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informationspflichtige Stelle - öffentliche Aufgabe und öffentliche Dienstleistung - Daseinsvorsorge - juristische Person des Privatrechts - außeruniversitäre Forschungseinrichtung - Satzungszweck - Förderung von Wissenschaft und Forschung -Bereitstellen von Wissengrundlagen für die nachhaltige Nutzung von Agrarlandschaften


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 16.03.2023
Aktenzeichen OVG 12 B 17/21 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0316.OVG12B17.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 5 Abs 3 GG, Art 2 Nr 2c EGRL 4/2003, § 2 Abs 1 Nr 2 UIG, § 2 Abs 1 Nr 2 UIG BB

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. Juni 2020 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten Auskunft und Zugang zu Messdaten, die im Spreewald erhoben worden sind. Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, der Mitglied der Wissenschaftsgemeinschaft G... e.V. ist und von der Bundesrepublik Deutschland und den Bundesländern finanziert wird.

Der Kläger wandte sich erstmals mit E-Mail vom 18. Mai 2018 an den Beklagten, um Informationen zu in den Jahren 2005 bis 2010 durchgeführten Untersuchungen im Spreewald „Kleines Gehege“ zu erhalten. Nachdem er nach weiteren Anfragen die begehrten Informationen nicht erhielt, hat er am 1. September 2018 Klage erhoben. Zur Begründung hat er unter anderem geltend gemacht, dass der Beklagte als aktenführende Stelle nach dem Umweltinformationsgesetz zur Auskunft verpflichtet sei. Er nehme Aufgaben der Daseinsvorsorge war, indem er für die Bundesrepublik Deutschland und das Land Brandenburg Datenerhebungen und Studien tätige. Ferner werde er zu 100 % durch staatliche Stellen kontrolliert und vollständig staatlich finanziert.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hat den Beklagten daraufhin mit Gerichtsbescheid vom 26. Juni 2020 verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, welche Messdaten Mitarbeiter des Vereins im Spreewald erhoben haben und wo die Daten abrufbar sind, sowie dem Kläger die von Mitarbeitern des beklagten Vereins im Spreewald erfassten Daten zugänglich zu machen. Es ist davon ausgegangen, dass der Beklagte eine informationspflichtige Stelle nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BbgUIG sei. Er nehme als juristische Person des Privatrechts öffentliche Aufgaben wahr, da er durch seine Datensammlung und Forschung Wissensgrundlagen für eine zeitgemäße Agrarpolitik schaffe. Das Bereitstellen von Wissen sei eine die Agrarpolitik unterstützende öffentliche Aufgabe, die nach Art. 20a GG Verfassungsrang habe. Der Beklagte unterliege auch der Kontrolle des Landes Brandenburg und der Bundesrepublik Deutschland nach § 2 Abs. 2 BbgUIG i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 3 UIG.

Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung des Beklagten. Zu deren Begründung macht er geltend, dass er keine informationspflichtige Stelle nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BbgUIG oder § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG sei. Er nehme keine öffentliche Aufgabe wahr. Er sei eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Für diese gelte die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 19 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 GG. Die Forschung sei danach grundsätzlich frei, über die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und Forschungsdaten zu entscheiden. Er erbringe auch keine öffentliche Dienstleistung. Damit seien alle marktbezogenen Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht werden und mit besonderen Gemeinwohlinteressen verbunden seien, umfasst. Dies entspreche dem Bereich der Daseinsvorsorge, zu dem die nach Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Wissenschaft nicht gehöre. Ferner stehe die Erfassung der nachgefragten Daten nicht im Zusammenhang mit der Umwelt, sondern sie habe ausschließlich dem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse gedient. Schließlich unterliege er nicht der Kontrolle des Landes Brandenburg oder einer beaufsichtigten juristischen Person des öffentlichen Rechts. Auch die Bundesrepublik Deutschland habe keinen beherrschenden Einfluss auf ihn.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. Juni 2020 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte nach § 102 Abs. 2 VwGO trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16. März 2023 aufgrund dieser mündlichen Verhandlung entscheiden, weil der Kläger mit ordnungsgemäßer Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen. Der Beklagte ist keine informationspflichtige Stelle nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BbgUIG bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG.

Nach diesen Regelungen sind informationspflichtige Stellen natürliche oder juristische Personen des Privatrechts, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen        oder öffentliche Dienstleistungen erbringen, die im Zusammenhang mit der Umwelt stehen, insbesondere solche der umweltbezogenen Daseinsvorsorge, und dabei der Kontrolle unter anderem des Bundes bzw. Landes  unterliegen. Der Beklagte nimmt bereits keine öffentlichen Aufgaben war und erbringt keine öffentlichen Dienstleistungen.

Der Begriff der öffentlichen Aufgabe und der öffentlichen Dienstleistung ist im umweltinformationsrechtlichen Sinne des Art. 2 Nr. 2 Buchst. c UIRL (Richtlinie 2003/4/EG) unionsrechtlich determiniert. In den Bereich der Richtlinie sollte ohne Differenzierung zwischen öffentlichen Aufgaben und öffentlichen Dienstleistungen die Erbringung von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse einbezogen werden (vgl. Erwägungsgrund 12 des Vorschlags der EU-Kommission vom 29. Juni 2000 KOM (2000) 402 endg. – 2000/0169 (COD), ABl. 2000 Nr. C 337E S. 156). Letztere sind alle marktbezogenen Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden. Erfasst ist insoweit der gesamte Bereich der Daseinsvorsorge (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2017 - 7 C 31.15 - juris Rn. 42; BT-Drs. 15/4243, S. 17).

Nach § 2 Abs. 1 der Satzung des Beklagten, der auch für die Einordnung der Erhebung der streitgegenständlichen Messdaten im Spreewald heranzuziehen ist, ist Zweck des Beklagten die Förderung von Wissenschaft und Forschung. Der Satzungszweck wird nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung insbesondere durch die wissenschaftliche Erforschung von Wirkungszusammenhängen in Agrarlandschaften mit dem Ziel der Bereitstellung von Wissensgrundlagen für die nachhaltige Nutzung von Agrarlandschaften verwirklicht. Nach § 2 Abs. 1 Satz 4 der Satzung dienen die Arbeiten des Beklagten dem Gemeinwohl durch Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen an betroffene Bevölkerungs- , Fach,- und Wirtschaftskreise. Danach ist davon auszugehen, dass die Tätigkeit des Beklagten Gemeinwohlbezug hat und im öffentlichen Interesse liegt (vgl. auch Art. 91b Abs. 1 GG). Da sie dem Ziel dienen soll, Wissensgrundlagen für die nachhaltige Nutzung von Agrarlandschaften an betroffene Fach- und Wirtschaftskreise bereitzustellen, besteht an ihr jedoch allenfalls ein nur mittelbares allgemeines wirtschaftliches Interesse. Die Tätigkeit ist primär auf den Erkenntnisgewinn durch Wissenschaft und Forschung gerichtet, hat keinen unmittelbaren Marktbezug und gehört nicht zum Bereich der Daseinsvorsorge. Dazu zählen alle zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bürger erforderlichen Leistungen der Verwaltung (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2005                                   - III ZR 294/04 - juris Rn. 13 m.w.N.).

Es entspricht auch dem Sinn und Zweck der Ausdehnung der Informationspflicht auf private Stellen, den Beklagten nicht als informationspflichtige Stelle anzusehen. Hintergrund dieser Ausdehnung ist die fortschreitende Verlagerung von staatlichen Aufgaben auf juristische Personen des Privatrechts. Da der Privatisierungsstand in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ist, sollte mit der Ausweitung im Interesse des Umweltschutzes einer unterschiedlichen Rechtslage entgegengewirkt werden (vgl. Erwägungsgrund 12 des Vorschlags der EU-Kommission vom 29. Juni 2000, a.a.O; Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Mai 2021, § 2 UIG Rn. 19). Die Öffentlichkeit sollte (auch) Zugang zu Umweltinformationen haben, die Stellen vorliegen, die nicht dem öffentlichen Sektor zugehören, aber mit der Wahrnehmung von staatlichen Aufgaben betraut sind. Für die Beurteilung, ob eine Privatrechtspersonen dem staatlichen Handeln zuzurechnende öffentliche Aufgaben wahrnimmt, ist maßgeblich auf ihre konkrete Aufgabe und den Verantwortungsbereich gegenüber der Öffentlichkeit abzustellen (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Informationspflichtige Stellen nach dem Umweltinformationsgesetz, Ausarbeitung WD 7 – 3000-255/18, S. 8). Auch insoweit spricht der bereits angeführte Satzungszweck des Beklagten dagegen, ihn zu den informationspflichtigen Stellen zu zählen. Dass die von ihm geförderte Forschung mit dem Ziel der Bereitstellung von Wissensgrundlagen für die nachhaltige Nutzung von Agrarlandschaften betrieben wird, rechtfertigt keine andere Betrachtung, sondern zeigt lediglich auf, dass er keine reine Grundlagenforschung betreibt.

Es bedarf vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen keiner Entscheidung, ob der Beklagte auch deshalb keine informationspflichtige Stelle ist, weil er nicht nach Maßgabe von § 2 Abs. 1 Nr. 2 BbgUIG bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG kontrolliert wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.