Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 22.03.2023 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 18/23 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:0322.1WS18.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 02. Januar 2023 wird aufgehoben, soweit das Gericht die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hof vom 14. Juni 2016, Az.: 11 Ds 312 Js 109/15, erlassen hat.
Die Sache wird insoweit an das Amtsgericht Rathenow als das für den Straferlass zuständige Gericht zurückverwiesen. Das Amtsgericht hat auch über die Kosten der sofortigen Beschwerde zu entscheiden.
I.
Das Amtsgericht Hof verhängte gegen den Verurteilten mit Urteil vom 14. Juni 2016, 11 Ds 312 Js 17109/15, rechtskräftig seit dem 22. Juni 2016, wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe eine Freiheitsstrafe von vier Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Die Bewährungszeit betrug drei Jahre, als Auflage setzte das Gericht die Ableistung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit fest. Nachdem der Verurteilte der Arbeitsauflage trotz Aufforderungen und Fristsetzungen nur schleppend nachgekommen war, widerrief das Amtsgericht Hof mit Beschluss vom 17. August 2017, BwR 11 Ds 312 Js 17109/15, die Strafaussetzung zur Bewährung. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob das Landgericht Hof mit Beschluss vom 06. September 2017 den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Hof auf und verlängerte die Bewährungszeit um drei Jahre. Mit Beschluss vom 15. September 2017 übertrug das Amtsgericht Hof die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf die Strafaussetzung zur Bewährung aus seinem Urteil vom 14. Juni 2016 beziehen, gemäß §§ 462a Abs. 2 Satz 2, 453 StPO dem Amtsgericht Rathenow, da der Verurteilte dort seinen Wohnsitz hat.
Nachdem der Verurteilte durch das Amtsgericht Rathenow am 20. März 2018, 2 Ds 488 Js 47236/17 (11/18), wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 25 Euro, am 14. August 2018, 2 Ds 490 Js 25716/18 (222/18), wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte unter Einbeziehung der durch vorbenanntes Urteil verhängten Strafe zu einer Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 20 Euro und am 18. Januar 2022, 2 Ds 495 Js 194420720 (75/21), wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, deren Vollstreckung das Gericht zur Bewährung ausgesetzt hat, verurteilt worden war, widerrief das Amtsgericht Rathenow mit Beschluss vom 20. Oktober 2022 die mit Urteil des Amtsgerichts Hof vom 14. Juni 2016 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung.
Auf die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten hob das Landgericht Potsdam mit Beschluss vom 02. Januar 2023 den angefochtenen Beschluss auf und erließ die mit Urteil des Amtsgerichts Hof vom 14. Juni 2016 verhängte Strafe.
Die Staatsanwaltschaft Hof legte gegen diesen, ihr am 09. Januar 2023 zugestellten Beschluss am 11. Januar 2023 sofortige Beschwerde ein, soweit die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hof vom 14. Juni 2016 erlassen worden war, mit der Begründung, das Landgericht Potsdam sei für die Entscheidung über den Straferlass sachlich nicht zuständig gewesen.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist mit ihrer Stellungnahme vom 01. Februar 2023 dem Antrag der Staatsanwaltschaft Hof beigetreten. Der Verurteilte erhielt hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hof ist zulässig und entsprechend den §§ 453 Abs 2 Satz 3 StPO, 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO form- und fristgemäß eingelegt worden. Da das Landgericht Potsdam hinsichtlich des Straferlasses erstmalig entschieden hat, ist das Rechtsmittel auch nicht als weitere Beschwerde i. S. des § 310 StPO unzulässig (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 65. Auflage, § 310 Rn 2).
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Zwar war die Bewährungszeit zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung am 23. Januar 2023 bereits seit dem 22. Juni 2021 abgelaufen. Ein Erlass der Strafe nach § 56g Abs. 1 StGB hätte durch das Landgericht aber schon mangels sachlicher Zuständigkeit nicht erfolgen dürfen. Durch die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rathenow vom 20. Oktober 2022, durch den die Strafaussetzung widerrufen wurde, ging die Entscheidungszuständigkeit nur hinsichtlich des Gegenstandes der angefochtenen Entscheidung auf das Landgericht als Beschwerdegericht über. Gegenstand der amtsgerichtlichen Entscheidung war nur der mit der Beschwerde anfechtbare Widerruf der Strafaussetzung, nicht aber eine Entscheidung über den Straferlass.
Das Beschwerdegericht war für die Entscheidung nach § 56g Abs. 1 StGB auch nicht unter dem Gesichtspunkt des untrennbaren Zusammenhangs zuständig. Ein solcher besteht zwischen der Entscheidung über den Widerruf der Bewährungszeit gemäß § 56f StGB und dem Erlass gemäß § 56g StGB weder inhaltlich noch zeitlich (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 1. Juni 2005 - 1 Ws 165/05 -, juris zum untrennbaren Zusammenhang zwischen der Entscheidung über die Verlängerung der Bewährungszeit und Straferlass). Dieser Grundgedanke ist auf den vorliegenden Fall, in dem es um den Widerruf der Strafaussetzung geht, entsprechend anzuwenden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 269 StPO, da hier Regelungsgegenstand das Tätigwerden eines an sich nicht zuständigen höherrangigen erstinstanzlichen Gerichts im Hauptverfahren ist, was vorliegend nicht der Fall ist. Aber auch eine entsprechende Heranziehung des § 269 StPO erscheint nicht möglich. Zum einen handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift gegenüber § 6 StPO, die - gerade auch im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) - eng auszulegen ist. Zum anderen steht einer die Gesetzesanalogie rechtfertigende Vergleichbarkeit des vom Gesetz geregelten Sachverhalts und des vorliegenden Falls entgegen, dass das Landgericht eben nicht als erstinstanzliches Gericht in dem dafür vorgesehenen Verfahren - u.a. nach Anhörung der Beteiligten - entschieden hat, sondern als Rechtsmittelgericht (OLG Jena, Beschl. v. 10.12.2003 - 1 ws 369/03, BeckRS 2003, 30335448).
Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil er im Falle einer Entscheidung durch das zuständige Amtsgericht nicht das für die Entscheidung zuständige Rechtsmittelgericht wäre. (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 309, Rn 6). Der angefochtene Beschluss war daher hinsichtlich des Straferlasses aufzuheben und die Sache insoweit an das gem § 462 Abs. 2 StPO zuständige Amtsgericht Rathenow zurückzuverweisen.