Gericht | VG Frankfurt (Oder) 10. Kammer | Entscheidungsdatum | 22.02.2023 | |
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Aktenzeichen | 10 K 2070/17.A | ECLI | ECLI:DE:VGFRANK:2023:0222.10K2070.17.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 3 Abs 1 AsylVfG 1992, § 4 Abs 1 AsylVfG 1992 |
1. Betr. häusliche Gewalt gegenüber Frau und Kindern
2. Zur Frage des Militärdienstes eines inzwischen Wehrpflichtigen
3. Zur Frage der Rekrutierung für den Ukraine-Krieg eines bisher nicht der Wehrpflicht unterzogenen Mannes
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Der 1999 in Khasavyurt/Dagestan geborene Kläger meldete sich gemeinsam mit den Klägern des Verfahrens VG 10 K 66/17.A, seiner Mutter bzw. seinen 2003 bzw. 2008 geborenen Geschwistern, am 11. März 2015 in Berlin als Asylsuchender. Am 5. Mai 2015 stellte er bei der Außenstelle Eisenhüttenstadt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit seinen Angehörigen einen unbeschränkten Asylantrag. Er gab an, sein Herkunftsland Russische Föderation am 5. März 2015 verlassen zu haben und am 11. März 2015 nach Deutschland eingereist zu sein. In einem schriftlichen Statement gab der Kläger an, gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern hierhergekommen zu sein. Auf eine polnische Wiederaufnahmeerklärung hin lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers zunächst mit („Dublin“-) Bescheid vom 22. Oktober 2015 als unzulässig ab; diesen Bescheid hob es mit Bescheid vom 22. April 2016 wegen Ablaufs der Überstellungsfrist wieder auf.
Anlässlich seiner Anhörung gab der Kläger am 21. Oktober 2016 gegenüber dem Bundesamt im Wesentlichen an, dass er ethnischer Tschetschene vom Tejp Gendergnoy sei und die russische Staatsangehörigkeit habe. Er habe die letzten drei Monate vor der Ausreise im Dorf Galoitoi gewohnt; wo sein Vater wohne, wisse er nicht. Ausgereist sei er mit seinen Angehörigen wegen Problemen in der Familie; er sei nicht regelmäßig zur Schule gegangen und sie hätten in einer schlechten wirtschaftlichen Lage gelebt. Seine Großmutter habe ihnen geholfen. Er selbst habe sich politisch nicht betätigt und auch keine Probleme mit Behörden gehabt. Die Familienprobleme seien der Ausreisegrund gewesen; sein Vater habe nicht gewollt, dass die Mutter mit ihnen zusammenlebe, und er habe sie alle geschlagen. Ob sein Vater in einen Vorfall im Jahre 2014 in Grosny - von welchem seine Mutter bei ihrer Bundesamtsanhörung berichtet hatte - verwickelt gewesen sei, wisse er nicht. Zwei Wochen nach jenem Vorfall hätten Maskierte ihn weggebracht und dem Kläger gedroht, dass er der Nächste sein werde. Im Dezember sei er dann mit seiner Mutter und den Geschwistern zur Großmutter gegangen. Als sie später in Polen gewesen seien, habe der Vater bei der Großmutter nach ihnen gefragt und Drohungen ausgesprochen. In der Heimat seien sie wegen des Vaters bereits bei der Polizei gewesen; dort habe man ihnen aber gesagt, dass es sich um Familienangelegenheiten handele. Woanders innerhalb der Russischen Föderation hätten sie keine Ruhe gefunden.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 15. Mai 2017, zustellungshalber aufgegeben am 17. Mai 2017, umfassend ab, forderte den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung in die Russische Föderation zur Ausreise auf und verfügte ein 30-monatiges Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Am 31. Mai 2017 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung er auf das Parallelverfahren VG 10 K 66/17.A - i.W. mit den dort von der Mutter des Klägers geschilderten Übergriffen seitens des Vaters - verweist und darüber hinaus geltend macht, er unterliege in der Russischen Föderation einer Verpflichtung zum Militärdienst, der insbesondere mit Misshandlungen junger Rekruten einhergehe, sowie der Einberufung in den Ukraine-Krieg.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte insoweit unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Mai 2017 zu verpflichten, ihm internationalen Schutz zuzuerkennen,
hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des genannten Bescheides zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich der Russischen Föderation vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat den Kläger sowie dessen Mutter in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört; auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen. Aus der beigezogenen Ausländerakte ergibt sich, dass der Kläger einen russischen Reisepass vom 22. Mai 2013 innehat. Seit 2018 verfügte er über eine Beschäftigungserlaubnis als Sicherheitsmitarbeiter; im August 2022 wurde ein laufender Ausbildungsvertrag aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt; nunmehr gibt der Kläger an, eine Ausbildung zum Sozialassistenten durchzuführen. Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorliegenden Akte einschließlich des den Kläger betreffenden Bundesamtsvorganges wie auch auf das Parallelverfahren VG 10 K 66/17.A einschließlich der dort beigezogenen Bundesamts- und Ausländerakten Bezug genommen.
1.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage hinsichtlich der begehrten asylrechtlichen Schutzansprüche statthaft und in Anknüpfung an die Zustellfiktion nach § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG auch innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 1. Hs. AsylG rechtzeitig erhoben worden.
2.
Die Klage hat indes in der Sache keinen Erfolg: der angegriffene Bescheid vom 15. Mai 2017 erweist sich in Ansehung aller bei Schluss der mündlichen Verhandlung zu Tage liegenden Umstände (§ 77 Abs. 1 1. Hs. AsylG - dieses nunmehr in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 [BGBl. I S. 1798], zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2022 [BGBl. I S. 2817] -) im angegriffenen Umfang als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da er die begehrten Schutzansprüche nicht hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
2.1
Zunächst kann sich der Kläger nicht auf einen (vorrangigen) Familienschutzanspruch nach § 26 AsylG berufen, da es an einem unanfechtbar zuerkannten Schutzstatus der in Betracht kommenden Stammberechtigten fehlt, namentlich des Vaters, der sich nach den erst in der mündlichen Verhandlung offengelegten Umständen von 2016 bis 2018 als (abschlägig beschiedener) Asylantragsteller in Deutschland aufgehalten hat, sowie der Kläger des Verfahrens VG 10 K 66/17.A, deren Asylklage mit Urteil von heute ebenfalls abgewiesen worden ist.
2.2
Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus´.
Abgesehen davon, dass er im Verwaltungsverfahren selbst schon keine Vorverfolgung behauptet und lediglich darauf verwiesen hat, er habe seine Mitnahme als nächster nach der Mitnahme des Vaters im Dezember 2014 befürchtet, während weder ihm noch seiner Mutter und den Geschwistern außer der Drohung etwas widerfahren sei, erschließt sich nicht ansatzweise, in Anknüpfung an welches der asylrelevanten Persönlichkeitsmerkmale (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG) ihm Verfolgungsgefahren gedroht haben sollen. Es ist nämlich schon nicht nachvollziehbar, weshalb man den Vater zwei Wochen - seine Mutter spricht von einer Woche - nach dem auf den 4. Dezember 2014 datierten Vorkommnis in Grosny mitgenommen hatte, sondern der vermutete Zusammenhang allein spekulativ geblieben, wonach dies mit einem - allgemein bekannt gewordenen - Anschlag in Grosny zu tun gehabt habe. Der Kläger und die Kläger des Verfahrens VG 10 K 66/17.A wissen nicht, welchen Job der Ehemann bzw. Vater seinerzeit bekommen hatte und wo bzw. bei wem er in Grosny arbeitete. Es liegt jenseits der zeitlichen Einordnung kein stichhaltiger Hinweis auf irgendeinen Zusammenhang zwischen jenem allgemein bekannt gewordenen terroristischen Angriff und den Vater des Klägers zu Tage. Über eine vermutete Straftat des Vaters des Klägers hinaus als Anlass seiner angeblichen Mitnahme ist nichts erkennbar, insbesondere nichts, was auf eine asylrelevante Verfolgung des Klägers weisen könnte.
Soweit die Mutter des Klägers in Steigerung ihres früheren Vortrags im gerichtlichen Verfahren anführt, sie alle gehörten zu einer flüchtlingsschutzrechtlich relevanten sozialen Gruppe (i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG) der einer Rebellentätigkeit verdächtigten Personen bzw. deren Angehörigen, stellt sich dies schon wegen der rein spekulativ gebliebenen Herleitung als unwahrscheinlich dar. So haben der Kläger und jene des Verfahrens VG 10 K 66/17.A nicht ansatzweise etwas zu einer entsprechenden Verfolgung anderer Angehöriger - auch nicht des offenbar ungeliebten Ehemanns bzw. Vaters - vorgebracht, was Anlass für die Vermutung sein könnte, es werde (allen) nahen Angehörigen Vaters bzw. (früheren) Ehemanns im Sinne einer Sippenhaft - durch wen auch immer - nachgestellt. Im Übrigen erscheint eine solche soziale Gruppe mangels Abgrenzbarkeit ohnehin nicht plausibel und lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen, wer die potenziellen Verfolger (§ 3c AsylG) sein sollen; für den Fall, dass es sich bei den Maskierten, die den Vater mitgenommen haben sollen, um tschetschenische Sicherheitskräfte gehandelt haben sollte, muss sich der erwachsene und offenkundig arbeitsfähige Kläger ohnehin auf internen Schutz (§ 3e AsylG) innerhalb der Russischen Föderation verweisen lassen, der ihm als selbst nicht prominent in Erscheinung getretenen tschetschenischem Volkszugehörigem außerhalb des Nordkaukasus anzusinnen ist (vgl. dazu VG Frankfurt [Oder], Urteile vom 3. November 2020 - VG 6 K 2842/16.A - bzw. vom 17. Juni 2020 - VG 6 K 741/13.A -). Dabei kann angesichts der inzwischen erlangten Fertigkeiten von einer Arbeitsfähigkeit nicht nur des hiesigen Klägers, sondern auch seines Bruders, des Klägers zu 2. des Verfahrens VG 10 K 66/17.A, wie auch von einer Arbeitsfähigkeit der Mutter des Klägers ausgegangen werden, die wegen der Schulpflicht der Schwester des Klägers, der Klägerin zu 3. des Parallelverfahrens, zumindest zeitweise zu einem Erwerbseinkommen der Familie beitragen kann. Für andere potenzielle Verfolger fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten.
Soweit der Kläger unter Verweis auf das Parallelverfahren behauptet, als Angehöriger der von ihm bezeichneten sozialen Gruppe der von häuslicher Gewalt Betroffenen geschlechtsspezifische Verfolgung erlitten und wiederum zu gewärtigen zu haben, geht dies abgesehen davon fehl, dass es an einer unabänderlichen Bestimmtheit einer derartigen Gruppe sowie vor allem an einer angesichts der Vielschichtigkeit häuslicher Gewalt namentlich in der Russischen Föderation deutlich abgrenzbaren Identität mangelt; im Übrigen hatte sich der hier relevante, allenfalls private und keineswegs zu den relevanten Akteuren i.S.v. § 3c AsylG zählende Verfolger gleichermaßen gegenüber allen Familienmitgliedern als übergriffig erwiesen, folglich unabhängig von deren Geschlecht. Als relevanter Verfolgungsakteur scheidet er freilich schon deshalb aus, weil die Kammer nicht zur Überzeugung gelangt ist, er werde dem Kläger nach seinem Deutschlandaufenthalt ganz in dessen Nähe - der Vater hatte immerhin schon 2016 in Eisenhüttenstadt selbst einen Asylantrag gestellt und soll (erst) seit Anfang 2018 nicht mehr im Bundesgebiet aufhältig sein - weiter auflauern; hätte der Vater dies im Sinne gehabt, wäre es für ihn bei lebensnaher Betrachtung angesichts der überaus guten Vernetzung der tschetschenischen Diaspora in Deutschland sowie mit Blick auf das offenbar 2017 durchgeführte Scheidungsverfahren, welches die Mutter des Klägers gegen den Vater bei einem Amtsgericht in der Nähe angestrengt hatte, währenddessen ihm die Anwesenheit und ggf. die Anschrift zumindest der Mutter des Klägers in zurechenbarer Weise bekannt geworden sein müsste, hier ein Leichtes gewesen, den Kläger aufzuspüren. Die Kammer ist vielmehr überzeugt, dass es das auf den Kläger gemünzte etwaige frühere Interesse des nunmehr sogar geschiedenen Ehemanns bzw. Vaters, zu dem der Kläger seit 2014 keinen Kontakt mehr zu haben behauptet, nicht (mehr) gibt.
Darüber hinaus spricht der Umstand, dass für den Kläger wie seine Mutter und beiden Geschwister bereits 2013 Reisepässe von der Mutter des Klägers besorgt wurden, gegen eine unter dem Eindruck einer aktuellen Verfolgungsgefahr erfolgte Ausreise, sondern für einen von langer Hand vorbereiteten Weggang, ohne dass der Kläger oder seine Mutter offengelegt haben, weshalb sie ausgerechnet nach Deutschland haben reisen wollen. Die allgemein bekannte Tatsache, dass bereits vor und jedenfalls seit den Tschetschenien-Kriegen zahlreiche Tschetschenen aus dem vergleichsweise übersichtlichen Herkunftsteilstaat der Kläger hierher gekommen waren, deutet eher darauf, dass es dem Kläger und seinen weiteren Angehörigen wegen ihrer prekären häuslichen Verhältnisse um eine Verbesserung ihrer allgemeinen Lebensperspektive ging und geht.
Soweit sich der Kläger (nunmehr) darauf stützt, als inzwischen 24-jähriger Wehrpflichtiger zu dem allgemeinen Militärdienst herangezogen werden zu können, führt dies ebenfalls auf keine politische Verfolgung, auch nicht für den Fall, dass er sich aus Gewissens- oder Glaubensgründen dem Militärdienst verweigern wollte. Denn die Heranziehung zum regulären Militärdienst ist von Menschenrechts wegen grundsätzlich nicht verwerflich (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, wonach eine politische Verfolgungsgefahr an eine Verweigerung des Militärdienstes nur in bestimmten Konfliktsituationen anknüpft) und eine Verweigerung des Militärdienstes ist in der Russischen Föderation - bei zumutbarer Ableistung eines Zivildienstes - von Rechts wegen möglich; Verweigerungen werden tatsächlich jedenfalls bei der Hälfte der Fälle anerkannt (vgl. EUAA von Dezember 2022 „The Russian Federation - Military service“, S. 20 f.; BFA vom 10. Oktober 2022 S. 39). Im Übrigen hat der Kläger lediglich vorgetragen, er müsse mit der Rekrutierung zum Ukrainekrieg rechnen; er hat jedoch nicht einmal glaubhaft gemacht, dass und weshalb er sich einem Armeedienst verweigern würde. Hinzu kommt, dass nach den jüngst ins Verfahren eingeführten Erkenntnisunterlagen zum Ukraine-Krieg (lediglich) solche Soldaten und Soldatinnen herangezogen worden sind, die sich entweder selbst verpflichtet oder aber den Wehrdienst zuvor abgeleistet haben bzw. über sonstige militärische Expertise verfügen (vgl. Danish Immigration Service von Dezember 2022, S. 13 m.w.N.). Die genannten Voraussetzungen sind beim Kläger nicht erfüllt.
2.3
Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG).
Ein Fall des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 oder 3 AsylG (Todesstrafe bzw. bewaffneter Konflikt) liegt nicht vor und wird von ihm auch nicht reklamiert. Bei dem derzeit stattfindenden Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine handelt es sich weder um einen innerstaatlichen noch um einen internationalen Konflikt, von dem eine ernsthafte individuelle Bedrohung des aus Dagestan gebürtigen Klägers ausgeht.
Es liegt auch kein Anhalt dafür vor, dass dem Kläger ein ernsthafter Schaden i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht, nämlich Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.
Insoweit kann dem Kläger ohne weiteres angesonnen werden, die bereits oben angenommenen internen Schutzmöglichkeiten innerhalb der Russischen Föderation - ggf. weitab seines früheren Wohnorts und in anderen russischen Regionen - in Anspruch zu nehmen. Ihm selbst war vor der Ausreise - bis auf die seinem Geschrei anlässlich der Mitnahme des Vaters geschuldete Drohung, er sei „der nächste“ - nichts widerfahren; es ist überdies nicht erkennbar, warum ihm heute relevante Gefahren drohen sollten. Der Vater ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte kein verfolgungsmächtiger Akteur (§§ 4 Abs. 3, 3c AsylG), der dem Kläger landesweit nachstellen könnte. Darüber hinaus ist der Kläger erwachsen und daher erwartungsgemäß sowohl dazu in der Lage, durch zumutbare Eigenanstrengung sich selbst eine Lebensgrundlage in der Russischen Föderation zu verschaffen als auch durch eigene Erwerbstätigkeit zum Unterhalt der Familie und zu deren Schutz beizutragen. Da alle vier Familienmitglieder angeführt haben, vom Ehemann bzw. Vater geschlagen worden zu sein, kann ein entsprechendes sozialadäquates Schutzverhalten gegenüber dem früheren Misshandler erwartet werden.
Soweit der Kläger die allgemein bekannten Phänomene der Korruption sowie der „Dedowschtschina“ im Zusammenhang mit dem Militärdienst als drohenden ernsthaften Schaden geltend macht, hat der Kläger die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines drohenden Schadenseintritts nicht glaubhaft gemacht. Unabhängig davon, ob ihm ggf. anzusinnen ist, sich dem Militärdienst mittels des Verweigerungsrechts mit einem zivilen Ersatzdienst zu entziehen, wird im Zusammenhang mit der „Dedowschtschina“ ohne konkreten Belege (lediglich) vermutet, dass es dieses seit altersher bekannte Übergriffigkeitssystem nach wie vor gibt; das Ausmaß soll jedoch abgenommen haben (BFA a.a.O. S. 34, 36 m.w.N.). Sind allerdings keine Statistiken über einschlägige Vorkommnisse verfügbar (BFA a.a.O. S. 36) oder realistischerweise erreichbar und gibt es andererseits sogar vermehrt freiwillige vertragliche Verpflichtungen russischer Männer (und Frauen) für den Militärdienst (vgl. hierzu Danish Immigration Service von Dezember 2022 „an update on military service since July 2022“ S. 17 f.; EUAA a.a.O. S. 21 f.; BFA a.a.O. S. 34), liegen keine hinreichend verlässlichen Erkenntnisse zum Grad des Drohens eines ernsthaften Schadens vor.
2.4
Bei dem Kläger sind schließlich keine Gründe für einen nationalen Abschiebungsschutzbedarf (§ 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG) erkennbar.
Soweit er seinen Schutzbedarf hinsichtlich drohender unmenschlicher bzw. erniedrigender Behandlung mit dem gewalttätigen Vater begründet, besteht zumindest die bereits erwähnte inländische Fluchtalternative.
Gesundheitsbezogene Gründe für einen etwaigen nationalen Abschiebungsschutzbedarf macht der Kläger nicht glaubhaft, stünden aber wohl auch der angestrebten Ausbildung entgegen, auf welche der Kläger seine Bleibechancen stützen möchte.
2.5
Hinsichtlich der nach erfolgter Ablehnung der asylrechtlichen Schutzansprüche folgerichtigen Regelungen in Ziffern 5 und 6 des angegriffenen Bescheides sind Rechtsmängel, namentlich in Bezug auf die bei der Befristungsentscheidung in Ziffer 6 vorzunehmende Ermessensausübung nicht ersichtlich. Aus den lediglich in Aussicht genommenen Aufenthaltschancen des Klägers sowie seines Bruders folgt im Entscheidungszeitpunkt nichts Abweichendes.
2.6
Das Gericht nimmt im Übrigen auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid Bezug.
2.7
Die klägerseits angekündigten Beweis- und Verfahrensanträge sind angesichts der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisunterlagen sowie der Entscheidungskompetenz des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) unerheblich bzw. sonst unzulässig, da die tatsächlichen Behauptungen des Klägers zu den erfahrenen Misshandlungen durch den Vater sowie seine Wehrpflicht in der Russischen Föderation unterstellt werden können und da die hieraus folgenden Gefahren für ihn nicht sachverständig durch Dritte, sondern durch das Gericht im Rahmen der Würdigung aller erkennbaren Umstände nach dem einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstab beurteilt werden müssen.
Soweit Beweis beantragt worden ist zu Umständen im Zusammenhang mit der Wehrpflicht sowie zu den im Antrag angeführten Folgen für die dort vorausgesetzten tatsächlichen Umstände, hat sich der darlegungsbelastete Kläger schon nicht konkret hierzu verhalten oder sind aktuelle Auskünfte in das Verfahren eingeführt worden, ohne dass der Beweisantrag neue aufklärungsbedürftige Fragen aufwürfe.
3.
Die Kostenfolgen beruhen auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG.