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Entscheidung 1 K 1253/20


Metadaten

Gericht VG Cottbus 1. Kammer Entscheidungsdatum 24.02.2023
Aktenzeichen 1 K 1253/20 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0224.1K1253.20.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 10 Nr 7 EntschG, § 15 GBBerG, § 5 HypAblV, § 10 VwZG, § 8 VwZG

Tenor

Die Bescheide des Bundesamtes für Zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vom 29. November 2017 (B...) und vom 18. Juni 2020 (B...) werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist für die Klägerin hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann deren Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens nach den Bestimmungen des Entschädigungsgesetzes (EntschG) und des Grundbuchbereinigungsgesetzes (GBBerG) und gegen die Feststellung des Bundesamtes für Zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (nachfolgend: Bundesamt), dass die Rechte an dem 1.035 m² großen Grundstück G... (heute: F...) auf den Entschädigungsfonds übergehen.

Das Grundstück stand seit dem 30. Juni 1942 im Eigentum der H... (geb. S..., nachfolgend: die Alteigentümerin), die ihren Wohnsitz im Westteil Berlins (Berlin-Neukölln) hatte; es unterlag seit dem 10. Oktober 1963 der staatlichen Verwaltung nach § 6 der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 (DDR-GBI. I S. 615).

Die am 31. Mai 1891 geborene Alteigentümerin, Tochter von C... und M...(geb. W...), verstarb am 07. März 1968. Sie soll vier Geschwister – L...(geb. 1884), M... (geb. 1885), F...(geb. 1887) und P... (geb. 1890) – gehabt haben.

Der Ehemann der Alteigentümerin, der am 21. Januar 1890 geborene J..., war am 09. März 1962 vorverstorben; er war der Sohn von T...(geb. L...).

Aus der Ehe der Alteigentümerin sollen ausweislich eines Eintrags in der Sterbesammelakte zwei Kinder hervorgegangen sein, ohne dass zu einem zweiten Kind im Verwaltungsverfahren Konkretes hätte ermittelt werden können. Der Sohn der Eheleute S...(nachfolgend: der Sohn) verstarb am 27. September 1975 kinderlos. Dessen Ehefrau F... (geb. B...) schlug das Erbe zur Niederschrift des Amtsgerichts Erding (G...) am 10. November 1975 aus.

Auf Anregung der Gemeinde Z...aus dem November 2001 leitete das Bundesamt ein Aufgebotsverfahren nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG ein. Am 17. März 2014 machte es das Grundstück im Bundesanzeiger (G...) bekannt.

Die Gesellschaft für Erbenermittlung mbH (nachfolgend: die Gesellschaft) teilte dem Bundesamt unter dem 20. April 2016 mit, jedenfalls aus der 1908 geschlossenen und geschiedenen Ehe der Schwester der Alteigentümerin L... mit R...seien keine Abkömmlinge hervorgegangen. Auch sei der Bruder der Alteigentümerin F... 1961 kinderlos und der weitere Bruder P... bereits als Kleinkind verstorben.

Lediglich aus der Ehe der zweiten Schwester der Alteigentümerin M... mit K... seien vier Abkömmlinge – H... (geb. 1907), G... (geb. 1909), G...(geb. 1911) und K... (geb. nach 1911) hervorgegangen. Im Stamm H... hätten gesetzliche Erben ermittelt werden können, es lebten hier noch eine Großnichte und ein Großneffe der Erblasserin. K...sei kinderlos verstorben; G... und G...sollen jeweils einen Abkömmling hinterlassen haben. Unter dem 18. Oktober 2017 teilte die Gesellschaft der Behörde des Weiteren mit, es hätten mögliche Rechtsnachfolger der verstorbenen Schwester der Alteigentümerin M... ermittelt werden können, nämlich E...und A....

Die Gesellschaft setzte das Bundesamt im Mai und August 2017 zudem in Kenntnis, dass der Ehemann der Alteigentümerin sechs Geschwister gehabt habe, nämlich A...(geb. 04. April 1880), F... (geb. 05. November 1882), A... (geb. 09. März 1884), J... (geb. 26. April 1885), T... (geb. 20. November 1886) und F...(geb. 22. Dezember 1888 ).

H...und E... hätten vermutlich keine Kinder gehabt,

Die Tochter des M...sei 1990 verstorben. Sie habe drei Kinder, H... (geb. 1938, gest. 1978), C... (geb. 08. September 1947 [die Klägerin]) und W... (geb. 24. Februar 1949) gehabt. F...soll drei Kinder gehabt haben.

Mit Bescheid vom 29. November 2017 befand das Bundesamt, Dienstsitz G..., dass die unbekannten bzw. nicht legitimierten Rechtsnachfolger der verstorbenen eingetragenen Grundstückseigentümerin H... mit ihren Rechten an dem Grundstück und dem gegebenenfalls dazugehörigen Grundstückskonto ausgeschlossen werden und dass diese Rechte auf die Bundesrepublik Deutschland (Entschädigungsfonds) übergehen.

Der Bescheid vom 29. November 2017 wurde öffentlich zugestellt.

Die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung wurde einem Vermerk auf dem Bescheid nach am 29. November 2017 aufgehängt und am 12. Dezember 2017 abgenommen; einem Vermerk auf der Benachrichtigung selbst nach soll diese am 29. November 2017 aufgehängt und am 22. Dezember 2012 abgenommen worden sein.

Die Bundesrepublik Deutschland – Entschädigungsfonds – wurde am 27. April 2018 als Eigentümerin im Grundbuch von M... eingetragen.

Mit rechtsanwaltlichem Schreiben vom 26. Oktober 2018 machte die Klägerin als Tochter der am 05. April 2005 verstorbenen H...Erbansprüche an dem Grundstück als Miterbin geltend. Das Bundesamt wies die Ansprüche unter dem 10. Dezember 2018 mit der Begründung zurück, bis zum Ablauf der Aufgebotsfrist am 17. März 2015 hätten sich mögliche Rechtsnachfolger nicht gemeldet und der Bescheid vom 29. November 2017 sei „bestandskräftig“.

Die Klägerin kritisierte nachfolgend die behördlichen Bemühungen zur Ermittlung der Erben nach der Alteigentümerin und legte diverse Unterlagen, unter anderem E-Mail Verkehr zwischen der Gemeinde Z...und ihrem Bruder W..., ein Schreiben der Gesellschaft vom  28. August 2017,  wonach die Klägerin  „als Tochter der verstorbenen W...(...) und H... (...) bzw. als Enkelin von M...und A... geb. S...an einem positiven Nachlass beteiligt" sei, sowie ein Erinnerungsschreiben vom 09. Oktober 2017 und ein Schreiben der Gesellschaft an die Klägerin vom 08. November 2017 vor, mit dem auf den beabsichtigten Ausschlussbescheid hingewiesen wird.

Nachdem die Klägerin nachfolgend ihre Auffassung bekräftigt hatte lehnte das Bundesamt den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens – die Schreiben der Klägerin seien entsprechend auszulegen – mit Bescheid vom 18. Juni 2020 ab. Der Antrag sei schon nach § 51 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) unzulässig, weil die Klägerin ohne Weiteres imstande gewesen wäre, den Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens, ihre mögliche Erbberechtigung, in dem früheren Aufgebotsverfahren geltend zu machen. Die Klägerin habe spätestens durch das Schreiben der Gesellschaft vom 08. November 2017 von dem Ausschlussverfahren erfahren und sie hätte bereits zu diesem Zeitpunkt Ansprüche erheben können. Zudem sei der Antrag außerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt worden. Der Antrag sei aber auch unbegründet, weil die vorgelegten Unterlagen nicht geeignet seien, einen anderen Ausgang des Verwaltungsverfahrens als möglich erscheinen zu lassen. Weder habe sich die dem Bescheid vom 29. November 2017 zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten der Klägerin geändert noch habe diese neue Beweismittel (insbesondere Erbnachweise nach H... geb. S...) vorgelegt, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden.

Die Klägerin hat am 10. Juli 2020 Klage gegen den Bescheid vom 18. Juni 2020 erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Die Klägerin hat außerdem im gerichtlichen Verfahren diverse Unterlagen in Ablichtung – so unter anderem die 1. Seite eines gemeinschaftlichen Erbscheins des Amtsgerichts C..., wohl vom 06. Juli 2006, über die Rechtsnachfolge nach ihrer Mutter H... – vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

Mit dem Klageantrag aus der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 2023 hat die Klägerin auch den Bescheid des Bundesamtes vom 29. November 2017 in ihr Rechtsschutzbegehren einbezogen.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

die Bescheide des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vom 18. Juni 2020 (B...) und vom 29. November 2017 (B...) aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Bundesamt verweist auf die Begründung des Bescheides vom 18. Juni 2020. Die Entscheidung sei ersichtlich rechtmäßig. Hinsichtlich des in Ablichtung vorgelegten Erbscheins vom 06. Juli 2006 sei anzumerken, dass die Klägerin eine mögliche Erbberechtigung bereits wesentlich früher hätte geltend machen können.

Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 11. Februar 2021 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang und die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Beiakte II) Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Gerichts.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage gegen die Bescheide des Bundesamtes vom 29. November 2017 und 18. Juni 2020 und ist mit den Anfechtungsbegehren, § 42 Abs. 1 1. Alt. der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), statthaft und auch im Übrigen zulässig.

1.1 Die von der Klägerin nach gerichtlichem Hinweis in der mündlichen Verhandlung auf den Ausschlussbescheid des Bundesamtes vom 29. November 2017 erweitere Klage ist als Klageänderung nach § 91 Abs. 1 2. Alt VwGO zulässig. Die Klageänderung ist als sachdienlich zuzulassen, weil sie dazu angetan ist, ein weiteres Klageverfahren zwischen den Beteiligten zu vermeiden.

1.2 Die Klage vom 24. Februar 2023 gegen den Ausschlussbescheid des Bundesamtes vom 29. November 2017 ist insoweit auch in der Sache zulässig, insbesondere ist sie nicht verfristet. Nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO ist die Klage, sofern – wie vorliegend nach § 12 Abs. 1 S. 1 EntschG i. V. m. § 36 Abs. 4 S. 1 des Vermögensgesetzes (VermG) bei Klagen gegen Entscheidungen des Bundesamtes – ein Widerspruchsverfahren nicht stattfindet, zwar innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Die Klägerin musste diese Frist jedoch nicht wahren, weil der Bescheid vom 29. November 2017 weder wirksam öffentlich zugestellt wurde noch ihr anderweitig wirksam bekannt gegeben wurde.

Nach § 15 Abs. 3 S. 3 und 4 GbBerG ist der Ausschlussbescheid öffentlich zuzustellen, wobei auf die öffentliche Zustellung § 5 der Hypothekenablöseverordnung (HypAblV) entsprechend anzuwenden ist. Nach § 5 Abs. 1 1. Hs. HypAblV können Entscheidungen durch öffentliche Bekanntmachung nach Maßgabe des § 10 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Begünstigten unbekannt und nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu ermitteln ist; ist die Person des Begünstigten unbekannt, sind in der Benachrichtigung Name und die letzte bekannte Anschrift des ehemaligen Rechtsinhabers anzugeben.

Nach § 10 Abs. 2 S. 1 – 3 VwZG erfolgt die öffentliche Zustellung durch Bekanntmachung einer Benachrichtigung an der Stelle, die von der Behörde hierfür allgemein bestimmt ist, oder durch Veröffentlichung einer Benachrichtigung im Bundesanzeiger.

Die Benachrichtigung muss (Nr. 1) die Behörde, für die zugestellt wird, (Nr. 2.) den Namen und die letzte bekannte Anschrift des Zustellungsadressaten, (Nr. 3.) das Datum und das Aktenzeichen des Dokuments sowie (Nr. 4.) die Stelle, wo das Dokument eingesehen werden kann, erkennen lassen. Sie muss zudem den Hinweis enthalten, dass das Dokument öffentlich zugestellt wird und dass Fristen in Gang gesetzt werden können, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können. Nach § 10 Abs. 2 S. 5 und 6 VwZG ist in den Akten zu vermerken, wann und wie die Benachrichtigung bekannt gemacht wurde; das Dokument gilt als zugestellt, wenn seit dem Tag der Bekanntmachung der Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind.

Eine diesen Vorschriften entsprechende öffentliche Zustellung lässt sich der Aktenlage nicht entnehmen, weil unklar ist, ob die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung im Rahmen der vom Bundesamt gewählten Bekanntmachung am „Schwarzen Brett“, § 10 Abs. 2 S. 1 1. Alt. VwZG, zwei Wochen ausgehangen hat. Die Wahrung dieser Frist ist zwingend; wird sie verkürzt, ist die öffentliche Zustellung unwirksam (BVerwG, Beschl. v. 08. April 1998 – BVerwG 8 B 218/97 –, juris Rn. 6 [zu § 15 Abs. 3 S. 1 VwZG a. F.]; Sadler, VwVG, VwZG, 9. Aufl. 2014, § 10 VwZG Rn. 58; Danker, VwZG, 1. Aufl. 2012, § 10 VwZG Rn. 7 und in HK-VwR, 5. Aufl. 2021, § 10 VwZG Rn. 7), sofern der Zustellungsmangel nicht gegenüber dem Betroffenen nach § 8 VwZG geheilt worden ist.

Es lässt sich nicht feststellen, dass die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung des Bescheides vom 29. November 2017 zwei Wochen ausgehangen hat.

Nach Vermerken über die öffentliche Zustellung, die sich unmittelbar auf dem Bescheid vom 29. November 2017 befinden, ist die Benachrichtigung (Verwaltungsvorgang [VV] – BA I, hinter Bl. 202, 211, 213) am Mittwoch, den 29. November 2017, ausgehängt worden und sie wurde bereits am Dienstag, den 12. Dezember 2017, abgenommen. Die zwei Wochen Frist, die sich nach §§ 186 bis § 193 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) berechnet, lief jedoch erst am Mittwoch, den 13. Dezember 2017, 00:00 Uhr, ab.

Zwar findet sich auf Seite 211 des Verwaltungsvorgangs der Ausdruck der „Benachrichtigung über eine öffentliche Zustellung“ über den Aushang und die Abnahme dieser Benachrichtigung, wonach die Benachrichtigung erst am 22. Dezember 2017, einem Freitag, abgenommen worden sein soll. Es lässt sich jedoch weder nach Aktenlage noch im Anschluss an die Erörterung dieses Punktes in der mündlichen Verhandlung feststellen, dass dieser Vermerk den Tatsachen entspricht, insbesondere hat sich die Vertreterin der Beklagten insoweit nicht weiter eingelassen noch gar eine Beweiserhebung angeregt oder beantragt.

Die öffentliche Zustellung des Ausschlussbescheides ist gegenüber der Klägerin darüber hinaus unwirksam, weil das Bundesamt ihren Aufenthaltsort ohne Weiteres in Erfahrung hätte bringen können: Die Zustellungsvorschriften dienen insoweit der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), als sie gewährleisten sollen, dass der Adressat Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einrichten kann. Hiervon ausgehend gewinnt die Erfüllung der Zustellungsvoraussetzungen des § 10 VwZG besondere Bedeutung deshalb, weil das öffentlich ausgehängte Schriftstück nach dem Ablauf einer bestimmten Frist als zugestellt "gilt" (§ 10 Abs. 2 S. 6 VwZG), dem Empfänger also nicht übergeben und regelmäßig auch inhaltlich nicht bekannt wird. Diese Zustellungsfiktion ist verfassungsrechtlich als ultima ratio nur dann zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist (vgl. nur: BVerwG, Urt. v.  18. April 1997 – BVerwG 8 C 43/95 –, juris Rn. 18 m. w. N.). Vor diesem Hintergrund bestimmt § 5 Abs. 1 S. 1 HypAblV ausdrücklich, dass der Aufenthaltsort oder die Person des Begünstigten unbekannt u n d nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu ermitteln sein muss.

Diese Voraussetzungen sind hier hinsichtlich möglicher Gesamtrechtsnachfolger des Sohnes der Alteigentümerin W... aus der „Linie S...“ – nach den Großeltern väterlicherseits T...und W...– nicht ersichtlich: Die Gesellschaft für Erbenermittlung hat das Bundesamt mit Schreiben vom 20. April 2016 (Bl. 157 VV) über mögliche Gesamrechtsnachfolger des Erblassers W... aus der Linie S...– nach seinen Großeltern mütterlicherseits  C... und M... – unter anderem H..., und über eine Großnichte und einen Großneffen informiert. Unter dem 16. Mai 2017 (Bl. 171 des Verwaltungsvorgangs) hat sie das Bundesamt zudem in Kenntnis gesetzt über die 6 Geschwister des Ehemannes der Alteigentümer – unter anderem J..., geb. am 26. April 1885 – über dessen Tochter, die Mutter der Klägerin, H..., und über deren Kinder, den verstorbenen Bruder der Klägerin H..., die Klägerin und deren Bruder W..., und sie hat angemerkt, nach dem „Verbleib der Vorgenannten (…) (werde) derzeit recherchiert, sowohl C...als auch W... könnten beide noch leben“.

Vor diesem Hintergrund ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, dass das Bundesamt die Gesellschaft zwar mit E-Mail vom 08. September 2017 (Bl. 181 VV) bat, Namen und Adressen der „zwei lebenden Erben nach H...“ mitzuteilen, von einer entsprechenden Bitte unter anderem hinsichtlich der Klägerin und ihres Bruders jedoch absah, obwohl auch insoweit eine (gleich berechtigte) Erbberechtigung in Betracht kam. Dass der Gesellschaft für Erbenermittlung auch diese Anschriften bekannt waren, ergibt sich aus den von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen, so unter anderem einem Schreiben der Gesellschaft an sie vom 28. August 2017 (Bl. 246 VV).

Ebenso wenig ist nachvollziehbar, dass das Bundesamt zwar anschließend die Herren E...und A... im Aufgebotsverfahren förmlich beteiligte, sie zu der beabsichtigten Entscheidung anhörte und ihnen den Ausschlussbescheid vom 29. November 2017 gegen Empfangsbekenntnis zustellte, gegenüber der Klägerin und ihrem Bruder hiervon jedoch absah.

Auf weitere Bedenken an der Rechtmäßigkeit der öffentlichen Zustellung des Ausschlussbescheides vom 29. November 2017 kommt es nach alledem nicht mehr an. Das Gericht macht daher lediglich informierend auf die Rechtsprechung oberster Bundesgerichte aufmerksam, wonach der Vermerk über den Aushang und die Abnahme der Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung mit vollem Namen unterzeichnet sein muss und wonach das Anbringen eines Namenszeichens (Paraphe) gerade nicht genügt (vgl. BVerwG, Urt. v.  18. April 1997 – BVerwG 8 C 43.95, juris, Rn. 24; BGH, Urt. v. 19. Mai 1981 – IX ZR 15/80 –, juris Rn. 9; BFH, Urt. v. 05. März 1985 – VII R 156/82 –, juris Rn. 16 [jew. zu § 15 Abs. 3 S. 3 VwZG a. F.]; VG Bremen, Urt. v.  20. April 2022 – 7 K 1044/20 –, juris Rn. 55; Kugelmüller-Pugh in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 10 Öffentliche Zustellung, Rn. 29; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 10 Öffentliche Zustellung, Rn. 8 [jew. zu § 10 Abs. 2 VwZG n. F.]).

Die Voraussetzungen einer Unbeachtlichkeit des Fehlers der öffentlichen Zustellung liegen ebenfalls nicht vor. Nach § 8 VwZG gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Zwar dürfte ein Verstoß gegen die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung nach § 10 VwZG nach § 8 VwZG heilbar sein (vgl. mit Einschränkungen: Engelhardt/App/Schlatmann/Schlatmann, 12. Aufl. 2021, VwZG § 10 Rn. 19; für die Heilungsmöglichkeit: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v.  07. Dezember 1990 – 10 S 2466/90 –, NVwZ 1991, 1195, zit. nach: beck-online; Kugelmüller-Pugh in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 10 Öffentliche Zustellung, Rn. 32; Smollich in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 10 VwZG Rn. 12), es ist auch nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin zumindest eine Ablichtung des Ausschlussbescheides erhalten hätte.

Eine entsprechende Anwendung von Normen über die Gültigkeit der öffentlichen Bekanntmachung im Rahmen des gerichtlichen Aufgebotsverfahrens – § 949 der Zivilprozessordnung (ZPO) a. F., nunmehr § 436 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) – verbietet sich vor dem Hintergrund des § 8 VwZG von vornherein. Hiervon abgesehen soll eine „zu frühe Entfernung von der Gerichtstafel“ nur vorliegen, wenn dies vor dem Anmeldezeitpunkt (§ 434 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ZPO) geschehen ist (Holzer in Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl. 2023, § 436 FamFG Rn. 2); dieses Problem aber steht vorliegend nicht inmitten.

2. Die Klägerin ist als mögliche Miterbin nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. weil der Nachlassgegenstand als solcher dem Erbe entzogen wird und nach § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB jeder Miterbe die zur Erhaltung des Erbes notwendigen Maßregeln ohne Mitwirkung der anderen Miterben treffen kann (BVerwG, Urt. v.  16. Mai 2007 – BVerwG 3 C 25.06 –, juris Rn. 14).

3. Der Klägerin fehlt auch nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsbegehren gegen die Bescheide vom 18. Juni 2020 und 29. November 2017, denn das prozessuale Vorgehen ist ohne Weiteres geeignet, ihre Rechtsstellung zu verbessern (zu den Anforderungen etwa: Sodan in NK-VwGO Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, VwGO § 42 Rn. 350).

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin als Mitglied einer Erbengemeinschaft nach dem Sohn der Alteigentümerin M... in Betracht kommen könnte. Nach Aktenlage ist die Alteigentümerin von ihrem Sohn allein beerbt worden und nach dessen Tod am 27. September 1975 kommen als Erben – da Erben 1. und 2. Ordnung (§ 1924 Abs. 1 BGB, § 1925 Abs. 1 BGB) nicht vorhanden waren – als Erben der 3. Ordnung die Abkömmlinge der Großeltern des Erblassers mütter- und väterlicherseits in Betracht, so auch die Klägerin als Nichte 2. Grades des Erblassers M....

II. Die Klage ist auch begründet.

Die Bescheide des Bundesamtes vom 18. Juni 2020 und 29. November 2017 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

1. Das ergibt sich hinsichtlich des Bescheides über die Ablehnung eines Wiederaufgreifens des Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG vom 18. Juni 2020 bereits aus dem Vorstehenden.

Nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 S. 1 EntschG sind  an den Entschädigungsfonds Veräußerungserlöse nach § 11 Abs. 4 VermG und sonstige nicht beanspruchte Vermögenswerte, die bis zum 31. Dezember 1992 unter staatlicher Verwaltung standen, abzuführen, wenn der Eigentümer oder Inhaber sich nicht nach öffentlichem Aufgebot gemäß § 15 GBBerG gemeldet hat; nicht beanspruchte Vermögenswerte im Sinne des Satzes 1 sind auch die den nicht bekannten oder nicht auffindbaren Miteigentümern oder Miterben zustehenden Rechte, § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 S. 2 EntschG. Nach § 15 Abs. 2 S. 3 GBBerG gibt das Bundesamt die Vermögenswerte im Bundesanzeiger bekannt und fordert die Eigentümer oder Rechtsinhaber auf, sich zu melden. Nach § 15 Abs. 3 S. 1 GBBerG erlässt das Bundesamt einen Ausschlussbescheid, wenn sich der Berechtigte nicht innerhalb von einem Jahr seit der ersten Veröffentlichung der Aufforderung im Bundesanzeiger meldet; nach § 15 Abs. 3 S. 5 GBBerG hat der bestandskräftige Ausschlussbescheid die Wirkungen eines rechtskräftigen Ausschließungsbeschlusses.

Maßgebend für den Ausschluss möglicher Erben und für den Abschluss des Verwaltungsverfahrens ist mithin die Bestandskraft des Ausschlussbescheides, die hier jedoch – wie ausgeführt – nicht vorlag. Eine erst nach Erlass des Ausschlussbescheides abgegebene Meldung des Berechtigten oder eine erst nach diesem Zeitpunkt auf anderem Wege erlangte Kenntnis der Behörde von dem Berechtigten führt solange zur Rechtswidrigkeit des Ausschlussbescheides, solange dieser nicht in Bestandskraft erwachsen ist, denn nach § 15 Abs. 3 S. 5 GBBerG tritt erst zu diesem Zeitpunkt die rechtsgestaltende Wirkung des Bescheides – der Ausschluss des Betroffenen – ein. Dies hat zur Folge, dass der Betroffene sich bis dahin auf seine Berechtigung berufen und sie auch im Anfechtungsprozess gegen den Ausschlussbescheid geltend machen kann (BVerwG, Urt. v.  16. Mai 2007 – BVerwG 3 C 25.06 –, juris Rn. 17).

Der Ausschlussbescheid des Bundesamtes vom 29. November 2017 ist entgegen der Rechtsaufassung der Behörde jedoch nicht bestandskräftig, sondern konnte von der Klägerin in dem vorliegenden Verfahren angefochten werden. Der dieser Rechtslage entgegenstehende Bescheid vom 18. Juni 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, weil er abweichend hiervon von der Unanfechtbarkeit des Ausschlussbescheides ausgeht und die Anmeldung der Klägerin rechtsfehlerhaft an den Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens des Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG misst.

2. Der Bescheid des Bundesamtes vom 29. November 2017 ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihre Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.  Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 S. 1 GBBerG liegen – zumal in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – nicht (mehr) vor.

Die Klägerin hat im Oktober 2018 Ansprüche an dem streitgegenständlichen Vermögenswert angemeldet und sie kommt als Nichte 2. Grades des M... und damit als gesetzliche Miterbin in Betracht. Zwar lässt sich dem Akteninhalt kein Erbnachweis entnehmen; es wird jedoch an dem Bundesamt sein, die Klägerin und weitere in Betracht kommende Miterben entsprechend der Verfahrensweise bei den Herren E...und A... vor Erlass eines weiteren Ausschlussbescheides unter Fristsetzung zur Vorlage entsprechender Erbnachweise aufzufordern.

Auf die Frage, ob das Bundesamt im Zeitpunkt des Erlasses des Ausschlussbescheides am 29. November 2017 seiner Ermittlungspflicht nach § 15 Abs. 2 S.  1 GBBerG genügt hat, kommt es nicht an. Auch in diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es vor dem Hintergrund der Mitteilung der Gesellschaft vom 16. Mai 2017 mehr als nahe gelegen hätte, die möglichen Rechtsnachfolger nach dem Sohn der Alteigentümerin aus der „Linie S...“ zu ermitteln. Über Umfang und Richtung der Ermittlungen des privaten Erbenermittlers ist ohnehin nichts festgestellt worden (vgl. BVerwG, Urt. v.  16. Mai 2007 – BVerwG 3 C 25.06 –, juris Rn. 20).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 709 S. 2 und § 711 S. 1 und 2 ZPO.

Die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 135 und § 132 Abs. 2 VwGO.