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Entscheidung S 20 KR 45/20


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 20. Kammer Entscheidungsdatum 31.03.2023
Aktenzeichen S 20 KR 45/20 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit steht die Freistellung von Kosten der häuslichen Krankenpflege zum Verabreichen von Medikamenten dreimal täglich/siebenmal wöchentlich sowie teilweise nach Bedarf, die der in einer betreuten Wohnmöglichkeit lebenden Klägerin im Zeitraum vom 17. Oktober 2019 bis zum 23. Oktober 2019 sowie vom 24. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 entstanden sein sollen.

Die 1975 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin leidet ua an einer Intelligenzminderung (ICD10 F 19.0) sowie an paranoider Schizoprenie mit Halluzinationen (ICD10 F20.0). Ausweislich der ärztlichen Stellungnahme der Leiterin der Psychiatrischen Institutsambulanz vom 29. Oktober 2019 sei die Medikamentengabe von einem Pflegedienst vorzuhalten. Nachweislich könne die Klägerin infolge ihrer psychiatrischen Grunderkrankung mit Residualsymptomatik die verlässliche Medikamenteneinnahme und Medikamentenverwaltung nicht absichern, die daraus resultierenden gesundheitlichen Risiken und Folgeerscheinungen überblicke sie nicht.

Die unter Betreuung stehende, aber geschäftsfähige Klägerin, die Rente wegen voller Erwerbsminderung, Wohngeld und Leistungen der sozialen Pflegeversicherung entsprechend des Pflegegrades 2 erhält, lebt in einer ambulant betreuen Wohngemeinschaft und bewohnt ein Zimmer im 1. Obergeschoss mit eigenem Bad und WC, die Gemeinschaftsräume und die Gemeinschaftsküche befinden sich im Erdgeschoss (Wohnungs-Mietvertrag vom 21. November 2012). Sie schloss mit der Beigeladenen zu 2. unter dem 29. August 2016 einen Betreuungsvertrag, in dem es ua heißt: „Die Betreuungsleistungen richten sich in Inhalt und Umfang nach dem vom Leistungsträger festgestellten Bedarf und der vereinbarten Zielvereinbarung.“ (§ 5 Abs 3) sowie: „Die Lebenshilfe leistet keine Behandlungspflege, keine häusliche Krankenpflege, stellt keine Hilfsmittel, Heilmittel und Medikamente. …“ (§ 5 Abs 2). Aus dem gemäß § 5 Abs 4 von der Klägerin und der Beigeladenen zu 2. zu erstellenden individuellen Teilhabeplan/Hilfeplan vom 02. September 2019 heißt es unter „VII. Gesundheitsförderung und – Erhaltung/30. Ausführen ärztlicher oder therapeutischer Verordnungen“ ua: „Die Einnahme der Medikation können wir Betreuer nur am Abend kontrollieren bzw. nachfragen.“

In der Vereinbarung zwischen dem Beigeladenen zu 1. und der Beigeladenen zu 2. über den Inhalt, den Umfang und die Qualität der in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft zu erbringenden Leistungen vom 16. November 2015/23. November 2015 verpflichtete sich die Beigeladene zu 2. ua zur Erbringung ambulanter Eingliederungshilfe zum selbständigen Wohnen in einem Apartment einer Wohngemeinschaft für dauerhaft wesentlich behinderte Menschen. Direkte Betreuungsleistungen sind nach dem Inhalt der Vereinbarung ua Hausbesuche bei der betreuten Person, Gespräche mit der betreuten Person und ihrem sozialen Umfeld, Klinikbesuche bei stationären Krankenhausaufenthalten, Begleitung der betreuten Person außerhalb der eigenen Wohnung und telefonische Kontakte mit der betreuten Person sowie nach deren Anlage 1 auch die Unterstützung bei der Einnahme der verordneten Medikamente. Die Betreuungseinrichtung ist nur montags bis freitags zwischen 14 Uhr und 20 Uhr besetzt.

Die Klägerin war in den hier streitigen Zeiträumen montags bis freitags in den E.-gGmbH in Angermünde beschäftigt. Die Maßnahmekosten hierfür trug der Beigeladene zu 1. Nach den Angaben der E.-gGmbH gestalte sich die unterstützende Medikationsvergabe gestalte so, dass ein Medikamentenblatt zur Realisierung personenbezogener Unterstützungsmaßnahmen einzureichen sei, dass die dosierten Medikamentenboxen aufbewahrt würden und dass in Form von Erinnerung und Reichen eines Glases Wasser unterstützt würde. Wenn der Beschäftigte selbst zur Einnahme nicht in der Lage sei, sei die Bestellung eines Pflegedienstes zur Ausführung der Einnahme erforderlich (Schreiben vom 09. Mai 2020).

Der Beigeladene zu 1. gewährte der Klägerin außerdem Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten durch die Beigeladene zu 2. (§ 54 Abs 1 SGB XII aF iVm § 55 Abs 2 Nr 6 SGB IX aF; Kostenübernahmeerklärung vom 12. September 2019 gegenüber der Beigeladenen zu 2. sowie Bescheid gegenüber der Klägerin vom 24. September 2019, Zeitraum: 01. August 2019 bis 31. Juli 2020) mit dem Betreuungsziel ua „Weiterentwicklung von alltagsbezogenen Fertigkeiten, Minderung der Antriebslosigkeit, Verbesserung des Gesundheitszustandes“. Die Klägerin ist dabei der Hilfebedarfsgruppe 3 zugeordnet, für die wöchentlich 8 Fachleistungsstunden vorgesehen sind, was dem maximalen Betreuungsangebot im Leistungsangebot entspricht.

Mit ärztlichen Verordnungen vom 14. Oktober 2019 und 21. Oktober 2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form der Verabreichung von Medikamenten dreimal täglich/siebenmal in der Woche sowie nach Bedarf für die eingangs näher bezeichneten Zeiträume. Bei den verordneten Medikamenten handelt es sich im Wesentlichen um Antipsychotika und Neuroleptika.

Mit sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen vom 25. Oktober 2019 lehnte die Beklagte es ab, die Kosten für das der Klägerin ärztlich verordnete Verabreichen von Medikamenten durch einen Pflegedienst zu übernehmen. Als einfachste Maßnahme der Behandlungspflege gehöre dies zu dem Aufgabenkreis der Eingliederungshilfe und sei von dieser zu erbringen. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2020). Die Beklagte führte zur Begründung ihrer Entscheidung im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 37 Abs 2 SGB V lägen nicht vor. Zwar werde an der medizinischen Notwendigkeit der Medikamentengabe nicht gezweifelt. Entsprechend der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 10/14 R – handele es sich bei den begehrten Maßnahmen jedoch um einfachste Behandlungspflege, die im Rahmen der Eingliederungshilfe zu erbringen sei. Gegebenenfalls sei für die tägliche Medikamentengabe eine flexiblere Handhabe der Anwesenheitszeiten der Betreuer, eine Änderung des individuellen Hilfeplanes und/oder eine Aufstockung des Bedarfes an Eingliederungshilfe erforderlich.

Hiergegen hat die Klägerin mit am 17. März 2020 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tage bei dem Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben, mit der sie ihr auf Kostenfreistellung gerichtetes Begehren unter Vorlage der ihr für den Streitzeitraum von dem Pflegedienst erteilten Rechnungen vom 27. September 2022 für das Verabreichen von Medikamenten in Höhe eines Gesamtbetrages von 4.805,84 Euro, die von dem Pflegedienst gestundet worden seien, weiterverfolgt. Zur Begründung hebt sie im Wesentlichen hervor, es handele sich schon nicht nur um einfachste behandlungspflegerische Maßnahmen. Der Klägerin seien Psychopharmaka – teilweise sogar nach Bedarf – verordnet worden, für deren Gabe die Mitarbeiter der Eingliederungshilfeeinrichtung schon fachlich nicht in der Lage seien. Die Gabe von Psychopharmaka müsse durch eine Pflegefachkraft und damit durch den beauftragten ambulanten Pflegedienst erfolgen. Abgesehen davon sei schon angesichts der Anwesenheitszeiten der Mitarbeiter der Eingliederungshilfeeinrichtung die regelmäßige Gabe der Medikamente nicht sichergestellt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der sozialverwaltungsbehördlichen Ablehnungsverfügungen vom 25. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2020 zu verurteilen, die Klägerin von den ihr in den Zeiträumen vom 17. Oktober 2019 bis zum 23. Oktober 2019 sowie vom 24. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 entstandenen Kosten für die am 14. Oktober 2019 und am 21. Oktober 2019 ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Sie meint, es fehle schon an der Beschwer, weil die Klägerin keiner rechtswirksamen Forderung durch den Pflegedienst ausgesetzt sei. Die erst aufgrund dieses Einwandes nachträglich erstellten und an die Klägerin adressierten Rechnungen des Pflegedienstes änderten hieran nichts. Im Übrigen wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Sozialverwaltungs- und Sozialverwaltungsvorverfahren.

Das Gericht hat den Landkreis F. als Sozialhilfeträger und die G.-gGmbH als dessen Leistungserbringer für die Eingliederungshilfemaßnahmen zum Verfahren beigeladen (Beschlüsse vom 09. Dezember 2021 und vom 21. Oktober 2022). Der Beigeladene zu 1. hat sich im Wesentlichen der Argumentation der Klägerin angeschlossen, aber keinen Antrag gestellt. Die Beigeladene zu 2. hat sich im Verfahren nicht geäußert.

Die Kammer hat die Betreuerin der Klägerin im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 31. März 2023 persönlich angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Die Beteiligten haben in den weiteren zwischen ihnen geführten Rechtsstreitigkeiten mit den sozialgerichtlichen Aktenzeichen S 20 KR 49/21, S 20 KR 86/21 sowie S 20 KR 48/22, in denen ebenfalls das Bestehen eines Freistellungsanspruches – allerdings für andere Verordnungszeiträume – streitig ist, einen Vergleich geschlossen, nach dessen Inhalt sie sich der rechtskräftigen Entscheidung im vorliegenden Verfahren unterwerfen und deren Ergebnis in der Hauptsache und im Kostenpunkt entsprechend auch auf die weiteren sozialgerichtlichen Verfahren anwenden werden (gerichtlicher Vergleich vom 31. März 2023).

Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung, der Beratung und der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klagen haben keinen Erfolg.

1. Streitgegenstand des Klageverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf Freistellung von den ihr vermeintlich entstandenen Kosten für häusliche Krankenpflege für die Zeiträume vom 17. Oktober 2019 bis zum 23. Oktober 2019 sowie vom 24. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020. Gegenstand des Klageverfahrens sind dementsprechend die sozialverwaltungsbehördlichen Ablehnungsverfügungen der Beklagten vom 25. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2020, durch die sie die begehrten Leistungen des Verabreichens von Medikamenten für die genannten Verordnungszeiträume abgelehnt hatte.

2. Gegen diese sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen wendet sich die Klägerin nach ihrem interessengerecht ausgelegten Begehren (vgl § 123 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) zutreffend mit kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG, § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG), gerichtet auf Aufhebung der angefochtenen sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen für beide Verordnungszeiträume und Verurteilung der Beklagten zur Kostenfreistellung für beide Verordnungszeiträume. Die so verstandenen statthaften Klagen sind auch im Übrigen zulässig.

3. Die danach insgesamt zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet.

a) Die Anfechtungsklagen sind unbegründet, weil die angegriffenen Verfügungen rechtmäßig sind und die Klägerin durch sie nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG).

aa) Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Freistellung von Kosten für die Leistungen der häuslichen Krankenpflege für die oben näher bezeichneten Verordnungszeiträume ist § 13 Abs 3 S 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V). Nach dieser Vorschrift sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (§ 13 Abs 3 S 1 Regelung 1 SGB V) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (§ 13 Abs 3 S 1 Regelung 2 SGB V) und Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Demgegenüber ist im Übrigen die Regelung des § 37 Abs 4 Regelung 1 SGB V nicht anwendbar, weil die Beklagte den Anspruch auf häusliche Krankenpflege gerade nicht grundsätzlich anerkannt hat (vgl zu dieser Voraussetzung auch Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Februar 2022 – B 3 KR 17/20 R, RdNr 10).

bb) Voraussetzung eines derartigen Erstattungs- wie auch eines Freistellungsanspruchs gemäß § 13 Abs 3 S 1 SGB V ist die Belastung mit Kosten oder im Fall des Freistellungsanspruches das Bestehen einer entsprechenden zivilrechtlich wirksamen Forderung eines Dritten, der sich die Klägerin gegenübersieht. Dies wiederum ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen der Versicherten/Leistungsempfängerin und dem Leistungserbringer (dem Dritten) voraus, welches Grundlage einer Forderung ist (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Mai 2021 – L 9 KR 324/20, RdNr 19).

aaa) Die Kammer ist mit der Beklagten nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon überzeugt (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG und § 128 Abs 1 S 2 SGG), dass ein solches Verpflichtungsgeschäft zwischen der Klägerin und dem ambulanten Pflegedienst – insbesondere im Lichte der Ausführungen der Betreuerin der Klägerin im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung – zustande gekommen ist. Die Kammer ist vielmehr davon überzeugt, dass dies nicht der Fall ist. Die Betreuerin der Klägerin oder die Klägerin selbst haben nach eigenen Angaben keinen schriftlichen Vertrag mit dem ambulanten Pflegedienst über die Erbringung der behandlungspflegerischen Leistungen des Verabreichens von Medikamenten geschlossen. Schon das spricht dagegen, dass der Pflegedienst einen vertraglich begründeten Zahlungsanspruch gegen sie aus der Leistungserbringung haben kann.

Selbst wenn man davon ausgehen wollte, mangels Formerfordernisses bedürfte es eines schriftlichen Vertrages nicht, sprechen auch die übrigen Bedingungen gegen einen vertraglichen Zahlungsanspruch, der gegenüber der Klägerin entstanden sein könnte. Abgesehen davon, dass die von der Betreuerin knapp geschilderte lediglich mündliche Beauftragung des ambulanten Pflegedienstes angesichts der sich aus den Rechnungen im vorliegenden und in den Parallelverfahren ergebenden erheblichen Kostenlasten im Geschäftsverkehr unüblich wäre, sprechen auch die Rechnungen des ambulanten Pflegedienstes für die streitgegenständliche Zeit selbst gegen einen gegenüber der Klägerin entstandenen vertraglichen Zahlungsanspruch. Zunächst mutet es geradezu abenteuerlich an, dass der ambulante Pflegedienst seit dem Jahre 2019 bis heute – mithin über einen Zeitraum von deutlich mehr als drei Jahren – die jeden Monat entstandenen erheblichen Kosten einerseits gestundet haben soll, aber andererseits die in allen sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Rechnungen erst erstellt worden sind, nachdem die Beklagte eingewandt hatte, die Klägerin sei wirksamen Forderungen nicht ausgesetzt. Gegen die Wirksamkeit und Ernsthaftigkeit der gegen die Klägerin vermeintlich geltend gemachten Forderungen spricht auch, dass der ambulante Pflegedienst, der sich seinerseits wirtschaftlichen Zwängen ausgesetzt sehen dürfte, über Jahre hinweg auf die ihm aus seiner Sicht zustehenden erheblichen Kosten verzichtet hat, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, diese Kosten gegen die Klägerin geltend zu machen.

Jedenfalls aber dokumentieren die erst während des Klageverfahrens nachträglich erstellten und vorgelegten Rechnungen, dass der ambulante Pflegedienst die Leistungen als Sachleistungen der Behandlungspflege nach Maßgabe der Regelungen des SGB V und damit als eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht hat und damit der richtige Adressat der nachträglich erstellten Rechnungen nicht die Klägerin sein kann, sondern nur die Beklagte, auch wenn der ambulante Pflegedienst die Rechnungen tatsächlich an die Klägerin adressiert hat. Gemäß § 2 Abs 1 SGB V und § 2 Abs 2 SGB V stellen die Krankenkassen ihren Versicherten die im Dritten Kapitel des Gesetzes genannten Leistungen, zu denen auch die häusliche Krankenpflege gehört (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB V iVm § 37 Abs 2 SGB V), als Sachleistungen kostenfrei zur Verfügung. Sie bedienen sich dabei zugelassener Leistungserbringer, mit denen sie entsprechende Verträge schließen (§ 2 Abs 2 S 2 SGB V, speziell für die häusliche Krankenpflege: § 132a Abs 1 Nr 5 SGB V iVm § 132a Abs 4 SGB V). Die Versicherten erhalten die benötigten Leistungen unentgeltlich; die Vergütung der Leistungserbringer erfolgt durch die Krankenkasse. Der Vergütungsanspruch der Leistungserbringer richtet sich damit nicht gegen Versicherte, sondern allein gegen die Krankenkasse. Nur so ist aus Sicht der Kammer auch zu erklären, dass die Betreuerin der Klägerin zwar den Auftrag an den ambulanten Pflegedienst erteilt hat, dies jedoch – wie sie selbst eingeräumt hat – nur zu Lasten der Beklagten erfolgt sein kann. Aus der Sicht eines objektiv verständigen Dritten konnten die Klägerin und erst recht nicht ihre Betreuerin ein Interesse daran haben, selbst mit Kosten belastet zu werden, für die im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung – bei dem Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – die Beklagte einzustehen hätte.

Nach Auffassung der Kammer ist jedenfalls für die Entstehung einer rechtswirksamen Forderung zwischen Versicherten und Leistungserbringern außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung, dem – wie bereits dargelegt worden ist – eine direkte Leistungsbeziehung zwischen Versicherten und Leistungserbringern fremd ist, erforderlich, dass der Versicherte vor Beginn der behandlungspflegerischen Maßnahmen ausdrücklich verlangt, auf eigene Kosten behandelt zu werden, und dieser auf die Pflicht zur Übernahme der Kosten hingewiesen wurde (vgl dazu in anderem Zusammenhang: Bundessozialgericht, Urteil vom 15. April 1997 – 1 RK 4/96, RdNr 20). Hierfür ist für die Kammer aber nichts erkennbar geworden.

Der volle Beweis für eine Tatsache – hier also das Vorliegen von übereinstimmenden Willenserklärungen (vgl auch § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches <BGB> und § 157 BGB) über das Zustandekommen eines unbedingten Verpflichtungsgeschäftes zwischen der Klägerin und dem ambulanten Pflegedienst – ist erst dann erbracht, wenn sie für das erkennende Gericht mit Gewissheit feststeht, wobei Gewissheit in diesem Sinn bedeutet, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch keinen Zweifel hat. Indes kann und darf sich das Gericht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl zu diesen Aspekten des Vollbeweises G. Becker in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 7, RdNr 117 mwN). Da es die Kammer aber nach den obigen Darlegungen sogar für unwahrscheinlich hält, dass die erforderlichen übereinstimmenden Willenserklärungen vorliegen, sind die Zweifel an einem entsprechenden Vertragsschluss zu groß, als dass sie im Sinne einer praktischen Gewissheit des Gerichts zum Schweigen gebracht werden könnten.

bbb) Es liegt auch nicht etwa ein Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten, wie die Entgegennahme üblicherweise nur gegen Vergütung gewährter Leistungen, vor. Denn der ambulante Pflegedienst ist erkennbar davon ausgegangen, dass er Leistungen zu Lasten der Krankenkasse erbringt. Er hat also mit den Leistungen der häuslichen Krankenpflege der Klägerin gegenüber gerade kein auf eine Entgeltverpflichtung der Klägerin gerichtetes Vertragsangebot unterbreitet, welches sie angenommen hat. Außerdem entsprach eine Behandlung als Privatpatientin mit der Verpflichtung, die entstehenden Kosten selbst zu zahlen, weder dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen der Klägerin noch ihrem Interesse. Sie wollte eine Leistung der Krankenkasse in Anspruch nehmen (vgl auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Mai 2021 – L 9 KR 324/20, RdNr 22).

ccc) Ansprüche aus Bereicherungsrecht oder Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA), deren Rechtsgrundsätze auch in öffentlich-rechtlichen Leistungsbeziehungen anwendbar sind, scheiden ebenfalls aus. Der ambulante Pflegedienst hat eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung im Verhältnis zur Beklagten erbracht und deshalb kann nach dem Zweck der Leistung nur diese bereichert sein. Einen Anspruch auf Wertersatz gemäß § 818 Abs 1 BGB iVm § 818 Abs 2 BGB kann der ambulante Pflegedienst gegen die Klägerin nicht geltend machen. Der Vorrang der Leistungskondiktion verweist die Beteiligten darauf, den Wertersatz in dem jeweiligen Leistungsverhältnis zu suchen. Das ist hier das Verhältnis zwischen dem ambulanten Pflegedienst und der Beklagten, nicht das Verhältnis zwischen der Klägerin und dem ambulanten Pflegedienst. In einem Mehrpersonenverhältnis ist Leistender derjenige, der aus der Sicht eines verständigen Empfängers (so genannter objektiver Empfängerhorizont) die Leistung gewährt. Dies war hier der ambulante Pflegedienst im Verhältnis zur Beklagten und die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin. Ein Durchgriff auf das jeweils andere Leistungsverhältnis ist grundsätzlich und auch in diesem Fall nicht zulässig (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Mai 2021 – L 9 KR 324/20, RdNr 23).

ccc) Auch ein etwaiger Bereicherungsausgleich müsste sich nicht zwischen dem ambulanten Pflegedienst und der Klägerin, sondern zwischen dem ambulanten Pflegedienst und der Beklagten vollziehen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Mai 2021 – L 9 KR 324/20, RdNr 24).

ddd) Die Klägerin kann schließlich auch nicht als Treuhänderin Ansprüche des ambulanten Pflegedienstes gegen die Beklagte (klageweise) geltend machen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Mai 2021 – L 9 KR 324/20, RdNr 25 mwN).

eee) Soweit die Betreuerin der Klägerin zuletzt auch eingewandt hat, aufgrund der ablehnenden Haltung der Beklagten sei aufgrund der medizinischen Notwendigkeit ein unverzügliches Handeln und die unverzügliche Indienstnahme des ambulanten Pflegedienstes erforderlich gewesen, vermag die Kammer dies durchaus nachzuvollziehen. Dies ändert indes an dem Umstand eines fehlenden unbedingten Verpflichtungsgeschäftes oder den fehlenden tatbestandlichen Voraussetzungen anderer Anspruchsgrundlagen nichts, was aber – wie dargelegt – Voraussetzung für das Bestehen des geltend gemachten Kostenfreistellungsanspruches wäre. Nicht nachvollziehbar ist für die Kammer im Übrigen, warum über Jahre hinweg der ambulante Pflegedienst in Anspruch genommen wurde und weiterhin wird, ohne den Weg des sozialgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes im Sinne des § 86b Abs 2 S 2 SGG zu beschreiten, um den – aus Sicht der Klägerin – bestehenden Versorgungsanspruch gegen die Beklagte zumindest vorläufig durchzusetzen.

cc) Ob die Klägerin zutreffend geltend macht, dass die ambulante Betreuung nach dem Regelungssystem des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Umfang von wöchentlich acht Fachleistungsstunden dem krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Verabreichen von Medikamenten als Leistung der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 Abs 2 S 1 SGB V nicht entgegensteht und sie gemäß § 37 Abs 4 Regelung 1 SGB V von den Kosten dafür freizustellen ist, bedarf hiernach keiner näheren Erörterung mehr (vgl zu den Einzelheiten Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Februar 2022 – B 3 KR 17/20 R, RdNr 10ff mwN).

b) Wenn danach die Anfechtungsklagen unbegründet sind, sind auch die mit ihr kombinierten Leistungsklagen im Sinne des § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG unbegründet, weil in Verfahren der vorliegenden Art zulässige und begründete Leistungsklagen wegen des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits zulässige und begründete Anfechtungsklagen voraussetzen und weil der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Kostenfreistellung – wie im Einzelnen dargelegt – nicht zusteht.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten insgesamt einander keine Kosten zu erstatten haben, weil die Klägerin mit ihrem Begehren im Klageverfahren vollumfänglich unterlag und sich die Beigeladene zu 2. angesichts einer fehlenden eigenen Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Aufwendungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (§ 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).

5. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 183 S 1 SGG).