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Entscheidung 2 Reha 3/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 09.03.2023
Aktenzeichen 2 Reha 3/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0309.2REHA3.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des der Kammer für Rehabilitierungsverfahren bei dem Landgericht Frankfurt (Oder) vom 23. August 2022 insoweit aufgehoben, als es dessen Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung der Betroffenen hinsichtlich des Urteils des Kreisgerichts Frankfurt (Oder) vom 6. April 1976 (Az.: S 86/76) zurückgewiesen hat.

Das Urteil des Kreisgerichts Frankfurt (Oder) vom 6. April 1976 (Az.: S 86/76) wird für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

Die Betroffene hat in der Zeit vom 21. Februar 1976 bis zum 14. Juni 1977 zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten.

Die Betroffene hat Anspruch auf Erstattung von 50 % der Kosten des Verfahrens vor dem Kreisgericht Frankfurt (Oder) (Az.: S 86/76) im Verhältnis von zwei Mark der Deutschen Demokratischen Republik zu einer deutschen Mark.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt für beide Instanzen die Staatskasse.

Gründe

I.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 6. Dezember 2019 hat der Antragsteller die strafrechtliche Rehabilitierung für die Betroffene, seine inzwischen verstorbene Mutter, beantragt. Dies bezieht sich auf die Verurteilung durch das Kreisgericht Frankfurt (Oder) vom 18. September 1974 (Az.: S 365/74)wegen Staatsverleumdung (§ 220 StGB/DDR) zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren unter Androhung eines Freizeitzuges von acht Monaten sowie auf die Verurteilung durch das Kreisgericht Frankfurt (Oder) vom 6. April 1976 (Az.: S 86/76) wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten (§ 249 Abs. 1 StGB/DDR) zu Arbeitserziehung für die Dauer von zwei Jahren sowie staatlicher Kontroll- und Erziehungsaufsicht und Arbeitsplatzbindung.

Mit Beschluss vom 7. März 1975 wurde die Bewährung aus dem Urteil vom 18. September 1974 widerrufen. Die Freiheitsstrafe verbüßte die Betroffene in der Zeit vom 29. April 1975 bis zum 22. Dezember 1975.

Für das Verfahren S 86/76 des Kreisgerichts Frankfurt (Oder) wurde die Betroffene am 21. Februar 1976 festgenommen. Die Arbeitserziehung wurde bis zum 14. Juni 1977 vollzogen.

Mit Beschluss vom 23. August 2022 hat das Landgericht Frankfurt (Oder) den Rehabilitierungsantrag zurückgewiesen, weil Nachweise bzw. Anknüpfungstatsachen, nach denen mit der für eine Rehabilitierung mindestens erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, dass die Entscheidungen politischer Verfolgung oder sachfremden Zwecken gedient hätten oder die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu den zugrunde liegenden Taten stünden, nicht erkennbar seien. Insbesondere habe auch der zu den Tatzeitpunkten erst zwölf- beziehungsweise vierzehnjährige Antragsteller aus eigener Wahrnehmung und Erinnerung keine konkreten Einzelheiten zu den Umständen der Verurteilungen vorbringen können. Die Erkenntnismöglichkeiten seien ausgeschöpft.

Gegen den Beschluss hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

1.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Sie ist ersichtlich auf die Verurteilung durch das Kreisgericht Frankfurt (Oder) vom 6. April 1976 beschränkt. Die Beschwerdebegründung des Antragstellers vom 6. Dezember 2022 beschäftigt sich allein mit dieser. Ein weitergehende Anfechtungswille ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur vom 19. Dezember 2022, die der Antragsteller um Unterstützung bei seiner Beschwerdebegründung gebeten hatte.

2.

Das Urteil des Kreis Gerichts Frankfurt (Oder) vom 6. April 1976 (Az.: S 86/76) erweist sich als rechtsstaatswidrig.

Gemäß § 1 Abs. 1 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I, S. 2664) sind die im Beitrittsgebiet ergangenen strafrechtlichen Entscheidungen deutscher Gerichte für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Entscheidungen der politischen Verfolgung gedient haben und die Rechte des Betroffenen in verwerflicher, die Menschenwürde missachtender Weise verletzt haben.

Verurteilungen, die auf § 249 StGB/DDR beruhen, sind nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung nicht schlechthin rechtsstaatswidrig. § 249 StGB/DDR statuiert im Zusammenspiel mit Artikel 24 Abs. 2 Satz 2 der DDR-Verfassung das Recht und die Pflicht zu arbeiten. Durch das kriminalpolitische Ziel, einen arbeitsfähigen erwachsenen Menschen durch eine geregelte Berufstätigkeit zum Erwerb seiner notwendigen Mittel anzuhalten, wird auch nach Auffassung des Senats die Würde des Menschen nicht verletzt. (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 29. August 1994, 1 Ws 55/94; OLG Rostock VIZ 1995, 127). Eine derart begründete Arbeitspflicht fällt auch nicht unter das in Artikel 4 Abs. 2 EMRK und in Artikel 12 Abs. 2 Grundgesetz normierte Verbot der Zwangsarbeit, was umso mehr bei Verletzung bestehender Unterhaltspflichten gilt. Erforderlich ist allerdings, dass die in der Vorschrift des § 249 StGB/DDR vorausgesetzte Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenlebens eine solche Intensität erreicht hat, dass eine Ahndung durch strafrechtliche Mittel auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtsstaatlich noch tragbar erscheint. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn der Betroffene im Zusammenhang mit dem ihm zur Last gelegten Verhalten einen Straftatbestand erfüllt oder durch sein Verhalten massiv in Rechtspositionen anderer eingegriffen hat (vgl. OLG Dresden NJ 1994, 469). (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Januar 2010, Az.: 2 Ws (Reha) 55/09). Diese Anforderungen hat auch das Oberste Gericht der DDR in den zu § 249 StGB/DDR entwickelten Grundsätzen vorausgesetzt und ausgeführt, dass die Tatsache der Nichtarbeit allein grundsätzlich noch keine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet. (vgl. Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1984, § 249 Nr. 2 und 4 a. E.).

Ein derartiger Grad der Gefährdung bzw. der Beeinträchtigung des gesellschaftlichen Zusammenlebens erscheint hier unwahrscheinlich, so dass an den vorstehenden Maßstäben gemessen kein strafwürdiges Unrecht festzustellen ist.

Auch wenn mangels noch vorhandener Unterlagen die der diesbezüglichen Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen im Einzelnen nicht mehr aufzuklären sind, so ergibt sich aus dem Vortrag des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, dass es einen gravierenden Eingriff in Rechte Dritter durch die Betroffene seinerzeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht gegeben hat.

So hat der Antragsteller nachvollziehbar und plausibel angegeben, zur fraglichen Tatzeit im Haushalt seiner Mutter gelebt zu haben, was im Einklang mit noch vorhandenen Dokumenten steht. Unterhaltsrückstände könne es deshalb nicht gegeben haben. Im Übrigen habe seine n Mutter zu jener Zeit auch keine Mietrückstände gehabt, da sie in der Zeit von 1973 bis 1979 mit einem Partner zusammengelebt habe. Dieser habe über ein festes Arbeitseinkommen verfügt, die Miete und die übrigen Lebenshaltungskosten getragen, während sich seine Mutter um den Haushalt gekümmert habe. In einem Protokoll über die Beratung des Beirates für die Wiedereingliederung kriminell gefährdeter Bürger am 19. Februar 1976 ist vermerkt, dass die Betroffene nach ihrer Entlassung aus dem Strafvollzug im Dezember 1975 noch keine Arbeit aufgenommen habe. Es seien ihr insgesamt sieben Arbeitsstellen nachgewiesen worden, die Betroffene habe jedoch in keinem der Betriebe vorgesprochen. Es sei deshalb Strafanzeige gegen sie zu stellen. Hinweise auf gravierende Eingriffe in Rechte Dritter durch die Betroffene während dieser kurzen Zeit ihrer Nichtarbeit sind weder daraus noch sonst auch nur ansatzweise ersichtlich. Dies erscheint auch nach dem Vortrag des Antragstellers, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht, unwahrscheinlich. Eine Verurteilung wegen bloßer Nichtarbeit nach § 249 Abs. 1 StGB/DDR kann nach rechtsstaatlichen Maßstäben keinen Bestand haben (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Beschluss vom 4. August 2022 - 2 Reha 2/22). Sie ist vielmehr als rechtstaatswidrig aufzuheben, wenn - wie hier - allein der Umstand der Nichtarbeit als Grundlage für eine strafrechtliche Ahndung bleibt.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 6 Abs. 1, § 14 StrRehaG, 473 Abs. 1 StPO.

Der Staatslasse waren auch die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die dem Antragsteller in diesem entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

§ 14 Abs. 2 Satz 1 StrRehaG bestimmt im Gegensatz zu den Vorschriften der StPO zwingend, dass die notwendigen Auslagen des Antragstellers bereits dann in vollem Umfang der Staatskasse aufzuerlegen sind, wenn er lediglich einen Teilerfolg erzielt. Wird aber sein Antrag in der ersten Instanz zurückgewiesen und erreicht er diesen Teilerfolg erst im Beschwerdeverfahren, so dürfte bei unbefangener Anwendung der §§ 14 Abs. 4 StrRehaG, 473 Abs. 4 StPO nur über die Auslagen im Beschwerdeverfahren entschieden werden. Das hätte zur Folge, dass er die ihm im erstinstanzlichen Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen stets selbst tragen müsste, weil dort die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 StrRehaG (zunächst) nicht vorlagen. Damit würde in einem solchen Fall, wie er auch hier vorliegt, der Antragsteller schlechter gestellt werden, als wenn bereits die erstinstanzliche Entscheidung in der Sache so gelautet hätte wie diejenige des Beschwerdegerichts (vgl. Senat, Beschluss vom 28. April 2009, 2 Ws (Reha) 21/08).