Gericht | OLG Brandenburg 10. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 22.12.2022 | |
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Aktenzeichen | 10 U 169/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:1222.10U169.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. Oktober 2021 – 11 O 290/20 - wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.308,90 Euro festgesetzt.
I.
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zur Herausgabe der beim Amtsgericht Fürstenwalde/Spree hinterlegten Beträge von 12.000,48 € (27 HL 74/18) sowie 18.308,42 € (27 HL 75/18) gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen der I… GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) geltend.
Die Klägerin betreibt zwei Kliniken in Nauen und Rathenow. Aus den Verbrauchsdaten der Klägerin ging hervor, dass der Höchstlastbeitrag der Klägerin erheblich von der zeitgleichen Jahreshöchstlast aller Entnahmen aus dieser Netz- oder Umspannebene abweichen würde, sodass die e... AG, als (damals) zuständige Netzbetreiberin, der Klägerin in Abweichung von § 16 StromNEV ein individuelles reduziertes Netzentgelt anbot, das dem besonderen Nutzungsverhalten der Klägerin Rechnung trug. Unter dem 23./25. September 2014 schloss die Klägerin mit der Netzbetreiberin für beide Krankenhausstandorte jeweils eine Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 StromNEV (K2) ab, welche rückwirkend zum 1. Januar 2014 in Kraft trat.
Nachdem die Klägerin zunächst durch einen anderen Stromlieferanten beliefert wurde, schloss sie zur Versorgung der beiden Abnahmestellen unter dem 21. Dezember 2015 mit Wirkung vom 1. Januar 2016 einen Stromlieferungsvertrag mit der E... GmbH (K1), wonach der Lieferant neben der Stromlieferung als „all-inclusive-Lieferung mit Netznutzung“ gemäß § 1 Abs. 5a) auch die notwendigen Netzdienstleistungen über einen Lieferantenrahmenvertrag im eigenen Namen mit dem jeweiligen Netzbetreiber zu erbringen hat.
Anstelle der E... GmbH schloss die c...e... Services GmbH einen Netznutzungsvertrag für die beiden Abnahmestellen mit der Netzbetreiberin ab. Bei der c...e... Services GmbH handelt es sich um die (mittelbare) Rechtsvorgängerin der Schuldnerin, als deren Insolvenzverwalter der Beklagte mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 8. Dezember 2017 eingesetzt wurde. Der Unternehmensgegenstand der c...e... Services GmbH war die “Durchführung von Abrechnungsdienstleistungen und der Abwicklung von Netznutzungs- und Netzzugangsdienstleistungen, insbesondere für mit der Gesellschaft verbundene Unternehmen“. Die E... GmbH und die Schuldnerin sind verbundene Unternehmen im Sinne des § 15 AktG.
Der Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt vom 23./25. September 2014 stimmte ebenfalls die c...e... Services GmbH als „Stromlieferant“ zu. In der Zustimmungserklärung vom 2. Februar 2016 - Anl. 1 - (Bl. 44) heißt es:
„Der Netzbetreiber hat mit dem Letztverbraucher am 25. September 2014 eine Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt […] getroffen. Diese Vereinbarung hat der Stromlieferant vollumfänglich zur Kenntnis genommen. Er stimmt ihr mit folgender Wirkung zu:
1. Der Stromlieferant ist verpflichtet, die sich aus der mit dem Letztverbrauch[er] getroffenen Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt ergebenden Vorteile an den Letztverbraucher weiter zu reichen.
2. Der Stromlieferant im Falle des Nichtvorliegens oder Wegfalls der Voraussetzungen des individuellen Netzentgeltes verpflichtet, das nach dem Lieferantenrahmenvertrag geschuldete allgemeine Netzentgelt zu zahlen. Dies gilt gegebenenfalls auch rückwirkend, sollte sich das Nichtvorliegen der Voraussetzungen erst nachträglich herausstellen.“
Die Klägerin zahlte in der Folgezeit neben dem Entgelt für die Stromlieferung auch das nicht reduzierte monatliche Netznutzungsentgelt an die E... GmbH. Auf der Grundlage des vereinbarten individuellen Netzentgeltes ergab sich für das Kalenderjahr 2017 ein Guthaben i.H.v. 12.000,48 € bezüglich der Abnahmestelle Rathenow und i.H.v. 18.308,42 bezüglich der Abnahmestelle Nauen. Mit Schreiben vom 15. August 2018 teilte die e... Netz GmbH mit, dass sie die vorgenannten Guthaben aus der Vereinbarung eines individuellen Netzentgeltes gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 StromNEV für das Jahr 2017 bei der Hinterlegungsstelle des zuständigen Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree zur Geschäftsnummer 27 HL 74/18 und 27 HL 75/18 hinterlegt habe, da nicht eindeutig feststellbar sei, wem das entstandene Guthaben auszuzahlen sei, nachdem sowohl die Klägerin als auch der Beklagte die Erstattungsbeträge für sich beansprucht hätten.
Die Klägerin erhob daraufhin Klage auf Zustimmung zur Herausgabe gegen Rechtsanwalt H... als Insolvenzverwalter über das Vermögen der E... GmbH vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) zum Aktenzeichen 11 U 98/19. Das Landgericht gab der Klage statt, das Brandenburgische Oberlandesgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. September 2020 – 4 U 4/20 - mit der Begründung ab, dass der Beklagte als Insolvenzverwalter der E... GmbH nicht passiv legitimiert sei. Er sei weder in den Hinterlegungsanzeigen der e... Netz GmbH benannt, noch habe die E... GmbH vor der Hinterlegung von der Netzbetreiberin Zahlung verlangen können.
Die vorliegende Klage hat die Klägerin nunmehr gegen Rechtsanwalt H... als Insolvenzverwalter über das Vermögen der I... GmbH gerichtet. Sie verlangt die Zustimmung des Beklagten zur Herausgabe der hinterlegten Beträge für beide Abnahmestellen. Sie hat geltend gemacht, ihr seien gemäß § 19 Abs. 2 Strom NEV in Verbindung mit Ziff. 6 S. 5 der Vereinbarungen über ein individuelles Netzentgelt Erstattungsansprüche entstanden. Weise der Letztverbraucher das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung eines individuellen Netzentgelts nach, werde die eingetretene Netzentgeltreduktion für das betreffende Kalenderjahr gemäß Ziff. 6 S. 5 der Vereinbarung vom Netzbetreiber erstattet. Im Falle der Netznutzung durch den Stromlieferanten werde dieser in Ziffer 1.3 der Vereinbarung verpflichtet, die sich aus der Vereinbarung ergebenden Vorteile an den Letztverbraucher weiter zu reichen. Die Schuldnerin sei zu keinem Zeitpunkt Letztverbraucher im Sinne der StromNEV gewesen, sodass die Netzbetreiberin nicht berechtigt gewesen sei, die der Klägerin zustehenden Erstattungsbeträge für die Schuldnerin zu hinterlegen.
Der Beklagte hat geltend gemacht, die Klägerin habe keinen direkten Anspruch gegen die Netzbetreiberin auf Erstattung des zuviel gezahlten Netzentgelts. Im Verhältnis zum Netzbetreiber sei allein der Stromlieferant Vertragspartner und könne Ansprüche geltend machen. Dies ergebe sich auch aus dem Vertrag über die „all-inclusive-Stromlieferung mit Netznutzung“ vom 21. Dezember 2015, nach dem der Stromlieferant verpflichtet sei, die Erbringung notwendiger Netzdienstleistungen über einen Lieferantenrahmenvertrag in eigenen Namen mit dem jeweiligen Netzbetreiber zu regeln. In diesem Vertragsverhältnis sei der Stromlieferant verpflichtet, den Erstattungsbetrag an den Letztverbraucher weiterzuleiten; vorliegend sei er jedoch wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen daran gehindert. Ein direkter Erstattungsanspruch des Stromkunden ergebe sich auch nicht aus § 19 Abs. 2 Strom NEV i.V.m. der Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt. Ziff. 1.3 dieser Vereinbarung stelle klar, dass die Abrechnung der Netznutzung weiterhin zwischen dem Stromlieferanten und dem Netzbetreiber erfolge.
Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 29. Oktober 2021 stattgegeben und seine Entscheidung damit begründet, dass sich aus Ziff. 6 S. 5 der Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt zwischen der Klägerin und der Netzbetreiberin ergebe, dass der Stromkundin als Vertragspartnerin die Erstattungsansprüche zustünden. Gemäß dieser Regelung werde die eingetretene Netzentgeltreduktion für das betreffende Kalenderjahr vom Netzbetreiber erstattet. Gemäß Ziffer 1.3 der Vereinbarung nehme der Stromlieferant lediglich die Abrechnung der Netznutzung für den Letztverbraucher vor, werde aber nicht Inhaber des Rückerstattungsanspruchs nach § 19 Abs. 2 Satz 1 StromNEV.
Gegen das ihm am 1. November 2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 1. Dezember 2021 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 4. Februar 2022 mit Schriftsatz vom 16. Februar 2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründet und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Senat hat ihm mit Beschluss vom 15. März 2022 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Der Beklagte hat geltend gemacht, das Landgericht sei aufgrund einer fehlerhaften Auslegung zu seiner Entscheidung gekommen. Aus Ziff. 6 S. 5 der Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt, ergebe sich kein Anspruch der Klägerin, da es in Ziff. 1.3 der Vereinbarung heiße:
„Im Fall der Netznutzung durch den Stromlieferanten des Letztverbrauchers erfolgt die Abrechnung der Netznutzung weiterhin zwischen dem Stromlieferanten und dem Netzbetreiber. Der Stromlieferant ist verpflichtet, die sich aus dieser Vereinbarung ergebenden Vorteile an den Letztverbraucher weiter zu reichen. Die Verpflichtung des Stromlieferanten, die mit dem Netzbetreiber in dem Lieferantenrahmenvertrag vereinbarten Netzentgelte auch rückwirkend zu zahlen, wenn und soweit die Voraussetzungen für ein individuelles Netzentgelt nicht vorliegen oder wegfallen, bleibt unberührt. Voraussetzung für die Gewährung des individuellen Netzentgelts und die Wirksamkeit der vorliegenden Vereinbarung ist daher das Vorliegen der Zustimmung des jeweiligen Stromlieferanten gemäß Anl. 1 beim Netzbetreiber. Der Letztverbraucher hat diese Zustimmung einzuholen und dem Netzbetreiber im Original zu überlassen.“
Die Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt regle damit keinen Direktanspruch des Letztverbrauchers gegen die Netzbetreiber. Aus § 8 (Abrechnungen) und § 9 (Ausgleich von Mehr- oder Mindermengen) des Netznutzungsvertrages ergebe sich, dass diese Abrechnungen ausschließlich zwischen dem Netzbetreiber und dem Netznutzer erfolgten. Das „Durchreichen“ der Netznutzungsentgelte führe dazu, dass sich eine Vertragskette vom Netzbetreiber über den Netznutzer hin zum Letztverbraucher ergebe.
Er beantragt,
das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. Oktober 2021 - 11 O 290/20 -, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
II.
Die nach Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss des Senates vom 15. März 2022 zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat den Beklagten zu Recht verurteilt, der Herausgabe der von der Netzbetreiberin hinterlegten Beträge an die Klägerin zuzustimmen.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Abgabe der Zustimmung zur Herausgabe der hinterlegten Geldbeträge an die Klägerin gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB gegen den Beklagten zu.
1. Der Beklagte hat durch die Hinterlegung der Erstattungsbeträge zu seinen sowie der Klägerin Gunsten die Stellung eines Hinterlegungsgläubigers ohne Rechtsgrund auf Kosten der Klägerin erlangt. Die Hinterlegung eines Geldbetrages gemäß § 372 BGB für mehrere Anspruchsteller verschafft demjenigen, dem materiellrechtlich der Zahlungsanspruch (bzw. das vorrangige Pfandrecht) im Verhältnis zum Schuldner nicht zusteht, auf Kosten des wirklich Berechtigten (bzw. vorrangigen Pfandgläubigers) eine günstigere Rechtsstellung. Dem wirklichen Inhaber des Rechts steht daher gegen den oder die anderen Prätendenten ein materiellrechtlicher Anspruch aus § 812 auf Einwilligung in die Freigabe zu (st. Rspr. s. nur BGH, Urteile vom 26. April 1994 - XI ZR 97/93, Rn. 21 m. weiteren Nachweisen und vom 13. November 1996 - VIII ZR 210/95, Rn.10).
a) Der Beklagte hat die Stellung eines Hinterlegungsgläubigers ohne Rechtsgrund erlangt, denn der Schuldnerin stand kein Anspruch gegen die Netzbetreiberin auf Auskehrung eines Guthabens wegen individueller Netznutzung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 StromNEV zu.
aa) Ein solcher Anspruch ergab sich nicht aus dem Netznutzungsvertrag vom 23./24. September 2015 zwischen der Schuldnerin und der Netzbetreiberin, der eine entsprechende Regelung nicht vorsieht. Der Netznutzungsvertrag regelt in § 7 „Entgelte“, dass der Netznutzer für die Leistung des Netzbetreibers die Entgelte nach Maßgabe der geltenden auf der Internetseite des Netzbetreibers veröffentlichten Preisblätter zahlt. Ein Anspruch auf Reduzierung des Netzentgeltes, insbesondere aus einer Vereinbarung nach § 19 Abs. 2 StromNEV über ein individuelles Netzentgelt wird dort nicht geregelt. Vielmehr bestimmt § 7 Abs. 3 des Netznutzungsvertrages ausdrücklich, dass die Abrechnung der Vergütung von Strom und anderer Entgelte nach dem EEG, dem KWKG, die Vereinbarung individueller Nutzentgelte nach § 19 der Stromnetz-Entgeltverordnung sowie die Vergütung von Systemdienstleistungen nicht Gegenstand dieses (Netznutzungs-)Vertrages sind.
Auch aus § 8 „Abrechnung, Zahlung und Verzug“ kann der Beklagte keinen Anspruch auf Auszahlung eines individuellen Netzentgeltes herleiten. Dass Abrechnungen allein zwischen dem Netzbetreiber und dem Netznutzer erfolgen, sagt noch nichts darüber aus, wem ein Erstattungsanspruch aus einem Vertrag über ein individuelles Netzentgelt zusteht. Über die Klarstellung in § 7 Abs. 3 hinaus findet sich lediglich unter § 2 Abs. 3 des Netznutzungsvertrages eine Bezugnahme auf die Belieferung des Letztverbrauchers: „Bei Vorliegen eines „all-inclusive-Vertrages“ zwischen einem Lieferanten und einem Letztverbraucher regelt dieser Vertrag auch die Ausgestaltung der Netznutzung durch den Lieferanten zur Belieferung des betreffenden Letztverbrauchers. Der Lieferant schuldet in diesem Fall dem Netzbetreiberbetreiber die anfallenden Netzentgelte. Erbringt ein Lieferant einem Letztverbraucher gegenüber ausschließlich die Leistung Stromlieferung, bedarf es einer gesonderten Vereinbarung über die Leistung.“
Daraus ist lediglich zu ersehen, dass, - unstreitig - die Schuldnerin im eigenen Namen den Netznutzungsvertrag mit der Netzbetreiberin abgeschlossen hatte und dieser deshalb das Netzentgelt geschuldet hat. Darüber hinaus regelt der Netznutzungsvertrag unter § 8 Abs. 14 nur eine Erstattung von Überzahlungen durch den Netzbetreiber aufgrund von Fehlern bei der Ermittlung von Rechnungsbeträgen. Soweit sich aus dem von ihr abgeschlossenen Netznutzungsvertrag eine Überzahlung ergibt, etwa aufgrund eines Abrechnungsfehlers, steht der Schuldnerin als Vertragspartnerin der Netzbetreiberin ohne Zweifel das entsprechende Guthaben aus dem Vertrag zu. Vorliegend ist jedoch maßgeblich, dass sich die streitgegenständlichen Guthaben, die die Netzbetreiberin beim Amtsgericht beim Amtsgericht hinterlegt hat, nicht aus einem Abrechnungsfehler des Netznutzungsvertrages ergeben; auch der Beklagte hat nicht vorgetragen, dass die Netznutzung falsch abgerechnet worden ist. Die Erstattungsbeträge ergeben sich vielmehr aus einem bestimmten Verhalten des Letztverbrauchers, das der Gesetzgeber privilegieren und mit einer Reduktion des Netznutzungsentgeltes belohnen wollte, wie sich aus § 19 Abs. 2 Strom NEV ergibt (BGH, Beschl. v. 18. Juli 2017 – EnVR 35/16, Rn. 16 Beck online; OLG Düsseldorf (5. Kartellsenat), Beschluss vom 06. Oktober 2016 - VI-5 Kart 13/15 (V), Rn. 26, Beck online).
Der Beklagte kann einen eigenen Anspruch des Netznutzers auch nicht aus § 9 des Netznutzungsvertrages herleiten. Wie sich aus § 9 Abs. 2 ergibt, nehmen die dort angesprochenen Mehr- oder Mindermengen Bezug auf die in § 13 Abs. 1 StromNZV geregelte Verfahrensweise bezüglich Verbrauchern, deren Verbrauchswerte - anders als für die Klägerin - nicht mittels einer registrierenden Leistungsmessung (RLM-Messung), sondern kostenrechnerisch ermittelt werden. Bei diesen Kunden wird das allgemeine Netzentgelt zunächst anhand der Stromverbrauchswerte des vorangegangenen Abrechnungsjahres ermittelt und ein hieran bemessener monatlicher Abschlag abgerechnet. Nach Abschluss des Abrechnungszeitraumes erfolgt eine Ablesung des Standardlastprofil-Zählgerätes (SLP-Messung) und auf der Basis der tatsächlichen Verbrauchswerte wird eine Nachberechnung von im Vergleich zu den historischen Werten zu wenig berechneter Netzentgelte oder eine Rückvergütung zu viel gezahlter Netzentgelte vorgenommen (Theobald/Kühling-Lüdtke/Handjery, Energierecht, 2022, § 13 StromNZV, Rn. 12 ff.).
Entgegen der Ansicht des Beklagten ergibt sich ein eigener Anspruch der Schuldnerin auch nicht aus § 2 Abs. 7 des Stromliefervertrages, der den Mechanismus der Preisanpassung bei sich ändernden Nutzungsentgelten regelt. Danach hat der Stromlieferant bei einer Erhöhung das Recht, bei einer Reduzierung die Pflicht zur Weitergabe der Entgeltänderung. Im vorliegenden Fall kann sich die Schuldnerin schon deshalb nicht auf § 2 Abs. 7 berufen, weil sie an dem Stromliefervertrag nicht beteiligt ist.
§ 2 Abs. 7 des Stromliefervertrages betrifft zudem nicht den Fall einer Erstattung des
individuellen Netzentgeltes, sondern, wie die Klägerin zutreffend ausführt, die in § 7 Abs. 1 und 6 geregelte periodische Anpassung des allgemeinen Netzentgelts. Die konkrete Höhe des allgemeinen Netzentgelts wird vom jeweiligen Netzbetreiber gemäß § 21 StromNEV nach den Vorgaben der Anreizregulierungsverordnung (ARegV) jährlich ermittelt und jeweils zum 1. Januar eines Kalenderjahres angepasst. Da Stromlieferverträge mit Letztverbrauchern und hiermit korrespondierend die dazu erforderlichen Netznutzungsverträge mit dem Netzbetreiber in aller Regel für einen längeren Zeitraum als ein Kalenderjahr geschlossen werden, bedarf es in diesen Vertragsverhältnissen jeweils Vereinbarungen, wie mit einem erhöhten oder gesenkten allgemeinen Netzentgelt umzugehen ist. Diese Regelungen finden sich für den Netznutzungsvertrag in § 7 Abs. 1 und 6 und für den Stromliefervertrag zwischen der E... GmbH und der Klägerin in § 2 Abs. 7. Gemäß § 7 Abs. 1 „zahlt der Netznutzer für die Leistungen des Netzbetreibers die Entgelte nach Maßgabe der geltenden auf der Internetseite des Netzbetreibers veröffentlichten Preisblätter“; nach Abs. 6 erfolgt „eine Anpassung der Netzentgelte […] immer zum 1. Januar eines Kalenderjahres, [.…]“.
Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass sich ein eigener Erstattungsanspruch schon daraus ergebe, weil die Regelung in Ziff. 1 der Anlage 1 „Zustimmung zur Vereinbarung eines individuellen Netzentgeltes“ wonach der Stromlieferant verpflichtet ist, die sich aus der getroffenen Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt ergebenden Vorteile an den Letztverbraucher weiterzuleiten, im Hinblick auf die in Ziffer 1.3 der Vereinbarung über das individuelle Nutzungsentgelt getroffene Regelung überflüssig wäre.
Die Zustimmung der Schuldnerin vom 2. Februar 2016 ist vielmehr im vorliegenden Fall unter anderem deshalb notwendig, weil sie als Netznutzerin nicht zugleich Stromlieferantin ist. Die Stromlieferantin mag ihre gegenüber der Klägerin bestehende Verpflichtung aus dem „all-inclusive-Stromliefervertrag“, im eigenen Namen einen Netznutzungsvertrag mit der Netzbetreiberin abzuschließen, dadurch erfüllt haben, dass sie diese Aufgabe der Schuldnerin als konzernverbundenem Unternehmen überlassen hat, wie es ihr § 7 Abs. 4 des Stromliefervertrages gestattet. Daraus ergibt sich jedoch keinerlei vertragliche Beziehung zwischen der Klägerin und der Schuldnerin. Letztere hat mit ihrer Zustimmung die Verpflichtung gegenüber der Netzbetreiberin (und der Klägerin) im Sinne eines Vertrages zugunsten Dritter übernommen, als Zahlstelle oder Abrechnungsstelle, wie es das Landgericht formuliert hat, das Guthaben aus der Abrechnung des individuellen Netzentgelts an die Klägerin weiterzuleiten. Ohne die Zustimmung der Schuldnerin würde sich die Regelung in Ziff. 1.3 der Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt als (unwirksamer) Vertrag zu Lasten Dritter darstellen, weil die Schuldnerin keine Vertragspartei dieser Vereinbarung ist.
Ohne diese Zustimmung bestünde darüber hinaus auch kein Anspruch der Klägerin gegen die Schuldnerin auf Auskehr der Vorteile aus der Vereinbarung, da diese mangels vertraglicher Beziehung mit der Schuldnerin keinerlei vertragliche Ansprüche gegen diese als Netznutzerin geltend machen kann. Damit würde die Netzbetreiberin allerdings gegen ihre Verpflichtungen aus der Genehmigung der Vereinbarung durch die Bundesnetzagentur verstoßen. Da § 19 Abs. 2 StromNEV im Ergebnis aber den Letztverbraucher und nicht den Stromlieferanten begünstigen will, muss die Weiterleitung der Vorteile des reduzierten, individuellen Netzentgelts an den Letztverbraucher gesichert sein (Beschluss der Bundesnetzagentur vom 9. Januar 2006 – 8. BK 08-15/014, S. 7).
bb) Aus der Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt vom 23./25. September 2014 ergibt sich ebenfalls kein Anspruch der Schuldnerin auf Auskehr einer Netzentgelterstattung, weil diese Vereinbarung allein zwischen der Netzbetreiberin und der Klägerin geschlossen worden ist und die Schuldnerin an der Vereinbarung nicht beteiligt ist.
2. Dagegen steht der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung eines Guthabens aus überzahltem Netzentgelt aus Ziff. 6 S. 5 der Vereinbarung eines individuellen Netzentgelts vom 23./24. September 2014 zu.
Ziff. 6 S. 5 regelt die Abrechnung, die nach Ablauf eines Kalenderjahres erfolgt: „Die Leistungsabrechnung erfolgt bei Vorliegen aller Voraussetzungen auf der Basis des höchsten innerhalb des Hochlastzeitfensters eingetretenen Leistungswertes. Die eingetretene Netzentgeltreduktion für das betreffende Kalenderjahr wird vom Netzbetreiber erstattet.“
Die Regelung wendet sich in erster Linie an den Letztverbraucher, der zugleich Netznutzer ist, (Ziff. 1.2 der Vereinbarung), denn im Grundsatz setzt eine Abrechnung geleistete Zahlungen voraus, über die abgerechnet wird. Dies ergibt sich aus Ziff. 6 Abs. 2, wonach der Netzbetreiber für das betreffende Kalenderjahr für seine erbrachten Leistungen zunächst monatliche Abschlagszahlungen auf Basis der veröffentlichten allgemeinen Netzentgelte in Rechnung stellt. Der Klägerin wird als „all-inclusive-Kundin“ jedoch von der Netzbetreiberin nichts in Rechnung gestellt, sie schuldet der Netzbetreiberin kein Netzentgelt. Für sie ist Ziff. 1.3. der Vereinbarung maßgeblich, wonach die Abrechnung über die Netznutzerin erfolgt.
Die Regelung in Ziff. 6 Abs. 3 ist allerdings nach §§ 133, 157 BGB im Hinblick auf die Zielsetzung des § 19 Abs. 2 StromNEV, den Letztverbraucher zu begünstigen, dahingehend auszulegen, dass sie auch die „all-inclusive-Fälle“ betrifft, bei denen der Letztverbraucher keinen Netznutzungsvertrag mit der Netzbetreiberin abgeschlossen hat und deshalb nicht in einem ständigen Abrechnungsverhältnis mit ihr steht. Danach ergibt sich aus der Regelung auch ein Anspruch der Klägerin gegen die Netzbetreiberin auf Auszahlung der Netzentgeltreduktion, allerdings aus Gründen der Vereinfachung der Abrechnung für die Netzbetreiberin nur über die Netznutzerin als Zahlstelle. Inhaberin des Anspruchs bleibt aber die Letztverbraucherin, hier die Klägerin.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung aufweist noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO. Soweit sich der Beklagte auf eine Entscheidung des LG Hamburg vom 11. Juli 2020 – 407 HKO 67/18 – beruft, lag dieser Entscheidung ein anderer Vertrag zugrunde.
Der Streitwert wird gemäß §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO festgesetzt.