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Funktionslosigkeit - GFZ - Berliner Baunutzungsplan - Baublockrechtsprechung - Offenkundigkeit - Befreiung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 22.02.2023
Aktenzeichen OVG 10 B 15.18 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0222.OVG10B15.18.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 7 BO, § 34 BauGB, § 30 BauGB, § 31 Abs 2 BauGB, § 31 Abs 3 BauGB, § 20 BauNVO

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt einen positiven Bauvorbescheid für einen Dachgeschossausbau des fünfgeschossigen Altbaus auf dem Grundstück Q... in Berlin-P....

Das Grundstück liegt – wie der gesamte, von Q... gebildete Baublock S... - im Geltungsbereich des Baunutzungsplans vom 11. März 1958 in der Fassung vom 28. Dezember 1960, welcher in Verbindung mit dem planungsrechtlichen Vorschriften der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 21. November 1958 (GVBl. S. 1087/1104) – BO 58 - sowie den Modifizierungen durch den Bebauungsplan XI-A vom 9. Juli 1971 (GVBl. S. 1233) als übergeleiteter Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 2 BauGB fortgilt und insoweit ein gemischtes Gebiet der Baustufe V/3 vorsieht. Außerdem befindet sich das Grundstück im Bereich der Erhaltungsverordnung „Luisenstadt“ (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BauGB). Das um 1900 errichtete Gebäude ist Teil eines Denkmalensembles und besteht aus Vorderhaus und Seitenflügel, welche gleichermaßen ein gewerblich genutztes Souterrain, 5 Wohnetagen und ein nicht ausgebautes Dachgeschoss aufweisen. Der Hof ist teilweise unterkellert.

Im Hinblick auf die Grundstücke des Baublocks Nr. 5... stellt sich die Entwicklung der Geschossflächenzahl (GFZ) im Hinblick auf nach dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans erfolgten Errichtungen bzw. Änderungen nach den Feststellungen des Beklagten im Wesentlichen wie folgt dar:

Grundstück

GFZ     

Jahr   

Maßnahme/Erhöhung

Q...   

0,68   

1970er

Abriss kleinteiliger Bauten, Neubau Gemeindehaus mit Kita

Q...   

3,51   

1958   

GFZ-Bestand 1958; keine Maßnahmen seitdem

Q...   

4,1 bzw. 3,5

        

Erhöhung auf 4,63 im Jahr 2012 abgelehnt; Grundstück des Klägers, GFZ inklusive Souterrain
Mit Souterrain würde sich die GFZ von 4,1 auf 4,54 erhöhen; ohne Souterrain von 3,5 auf 3,92 (entsprechend Antrag)

Q...   

4,01   

1958   

GFZ-Bestand 1958; keine Maßnahmen seitdem

Q...   

1,66   

1958   

Erhöhung von 1,66 auf 2,49 im Jahr 2021 genehmigt, aber bisher nicht verwirklicht

Q...   

4,37   

1994   

Erhöhung von 3,76 auf 4,37

Q...   

4,07   

2014   

Zunächst Reduktion von 5,9 auf 3,12 im Jahr 1980
dann Erhöhung von 3,12 auf 4,07 im Jahr 2012

Q...   

4,77   

1994   

Erhöhung von 4,12 auf 4,77

W...   

2,38   

1983   

Erhöhung von 2,19 auf 2,38

W...   

1,44   

1968   

Vor Abbruch 1966: 1,36
Nach Neubau 1968: 1,44

W...   

3,63   

2011/12

Erhöhung von 3,14 auf 3,63

W...   

3,12   

1958   

GFZ-Bestand 1958; Abbruch zweigeschossiger Schuppen 1968

W...   

3,51   

1991   

Erhöhung von 3,16 auf 3,51

W...   

3,66   

2013   

Erhöhung von 3,61 auf 3,66

W...   

3,33   

1958   

GFZ-Bestand 1958

W...   

4,10   

2002   

Erhöhung von 3,59 auf 4,10

T...   

1,65   

1955   

Neubau vor Baunutzungsplan

T...   

2,42   

1955   

Neubau vor Baunutzungsplan

T...   

3,16   

1958   

GFZ-Bestand ohne weitere GFZ erhöhende Maßnahmen seit 1958; der Bau 1989 betraf nur eine Verbindungstreppe

T...   

1,42   

2002   

Neubau 1970: 1,41
Teilabriss und Anbau 2002: 1,42

T...   

3,36   

1958   

GFZ-Bestand 1958

T...   

3,67   

1991   

Erhöhung von 3,47 auf 3,67

T...   

3,79   

1958   

GFZ-Bestand 1958

U...   

3,31   

1998   

Erhöhung von 2,28 auf 3,31

U...   

3,15   

1998   

Erhöhung von 2,7 auf 3,15

U...   

3,14   

1998   

Erhöhung von 2,69 auf 3,14

U...   

2,5     

1993   

Abriss 1967, Neubau 1978: 1,367
Neubau 1993: 2,5

Am 6. November 2014 beantragte der Kläger die Erteilung eines Vorbescheides für das Bauvorhaben „Ausbau des Dachgeschosses bei Umnutzung des Souterrains“ unter anderem zu folgenden Fragen:

1a „Maß der Nutzung: Ist der in den beigefügten Unterlagen ersichtliche Ausbau des Dachgeschosses im Zusammenhang mit den geplanten Veränderungen im Hof und im Souterrain durch eine Befreiung von dem durch den Baunutzungsplan festgesetzten Maß der Nutzung planungsrechtlich zulässig?“

1b „Städtebauliche Erhaltung: Sind die in den beigefügten Unterlagen ersichtliche Gestaltung des Dachgeschossausbaus und die damit verbundenen Nutzungsänderungen planungsrechtlich zulässig?“

Vor der Bauvoranfrage hatte es mehrere Abstimmungstermine mit den beteiligten Stellen des Bezirksamtes gegeben. Die Bauvoranfrage sah einen Ausbau des Dachgeschosses über Vorderhaus und Seitenflügel unter Erhöhung der Dachkubatur vor, wobei eine bereits ausgebaute Kubatur über dem Seitenflügel durch eine Dachterrasse ersetzt werden sollte. Die Gewerbenutzung des Souterrains sollte zugunsten von Nebenflächen für die Mieter aufgegeben und der Hofkeller zurückgebaut werden. Die Geschossflächenzahl würde durch den Umbau des Dachgeschosses ausweislich der in den Bauunterlagen enthaltenen Berechnungen von 3,5 auf 3,93 steigen.

Mit Vorbescheid Nr. 2014/3123 vom 9. März 2015 verneinte der Beklagte die Fragen 1a nach der planungsrechtlichen Zulässigkeit. Da die zulässige Geschossflächenzahl schon im Bestand um mehr als das Doppelte überschritten werde, sei zu vermuten, dass die Grundstücksverhältnisse einen städtebaulichen Missstand darstellten, welcher durch das Vorhaben noch verfestigt würde. Im Antrag werde nicht dargelegt, wie die erhöhte Nutzung ausgeglichen werden könne, etwa durch Begrünungsmaßnahmen auf dem Dach oder Schaffung von Aufenthaltsflächen auf dem Hof. Im Hinblick auf die Frage 1b verneinte der Beklagte diese, soweit es die Gebäudehöhe betraf. Die zulässige Gebäudehöhe von 20 m werde überschritten (22,40 m) und somit füge sich das Gebäude mit dem erhöhten Dachgeschoss nicht mehr städtebaulich in die Umgebung ein und würde zu einer negativen Vorbildwirkung führen. Dem Vorhaben werde aus planungsrechtlicher Sicht nicht zugestimmt. In einer gesonderten Stellungnahme zum Orts- und Stadtbild im Rahmen des Bescheides beantwortete der Beklagte die Frage 1b im Übrigen positiv und führte aus, die in den beigefügten Unterlagen ersichtliche Gestaltung des Dachgeschosses und die damit verbundenen Nutzungsänderungen seien gem. § 172 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB erhaltungsrechtlich zulässig.

Beschränkt auf die Fragen 1a und 1b legte der Kläger gegen den Vorbescheid fristgerecht Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2015 zurückgewiesen wurde.

Mit seiner am 28. September 2015 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat u.a. die Funktionslosigkeit der Festsetzungen zur Geschossflächenzahl im Baunutzungsplan für den Baublock des streitgegenständlichen Grundstücks unter konkreter Benennung von nach dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans genehmigten Dachgeschossausbauten geltend gemacht. Hilfsweise hat der Kläger geltend gemacht, das Ermessen für die Erteilung der Befreiung von den Festsetzungen zur Geschossflächenzahl sei wegen der Befreiungspraxis in der näheren Umgebung sowie wegen der Vorabstimmung „auf Null“ reduziert. Er hat zudem angeführt, dass in verschiedenen Fällen, in denen die Senatsverwaltung als Widerspruchsbehörde aufgetreten sei, in bestimmten Gebieten von einer Funktionslosigkeit des Baunutzungsplans ausgegangen worden sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Juni 2018 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Kläger habe keinen Anspruch auf den begehrten positiven Bauvorbescheid, denn das Vorhaben sei im Hinblick auf das geplante Maß der Nutzung des Grundstücks bauplanungsrechtlich unzulässig. Die durch den Ausbau des Dachgeschosses erreichte GFZ von 3,93 überschreite das zugelassene Maß der baulichen Nutzung. Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Befreiung von den entsprechenden bauplanungsrechtlichen Beschränkungen bestehe nicht. Die Festsetzung der GFZ von 1,5 im Baunutzungsplan für den Baublock sei nicht funktionslos geworden. Allein der Umstand, dass die in der Baustufe V/3 bebauten innerstädtischen Wohngebiete hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung häufig höher als in dieser Baustufe nach § 7 Nr. 15 BO 58 zulässig ausgenutzt seien, reiche zur Feststellung einer inzwischen eingetretenen Funktionslosigkeit schon deshalb nicht aus, weil dieser Zustand bereits bei Erlass des Baunutzungsplans bestanden habe.

Im hier maßgeblichen Baublock fehle es an einer eindeutigen und offenkundigen Entwicklung im Sinne einer Festschreibung oder Erhöhung der vorhandenen, den planerischen Festsetzungen widersprechenden Bebauungsdichte. Es sei bei der Bewertung der baulichen Entwicklung im Baublock durch Dachgeschossausbauten zu berücksichtigen, dass diese weder eine Änderung der Vollgeschosszahl noch der überbauten Grundstücksfläche bewirkten. Die Dachausbauten im hier maßgeblichen Baublock seien unter Einhaltung der Festsetzungen des Baunutzungsplans zur überbaubaren Grundstücksfläche und der zulässigen Anzahl der Vollgeschosse erfolgt. Eine Funktionslosigkeit der Maßfestsetzungen des Baunutzungsplans lasse sich auch nicht aus den erheblich über 1,5 liegenden Geschossflächenzahlen im streitigen Baublock herleiten. Der Plangeber habe für die Festlegung des Maßes der baulichen Nutzung bewusst die GRZ sowie die Vollgeschossanzahl als vorrangig maßgebliche Größen gewählt.

In der Baustufe V/3 sei der Plangeber von fünf Vollgeschossen und einer GRZ von 0,3 ausgegangen. Er habe also für die eng bebauten Stadtviertel der Gründerzeit in der Innenstadt nicht etwa eine Verringerung der Geschossanzahl der (straßenseitigen) Bestandsgebäude im Blick gehabt, sondern eine Auflockerung der Grundstücksverhältnisse durch Herausnahme von Seitenflügeln und Quergebäuden in den Hinterhöfen mit einer entsprechenden Verringerung der GRZ. Aus der Gesetzesbegründung lasse sich auch folgern, dass die GFZ selbst nur eine Hilfsgröße für das zulässige Maß der Ausnutzung eines Grundstücks darstellen sollte, das sich pauschal aus den beiden vorrangigen Festsetzungen GRZ und Vollgeschossanzahl berechne und Aufenthaltsräume in Nebengeschossen unberücksichtigt lasse.

Weil bei der Berechnung der GFZ auch die Grundflächen von Aufenthaltsräumen in Nebengeschossen einschließlich der zu ihnen führenden Treppenhäuser und ihrer Umfassungswände nach § 7 Nr. 21 BO 58 mitzurechnen seien, sei die Errichtung von Wohnungen in den Dachgeschossen der Bestandsbauten zwar unter Einhaltung der zwingenden Vorgaben zur zulässigen Vollgeschossanzahl und der überbaubaren Grundstücksfläche erfolgt; sie habe aber zwangsläufig zu einer Erhöhung der GFZ geführt. Dieses Problem habe der Plangeber berücksichtigt, indem er die Bezirksämter mit Verwaltungsanweisung Nr. 39 vom 19. Juli 1960 (Dienstblatt des Senats von Berlin, Teil VI/1960, S. 151) noch einmal darauf hingewiesen habe, dass die Festsetzungen zur bebaubaren Grundstücksfläche und der zulässigen Zahl der Vollgeschosse zwingend seien (soweit nicht nach § 7 Nr. 14 BO 58 eine Ausnahme ausdrücklich zugelassen sei). Die sich aus der bebaubaren Fläche und der zulässigen Zahl der Vollgeschosse ergebende GFZ sei zwar ebenfalls zwingend, in jedem Fall hätten aber die Festsetzungen zur bebaubaren Fläche und der zulässigen Zahl der Vollgeschosse Vorrang. Der Plangeber habe die Bezirksämter sodann angewiesen, Befreiungen bei bloßer Überschreitung der festgesetzten GFZ zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 5 BO 58 vorgelegen hätten, wenn also die Durchführung der Vorschrift im Einzelfalle zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte geführt und das Gemeinwohl eine Abweichung gestattet oder sogar erfordert habe. Als Beispiel für eine Befreiung von der Geschoßflächenzahl könne nach der Verwaltungsanweisung der Fall angesehen werden, bei dem ein Grundstück nach bebaubarer Fläche und Anzahl der Geschosse voll ausgenutzt werde. Würden dann Aufenthaltsräume in Nebengeschossen zugelassen, so trete eine Überschreitung der Geschoßflächenzahl ein, da die Grundfläche dieser Räume einschließlich der zu ihnen führenden Treppenhäuser und der Umfassungswände nach § 7 Nr. 21 BO bei der Ermittlung der Geschoßflächenzahl mitzurechnen sei. Es werde also eine Befreiung von der Geschoßflächenzahl erforderlich. Mit diesem in der Verwaltungsanweisung genannten Beispiel für die notwendige Erteilung einer Befreiung habe der Plangeber offenbar gerade den Ausbau der Dachgeschosse von Bestandsbauten auf baulich voll ausgenutzten Grundstücken im Blick gehabt, welche die Vollgeschosszahl und die bebaute Fläche unberührt ließen, jedoch zu einer Erhöhung der jeweiligen GFZ auf dem Grundstück führten. Da die Möglichkeit bestanden habe, dass entsprechende Dachgeschossausbauten im Einzelfall der planerischen Grundkonzeption nicht entgegenstünden, sollte eine Befreiung zur Ermöglichung des Vorhabens erteilt werden können.

Die überschaubare bauliche Entwicklung im streitgegenständlichen Baublock entspreche folglich ganz überwiegend den planerischen Vorstellungen. Von den 28 Grundstücken des Baublocks seien sechs Grundstücke nach 1958 neu bebaut worden, wobei fünf der sechs Grundstücke jeweils eine GFZ zwischen 0,67 und 1,43 aufwiesen und sich demnach innerhalb der entsprechenden Vorgabe des Baunutzungsplans bewegten. Das Grundstück U... mit dem jüngsten Neubau aus dem Jahr 1993 weise zwar eine GFZ von 2,46 auf, grenze jedoch einerseits unmittelbar an einen großflächig unbebauten Grundstücksteil des Nachbargrundstücks U... mit einer GFZ von 0,67, das im Eigentum derselben Kirchengemeinde stehe. Andererseits resultiere die hohe GFZ des 1993 genehmigten Vorhabens aus den sieben Vollgeschossen der beiden Gebäude auf dem Grundstück, die im Hinblick auf eine einheitliche Gebäudehöhe mit den unmittelbar angrenzenden Altbauten des Grundstücks U... genehmigt worden seien. 22 Grundstücke im Baublock seien nach wie vor mit Altbauten aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans bebaut. Seit dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans seien zwölf Dachgeschosse dieser Altbauten aus- bzw. umgebaut, was in zehn Fällen zu (geringen) Erhöhungen der GFZ geführt habe. Hinsichtlich der zwangsläufig bewirkten Erhöhung der GFZ in zehn Fällen seien Befreiungen von der pauschal festgelegten GFZ von 1,5 erteilt worden. Eine bauliche Entwicklung im Sinne einer Neubebauung von Grundstücken habe – bis auf den Sonderfall des Grundstücks U... – innerhalb der Vorgaben des Baunutzungsplans zum Maß der Nutzung stattgefunden. Der Blockrand sei dabei den Vorstellungen des Plangebers entsprechend mit fünfgeschossigen Gebäuden geschlossen, das Grundstück im Blockinneren jedoch weitgehend von Bebauung freigehalten worden. Auch die städtebauliche Vorstellung des Plangebers der 1950er Jahre, den Blockinnenbereich zu entkernen, sei umgesetzt worden.

Der Kläger habe gegen den Beklagten auch keinen Anspruch aus § 31 Abs. 2 BauGB auf Erteilung einer Befreiung. Er habe weder eine entsprechende Befreiung beantragt noch selbst ein Gemeinwohlinteresse an dem Ausbau des Dachgeschosses geltend gemacht. Ein Anspruch auf Befreiung bestehe auch nicht nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB. Insoweit sei bereits der für die Befreiung erforderliche in bodenrechtlicher Hinsicht atypische Sonderfall des Klägergrundstücks fraglich. Es seien fast alle – noch nicht ausgebauten - Dachgeschosse der vorhandenen Altbebauung im Block Nr. 5... für den Ausbau zu Wohnzwecken geeignet. In sämtlichen Fällen werde die zulässige GFZ bereits deutlich überschritten. Die Genehmigung sämtlicher möglicher Dachausbauten im Wege der Befreiung ohne entsprechende Kompensation der Überausnutzung des jeweiligen Grundstücks würde die ursprünglichen planerischen Festsetzungen zum Nutzungsmaß faktisch aufheben. Derartige weitreichende Veränderungen der Planung dürften nicht durch die Baugenehmigungsbehörde geschaffen werden, sondern müssten der (Neu-)Planung durch den Plangeber vorbehalten bleiben. Der Kläger könne die Befreiung schließlich auch nicht unter Berufung auf den Gleichheitssatz oder die Vorabstimmungsgespräche beanspruchen. Zwar habe der Beklagte einige Dachraumausbauten im streitgegenständlichen Baublock genehmigt. Diese Genehmigungen seien jedoch durch entsprechende Kompensationsmaßnahmen seitens der Bauherrn flankiert bzw. beruhten auf der Praxis nach dem BauGB-Maßnahmegesetz. Ungeachtet dessen könne der Kläger nicht verlangen, dass ihm eine rechtswidrige Befreiung erteilt werde.

Das klägerische Vorhaben sei auch hinsichtlich der vorgesehenen Gebäudehöhe von 22,40 Metern (Frage 1b) planungsrechtlich unzulässig. Gemäß dem als übergeleitetem Recht fortgeltenden § 9 Nr. 5 BO 58 dürfe die Gebäudehöhe das Vierfache der zugelassenen Zahl der Vollgeschosse in Metern nicht überschreiten. Im Bereich der hier maßgeblichen Baustufe V/3 betrage die maximal zulässige Gebäudehöhe daher 20 Meter. Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von dieser Beschränkung bestehe aus den vorgenannten Gründen nicht. Es handele sich bei dem Vorhaben insbesondere nicht um einen atypischen Sonderfall. Außerdem würden nicht nur die Nachbargebäude überragt, sondern auch der enge Hinterhof verdunkelt.

Der Kläger hat am 27. August 2018 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und sie am 25. September 2018 begründet.

Er führt aus, das Vorhaben sei im Hinblick auf die zu realisierende GFZ bauplanungsrechtlich unproblematisch. Der Baunutzungsplan sei funktionslos, soweit er eine GFZ von 1,5 festsetze. Insoweit sei die Rechtsprechung der 19. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin zutreffend. Für die Funktionslosigkeit spreche der auf nahezu allen Grundstücken im maßgeblichen Baublock vorhandene Bestand, der von der festgesetzten GFZ von 1,5 deutlich abweiche. Der Baunutzungsplan sei zudem nahezu 60 Jahre alt. Der Bezirk habe seit Inkrafttreten auch nicht auf die Reduzierung des Nutzungsmaßes hingewirkt, sondern weitere Verdichtung durch Erteilung von Befreiungen zugelassen. Das Grundstück befinde sich zudem im Bereich einer Erhaltungsverordnung. Es sei damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass mittel- bis langfristig auch nur ansatzweise eine Annäherung des Bestandes an die Festsetzung erfolge.

Das Verwaltungsgericht habe hier den falschen Maßstab gewählt. Die Diskrepanz der schon vor Inkrafttreten des Baunutzungsplans vorhandenen Altbebauung und des Planungsziels könne nicht völlig außer Acht gelassen werden. Es bestünden Zweifel daran, dass die planerischen Festsetzungen jemals vollzugsfähig gewesen seien. Unabhängig davon sei der planwidrige Altbestand nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu berücksichtigen. Die Anforderungen im Hinblick auf die Funktionslosigkeit seien weniger streng, wenn bereits ein planwidriger Altbestand bestehe. Hinzu komme, dass in der bereits sehr langen Zeit seit Inkrafttreten des Bebauungsplans keine nennenswerte Entwicklung zur Realisierung des Planungsziels eingeleitet worden sei.

Anders als das Verwaltungsgericht meine, sei die Festsetzung der GFZ auch keine gegenüber der Festsetzung der GRZ und der Vollgeschosszahl nachrangige Festsetzung im Baunutzungsplan. Die GFZ sei verbindlich gewesen, die vom Verwaltungsgericht für seine Auffassung angeführte Gesetzesbegründung sei wenig aussagekräftig. Daran ändere auch die Verwaltungsanweisung Nr. 39 nichts. Es handele sich um eine reine Verwaltungsvorschrift ohne Rechtssetzungscharakter. Diese stelle aber auch fest, dass die Festsetzung zur GFZ zwingend sei. Auch die Anweisung, bei bloßer Überschreitung der GFZ Befreiungen zu erteilen, mache deutlich, dass eine Überschreitung der GFZ gerade nicht im Baunutzungsplan angelegt gewesen sei. Auch nach der vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung des OVG Berlin sei die GFZ stets einzuhalten. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Befreiung quasi als Regelinstrument vorzusehen, überzeuge nicht. Die Argumentation des Verwaltungsgerichts sei sodann widersprüchlich. Die Befreiungspraxis sei nicht plankonform gewesen. Es sei erstaunlich, wenn die Kammer dann aber im Hinblick auf die Befreiung im konkreten Fall doch einen in bodenrechtlicher Hinsicht atypischen Sonderfall fordere.

Die tatsächliche Entwicklung im Baublock habe zur Funktionslosigkeit der Festsetzung der GFZ geführt. Es sei jede genehmigte Überschreitung des Nutzungsmaßes maßgeblich. Es komme nicht nur auf Neubauvorhaben, sondern auch und gerade auf Dachgeschossausbauten an. Aber auch im Hinblick auf die Neubauten sei insbesondere auf das Grundstück U... zu verweisen, auf dem ein achtgeschossiges Vorderhaus und ein siebengeschossiges Hinterhaus errichtet worden sei. Es seien im Übrigen zwölf bzw. zehn Dachgeschosse bei insgesamt 22 Grundstücken mit Altbauten in dem Baublock ausgebaut worden. Die demgegenüber vom Verwaltungsgericht angeführten Abbruchmaßnahmen seien angesichts dieser Verdichtung zu vernachlässigen. Die vom Beklagten vorgelegte Liste zur Entwicklung der GFZ sei teilweise nicht richtig. So sei beispielsweise auf dem Grundstück W... ganz offenkundig ein Dachgeschossausbau erfolgt. In der T... im Jahr 1988 ein Dachgeschossausbau mit Dachterrasse genehmigt worden. Zudem sei am U... bereits 1995 ein Dachgeschossausbau erfolgt, durch den sich die GFZ von 2,7 auf 2,99 erhöht habe und am U... ein Vorderhaus mit sieben Vollgeschossen errichtet und ein Seitenflügel mit einer erheblichen GFZ und GRZ-Erhöhung neugebaut worden.

Ein Indiz für die Funktionslosigkeit sei auch der Erlass einer Verordnung zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und einer Verordnung zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart. Die diesbezüglichen Argumente des Verwaltungsgerichts seien nicht haltbar. Der Baunutzungsplan mache gerade keinen Unterschied zwischen dem Nutzungsmaß am Blockrand und im Blockinnenbereich. Eine Überschreitung der GFZ sei planwidrig, unabhängig davon, wo sie stattfinde. Die städtebauliche Erhaltungsverordnung „Luisenstadt“ sei keineswegs nur auf die Erhaltung der Blockrandbebauung ausgerichtet. Im Gegenteil werde diese in der Praxis auf alle Gebäude innerhalb des Erhaltungsgebiets angewendet. Eine besondere Zielsetzung lasse sich auch nicht § 2 Abs. 1 S. 2 der Erhaltungsverordnung entnehmen, da dieser wörtlich der Vorgabe des § 172 Abs. 3 S. 1 BauGB entspreche und daher keine besondere „Zielsetzung“ enthalte. Auch seien Neben- und Quergebäude – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – ebenfalls von der Erhaltungsverordnung betroffen. Das verwaltungsgerichtliche Urteil gehe auch nicht auf die soziale Erhaltungsverordnung ein, die den Rückbau aller Gebäude, die zumindest teilweise dem Wohnen dienten, kategorisch ausschließe.

Unabhängig von der Funktionslosigkeit bestehe jedenfalls ein Anspruch auf Befreiung. Folgte man der Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass die GFZ kein Grundzug der Planung sei und die Befreiung für Dachgeschossausbauten regelmäßig plankonform sei, müsse dies auch für das klägerische Bauvorhaben gelten. Ferner käme eine Befreiung nach § 31 Abs. 3 BauGB in Betracht, da Berlin durch Verordnung zu einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt erklärt worden sei. Nach § 31 Abs. 3 BauGB käme es auf die Grundzüge der Planung nicht an.

Das Bauvorhaben halte bei zutreffender Berechnung zudem die zulässige Gebäudehöhe von 20 m ein und führe auch nicht zu einem weiteren Vollgeschoss.

Der Kläger beantragt im Wege der Berufung,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. Juni 2018 zu ändern

und den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin vom 9. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2015 zu verpflichten, ihm einen positiven Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Maßes der baulichen Nutzung des Vorhabens (Az. 2014/3123) in Bezug auf die GFZ, die Gebäudehöhe und die Vollgeschosszahl, erforderlichenfalls unter Erteilung einer Befreiung, zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er führt aus, der Baunutzungsplan sei nicht funktionslos geworden. Aus der vom Planinhalt abweichenden Bebauung aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans lasse sich kein Indiz für die Funktionslosigkeit ableiten. Der im Beschluss des 2. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. September 2020 (OVG 2 B 10.17) vertretenen Auffassung zur Baugebietsausweisung könne nicht gefolgt werden. Dieser zu weite Maßstab sei schlicht praxisfremd. Dies lasse sich auch nicht mit einem Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründen. Bei einer konsequenten Bewertung der Besonderheiten des Baunutzungsplans unter Einbeziehung seiner Entstehungsgeschichte werde insbesondere für die Abgrenzung deutlich, dass für die planerische Konzeption die Fluchtlinien als Instrument der Bauleitplanung bedeutend blieben und für die Gebietsausweisung auch weiterhin eine Rolle spiele. Der 2. Senat überdehne die Begriffe der „Reichweite“ und „Gesamtheit“. Entscheidend sei demgegenüber nicht die räumliche Ausdehnung, sondern ob die jeweilige Festsetzung geeignet sei, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im konkreten Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten.

Bei einer Auslegung unter Einbeziehung der Entstehungsgeschichte des Baunutzungsplans lasse sich das durch Straßenfluchtlinien abgegrenzte Baugebiet als das maßgebliche bestimmen. Aufgrund der Überleitungsvorschrift des § 173 Abs. 3 BBauG entstehe für den Baunutzungsplan erst im Zusammenhang mit förmlich festgestellten Fluchtlinien, welche die Verkehrsflächen regelten, die Eigenschaft eines qualifizierten Bebauungsplans. Hierfür spreche auch eine historische Auslegung unter Einbeziehung der Entstehungsgeschichte des Baunutzungsplans. Denn dieser beziehe sich inhaltlich auf den Bauzonenplan von 1925. In diesem und in der Bauordnung von 1925 seien als maßgebliches Instrument der Bauleitplanung die Fluchtlinien aufgrund des Preußischen Wohnungsgesetzes von 1918 erhalten. Der Bauzonenplan von 1925 habe das Ziel der Herabsetzung der baulichen Ausnutzung sowie des Schutzes von Freiflächen verfolgt. Da der inhaltliche Anknüpfungspunkt des Baunutzungsplans der Bauzonenplan von 1925 gewesen sei, könne demnach dieser zur genaueren Bestimmung der Gebietsgrenzen herangezogen werden.

Die Zeiträume, in denen das BauGB-Maßnahmengesetz bzw. das Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz gegolten hätten, seien bei der Beurteilung der Funktionslosigkeit außer Betracht zu lassen. Den in diesen Zeiträume genehmigten GFZ-Erhöhungen käme allenfalls eine stark eingeschränkte Bedeutung zu. Auch soweit der 2. Senat in seinem Verfahren auf die Leitlinien im Bezirk Neukölln aus dem Jahr 2014 Bezug genommen hätte, sei dies auf den vorliegenden Bezirk K... nicht übertragbar, da es solche Richtlinien hier nicht gebe.

Der GFZ käme lediglich eine Bedeutung als Orientierungsgröße zu, weswegen keine isolierte Funktionslosigkeit dieser begründet werden könne. Der Baunutzungsplan könne bereits mangels Gleichrangigkeit der GFZ nicht nur in Bezug auf die Maßfestsetzung der GFZ isoliert funktionslos sein. Die GFZ sei für sich genommen als Orientierungsgröße und nicht als selbstständige nutzungsmaßbegrenzende Größe zu werten. Aus der Gesetzesbegründung lasse sich folgern, dass die GFZ selbst nur eine Hilfsgröße für das zulässige Maß der Ausnutzung eines Grundstücks habe sein sollen, die sich pauschal aus den beiden vorrangigen Festsetzungen GRZ und Vollgeschosszahl berechnet und Aufenthaltsräume in Nebengeschossen unberücksichtigt gelassen habe. Nach Inkrafttreten des Baunutzungsplans seien in dem hier maßgeblichen Straßengeviert Maßnahmen umgesetzt worden, die im Einklang mit den Zielsetzungen des Baunutzungsplans stünden.

Im Antrag des Klägers sei in der Berechnung der GFZ der vorhandenen Bebauung nicht das gewerblich genutzte Souterrain enthalten. Nach Berechnung des Beklagten betrage die GFZ des Bestandsgebäudes einschließlich der gewerblich genutzten Flächen im Vorderhaus des Souterrains 4,10. Zu beachten sei, dass der Kläger im Jahr 2016 eine Umnutzung des Souterrains im Vorderhaus in zwei Ferienwohnungen beantragt habe, die genehmigt worden sei. Insofern solle sich der Kläger äußern, ob die im Vorbescheid angegebene Nutzungsaufgabe im Souterrain weiterhin maßgeblich sein solle, da ansonsten die GFZ unter Einbeziehung des Dachaufbaus abweichend zu berechnen wäre. Nach der eigenen Berechnung des Beklagten würde die GFZ auf dieser Grundlage 4,54 betragen.

In der Gesamtschau sei der Aufbau kein Dachraum, sondern ein neues, siebtes Vollgeschoss. Der Begriff des Vollgeschosses ergebe sich aus § 2 Abs. 5 BO 1966. Hiernach weise das Bestandsgebäude bereits sechs Vollgeschosse auf, da das im Vorbescheidsantrag als „KG“ gekennzeichnete Geschoss ca. 1,44 m bzw. 1,59 m über das Straßenniveau hinausrage. Auch das geplante Dachgeschoss sei als ein neues Vollgeschoss anzusehen. Es erfülle grundsätzlich die Anforderungen an ein Vollgeschoss, wonach mindestens 2/3 der Grundfläche eine lichte Höhe von 2,50 m aufweisen müsse. Im Vorderhaus betrage die lichte Höhe der Räume mindestens 2,50 m auf ca. 2/3 der Grundfläche. Im Seitenflügel betrage die lichte Höhe 2,70 m bis 3,20 m über die gesamte Grundfläche. Die Baubeschreibung deute darauf hin, dass die Dachschräge zur Straßenseite hin keine tragende Funktion habe, sondern es sich lediglich um eine Verblendung handele.

Eine Befreiung komme auch nach § 31 Abs. 3 BauGB nicht in Betracht, da es an der Voraussetzung des Einzelfalls fehle. Sie sei auch nicht mit öffentlichen Belangen vereinbar, da die Erhöhung des Daches den bereits sehr hohen Nutzungsdruck auf dem Grundstück erhöhe sowie zur zusätzlichen Verschattung des Hofes führe und daher die Wohnverhältnisse verschlechtere.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar zulässig, sie ist indes nicht begründet. Der Bescheid des Bezirksamtes vom 9. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2015, der die Erteilung eines positiven Bauvorbescheids hinsichtlich der Zulässigkeit des mit dem Bauvorhaben einhergehenden Maßes der baulichen Nutzung ablehnt, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf den begehrten positiven Bauvorbescheid im Hinblick auf die Zulässigkeit seines Bauvorhabens unter dem Gesichtspunkt des Maßes der baulichen Nutzung aus § 75 Abs. 1 S. 1 der Bauordnung für Berlin (BauO Bln). Hiernach ist, wenn die Erteilung einer Baugenehmigung vorgeschrieben ist, vor Einreichung des Bauantrags auf Antrag der Bauherrin oder des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen.

Die vom Kläger formulierte, von vornherein auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung, erforderlichenfalls unter Erteilung einer Befreiung, beschränkte Bauvorbescheidsanfrage ist vom Beklagten im Ergebnis zutreffend verneint worden. Ihrer positiven Beantwortung steht entgegen, dass das beabsichtigte Maß baulicher Nutzung nach § 30 des Baugesetzbuches (BauGB) jedenfalls deshalb unzulässig ist, weil das Bauvorhaben zu einer weiteren Überschreitung der GFZ von 1,5 führen würde, die vorliegend mit der Baustufe V/3 im Baunutzungsplan in der Fassung vom 28. Dezember 1960 festgesetzt worden ist – welcher in Verbindung mit dem planungsrechtlichen Vorschriften der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 21. November 1958 (GVBl. S. 1087/1104) sowie den Modifizierungen durch den Bebauungsplan XI-A vom 9. Juli 1971 (GVBl. S. 1233) als übergeleiteter Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 2 BauGB fortgilt – und auch keine Befreiung von dieser Festsetzung nach § 31 BauGB erteilt werden kann (A.). Ob die Bauvorbescheidsanfrage auch deshalb negativ zu beantworten wäre, weil das Bauvorhaben im Hinblick auf die Gebäudehöhe und die Zahl der Vollgeschossen das nach dem Baunutzungsplan zulässige Maß überschreitet, kann daher offenbleiben (B.).

A. Die mit dem Bauvorhaben einhergehende weitere Überschreitung der GFZ ist planungsrechtlich unzulässig. Das Bauvorhaben des Klägers überschreitet unstreitig das zulässige Maß der baulichen Nutzung nach dem Baunutzungsplan im Hinblick auf die Geschossflächenzahl. Der Baunutzungsplan sieht i.V.m. der als Bebauungsplan fortgeltenden Regelung der §§ 7 Nr. 13 und 15 BO 58 insoweit in der maßgeblichen Baustufe V/3 eine maximal zulässige Geschossflächenzahl von 1,5 vor. Das Bestandsgebäude weist bereits jetzt eine Geschossflächenzahl von jedenfalls 3,5 auf und würde sich unstreitig durch den beabsichtigten Dachgeschossaufbau auf jedenfalls 3,93 erhöhen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Baunutzungsplan insoweit weiterhin verbindlich und nicht funktionslos geworden (I.). Eine Befreiung von der Festsetzung des Baunutzungsplans zur GFZ kommt weder nach § 31 Abs. 2 BauGB noch nach § 31 Abs. 3 BauGB in Betracht (II.).

I. Der Baunutzungsplan ist im hier maßgeblichen Gebiet im Hinblick auf die Festsetzung zur GFZ in der Baustufe V/3 nicht funktionslos geworden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehen für die Annahme der Funktionslosigkeit einer Festsetzung in einem Bebauungsplan zwei Voraussetzungen. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit - erstens - die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt. Zu dieser ersten Voraussetzung gilt, dass bei der von ihr ausgehenden Prüfung nicht gleichsam isolierend auf einzelne Grundstücke abgestellt, also die Betrachtung darauf beschränkt werden darf, ob die Festsetzung hier und dort noch einen Sinn ergibt. Zu würdigen ist vielmehr grundsätzlich die Festsetzung in ihrer ganzen Reichweite, und zu würdigen ist ferner nicht nur die einzelne Festsetzung, sondern auch die Bedeutung, die sie für den Plan in seiner Gesamtheit hat. Hinzutreten muss aber außerdem als zweite Voraussetzung eine bestimmte Offenkundigkeit des Mangels. Die zur Funktionslosigkeit führende Abweichung zwischen der planerischen Festsetzung und der tatsächlichen Situation muss - zweitens - in ihrer Erkennbarkeit einen Grad erreicht haben, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (so grundlegend BVerwG, Urteil vom 29. April 1977 – BVerwG IV C 39.75 –, juris Rn. 35). Ob die Voraussetzungen der Funktionslosigkeit erfüllt sind, ist für jede Festsetzung des Bebauungsplans gesondert zu prüfen (etwa BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2003 – BVerwG 4 B 85.03 –, juris Rn. 8).

Der Senat geht zwar davon aus, dass für das hier maßgebliche Gebiet des Baublocks, in dem das klägerische Grundstück belegen ist (dazu nachfolgend 1.) die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung der GFZ bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt (dazu 2.). Indes ist das zweite Kriterium der Offenkundigkeit nicht erfüllt (dazu 3.).

1. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass für die Prüfung der Funktionslosigkeit einzelner Festsetzungen des Berliner Baunutzungsplans in der Regel der jeweilige Baublock zu betrachten ist, in dem die Festsetzung gilt (Senatsbeschluss vom 5. Juli 2017 – OVG 10 N 29.16 – S. 4f. BA; Beschluss vom 19. Juni 2019 – OVG 10 N 27.18 -, S. 5 BA ; Beschluss vom 18. September 2019 – OVG 10 N 80.16 – S. 4 BA), nicht aber das gesamte Plangebiet bzw. sämtliche Gebiete mit der entsprechenden Festsetzung. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des früheren Oberverwaltungsgerichts Berlin (OVG Berlin, Urteil vom 31. Juli 1992 – OVG 2 B 3.91 –, juris Rn. 17 ff.).

Der Senat vermag sich insbesondere nicht der neueren Auffassung des 2. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg anzuschließen, der die vorstehende langjährige, sogenannte Baublockrechtsprechung mit der Begründung aufgeben hat, dass der Baublock als Betrachtungsrahmen wegen zu geringer räumlicher Ausdehnung nicht in Betracht komme und stattdessen ein größeres Gebiet, namentlich im dortigen Fall die Flächen der Baustufe V/3, die als allgemeines Wohngebiet festgesetzt seien und innerhalb desselben Bezirks lägen, für maßgeblich erachtet (siehe hierzu: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. September 2020 – OVG 2 B 10.17 –, juris Rn. 34 f.).

Nach der Auffassung des erkennenden Senats ist weiterhin für die Beurteilung der baulichen Entwicklung insbesondere auf den Baublock abzustellen, in dem das Grundstück des Bauherrn liegt. Der als Bebauungsplan für den gesamten Westteil des Stadtgebiets von Berlin übergeleitete Baunutzungsplan enthält aufgrund seiner ursprünglichen Konzeption als vorbereitender Bebauungsplan (vgl. dazu etwa Rau, in: Meyer/Achelis u.a., Bauordnung für Berlin, 7. Auflage 2022, Teil II, Rn. 23, S. 1418 m.w.Erl.) großflächige Baugebietsausweisungen, die häufig ganze Stadtteile umfassen; diese weisen hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung sowie der Bauweise sehr unterschiedliche Entwicklungen auf. Für die Feststellung der Obsoleszenz der planerischen Festsetzungen ist es daher notwendig, auf den jeweiligen engeren Planbereich abzustellen, der für sich genommen auch Gegenstand eines (neuen) Bebauungsplans sein könnte. Hinsichtlich der Festsetzung der Bauweise kommt es danach in aller Regel entscheidend auf die tatsächliche bauliche Entwicklung in dem betreffenden Baublock an, und zwar unter Berücksichtigung der näheren Umgebung (so bereits OVG Berlin, Urteil vom 31. Juli 1992, a.a.O. Rn. 18).

Diese Rechtsprechung des OVG Berlin hält der Senat nach wie vor für überzeugend. Sie trägt zum einen insbesondere den Besonderheiten des Berliner Baunutzungsplans mit seiner sehr großen, ganz Westberlin erfassenden Ausdehnung Rechnung. Aus dieser Atypik des Baunutzungsplans als (hier: übergeleitetem) Bebauungsplan folgen mehrere Problemkreise, die ein Abstellen auf das Gebiet der jeweiligen Festsetzung in ihrer gesamten Reichweite unter Wertungsgesichtspunkten nicht als sachgerechter als die bisherige Baublockrechtsprechung erscheinen lassen. Wie schon das OVG Berlin (Urteil vom 31. Juli 1992, a.a.O.) ausgeführt hat, finden sich die Festsetzungen der verschiedenen Baustufen und insbesondere der hier relevanten Baustufe V/3 weit verstreut über das Gebiet Westberlins, wobei die betroffenen Flächen nicht zusammenhängen, sondern durch Flächen mit anderen Festsetzungen voneinander getrennt werden und auch strukturelle Unterschiede aufweisen. Dies führt dazu, dass das Gesamtgebiet, in dem die Festsetzung der Baustufe V/3 Geltung beansprucht, nahezu unüberschaubar ist. Auch die Neujustierung der Gebietsbestimmung durch den 2. Senat des OVG Berlin-Brandenburg trägt dieser Atypik zwar Rechnung und geht nach Auffassung des erkennenden Senats zutreffend nicht von jenem Gesamtgebiet aus. Diese vom 2. Senat vorgenommene Eingrenzung des maßgeblichen Gebietes führt aber im Rahmen der Funktionslosigkeit weiterhin zu der Betrachtung eines sehr großen, eher schwer überschaubaren Gebietes. Im dort entschiedenen Fall (a.a.O.) etwa waren immer noch 318 Grundstücke in die Prüfung einzubeziehen. Hinzu kommt, dass Baublöcke in Berlin eine verhältnismäßig große Ausdehnung erreichen und daher ohne Weiteres als Gebiete für eine sinnvolle Betrachtung der Entwicklung des Baubestandes im Rahmen der Prüfung einer Funktionslosigkeit geeignet erscheinen. Der hier interessierende Baublock umfasst beispielsweise 27 bzw. unter Einbeziehung der Eckbebauung 28 Grundstücke und ca. 30.000 m², wäre also für sich genommen ohne Weiteres geeignet, Gegenstand eines eigenständigen Bebauungsplans zu sein.

Diese Überlegungen führen nach Auffassung des erkennenden Senats auf die Lösung des Problems, wie mit der Atypik des Baunutzungsplans im Rahmen der Prüfung einer etwaigen Funktionslosigkeit einer Festsetzung des Baunutzungsplans umzugehen ist: Insoweit bietet es sich unter Wertungsgesichtspunkten an, entsprechend § 34 Abs. 1 BauGB auf die nähere Umgebung des Bauvorhabens abzustellen, die regelmäßig zur Betrachtung des Baublocks führt. Eine solche Anknüpfung an die nähere Umgebung hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung nicht beanstandet (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1993 – BVerwG 4 C 7.91 –, juris Rn. 19). Sie bietet unter Wertungsgesichtspunkten mehrere Vorteile.

Für sie spricht zum einen ihre normative Grundlage und Verwurzelung in der sonstigen baurechtlichen Dogmatik. Dies führt zu einem hohen Maß an Rechtsklarheit und Bestimmtheit bei gleichzeitig hinreichender Flexibilität, um auch außergewöhnlichen Konstellationen Rechnung zu tragen. Zwar ist auch die Bestimmung der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB konkret nicht immer frei von Zweifeln und hängt häufig von einer Einzelfallprüfung vor Ort ab. Die hierfür anzuwendenden Maßstäbe sind aber in jahrzehntelanger und damit Rechtssicherheit vermittelnder Rechtsprechung umfassend geklärt. In weiten Teilen des Geltungsbereichs des Baunutzungsplans wird sich die nähere Umgebung mit dem Baublock – wo ein solcher vorhanden ist – decken und deren Bestimmung dementsprechend weder dem Bürger als Bauherrn oder Nachbarn noch den Baubehörden und Gerichten größere Schwierigkeiten bereiten. Die Anknüpfung an die nähere Umgebung ermöglicht es zudem den baulichen Bestand und dessen Entwicklung seit Inkrafttreten des Baunutzungsplans mit vertretbarem Aufwand zu bestimmen. Ein größeres Gebiet würde für einen Bauherrn oder Nachbarn hingegen nur schwer zu überblicken und zu beurteilen sein. Etwa einzeln auftretenden abweichenden Fallgestaltungen kann im Rahmen der Bestimmung der näheren Umgebung auch bei grundsätzlicher Betrachtung des Baublocks weiterhin Rechnung getragen werden, ohne dass hierdurch größere Unsicherheiten entstehen, da das Gebiet der näheren Umgebung definitionsgemäß keine übermäßig große Ausdehnung erreichen kann.

Für diese Parallelwertung sprechen auch weitere Wertungsgesichtspunkte. Führt die Prüfung einer bestimmten Festsetzung des Baunutzungsplans anhand der näheren Umgebung dazu, dass diese funktionslos ist, bestimmt sich das Einfügen des Bauvorhabens in der Folge regelmäßig nach § 34 BauGB. Die nähere Umgebung des § 34 BauGB dürfte sich wie ausgeführt regelmäßig mit dem Baublock decken. Indes wäre es wenig nachvollziehbar, für die Feststellung der Funktionslosigkeit anzuerkennen, dass man nicht das gesamte Gebiet, in dem die relevante Festsetzung gilt, betrachten kann, sodann aber den maßgeblichen Bezugsrahmen deutlich weiter als die nähere Umgebung nach § 34 BauGB zu bestimmen. Dies könnte nämlich dazu führen, dass bei der Betrachtung der Funktionslosigkeit sich zunächst ergäbe, dass eine Festsetzung – da ein größeres Gebiet und dessen bauliche Entwicklung betreffend – funktionslos geworden ist, sodann aber für die Frage des Einfügens zum viel kleineren Gebiet der näheren Umgebung des Grundstücks zurückgekehrt und dann ggf. ein mangelndes Einfügen konstatiert werden müsste. Angesichts der Planersatzfunktion des § 34 BauGB würde dies ohne Not zu Wertungswidersprüchen führen, für die eine Rechtfertigung nicht ersichtlich ist.

Auch weist das Rechtsinstitut der Funktionslosigkeit eine Ambivalenz auf, die aus seiner normdurchbrechenden Wirkung folgt und es in besonderem Maß geboten erscheinen lässt, dessen räumlichen Bezugsrahmen an der Reichweite des Vertrauensschutzes auszurichten. Denn aus diesem erwächst die Rechtfertigung dafür, von der Anwendung einer Norm abzusehen, ohne dass der Normgeber sie aufgehoben hat. Schon das Bundesverwaltungsgericht hat hierauf in seinem grundlegenden Urteil vom 29. April 1977 hingewiesen und ausgeführt, dass die Frage, ob eine planerische Festsetzung funktionslos und deshalb ungültig geworden ist, nicht unterschiedlich beurteilt werden kann, je nachdem, ob sich ein Staatsbürger auf die Festsetzung beruft oder ob sie ihm entgegengehalten wird. Eine Differenzierung unter diesem Gesichtspunkt verbietet sich schon deshalb, weil Festsetzungen nicht entweder von "positiver" oder von "negativer" Wirkung sind, sondern potentiell stets sowohl die Funktion einer die Zulässigkeit von Vorhaben beschränkenden Wirkung haben als auch Gegenstand eines möglichen Vertrauens sind (BVerwG, Urteil vom 29. April 1977 – BVerwG 4 C 39.75 –, juris Rn. 34). Die Grundrechtsbeschränkung des Einen entspricht mithin dem Vertrauensschutz des Anderen.

Dehnte man das zu betrachtende Gebiet hingegen deutlich über die nähere Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB aus – mithin dasjenige Gebiet, in dem sich das geplante Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die Umgebung auf das Baugrundstück prägend auswirken kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 2003 – BVerwG 4 B 74.03 –, juris Rn. 2 m.w.N.) –, so würde eine erheblichen Zahl von Grundstückseigentümern einbezogen, für deren konkrete Betroffenheit durch eine vom Baunutzungsplan abweichende tatsächliche Entwicklung und eine hierauf gründende Vertrauensschutzerwartung bezüglich der Reichweite der eigenen Baufreiheit nichts ersichtlich ist. Dementgegen könnten Grundeigentümer, die den Auswirkungen einer vom Baunutzungsplan abweichenden Entwicklung in ihrer näheren Umgebung tatsächlich ausgesetzt sind, aus diesem Umstand ggf. keine vergleichbare Baufreiheit ableiten, sofern die Entwicklung in weiter entfernten Baublöcken noch plankonform verläuft, ohne dass sich dies vorteilhaft für ihr Grundstück auswirkt. Spiegelbildlich hätte die Befreiungspraxis der Baubehörde unabsehbare und weitreichende Folgen, denn Baublöcke, die sich plangemäß entwickelt haben, könnten nur deshalb an der Funktionslosigkeit teilnehmen, weil in anderen, weiter entfernten Baublöcken erheblich vom Plan abgewichen wurde, wohingegen Baublöcke mit erheblichen Planabweichungen nur deshalb nicht an der Funktionslosigkeit teilnehmen könnten, weil andere, weiter entfernte Baublöcken sich plangemäß entwickeln.

Nach alledem sieht der erkennende Senat keinen durchgreifenden Anlass für die Aufgabe der ständigen Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte Berlin und Berlin-Brandenburg, die sich unter dogmatischen Gesichtspunkten als systematisch und unter Rechtsanwendungsgesichtspunkten als praktikabel erweist und damit ein hohes Maß an Rechtssicherheit und Vertrauensschutz bietet.

2. Für den danach maßgeblichen Baublock, in dem das klägerische Grundstück belegen ist, geht der Senat davon aus, dass die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung der GFZ bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt. Entscheidend für die Funktionslosigkeit ist, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung i.S. des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen bzw. sinnvollen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2003 – BVerwG 4 B 85.03 –, juris Rn. 8).

Der Senat geht vorliegend von einer solchen massiven Abweichung aus, so dass die Festsetzung zur GFZ eine Steuerungsfunktion hier nur noch punktuell zu entfalten vermag.

Maßgeblich für die zulässige GFZ ist hier der Baunutzungsplan i.V.m. § 7 Nr. 13, 15 BO 58. Letztere gelten gemäß § 233 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 173 Abs. 3 S. 1 BBauG als bauplanungsrechtliche Regelungen (§ 9 BBauG) als Bebauungsplan fort. Der Senat hält an der Rechtsprechung des früheren Oberverwaltungsgerichts Berlin fest, derzufolge nach dem Wortlaut und dem aus der Gesamtregelung zu ermittelnden Sinn der hier einschlägigen Vorschriften der BO 58 die Geschoßflächenzahl - vom Fall der Befreiung abgesehen - immer einzuhalten ist. Gemäß § 7 Nr. 13 Satz 1 in Verbindung mit Nr. 3 BO 58 ergibt sich das Maß der Nutzung in den Baugebieten aus der im Baunutzungsplan angegebenen Baustufe. Die den einzelnen Baustufen zugeordneten Nutzungsmaße werden in § 7 Nr. 15 Satz 1 - bis auf die Stufe 6 - durch vier anhand von Zahlenwerten bestimmten Größen festgelegt: Geschosszahl, bebaubare Fläche, Geschossflächenzahl und Baumassenzahl. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine tabellarische Aufstellung der im Einzelfall bei der Beurteilung des zulässigen Nutzungsmaßes nach den vorangehenden Regelungen der Nrn. 13 und 14 zugrunde zulegenden Maßzahlen, sondern - wie im übrigen auch die nachfolgenden Sätze 2 und 3 der Nr. 15 - um eine eigenständige Regelung, welche das in § 7 Nr. 13 Satz 1 BO 58 verwendete, ausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmal "Baustufe" in Form einer differenzierten Festlegung der einzelnen Bemessungsgrößen aufschlüsselt (Oberverwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 10. März 1989 – 2 B 4.87 –, juris Rn. 47 ff.).

Gemäß § 7 Nr. 15 BO 58 ist in der Baustufe V/3 eine Geschossflächenzahl von 1,5 zulässig. Diese Geschossflächenzahl wurde im hier zu beurteilenden Baublock bereits bei den Bestandsgebäuden, die vor Inkrafttreten des Baunutzungsplans errichtet waren, häufig überschritten. Zwar kommt es für die Beurteilung der Funktionslosigkeit regelmäßig nur auf die Verhältnisse seit dem Inkrafttreten des Bebauungsplans an. Da der Zweck eines Bebauungsplans auch darin bestehen kann, eine vorhandene Bebauung - gegebenenfalls auf längere Sicht - zu verändern, lässt sich aus einer dem Bebauungsplan widersprechenden Bebauung aus der Zeit vor seinem Inkrafttreten zunächst nicht einmal ein Indiz für seine Funktionslosigkeit herleiten. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die Geltung der planerischen Festsetzungen kann erst verloren gehen, wenn sich die weitere bauliche Entwicklung abweichend vom Bebauungsplan vollzieht. Insoweit mag allerdings bei einem planwidrigen Altbestand und bei Fortführung der dem neuen Plan widersprechenden Bebauung schneller ein Zustand eintreten, bei dem mit einer Realisierung des Plans nicht mehr gerechnet werden kann. In erster Linie ist aber auch dann die Entwicklung seit dem Inkrafttreten des Bebauungsplans maßgeblich (BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2000 – BVerwG 4 BN 58.00 –, juris Rn. 3). Die bereits bei Inkrafttreten des Baunutzungsplans im hier maßgeblichen Baublock weit verbreitete und teils deutliche Überschreitung der GFZ hat sich seit diesem Inkrafttreten jedoch nicht plangemäß reduziert, sondern ist weitgehend erhalten geblieben oder sogar noch ausgeweitet worden.

Seit Inkrafttreten des Baunutzungsplans hat es anhand der weitgehend übereinstimmenden Angaben der Beteiligten - wobei es auf die einzelnen vom Kläger geltend gemachten Abweichungen bzw. Unklarheiten nach Auffassung des Senats nicht entscheidend ankommt - auf elf Grundstücken im Baublock keine Veränderung der GFZ gegeben. Diese überschreiten indes alle bereits im Bestand und ohne Veränderung die GFZ von 1,5. Dazu gehört auch das klägerische Grundstück in der Q.... Ferner gehört zu den elf unveränderten Grundstücken das Grundstück Q..., für das der Beklagte zwar eine Genehmigung zur Erhöhung der GFZ (von 1,66 auf 2,49) erteilt hat, bei dem ein Bau bis Januar 2023 aber nicht erfolgt ist. Auch die übrigen neun Gebäude ohne Veränderungen der GFZ haben nach Angaben des Beklagten eine GFZ von mehr als 1,5 (niedrigste: 1,65). Bei zwei Grundstücken hat sich die GFZ nach Inkrafttreten des Baunutzungsplans zwar erhöht, bleibt aber unter 1,5. Bei einem Grundstück ist unklar, ob sich die GFZ verändert hat (Q...), sie liegt aber bei 0,67 und damit im zulässigen Bereich. Bei 14 Grundstücken hat sich die GFZ erhöht und liegt regelmäßig deutlich über 1,5. Der Beklagte geht insoweit von 13 Grundstücken aus bei denen sich die GFZ aufgrund von Dachgeschossausbauten „geringfügig“ seit 1958 erhöht habe. Eine weitere Erhöhung ergibt sich aus einem Neubau (U...).

Aus den Angaben des Beklagten ergeben sich hingegen lediglich eine geringe Anzahl an Abrissmaßnahmen, wobei diese nur an zwei Stellen (Q...) eine Reduzierung der GFZ zur Folge hatten (Q...1980: von 5,9 auf 3,12 und z...: ursprüngliche GFZ unbekannt, 1978 nach Abbruch 1,367), die sodann in der Q... 2014 wieder durch eine Erhöhung (von 3,12 auf 4,07) und am U... im Jahr 1993 durch einen Neubau (von 1,367 auf 2,5) konterkariert wurden.

Das Maß der GFZ-Überschreitung ist dabei teilweise sehr hoch: Es gibt mehrere GFZ, die über 4,0 liegen (4,37, 4,77, 4,07, 4,10), hinzu kommen eine Vielzahl von GFZ über 3,0. Im Schnitt beträgt die GFZ in dem Baublock 3,07. Bei den Grundstücken, die die GFZ von 1,5 überschreiten, beträgt die GFZ im Durchschnitt 3,30.

Entgegen der Ansicht des Beklagten sind bei der Betrachtung der tatsächlichen Umstände nicht aus Rechtsgründen jene Grundstücke aus der Betrachtung auszuscheiden, bei denen Befreiungen unter Geltung der verschiedenen Iterationen des BauGB-Maßnahmengesetzes (Inkrafttreten: 01.06.1990 [BGBl. I S. 926), Außerkrafttreten: 31.12.1997, zwischenzeitlich jedenfalls zweimal geändert) erteilt wurden, die jeweils erhebliche Erleichterungen für die Erteilung entsprechender Befreiungen vorsahen. Der Maßstab der Funktionslosigkeit lässt eine Berücksichtigung der bundesgesetzlichen Abschwächung der Befreiungsvoraussetzungen durch das BauGB-Maßnahmengesetz bzw. des Wohnungsbauerleichterungsgesetzes nicht zu. Maßgebend ist die formell rechtmäßige tatsächliche bauliche Entwicklung, es ist nicht entscheidend, auf welcher rechtlichen Grundlage sich diese vollzogen hat (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. September 2020 – OVG 2 B 10.17 –, juris Rn. 32).

Der Beklagte führt ferner aus, dass der Augenschein einen mittleren Instandhaltungszustand im Baublock ergeben habe. Es seien keine Gebäude mit deutlichen Missstand nach dem äußeren Erscheinungsbild festgestellt worden. Aktuelle umfangreiche Sanierungsmaßnahmen seien ebenfalls nicht erkennbar. Die vom Beklagten zu Genehmigungen nach Erhaltungsverordnung vorgelegte Liste, aus der sich insoweit Indizien entnehmen lassen, zeigen zwei möglicherweise größere Sanierungen (U...: Umbau und Sanierung einer Eigentumswohnung im 4. OG; und wohl Q...: Wiederherstellung der Bewohnbarkeit des Gebäudekomplexes, Abtragen von Wänden etc.). Ansonsten sind kleinere Instandsetzungsmaßnahmen, energetische Sanierungen, Einbau von Heizungen u.Ä., die nicht auf Verfall oder größere Sanierungen schließen lassen, erkennbar.

Auf Grund dieser tatsächlichen Erkenntnisse geht der Senat davon aus, dass die Verhältnisse einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt. Hierfür streitet die nach dem Inkrafttreten des Baunutzungsplans erfolgte Vielzahl der genehmigten Dachgeschossausbauten unter Befreiung von der GFZ, die zu teils sehr erheblichen GFZ-Überschreitungen geführt hat bzw. in den meisten Fällen schon bestehende GFZ-Überschreitungen noch erhöht hat. Mit einem Rückbau dieser ist auch eingedenk des Erhaltungszustandes, des enormen Wohnungsdrucks in Berlins und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Verwertungsinteressen, die offenkundig auf Nachverdichtung und nicht auf Lichtung des planwidrigen Bestandes zielen, sowie der besonderen Attraktivität der gründerzeitlichen Bausubstanz kaum zu rechnen. Gegen durchgreifende Rückbaumaßnahmen streitet auch indiziell die für den Baublock geltende Erhaltungsverordnung nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB („Luisenstadt“). Weiter ist zu berücksichtigen, dass bereits vor Inkrafttreten des Baunutzungsplans der Bestand erhebliche Überschreitungen der GFZ aufwies, was der Senat im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar nicht als Indiz für die Funktionslosigkeit, jedoch als Ausgangspunkt dafür nimmt, dass eine solche hier schneller erreicht sein wird.

Gegen einen die Funktionslosigkeit begründenden Zustand streitet selbst die Entwicklung bei den Neubauten nur teilweise. Diese unterschreiten zwar überwiegend die GFZ und zeigen auch, dass an den Regelungen der GFZ jedenfalls in diesen Fällen weiter festgehalten und diese praktisch angewandt werden. Insoweit ist aber auch festzustellen, dass der Beklagte dazu neigt, Befreiungen von der regelmäßig schon deutlich überschrittenen GFZ von 1,5 mit „Kompensationsmaßnahmen“ zu erteilen, die im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die GFZ fraglich erscheinen. So findet sich vielfach etwa der Hinweis, dass als Ausgleich eine Dachbegrünung, die Anlage von Grünflächen und entsprechende Gestaltungen verlangt werden. Teilweise – wo es etwa die Anlage einer Hofgestaltung und von Spielplätzen betrifft – mag dies auch jedenfalls bei wertender Betrachtung dazu führen, dass das Grundstück letztlich weniger stark ausgenutzt und der Innenbereich des Blockes „entkernt“ wird. Das ist aber die Ausnahme. Gelegentlich setzt der Beklagte im Rahmen der Befreiung allerdings in der Tat auch Abrisse und Reduktionen der Geschosse durch, was jedenfalls zur besseren Einhaltung der GRZ und der Geschosszahl beiträgt. Naturgemäß dient das aber gerade nicht der Durchsetzung der hier in Rede stehenden Festsetzung der GFZ.

Nach alledem ist eine maßgebliche Steuerungsfunktion der Festsetzung des Baunutzungsplans zur GFZ im vorliegenden Baublock nicht mehr festzustellen. Diese wird vielmehr allenfalls noch punktuell, namentlich teilweise im Rahmen der Neubauten durchgesetzt, von denen indes nur wenige stattgefunden haben bzw. zukünftig zu erwarten sind.

3. Der Senat geht indes davon aus, dass die zur Funktionslosigkeit führende Abweichung zwischen der planerischen Festsetzung und der tatsächlichen Situation in ihrer Erkennbarkeit nicht den Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (sog. Offenkundigkeit). Dies ist im Hinblick auf die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und insbesondere im Hinblick auf die Geschossflächenzahl nach Auffassung des Senats nur in sehr seltenen Ausnahmefällen mit außergewöhnlichen Konstellationen denkbar, die hier nicht vorliegen. Leitbild für den Senat ist dabei, dass die Rechtsprechung zur Funktionslosigkeit zum Außerkraftsetzen einer Rechtsnorm, namentlich des Bebauungsplans, führt. Der Respekt vor dem Normgeber, der Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Grundsätze des Vertrauensschutzes gebieten es, an den Grad der Erkennbarkeit Anforderungen zu stellen, die dem Publizitätserfordernis einer Rechtsnorm gerecht werden. Für den Bürger muss sich unzweideutig ergeben, ob eine Rechtsnorm, der er unterworfen ist, (weiterhin) Geltung beansprucht oder nicht. Die erstmalige Geltung der Norm knüpft an deren Bekanntmachung an. Mit dieser gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass und ab wann eine Rechtsnorm Gültigkeit beansprucht. Ohne die ordnungsgemäße Bekanntmachung tritt eine Rechtsnorm nicht in Kraft. Eine Norm tritt im Regelfall auch nur dann außer Kraft, wenn dieses Außerkrafttreten, sei es in Form der Befristung, sei es in Form der ausdrücklichen Aufhebung durch den Gesetzgeber, in vergleichbarer Form wie ihr Inkrafttreten den Normadressaten bekannt gemacht wird.

Für das Rechtsinstitut der Funktionslosigkeit kann naturgemäß nicht auf den identischen Maßstab abgestellt werden. Denn es ist der Funktionslosigkeit wesensimmanent, dass sie nicht durch einen formalen, öffentlich publizierten Akt des Gesetzgebers oder einer anderen staatlichen Instanz herbeigeführt oder erkennbar gemacht wird. An die Offenkundigkeit sind aber unter Wertungsgesichtspunkten Anforderungen zu stellen, die sich dem zumindest annähern und eindeutig den Verlust der Gültigkeit des Bebauungsplans bzw. seiner einzelnen Festsetzungen belegen. Der Senat geht davon aus, dass insoweit sinngemäß auf die in der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zurückgegriffen werden kann, nach denen sich die gemäß § 44 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) zur Nichtigkeit führende Offensichtlichkeit der Fehlerhaftigkeit eines Verwaltungsaktes bestimmt. Danach ist die schwere Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung nur dann offenkundig, wenn sie für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne Weiteres ersichtlich ist (BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2020 – BVerwG 5 P 5.19 –, juris Rn. 9 m.w.N.), diesem also „auf die Stirn geschrieben“ steht (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 44 Rn. 12). Abzustellen ist dabei auf die Betrachtungsweise eines verständigen Durchschnittsbetrachters, nicht jedoch einer juristisch geschulten Person mit besonderer Sachkunde und Erkenntnisvermögen (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Februar 1994 – 1 M 24/93 –, juris Rn. 69 m.w.N.). Offensichtlich ist eine Funktionslosigkeit nach diesen Maßstäben nur dann, wenn sich in der Laiensphäre eines durchschnittlichen Bürgers bei einer Betrachtung der tatsächlichen baulichen Verhältnisse in dem maßgeblichen Gebiet ohne Einsicht in die Bauakten und weitere Dokumente (etwa Liegenschaftskataster u.Ä.) auf den ersten Blick aufdrängt, dass die betreffende Festsetzung des Bebauungsplans nicht eingehalten sein kann bzw. nicht mehr zu verwirklichen ist.

Das wird bei Festsetzungen im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung nur in äußersten Ausnahmefällen erfüllt sein. Denn Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung zeichnen sich dadurch aus, dass diese ganz erheblich rechtlich überformt sind und zudem oftmals nicht absolut, sondern in der Relation zu anderen Festsetzungen zu bestimmen sind.

Die Geschossflächenzahl ist hierfür ein gutes Beispiel. Durch die verschiedenen Fassungen der Berliner Bauordnung und der Baunutzungsverordnung (BauNVO) hat sich die für die Berechnung relevante, genaue Definition der Geschossflächenzahl geändert: War nach § 7 Nr. 14 BO 58 die GFZ als Quadratmeter der Summe der Flächen aller Vollgeschosse geteilt durch die Fläche des Baugrundstücks definiert, wurde diese Definition durch § 20 BauNVO 1968, die aufgrund der A-Bebauungspläne (hier XI-A vom 9. Juli 1971) anwendbar ist, verdrängt. Danach gab die Geschossflächenzahl nunmehr an, wie viel Quadratmeter Geschossfläche je Quadratmeter Grundstücksfläche im Sinne des § 19 Abs. 3 BauNVO zulässig sind. Die Geschossfläche ist nach den Außenmaßen der Gebäude in allen Vollgeschossen zu ermitteln. Die Flächen von Aufenthaltsräumen in anderen Geschossen einschließlich der zu ihnen gehörenden Treppenräume und einschließlich ihrer Umfassungswände sind mitzurechnen. Bauliche Anlagen und Gebäudeteile im Sinne des § 19 Abs. 4 BauNVO – im Wesentlichen Nebenanlagen, Balkone, Loggien u.Ä. - blieben bei der Ermittlung der Geschossfläche unberücksichtigt. Dies entspricht

- mit weiteren, wenn auch geringen Änderungen - auch der Fassung des aktuellen § 20 BauNVO.

Danach ergibt sich die fehlende Offensichtlichkeit hier bereits aus der Relativität der GFZ. Es ist denkbar, dass zwei identische Gebäude direkt nebeneinanderstehen, das eine die GFZ einhält, das andere sie aber überschreitet, weil beide auf verschieden großen Grundstücken erbaut sind. Welche Grundstücksgröße für die GFZ von Belang ist, entzieht sich dabei regelmäßig – insbesondere bei geschlossener Bebauung – einer äußeren Erkennbarkeit und lässt sich erst durch eine Einsicht in das Liegenschaftskataster feststellen. Welcher Quotient sich ergibt, wenn die Summe der Flächen aller Vollgeschosse durch die Fläche des Baugrundstücks geteilt wird, lässt sich ebenfalls nur nach näherer Berechnung und Einsicht in die jeweiligen Bauunterlagen und Grundstücksverzeichnisse feststellen.

Die Bestimmung der GFZ wird aber noch durch weitere rechtliche Maßgaben überformt. Hierzu gehört zunächst der landesrechtlich determinierte Begriff des Vollgeschosses. Auch dieser entzieht sich sehr häufig einer einfachen äußeren Erkennbarkeit und setzt neben der Kenntnis der anwendbaren Normen, die gerade im Geltungsbereich des Baunutzungsplans keineswegs einfach zu überschauen sind, regelmäßig die Kenntnis konkreter Bemessungen der Räume voraus, die nur durch ein intensives Studium der Bauakten zu gewinnen sein werden.

Beispielhaft sei insoweit erwähnt: Nach § 9 Nr. 1 BO 58 waren Vollgeschosse solche Geschosse, die vollständig über dem anschließenden Gelände liegen, von senkrechten Wänden umschlossen sind und die für Aufenthaltsräume vorgeschriebene lichte Höhe haben. Geschosse, die diesen Anforderungen nicht entsprachen, waren Nebengeschosse (z. B. Kellergeschosse, Zwischengeschosse, Dachgeschosse). Damit verwies die Regelung für die Bestimmung des Vollgeschosses auf § 26 Nr. 4 BO 58, nach dem Aufenthaltsräume eine lichte Höhe von mindestens 3 m erhalten mussten; für Aufenthaltsräume in Wohnungen genügte eine lichte Höhe von 2,70 m, wenn die Aufenthaltsräume in den drei untersten Vollgeschossen liegen, sonst eine lichte Höhe von 2,50 m. Wohnhäuser, die für nur eine Familie bestimmt waren, zusätzliche Räume im Dachgeschoss, die als Aufenthaltsräume zugelassen werden, und Waschküchen durften nicht weniger als 2,50 m lichte Höhe aufweisen. Bei Räumen mit ungleichen Höhen konnte eine Durchschnittsberechnung zugelassen werden, bei der Raumteile unter 1,50 m Höhe außer Ansatz bleiben. Schon dies macht deutlich, dass – selbst bei Ausblendung des Problems, welche Norm jeweils anwendbar ist – die Frage, was ein Vollgeschoss ist, jedenfalls von konkreten lichten Höhen abhing, die von außen und selbst im Inneren kaum je genau zu bestimmen sein werden, ohne die Bauakten im Einzelnen nachzuvollziehen. Das klägerische Bauvorhaben ist hierfür gleich an mehreren Stellen beredtes Beispiel. Den vom Kläger im Rahmen seiner Bauvorbescheidsanfrage eingereichten Unterlagen lässt sich bspw. die lichte Höhe des geplanten Dachgeschossausbaus nicht entnehmen.

Der Grad der Erkennbarkeit des vorstehend vom Senat dargestellten Befundes im Hinblick auf § 9 Nr. 1 BO 58 wird nicht dadurch erhöht, dass für die Frage der Vollgeschosse nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin, welcher der Senat folgt (Beschluss vom 30. November 2009 – OVG 10 S 30.09, S. 7f. BA), zur Ermittlung der aufgrund von übergeleiteten städtebaulichen Plänen und baurechtlichen Vorschriften (§ 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG) zulässigen Nutzungsmaße bei den bereits vor der Baunutzungsverordnung in der Fassung vom 26. November 1968 (BGBl. I, S. 1237) - BauNVO 1968 - in Kraft getretenen Bebauungsplänen § 18 BauNVO 1968 in Verbindung mit den landesrechtlichen Vorschriften heranzuziehen sind. Da es sich bei der Bezugnahme des § 18 BauNVO 1968 auf die landesrechtlichen Vorschriften - jedenfalls bei den bereits vor der BauNVO 1968 erlassenen Bebauungsplänen, wie dem Baunutzungsplan 1958/60 - um eine statische Verweisung und Verknüpfung mit dem jeweiligen konkreten Bebauungsplan handelte (vgl. hierzu OVG Berlin, Urteil vom 10. März 1989 - OVG 2 B 4.87 - juris Rn. 39 ff., 45), ist die Bauordnung für Berlin vom 29. Juli 1966 (GVBl. S. 1175) - BO 66 - anwendbar. Danach sind Vollgeschosse nur Geschosse, die über mindestens 2/3 ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von 2,50 m aufweisen (§ 2 Abs. 5 Satz 1, § 62 Abs. 5 Satz 1 BO 66). Auch unter Anwendung dieser – hier maßgeblichen – Regelung kommt es für die Bestimmung der Vollgeschosse und in der Folge der GFZ auf die lichte Höhe dieser Geschosse über eine gewisse Grundfläche an. Denn § 2 Abs. 5 BO 66 lautet: Vollgeschosse sind Geschosse, die vollständig über der festgelegten Geländeoberfläche liegen und über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche die für die Aufenthaltsräume erforderliche lichte Höhe haben. Auf die Zahl der Vollgeschosse sind anzurechnen 1. Geschosse mit einer lichten Höhe von mehr als 1,80 m unterhalb des Dachraumes, 2. Kellergeschosse, die im Mittel mehr als 1,20 m, und 3. Garagengeschosse, die im Mittel mehr als 2 m über die festgelegte Geländeoberfläche hinausragen.

Besonders deutlich zeigt sich die Problematik der GFZ danach just bei Dachgeschossen. Denn der Dachraum war selbst dann kein Vollgeschoss i.S.d. § 2 Abs. 5 Satz 1 BO 1966, wenn er die Anforderungen an ein Vollgeschoss erfüllte. Der Gesetzgeber hatte den Dachraum, der als der unmittelbar unter dem Dach liegende, von der Dachkonstruktion gebildete Raum oberhalb des obersten Geschosses definiert wurde, vielmehr als einen besonderen, nicht den Geschossen zuzurechnenden Gebäudeteil angesehen (Senatsbeschluss vom 30. November 2009 – OVG 10 S 30.09, S. 8 BA). Diese Privilegierung galt und gilt aber nach der Rechtsprechung des Senats wiederum dann nicht, wenn es sich um ein als Dachraum kaschiertes Vollgeschoss handelt. Wann dies der Fall ist, ist sowohl rechtlich wie tatsächlich schwierig (vgl. anschaulich hierzu Feldmann/Möller, Berliner Planungsrecht, 4. Auflage 2021, Rn. 200 ff.) und im Regelfall nicht durch bloßen Augenschein, sondern erst durch Einsicht in die Bauakten und Bauzeichnungen festzustellen.

Schließlich wird die Erkennbarkeit der GFZ auch noch dadurch erschwert, dass nach § 20 Abs. 2 BauNVO 1968 und § 20 Abs. 3 BauNVO i.d.F. vom 21. November 2017 die Flächen von Aufenthaltsräumen in anderen Geschossen als Vollgeschossen einschließlich der zu ihnen gehörenden Treppenräume und einschließlich ihrer Umfassungswände für die Bestimmung der GFZ mitzurechnen sind bzw. sein können.

Der Senat geht insoweit zwar nicht davon aus, dass der Normadressat bei Betrachtung der maßgeblichen näheren Umgebung eine konkrete Zahl für die GFZ erkennen können muss. Um einen hinreichend Grad der Erkennbarkeit zu erreichen, kann jedoch entsprechend dem maßgeblichen Publizitäts- und Vertrauensschutzgesichtspunkt auch nicht lediglich das „Gefühl“ einer Überschreitung der GFZ ausreichen. Hierauf würde es aber letztlich rauslaufen, wenn man mit dem Kläger und Teilen des Schrifttums (vgl. etwa Feldmann/Möller, Berliner Planungsrecht, 4. Auflage 2021, Rn. 338) eine vergröbernde Betrachtung ausreichen ließe. Dies würde in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung den zu stellenden Anforderungen an die Erkennbarkeit regelmäßig nicht gerecht werden. Denn das Maß und dessen Überschreitung lässt sich regelmäßig nicht durch eine bloße äußere Betrachtung des Gebäudebestandes feststellen. Dabei geht der Senat entgegen der von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung davon aus, dass Maßstab nicht ein Betrachter sein kann, der intensive Kenntnisse des Baurechtes und der jeweiligen Details mitbringt und der daher etwaig eine Überschreitung des Maßes aufgrund dieser Vorkenntnisse leichter erkennen kann. Denn ein Bebauungsplan gilt als Rechtsnorm grundsätzlich für alle, u.a. im Plangebiet ansässigen Menschen bzw. Normadressaten. Eine besondere Expertise kann daher nicht verlangt werden, sondern streitet – wo sie notwendig ist, um die Abweichung und deren Ausmaß zu erkennen – nach Auffassung des Senats gegen die Annahme einer Offenkundigkeit. Als maßgeblicher Betrachter kann daher, wie ausgeführt nur ein durchschnittlicher Beobachter in Betracht kommen, der allenfalls nach einer Wertung in der Laiensphäre in Grundzügen weiß, was etwa die GFZ sein soll und wie sie bestimmt wird.

Dieses Verständnis des Kriteriums der Offenkundigkeit, d.h. des Grads der Erkennbarkeit, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt, entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Fällen, in denen eine Funktionslosigkeit angenommen wurde. So hat das Bundesverwaltungsgericht eine Funktionslosigkeit etwa angenommen bei einem im Bebauungsplan festgesetzten Dorfgebiet, wenn in dem festgesetzten Bereich Wirtschaftsstellen land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe nicht (mehr) vorhanden sind und mit ihrer Errichtung unter Zugrundelegung auch nicht mehr gerechnet werden kann. Denn ohne Gebäude landwirtschaftlicher Betriebsstellen ist ein Baugebiet kein Dorfgebiet (BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 2001 – BVerwG 4 B 33.01 –, juris Rn. 5). Ebenso hat es die Annahme einer Funktionslosigkeit durch die Vorinstanz bei einem Kleinsiedlungsgebiet ohne selbstversorgenden Gartenbau nicht beanstandet (BVerwG, Urteil vom 28. April 2004 – BVerwG 4 C 12.03 –, juris Rn. 13ff). Dies wären auch nach der vorstehend dargestellten Auffassung des Senats klare Fälle der Offenkundigkeit. Sie zeigen aber gerade, dass bei der Betrachtung der Art der Nutzung häufig eine Außenbetrachtung des maßgeblichen Gebiets genügt, um die Funktionslosigkeit der Festsetzungen zur Art „auf den ersten Blick“ zu erkennen, während sich dies wie dargestellt bei Festsetzungen zum Maß der Nutzung als erheblich schwieriger darstellt. Insoweit dürfte bei Festsetzungen zur Art der Nutzung und zur Bauweise eine Offenkundigkeit der Funktionslosigkeit deutlich klarer zu erkennen sein als bei Festsetzungen zum Maß der Nutzung, bei dem diese nur äußerst selten in außergewöhnlichen Ausnahmefällen gegeben sein dürfte. Das führt nach Auffassung des Senats aufgrund der genannten Wertung anhand des Publizitätsgedankens und des Vertrauensschutzes bei Prüfung der Rechtswirksamkeit einer Rechtsnorm indes nicht dazu, diesen strengen Maßstab für die Prüfung der Funktionslosigkeit einer Festsetzung zum Maß der Nutzung abzusenken. Vielmehr ist dieser Maßstab einheitlich anzuwenden, auch wenn dies dazu führt, dass Festsetzungen zum Maß der Nutzung nur in äußersten Ausnahmefällen funktionslos werden können.

Anhand dieses vorstehend dargestellten Maßstabes ist im vorliegenden konkreten Fall nicht davon auszugehen, dass die zur Funktionslosigkeit führende Abweichung zwischen der planerischen Festsetzung und der tatsächlichen Situation in ihrer Erkennbarkeit einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. Zwar sind die Abweichungen zwischen der durch den Baunutzungsplan festgesetzten GFZ von 1,5 und der im Plangebiet auf der überwiegenden Mehrzahl der Grundstücke verwirklichten GFZ, wie ausgeführt, teils gravierend. Jedoch ist dies letztlich nur durch eine – vom Beklagten und auch teilweise vom Kläger hier vorgenommene – Auswertung der Bauakten und Liegenschaftskarten so festzustellen. Auch die Erkenntnisse über die historische Dimension der Entwicklung der GFZ im Plangebiet seit Inkrafttreten des Baunutzungsplans beruhen letztlich auf einer vom Beklagten dargelegten genaueren Analyse der der Bauaufsichtsbehörde vorliegenden Bauunterlagen. Eine rein äußerliche Betrachtung zeigt demgegenüber letztlich gerade im Baublock überwiegend Häuserfronten, bei denen zwar eine dem Bebauungsplan entsprechende Zahl von Geschossen ersichtlich ist, nicht aber eine gravierende Überschreitung der GFZ. Diese wird ein Betrachter allenfalls in Kombination mit Kenntnissen über die jeweiligen Flächen und Höhen in den – häufig ausgebauten - Dachgeschossen und bei Betrachtung der im hinteren Grundstücksbereich und daher von ihm regelmäßig nicht einsehbaren Seitenflügel und genauerer Betrachtung der – nur in den Bauakten erkennbaren -jeweiligen Flächen von Aufenthaltsräumen und entsprechenden aufwendigen Berechnungen erlangen können.

Auch und gerade das klägerische Gebäude ist dafür ein beredtes Beispiel. Selbst anhand der vom Kläger vorgelegten Bauunterlagen ist die – für die Bestimmung, ob ein Vollgeschoss vorliegt, relevante - lichte Höhe des ausgebauten Dachgeschosses nicht erkennbar und auch darüber, ob dieses aufgrund nur einer schrägen Wand ein „kaschiertes“ Dachgeschoss ist, herrscht zwischen den Beteiligten Streit. Zudem weist das Gebäude des Klägers ein Souterrain auf, welches der Beklagte im Klageverfahren als zur GFZ hinzuzurechnendes Vollgeschoss wertet, was auf Annahmen beruht, die von außen ohne genauere Kenntnisse der Bauunterlagen nicht erkennbar sind, namentlich darauf, wie weit das Souterrain über die Geländeoberfläche ragt und was seine lichte Höhe ist (vgl. § 2 Abs. 5 BO 66). Schließlich beabsichtigt der Kläger mit dem Bauvorhaben die Aufgabe der Gewerbenutzung des Souterrains und dessen Umwandlung zu Abstellflächen, was ebenfalls für den relevanten, vorstehend skizzierten durchschnittlichen Betrachter allenfalls bei genauer Kenntnis der Umstände ersichtlich werden wird und daher ebenfalls als Umstand kaum einen hohen Grad der Erkennbarkeit aufweisen würde.

II. Ist eine Funktionslosigkeit der Festsetzung des Baunutzungsplans zur GFZ im hier maßgeblichen Baublock nach dem Vorstehenden nicht gegeben, ist die Bauvorbescheidsanfrage auch nicht deshalb positiv zu beantworten, weil der Kläger für die mit dem Bauvorhaben verbundene weitere Überschreitung der GFZ einen Anspruch auf die Erteilung einer Befreiung hätte. Denn weder die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (1.) noch des § 31 Abs. 3 BauGB (2.) sind vorliegend erfüllt.

1. Gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und (1.)   Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung und des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern oder (2.) die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder (3.) die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Vorliegend werden durch das Bauvorhaben die Grundzüge der Planung berührt. Durch das Erfordernis der Wahrung der Grundzüge der Planung stellt der Gesetzgeber sicher, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht beliebig durch Verwaltungsakt außer Kraft gesetzt werden. Die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 Abs. 1 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde. Hierfür ist in den §§ 3 und 4 BauGB ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter den in § 13 BauGB genannten Voraussetzungen abgesehen werden kann. Diese Regelung darf nicht durch eine großzügige Befreiungspraxis aus den Angeln gehoben werden. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist. Die Befreiung kann nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben. Sie darf - jedenfalls von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind - nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (so: BVerwG, Beschluss vom 5. März 1999 – BVerwG 4 B 5.99 –, juris Rn. 5 f.)

Letzteres wäre indes hier der Fall. Die GFZ stellt mit ihrer begrenzenden Wirkung des Maßes der baulichen Ausnutzung eine tragende Festsetzung der Planung dar. Die Voraussetzungen für die Befreiung würden aber – wie das Verwaltungsgericht zu Recht bereits ausgeführt hat – in einer Vielzahl der Fälle im Baublock vorliegen. Denn hier sind fast alle – noch nicht ausgebauten – Dachgeschosse der vorhandenen Altbebauung im Baublock für den Ausbau zu Wohnzwecken geeignet. In sämtlichen Fällen wird die zulässige GFZ bereits deutlich überschritten. Die Genehmigung sämtlicher möglicher Dachausbauten im Wege der Befreiung ohne entsprechende Kompensation der Überausnutzung des jeweiligen Grundstücks würde die ursprünglichen planerischen Festsetzungen zum Nutzungsmaß faktisch aufheben und damit gerade den Zustand erwirken, der nach der gesetzgeberischen Konzeption dem Plangeber vorbehalten bleiben soll. Das ist hier auch nicht deshalb anders, weil nach den Feststellungen des Senats bereits das erste Kriterium der Funktionslosigkeit erfüllt ist, namentlich die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung zur GFZ bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt. Denn da das zweite Kriterium – die Offenkundigkeit – hier nicht erfüllt ist, bleibt die Rechtsnorm des Baunutzungsplans in Kraft und ist daher weiter zu beachten. Das senkt auch nicht etwa die Voraussetzungen für die Befreiung ab, da gerade dadurch und die daraus folgende Aushöhlung der Einhaltung der Festsetzung die Rechtswirkung des Baunutzungsplans letztlich gleichsam ausgehebelt werden würde, was indes dem Plangeber vorbehalten ist.

2. Auch nach § 31 Abs. 3 kann hier keine entsprechende Befreiung erteilt werden, da es sich nicht um eine Befreiung für einen hiernach vorausgesetzten „Einzelfall“ handeln würde. Nach § 31 Abs. 3 BauGB kann in einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a BauGB bestimmt ist, mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a BauGB Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 BauGB entsprechend.

Diese Vorschrift ist neu mit dem Baulandmobilisierungsgesetz vom 14. Juni 2021 (BGBl. I, 2021, Nr. 33, S. 1802-1809) in das Baugesetzbuch eingefügt worden. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 19/24838, S. 28) beabsichtigte der Gesetzgeber in Anknüpfung an die Empfehlungen der Baulandkommission eine behutsame Lockerung des Tatbestandsmerkmals „Grundzüge der Planung“, um im Rahmen einer Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) ausnahmsweise ein Abweichen vom Maß der Nutzung (z. B. bei der Aufstockung) zu ermöglichen.

Zunächst besteht eine Verordnung nach § 201a BauGB in Berlin. Gemäß § 1 Verordnung zur Bestimmung des Landes Berlin als Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt gemäß § 201a des Baugesetzbuchs vom 16. November 2021 (GVBl. v. 3. Dezember 2021, S. 1283) ist das Land Berlin ein Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt im Sinne von § 201a des Baugesetzbuchs. Die Verordnung gilt nach ihrem § 2 bis 31. Dezember 2026. Es handelt sich bei dem hier beabsichtigten Dachgeschossausbau auch um Wohnungsbau i.S.d. § 31 Abs. 3 BauGB.

In § 31 Abs. 3 BauGB ist die Wahrung der Grundzüge der Planung anders als bei § 31 Abs. 2 keine Voraussetzung für die Erteilung. Eine Befreiung nach Abs. 3 kann also auch erteilt werden, wenn die Grundzüge der Planung berührt sind. Möglich ist dies jedoch nach dem klaren Wortlaut nur im Einzelfall. Es darf also nicht um städtebauliche Situationen gehen, die in dem betreffenden Plangebiet nahezu beliebig häufig auftreten können, da dann auch bei § 31 Abs. 3 die Grenze zu einer notwendigen Planänderung überschritten wäre (Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, 15. Aufl. 2022, BauGB § 31 Rn. 53; so auch ausdrücklich Hamburgisches OVG, Beschluss vom 16. August 2021 – 2 Bs 182/21 –, juris Rn. 29 mit Verweis auf zu § 31 Abs. 2 BauGB ergangene Rechtsprechung). Eine Befreiung im Einzelfall kommt nicht in Betracht, wenn dabei auf Umstände abgestellt wird, die auf mehr als nur einzelne Grundstücke oder Vorhaben übertragen werden können (Söfker, in: EZBK, 147. EL August 2022, BauGB § 31 Rn. 70h).

Dies wäre aber vorliegend der Fall, da im zu betrachtenden Teil des Plangebietes die durch das Bauvorhaben aufgeworfene Konstellation des Dachgeschossausbaus sich noch in einer Reihe weiterer Fälle stellt und gerade die weitere Überschreitung der GFZ nach Inkrafttreten des Baunutzungsplans just in einer Vielzahl der Fälle auf entsprechenden Dachgeschossausbauten beruht. Von einem Einzelfall kann daher nicht die Rede sein. Der Senat sieht insoweit aber durchaus das Problem, dass der Gesetzgeber gleichzeitig ausweislich der Gesetzesbegründung eine „behutsame Lockerung“ und gerade ein Abweichen von den Grundzügen der Planung im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung bezweckte, dieses Ansinnen aber durch den Wortlaut, der eine solche Befreiung gerade auf einen „Einzelfall“ beschränkt, möglicherweise wieder in Frage gestellt hat. Eine gegenteilige Auslegung des § 31 Abs. 3 BauGB gegen den klaren Wortlaut scheint dem Senat indes nicht möglich, da dies das Tatbestandsmerkmal des Einzelfalls letztlich völlig entwerten würde. Soweit ersichtlich ist zu dieser Frage auch aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine sehr junge Regelung handelt, noch keine höchstrichterliche Klärung erfolgt.

Ohne dass der Senat dies angesichts dessen, dass schon ein Einzelfall i.S.d. § 31 Abs. 3 BauGB nicht vorliegt, abschließend zu bewerten hätte, fehlt es auch an der vorausgesetzten Zustimmung der Gemeinde und ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass diese ersetzt werden könnte. § 31 Abs. 3 BauGB verlangt für die Befreiung die Zustimmung der Gemeinde. Gemäß § 1 des Berliner Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches werden Angelegenheiten, für die nach dem Baugesetzbuch die Gemeinde zuständig ist, von den Bezirken wahrgenommen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Daher müsste vorliegend der Bezirk, der im Land Berlin an die Stelle der Gemeinde tritt, der Befreiung zustimmen. Die Verordnung nach § 201a BauGB war naturgemäß bei Stellung der Bauvorbescheidsanfrage noch nicht in Kraft. Eine Fiktionswirkung konnte also nicht eintreten und es liegt nahe, dass der Bezirk, der eine Befreiung – außerhalb des Vergleichsweges – bisher abgelehnt hat, eine Zustimmung auch nicht erteilen wird.

Bei der Zustimmung gelten ausweislich des Wortlautes des § 31 Abs. 3 S. 4 BauGB nicht die beschränkenden Kriterien für eine mögliche Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 S. 1 BauGB, da § 31 Abs. 3 S. 4 BauGB ausdrücklich nur § 36 Abs. 2 S. 2 BauGB in Bezug nimmt. Aus demselben Grunde scheidet die Möglichkeit einer Ersetzung nach § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB aus. Der Gesetzgeber geht ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, dass die Zustimmung der Gemeinde die stärkere Beteiligungsform gegenüber dem Einvernehmen ist (BT-Drucksache 19/24838, S. 28). Er benennt aber weder in der Gesetzesbegründung noch in der Norm des § 31 Abs. 3 BauGB Maßstäbe, nach denen sich die Erteilung der Zustimmung richtet. Dies lässt nach Auffassung des Senats den Schluss zu, dass es sich dabei um ein rechtlich ungebundenes Kriterium handelt, mithin die Gemeinde aus jeglichem – willkür- und ermessensfehlerfreien – Grund die Zustimmung verweigern darf und eine behördliche Ersetzung oder gerichtliche Überwindung eines nicht erteilten Einvernehmens und damit eine Verpflichtung zur Erteilung einer entsprechenden Befreiung trotz mangelnder Zustimmung kaum in Betracht kommen wird. Auch zur Klärung dieser Frage ist soweit ersichtlich bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung ergangen.

B. Angesichts des vorstehenden Befundes bedarf es keiner weiteren Entscheidung, ob die Bauvorbescheidsanfrage auch deshalb negativ zu beantworten wäre, weil das Bauvorhaben im Hinblick auf die Gebäudehöhe und die Zahl der Vollgeschossen das nach dem Baunutzungsplan zulässige Maß überschreitet. Denn die Frage nach der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung bzw. dessen zulässige Überschreitung kann sinnvoll nur einheitlich beantwortet werden, da bereits die unzulässige Überschreitung einer einzelnen verbindlichen Maßfestsetzung zur planungsrechtlichen Unzulässigkeit des gesamten Vorhabens führt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711, § 709 Satz 2 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.