Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 12.04.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 M 25/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0412.OVG6M25.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 60 VwGO |
Ein innerhalb der Klagefrist eingereichter, erst nach Ablauf dieser Frist beschiedener Prozesskostenhilfeantrag stellt in gemäß § 188 VwGO gerichtskostenfreien Verfahren ohne Anwaltszwang kein der Klageerhebung entgegenstehendes Hindernis im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO dar (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. Februar 2008 - 4 PA 390/07 -).
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. März 2023 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die erstinstanzliche Versagung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die auf Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen gerichtete Verpflichtungsklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 ZPO biete, ist nicht zu beanstanden.
Die Klage ist wegen Ablaufs der Klagefrist unzulässig. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist kommt auch im Hinblick darauf, dass die Klägerin innerhalb der Klagefrist einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag gestellt hat, nicht in Betracht. Denn ein innerhalb der Klagefrist eingereichter, erst nach Ablauf dieser Frist beschiedener Prozesskostenhilfeantrag stellt in gemäß § 188 VwGO gerichtskostenfreien Verfahren ohne Anwaltszwang, zu denen die Verfahren nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zählen, kein der Klageerhebung entgegenstehendes Hindernis im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO dar. Diese Einschätzung entspricht der mittlerweile ganz überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung und wird auch vom erkennenden Senat geteilt.
Soweit bei Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung in der Hauptsache aufgrund eines innerhalb der Klagefrist gestellten Prozesskostenhilfeantrages Prozesskostenhilfe bewilligt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gewährt wird, beruht dies darauf, dass es der mittellosen Partei nicht zuzumuten ist, Klage zu erheben, wenn sie sich damit einem Kostenrisiko aussetzt, das sie nicht zu tragen vermag. Dies gilt grundsätzlich aber nur für die Fälle, in denen bereits mit der Beschreitung des Rechtsweges ein Kostenrisiko entsteht, weil ein Verfahren nicht gerichtskostenfrei ist oder die Klage nur durch einen Rechtsanwalt wirksam eingelegt werden kann (OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. Februar 2008 - 4 PA 390/07 -, juris Rn. 5). Bei gerichtskostenfreien Verfahren, für die auch kein Vertretungszwang besteht, ist ein derartiges Kostenrisiko jedoch nicht gegeben. Vielmehr kann in diesen Fällen die mittellose Partei zur Wahrung der Klagefrist ohne Einschaltung eines Rechtsanwaltes selbst gerichtskostenfrei Klage erheben, ohne befürchten zu müssen, im Falle des Unterliegens außer mit den eigenen Aufwendungen wie Porti und Telefongebühren, von denen die mittellose Partei auch durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht befreit würde, mit zusätzlichen Kosten belastet zu werden, da die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die Erstattung der dem Gegner entstandenen Kosten keinen Einfluss hat (§ 123 ZPO). Wird von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht, besteht kein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO. Das gilt auch dann, wenn der Antragsteller bereits anwaltlich vertreten ist und/oder mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt wird (VGH Mannheim, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 7 S 646/01 -, NVwZ-RR 2001, 802 ff., juris Rn. 7; OVG Koblenz, Beschluss vom 26. März 1999 - 12 E 12427/98 -, juris Rn. 4 ff.; OVG Bremen, Beschluss vom 9. Juli 1987 - 2 B 44/87 -, ZfSH/SGB 1988, 150 f., juris; VGH Kassel, Beschluss vom 19. November 1993 - 9 TP 2075/93 -, HessVGRspr. 1994, 33, juris Rn. 4 ff.; VGH München, Beschluss vom 11. Juli 2007 - 12 C 071209 -, juris Rn. 2; OVG Hamburg, Beschluss vom 5. Februar 1998 - Bs IV 171/97 -, NJW 1998, 2547 f., juris Rn. 8; OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. Juli 2014 - 4 PA 181/14 -, NVwZ-RR 2015, 117, juris Rn. 3; OVG Bautzen, Beschluss vom 4. August 2011 - 1 D 209/10 -, juris Rn. 4). Die hiergegen mit der Beschwerde vorgetragenen Einwände rechtfertigen keine andere Einschätzung.
Der Einwand, hier sei die Mittellosigkeit der Antragstellerin kausal für die Versäumung der Klagefrist geworden, überzeugt nicht. Vielmehr fehlt es vorliegend an diesem Kausalzusammenhang. Die Antragstellerin war, anders als sie meint, nicht aufgrund ihrer Mittellosigkeit prozessual benachteiligt. Sie hätte, wie dargelegt, ohne Kostenrisiko selbst fristgerecht Klage erheben können. Die Versäumung der Klagefrist beruht deshalb nicht auf der von der Antragstellerin geltend gemachten Mittellosigkeit, sondern auf der Annahme, dass dann, wenn über einen rechtzeitig gestellten Prozesskostenhilfeantrag erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist entschieden werde, stets unverschuldete Fristversäumung im Sinne des § 60 VwGO gegeben sei (vgl. hierzu auch die Klageschrift vom 17. November 2022 in der ausdrücklich ausgeführt wird, die Antragstellerin werde für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung in die Klagefrist beantragen). Hierbei handelt es sich um einen Rechtsirrtum. Mangelnde Rechtskenntnis entschuldigt eine Fristversäumnis grundsätzlich nicht (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 26. März 1999 - 12 E 12427/98 -, juris Rn. 7 m.w.N.). Überdies hat das Bundesverwaltungsgericht angenommen, dass die zu fordernde Kausalität zwischen Mittellosigkeit und Fristversäumnis verneint werden könne, wenn der Rechtsmittelführer nicht zu erkennen gegeben habe, dass der Rechtsanwalt, der das Rechtsmittel eingelegt habe, nur dann zu einem weiteren Tätigwerden im Rechtsmittelverfahren bereit sei, wenn Prozesskostenhilfe bewilligt werde (Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 93.16 -, NVwZ-RR 2016, 805, juris Rn. 5). Die zu fordernde Kausalität ist auch danach vorliegend zu verneinen, weil die Vertretungsbereitschaft im Klageverfahren nicht von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht wurde.
Der Einwand, die Mittellosigkeit der Antragstellerin stehe einer Rechtsverfolgung entgegen, dies sei zumindest in den Fällen anzunehmen, wenn - wie hier - die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten sei, überzeugt ebenfalls nicht. Denn ein mittelloser Rechtsuchender wird selbst dann nicht an einer Klageerhebung im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO gehindert, wenn eine anwaltliche Vertretung nach § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlich erscheint, da er Rechtsberatung nach dem Beratungshilfegesetz in Anspruch nehmen kann. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Beratungshilfegesetz kann er sich direkt an einen Rechtsanwalt wenden und muss erst anschließend einen Antrag auf Beratungshilfe stellen. Falls in einem sich anschließenden Klageverfahren die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten ist, kann auch nach Klageerhebung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt werden. Die Bescheidung dieses Antrags vor Klageerhebung ist in den von § 188 VwGO erfassten Verfahren zur Gewährung einer Gleichstellung von mittellosen und bemittelten Beteiligten bei der Rechtsverfolgung daher nicht erforderlich (OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. Februar 2008 - 4 PA 390/07 -, juris Rn. 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).