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Entscheidung 2 Ws 28/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 16.03.2023
Aktenzeichen 2 Ws 28/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0316.2WS28.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Januar 2023 aufgehoben.

Der Angeklagten wird auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 10. November 2022 gewährt.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Frankfurt (Oder) verhängte gegen die Angeklagte wegen Kindesentziehung mit Strafbefehl vom 27. Januar 2022 eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 100 €. Der Strafbefehl konnte zunächst nicht zugestellt werden.

Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2022 meldete sich die Verteidigerin für die Angeklagte unter Vorlage einer Vertretungsvollmacht und beantragte die Einstellung des Verfahrens. Mit richterlicher Verfügung vom 23. März 2022 wurde die Zustellung des Strafbefehls an die Verteidigerin gegen Empfangsbekenntnis veranlasst. Durch Verfügung vom 12. April 2022 wurde die Verteidigerin an die Übersendung des Empfangsbekenntnis erinnert.

Durch Schriftsatz vom 25. April 2022 legte die Verteidigerin Einspruch gegen den Strafbefehl ein, der per Telefax am 4. Mai 2022 beim Amtsgericht eingegangen ist.

Mit Verfügung vom 8. August 2022 wies das Amtsgericht die Verteidigerin drauf hin, dass der Einspruch gegen den Strafbefehl „selbst bei Annahme sehr langer Postlaufzeit“ verspätet sein dürfte. Das – formlos ebenfalls an die Angeklagte übersandte – amtsgerichtliche Hinweisschreiben wurde der Verteidigerin am 12. August 2022 förmlich zugestellt. Mit Telefax an das Amtsgericht vom 12. August 2022 übersandte die Verteidigerin ein auf den 15. April 2022 datiertes Empfangsbekenntnis hinsichtlich des Strafbefehls.

Durch Beschluss vom 9. September 2022 verwarf das Amtsgericht Frankfurt (Oder) den Einspruch gegen den Strafbefehl vom 27. Januar 2022 als unzulässig, weil er angesichts der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis am 15. April 2022 nicht binnen der geltenden Frist von zwei Wochen eingelegt worden, sondern erst verspätet am 4. Mai 2022 beim Amtsgericht eingegangen sei. Gegen diesen am 13. September 2022 zugestellten Beschluss hat die Verteidigerin am 20. September 2022 sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 26. September 2022 hat sie wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde durch Beschluss vom 13. Oktober 2022 (zugestellt am 26. Oktober 2022) als unbegründet verworfen und ergänzend darauf hingewiesen, dass das Amtsgericht über den Antrag vom 26. September 2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl noch nicht entschieden habe.

Durch Beschluss vom 10. November 2022 hat das Amtsgericht den Wiedereinsetzungsantrag sowie den Einspruch gegen den Strafbefehl als unzulässig verworfen. Der Beschluss ist der Verteidigerin der Angeklagten am 15. November 2022 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2022 (eingegangen beim Amtsgericht am gleichen Tag) hat die Verteidigerin gegen den Beschluss vom 10. November 2022 sofortige Beschwerde eingelegt und wegen der Versäumung der Beschwerdefrist auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angetragen. Sie hat anwaltlich versichert, dass sie in der Woche der erfolgten Postzustellung nicht in der Kanzlei gewesen sei und wegen der Fülle der auf einem Stapel sortierten Posteingänge in diesem Zeitraum erst am Samstag, den 3. Dezember 2022, den am 15. November 2022 zugestellten Beschluss vorgefunden habe. Das insoweit vorliegende Verteidigerverschulden sei der Angeklagten nicht zuzurechnen.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat durch Beschluss vom 13. Januar 2023 die sofortige Beschwerde als unzulässig und den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet verworfen, weil die Angeklagte nicht ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist für die sofortige Beschwerde einzuhalten. Vielmehr müsse sie sich das Verschulden in der Arbeitsorganisation ihrer Verteidigerin ausnahmsweise zurechnen lassen, weil diese bereits zuvor die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl sowie die wegen der Versäumung dieser Frist geltende Frist zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schuldhaft verpasst habe und die Angeklagte spätestens nach dem zweiten Fristversäumnis im Rahmen der ihr obliegenden Sorgfalt gehalten gewesen wäre, sich der Fristeinhaltung selbsttätig zu vergewissern. Dass die Angeklagte den ihr formlos übersandten Beschluss des Amtsgerichts vom 10. November 2022 nebst Rechtsmittelbelehrung nicht erhalten oder eigeninitiativ Anstrengungen zur Fristeinhaltung unternommen habe, sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Gegen diesen ihr durch Empfangsbekenntnis am 20. Januar 2023 zugestellten Beschluss hat die Verteidigerin für die Angeklagte am 25. Januar 2023 sofortige Beschwerde eingelegt. Die Angeklagte habe den Beschluss des Amtsgerichts vom 10. November 2022 nicht erhalten und habe darüber hinaus im November 2022 mehrfach in der Kanzlei der Verteidigerin angerufen und nach dem Sachstand gefragt. Da der Beschluss erst am 3. Dezember 2022 zur Kenntnis der Verteidigerin gelangt sei, habe ihr keine nähere Auskunft erteilt werden können. Im Übrigen sei die Angeklagte von der Verteidigerin als Anwältin ihres Vertrauens seit Jahren in einer Vielzahl anderer Verfahren vertreten worden, in denen es nicht zu Fristversäumnissen gekommen sei.

II.

Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Rechtsmittelfrist ist gemäß § 46 Abs. 3 StPO die sofortige Beschwerde statthaft, die auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt worden ist. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist begründet. Die Angeklagte hat glaubhaft gemacht, dass sie an der Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 10. November 2022 weder ein eigenes, noch ein ihr zuzurechnendes fremdes Verschulden trifft.

Grundsätzlich ist ein Versäumnis, das auf dem Verschulden eines Verteidigers beruht, vom Angeklagten nicht zu vertreten. Er ist in der Regel nicht verpflichtet, seinen Verteidiger zu überwachen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl. § 44 Rn. 18 mwN.). Das Landgericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass eine Ausnahme dann besteht, wenn besondere Anhaltspunkte für die Untätigkeit des Verteidigers vorliegen und der Angeklagte insoweit durch eigenes Verschulden eine Ursache für die Säumnis der Frist setzt: Wer einen ihn als unzuverlässig bekannten Rechtsanwalt beauftragt, kann sich damit nicht die Freiheit von den Fristen der Strafprozessordnung erkaufen; das gilt insbesondere dann, wenn der Angeklagte untätig bleibt, obwohl ihm die Unzuverlässigkeit seines Verteidigers bekannt ist (BGH, Beschl. v. 21. Dezember 1972 – 1 StR 267/72, BGHSt 25, 89,93; Beschl. v. 27. Februar 1973 – 1 StR 14/73; KG, Beschl. v. 21. April 1998 – 2 AR 47/98, 5 Ws 198/98; OLG Köln, Beschl. v. 12. Januar 2012 – III-2 Ws 21/12, jeweils zit. nach Juris; Löwe/Rosenberg/Scheerer, StPO 27. Aufl. § 44 Rn. 47).

Dies jedoch ist hier nicht der Fall. Nach dem glaubhaft gemachten Wiedereinsetzungsvorbringen ist vielmehr nicht davon auszugehen, dass die Angeklagte über das Ausmaß der anscheinend vorliegenden organisatorischen Missstände in der Kanzlei ihrer Verteidigerin informiert war oder Entsprechendes aus wiederholten Versäumnissen fristgerechter Prozesshandlungen hätte schließen müssen; vielmehr war ihr der Verfahrensgang im Einzelnen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht vollständig bekannt. Darüber hinaus hatte sie sich entsprechend dem glaubhaft gemachten Antragsvorbringen, ohne den Lauf der konkreten Beschwerdefrist gegen den ihr nicht erfolgreich übermittelten Beschluss zu kennen, in der Kanzlei telefonisch erfolglos nach dem Sachstand erkundigt und insoweit die ihr möglichen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, die ein etwaiges Mitverschulden im vorliegenden Fall ausschließen.

Mit der Gewährung von Wiedereinsetzung entfällt die Entscheidung des Landgerichts über die Verwerfung der sofortigen Beschwerde als unzulässig, weshalb der angefochtene Beschluss klarstellend auch insoweit aufzuheben ist.

Die Entscheidung über die Kosten der Wiedereinsetzung folgt aus § 473 Abs. 7 StPO. Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht veranlasst, weil es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt.