wobei Gewissheit in diesem Sinn bedeutet, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch keinen Zweifel hat (vgl G. Becker in: Eicher/Luik, SGB II, § 7, RdNr 117 mwN). Weil es aber Aufgabe der Sozialgerichte ist, die Entscheidung der Sozialverwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen (vgl für die Anfechtungssituation Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 25), begnügt sich das Gericht angesichts des Nachweises der vollständigen Rückzahlung der von der Mutter des Klägers an ihn ausgereichten Beträge mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl zu diesem Aspekt des Vollbeweises erneut G. Becker in: Eicher/Luik, SGB II, § 7, RdNr 117 mwN).

Soweit der Beklagte im Klageverfahren zusätzlich eingewandt hat, etwaige weitere Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit des Klägers seien zusätzlich zu berücksichtigen und schon deshalb könnten ihm höhere Leistungen nicht zustehen, kann ihm – dem Beklagten – dies nicht zum Erfolg verhelfen. Denn im Zugunstenverfahren sind nur diejenigen Punkte Gegenstand der sozialgerichtlichen Prüfung, die der Kläger im Rahmen seines Überprüfungsbegehren geltend gemacht hat (vgl hierzu im Einzelnen schon: Bundessozialgericht, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R, RdNr 14ff mwN). Dürfte der Beklagte im Zugunstenklageverfahren plötzlich zu Ungunsten eines Betroffenen geltende Gesichtspunkte geltend machen können und das Gericht damit zwingen können, zu Ungunsten des Klägers sprechende Gesichtspunkte, die der Beklagte selbst – wie hier –trotz eigener Kenntnis außer Betracht gelassen hat, zu überprüfen, würden die auch dem Schutz der Betroffenen dienenden Aufhebungsvorschriften für vermeintlich rechtswidrig begünstigende – gegebenenfalls schon unanfechtbar gewordene – sozialverwaltungsbehördliche Entscheidungen (vgl insbesondere die Regelungen des § 40 Abs 1 S 1 SGB II und § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X bis § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X iVm § 330 Abs 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – <SGB III>) umgangen.

Hier kommt nach Auffassung der Kammer hinzu, dass der Beklagte trotz seiner Kenntnis von gegebenenfalls höheren Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit des Klägers bereits im Überprüfungsverfahren Leistungen gewährt hat, ohne solche Einnahmen zu berücksichtigen. Insofern hätte – spätestens während des Klageverfahrens aufgrund neuer Erkenntnisse – die Mechanismen des § 40 Abs 1 S 1 SGB II und § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X bis § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X iVm § 330 Abs 2 SGB III bemühen und seine bewilligenden Zugunstenentscheidungen wieder (teilweise) aufheben können, wenn er zu der Auffassung gelangt wäre, deren Voraussetzungen lägen vor. Da diese sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidungen dann gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens oder gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand dieses Klageverfahrens geworden wären, hätte das Gericht dann – und nur dann – auch die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen prüfen müssen, so dass der Beklagte durch den Ausschluss seiner Einwände auch nicht rechtlos gestellt ist.

ff) Weil der Kläger schließlich auch nicht über einzusetzendes Vermögen gemäß § 12 SGB II verfügte, steht ihm jeweils ein monatlicher Anspruch auf Gewährung höherer passiver Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II unter Berücksichtigung der bisherigen Berechnungsparameter und ohne Berücksichtigung der Darlehenszahlungen der Mutter des Klägers zu, weshalb sich die angegriffenen Höchstbetragsfestsetzungen des Beklagten als rechtswidrig erweisen und den Kläger in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten beschweren (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG); daher erweisen sich auch die Abänderungsanfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG iVm § 56 SGG als begründet.

b) Wenn danach die Abänderungsanfechtungsklagen im tenorierten Umfang begründet sind, erweisen sich auch die mit ihnen kombinierten Verpflichtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 3 SGG iVm § 56 SGG als begründet. Denn die Begründetheit dieser Verpflichtungsklagen setzt in Verfahren der vorliegenden Art aufgrund des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits zulässige und begründete Anfechtungsklagen voraus. Zudem hat der Kläger gegen den Beklagten – wie dargelegt – einen Anspruch darauf, dass er – der Beklagte –seine ablehnenden sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen in noch größerem Umfang abändert.

c) Wenn nach alledem die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklagen begründet sind, gilt Gleiches auch für die mit ihnen kombinierten Leistungsklagen im Sinne des § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG. Denn die Begründetheit der Leistungsklagen setzt in Verfahren der vorliegenden Art aufgrund des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits eine zulässige und begründete Anfechtungs- und Verpflichtungsklage voraus. Zudem hat der Kläger gegen den Beklagten – wie dargelegt – einen Anspruch darauf, dass dieser ihm die aufgrund der gerichtlichen Entscheidung in einem größeren Umfang zu bewilligenden Leistungen – unter Berücksichtigung der bereits für die im Tenor genannten Zeiträume gezahlten Leistungen – gewährt.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass der Beklagte dem Kläger 9/10 der ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat, weil dies – nach der zeitlichen Beschränkung des Begehrens durch den Kläger – im Wesentlichen dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen entspricht. Die Aufwendungen des Beklagten sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (§ 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).

5. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 183 S 1 SGG).