Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Umbuchung als zumutbare Maßnahme zur Vermeidung der Folgen der Annullierung...

Umbuchung als zumutbare Maßnahme zur Vermeidung der Folgen der Annullierung eines Fluges


Metadaten

Gericht AG Königs Wusterhausen Entscheidungsdatum 25.04.2023
Aktenzeichen 4 C 7598/22 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 5 Abs 3 EGV 2004/261

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Der Streitwert wird auf 1.250,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin, die ein Unternehmen zur Beitreibung von Ansprüchen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (im Folgenden: Fluggastrechte-VO) betreibt, nimmt das beklagte ausführende Luftfahrtunternehmen aus abgetretenem Recht auf Zahlung von Ausgleichsansprüchen in Anspruch.

Die Passagiere A, B, C und D (im Folgenden: Zedenten) waren auf den Flug ... am 05.06.2022 von Berlin (BER) nach Bergamo (BGY) gebucht. Der Flug sollte von der Beklagten ausgeführt werden, planmäßig um 6:15 Uhr (hier und im Folgenden jeweils Ortszeit) starten und um 7:55 Uhr landen. Der Flug starte verspätet um 11:00 Uhr, so dass die Zedenten Bergamo erst um 12:40 Uhr erreichten. Der Flug war damit 4 Stunden und 45 Minuten verspätet. Die Distanz zwischen Abflug- und Ankunftsort beträgt 773 km.

Die Zedenten traten ihre Rechte an die Klägerin ab.

Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 10.06.2022 unter Fristsetzung bis zum 30.06.2022 erfolglos zur Leistung der streitgegenständlichen Ausgleichszahlung auf.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Grund der Verspätung sei eine Umleitung der für den streitgegenständlichen Flug eingeplanten Maschine mit der Kennung A am Vorabend des streitgegenständlichen Flugs gewesen. Die Maschine habe am 05.06.2022 zuletzt den Sektor Rom Fiumicino (FCO) - Berlin bedienen sollen. Jener Flug sei aufgrund von Slotzuweisungen durch Eurocontrol (IATA Delay Code 81: Air Traffic Flow Management (ATFM) due to ATC EN-ROUTE DEMAND/CAPACITY, standard demand/capacity problems) jedoch verspätet um 20:38 Uhr (UTC) in Fiumicino gestartet. Deswegen sei eine Landung in Berlin aufgrund des dortigen Nachtflugverbots nicht mehr möglich gewesen. Der Flug habe deshalb nach Hannover (HAJ) umgeleitet werden müssen. Die Beklagte habe sich deshalb entschieden, den streitgegenständlichen Flug mit der in Bergamo stationierten Maschine B durchzuführen. Diese sei am Morgen des 05.06.2022 mit Flug ... zunächst nach Berlin geflogen worden, worauf die Verspätung des sodann mit dieser Maschine durchgeführten des streitgegenständlichen Flugs beruhe.

Die Beklagte behauptet weiter, dass es ihr mit zumutbarem Aufwand nicht möglich gewesen sei, die Zedenten mit eigenem Fluggerät oder durch einen Subcharter früher zu ihrem Reiseziel zu befördern.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Verspätung des streitgegenständlichen Fluges beruhe auf einem außergewöhnlichen Umstand und die Verspätung habe sich nicht vermeiden lassen, weshalb sie keine Ausgleichszahlungen leisten müsse.

Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ist ein weiterer Schriftsatz der Klägerin vom 18.04.2023 eingegangen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

1.

Die Klägerin hat einen Anspruch aus abgetretenem Recht auf Ausgleichszahlungen nach Art. 5 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. a Verordnung (EG) Nr. 261/2004 analog (im Folgenden kurz: Fluggastrechte-VO) i.V.m. § 398 ZPO i.H.v. 1.250,00 €.

a)
Die Zedenten verfügten über bestätigte Buchungen für den streitgegenständlichen Flug der Beklagten. Der Flug wurde zwar nicht annulliert, war aber mehr als 3 Stunden verspätet. Erleidet der Fluggast durch eine Verspätung einen Zeitverlust von mehr als drei Stunden, ist Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-VO analog anzuwenden (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C-402/07, u.a. – Juris, Rn. 40 ff.).

b)
Es kann dahinstehen, ob die von der Beklagten behaupteten Umstände einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO darstellen, auf dem die Verspätung beruht, denn die Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass sich die große Verspätung auch dann nicht hätte vermeiden lassen bzw. wesentlich kürzer ausgefallen wäre, wenn sie alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte.

(1)
Grundsätzlich obliegt es dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, im Rahmen zumutbarer Maßnahmen die Möglichkeiten einer frühestmöglichen anderweitigen Beförderung der Fluggäste zu prüfen, sobald sich abzeichnet, dass ein Flug annulliert werden muss oder eine große Verspätung erleiden wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH trifft das ausführende Luftfahrtunternehmen insoweit die Verpflichtung, die Beförderung der Fluggäste auf einem direkten oder indirekten Flug des eigenen oder eines anderen Luftfahrtunternehmens zu prüfen. Hierzu hat der EuGH in der Rechtssache Airhelp Limited ./. Austrian Airlines AG im Beschl. v. 14.01.2021 – C-264/20 – Juris, Rn. 29 - 31 wie folgt ausgeführt:

In Einklang mit dem im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 genannten Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, und dem in den Erwägungsgründen 12 und 13 sowie in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung genannten Erfordernis einer zumutbaren, zufriedenstellenden und frühestmöglichen anderweitigen Beförderung der von einer Annullierung oder großen Verspätung ihres Fluges betroffenen Fluggäste folgt daraus, dass bei Eintritt eines außergewöhnlichen Umstands das Luftfahrtunternehmen, das sich durch Ergreifen der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten zumutbaren Maßnahmen von seiner in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 der Verordnung vorgesehenen Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste befreien möchte, sich grundsätzlich nicht darauf beschränken darf, den betroffenen Fluggästen eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel durch den nächsten Flug anzubieten, den es selbst durchführt und der am Tag nach dem ursprünglich vorgesehenen Ankunftstag am Ziel ankommt (Urteil vom 11. Juni 2020, Transportes Aéreos Portugueses, C-74/19, EU:C:2020:460, Rn. 58).

Die Sorgfalt, die von dem Luftfahrtunternehmen verlangt wird, damit es sich von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen befreien kann, setzt nämlich voraus, dass es alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, um eine zumutbare, zufriedenstellende und frühestmögliche anderweitige Beförderung sicherzustellen. Dazu gehört die Suche nach anderen direkten oder indirekten Flügen, die gegebenenfalls von anderen Luftfahrtunternehmen, die derselben Fluggesellschaftsallianz angehören oder auch nicht, durchgeführt werden und mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommen (Urteil vom 11. Juni 2020, Transportes Aéreos Portugueses, C-74/19, EU:C:2020:460, Rn. 59).

Folglich ist bei dem betreffenden Luftfahrtunternehmen nur dann, wenn kein Platz auf einem anderen direkten oder indirekten Flug verfügbar ist, der es dem betreffenden Fluggast ermöglicht, mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens an seinem Endziel anzukommen, oder wenn die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung für das Luftfahrtunternehmen angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer darstellt, davon auszugehen, dass es alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat, indem es den betreffenden Fluggast mit dem nächsten von ihm durchgeführten Flug anderweitig befördert hat (Urteil vom 11. Juni 2020, Transportes Aéreos Portugueses, C-74/19, EU:C:2020:460, Rn. 60).

Dieser Rechtsprechung hat sich der BGH angeschlossen (vgl. BGH, Urt. v. 06.04.2021 – X ZR 11/20 – Juris, Rn. 41; Urt. v. 10.11.2022 – X ZR 97/21 – Juris, Rn. 14).

Aus der Rechtsprechung des EuGH folgt auch, dass die Suche nach Umbuchungsmöglichkeiten nicht erst auf Initiative des Fluggastes hin zu erfolgen hat. Vielmehr hat das Luftfahrtunternehmen, sobald eine Annullierung oder große Verspätung eines Fluges absehbar ist, von sich aus nach Umbuchungsmöglichkeiten zu suchen und diese dem Fluggast aktiv anzubieten.

Die Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens, nach Umbuchungsmöglichkeiten für ihre Fluggäste zu suchen, entfällt auch dann nicht, wenn von vornherein offensichtlich ist, dass aus Kapazitätsgründen jedenfalls nicht alle Passagiere eines annullierten oder verspäteten Fluges umgebucht werden könnten. In diesem Fall hat sich das Luftfahrtunternehmen um alle verfügbaren Umbuchungsmöglichkeiten zu bemühen und wird gegenüber den Fluggästen, für die sie letztlich keine Umbuchungsmöglichkeiten mehr findet, durch den Nachweis frei, dass sie alle Umbuchungsmöglichkeiten bereits ausgeschöpft hat.

Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO („wenn es nachweisen kann“) trifft das Luftfahrtunternehmen die volle Vortrags- und Beweislast dafür, dass eine Umbuchung des Fluggastes nicht möglich gewesen ist bzw. nicht zu einer wesentlich früheren Ankunft des Fluggastes am Reiseziel geführt hätte. Um sich von der Verpflichtung zu einer Ausgleichszahlung zu befreien, muss das Luftfahrtunternehmen daher jedenfalls vortragen, ob in dem relevanten Zeitraum von ihr selbst bzw. von anderen Luftfahrtunternehmen direkte oder indirekte Flüge auf der streitgegenständlichen Strecke durchgeführt worden sind und wenn ja, warum eine Umbuchung des klagenden Fluggastes auf einen dieser Flüge nicht möglich war. Ein solcher Vortrag ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn aufgrund der Umstände der Annullierung oder großen Verspätung für das Gericht offenkundig ist, dass eine Umbuchung nicht möglich war oder jedenfalls nicht zu einer früheren Ankunft des Fluggastes an seinem Reiseziel geführt hätte. Unter dieser Voraussetzungen mag ein entsprechender Vortrag z.B. dann entbehrlich sein, wenn der außergewöhnliche Umstand nicht nur den streitgegenständlichen Flug, sondern den gesamten Flugverkehr, der für eine Umbuchung in Betracht kommen würde, betrifft, wie das zum Beispiel bei extremen Wetterverhältnissen am Start- oder Landeflughafen der Fall sein kann.

(2)
Nach diesem Maßstab genügt der Vortrag der Beklagten zur vermeintlichen Unmöglichkeit einer früheren Beförderung der Zedenten den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO nicht. Der insoweitige Vortrag der Beklagten beschränkt sich darauf, dass es keine ihr zumutbare Möglichkeit gegeben habe, die Zedenten mit eigenem Fluggerät wesentlich früher zu befördern und ihr der Einsatz eines Subcharters zeitlich nicht möglich und auch nicht zumutbar gewesen sei. Darüber hinaus enthält der Vortrag der Beklagten jedoch keine Angaben dazu, ob die Flugstrecke am Vormittag des 05.06.2022 direkt oder indirekt auch von anderen Luftfahrtunternehmen bedient worden ist und wenn ja, ob und mit welchem Ergebnis die Beklagte Umbuchungsmöglichkeiten auf diese Flüge geprüft hat. Ein solcher Vortrag war vorliegend auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil erfolgreiche Umbuchungen auf andere Flüge jedenfalls nicht offenkundig aussichtslos waren. Insbesondere betraf der Grund der Verspätung des streitgegenständlichen Fluges den übrigen Flugverkehr nicht. Zudem stand der Beklagten aus ausreichend Zeit für entsprechende Prüfungen zur Verfügung, da ihr die Ursache der schließlich eingetretenen Verspätung, nämlich die Unmöglichkeit der Positionierung der ursprünglich geplanten Maschine in Berlin, spätestens mit dem verspäteten Abflug in Fiumicino am 04.06.2022 um 20:38 Uhr (UTC) bekannt war. Die Beklagte hat den ihr obliegenden Beweis Nachweis der Ausschöpfung aller ihr zumutbaren Maßnahmen damit nicht erbracht.

c)
Die Höhe der Entschädigung beträgt gem. Art. 7 Abs. 1 lit. c Verordnung (EG) Nr. 261/2004 für jeden der fünf Zedenten 250,00 €, denn es handelt sich um einen Flug über eine Entfernung von weniger als 1.500 km.

d)
Die Zedenten haben ihre Ansprüche gem. § 398 BGB an die Klägerin abgetreten.

e)
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB.

2.
Der nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 18.04.2023 bot keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, da der Klage bereits ohne Berücksichtigung dieses Schriftsatzes stattzugeben war.

3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

4.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

5.
Der Gebührenstreitwert war gem. § 63 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO festzusetzen. Er entspricht der bezifferten Klageforderung.