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Entscheidung 2 ORbs 40/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Bußgeldsachen Entscheidungsdatum 23.03.2023
Aktenzeichen 2 ORbs 40/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0323.2ORBS40.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Der Betroffenen wird wegen der Versäumung der Frist zur formgerechten Einlegung der Rechtsbeschwerde auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Lübben (Spreewald) vom 13. Oktober 2022 aufgehoben.

Das Verfahren wird auf Kosten der Staatskasse, der auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen zur Last fallen, eingestellt.

Gründe

I.

Der Landrat des Landkreises (…)  verhängte gegen die als Betroffene geführte Fluggesellschaft („Name01“) durch Bußgeldbescheid vom 16. Dezember 2021 wegen Zuwiderhandlung gegen § 6 Abs. 1 S. 5 der Verordnung zum Schutz vor einreisebedingten Infektionsgefahren in Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Einreiseverordnung) vom 13. Januar 2021 unter Verweis auf § 17 OWiG eine Geldbuße von 10.000 €. Zum Tatvorwurf heißt es im Bußgeldbescheid wie folgt:

„Sie haben am XX.XX.2021 um XX:XX Uhr (…) sechs Reisende mit dem Flug LG („Nummer01“) von („Ort01“) zum Flughafen (…) in (…) („Ort02“) befördert, ohne dass die Reisenden Ihnen gegenüber vor der Abreise die Bestätigungen der digitalen Einreiseanmeldungen oder der Ersatzmitteilungen vorgelegt haben.“

Auf den Einspruch der Betroffenen hiergegen hat das Amtsgericht Lübben (Spreewald) durch Urteil vom 13. Oktober 2022 wegen fahrlässiger Beförderung von Reisenden ohne vor dem Flug vorliegende Bestätigungen der digitalen Einreiseanmeldung oder Ersatzmitteilung auf eine Geldbuße von 1.500 € erkannt. Die „Erklärung der Betroffenen, sie sei als Beförderer der ihr obliegenden Kontrollpflicht der Einreiseanmeldung vor Abreise nach Deutschland am Abflughafen nachgekommen“, sei als widerlegte bloße Schutzbehauptung zu bewerten. Die „der Betroffenen als Betrieb nach § 130 Abs. 1 OWiG insoweit obliegenden Kontrollmaßnahmen als Luftfahrtunternehmen“ seien unzureichend gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der u.a. die Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, der Betroffenen wegen der den Formanforderungen nicht genügenden Einlegung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und das Verfahren einzustellen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, §§ 341, 344, 345 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Wegen der nicht formgerecht gemäß § 32d Satz 2 StPO, § 110c OWiG innerhalb der Rechtsmittelfrist eingelegten Rechtsbeschwerde ist der Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil das Versäumnis nach dem glaubhaft gemachten Antragsvorbringen nicht auf einem eigenen Verschulden, sondern auf einem ihr nicht zuzurechnenden Verschulden ihres Verteidigers beruhte, die Rechtsbeschwerde formgerecht bei Gericht anzubringen.

2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Einstellung des Verfahrens (§ 260 Abs. 3 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil wegen unwirksamen Bußgeldbescheids ein unbehebbares Verfahrenshindernis vorliegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu Folgendes ausgeführt:

"(...) Der Bußgeldbescheid vom 16. Dezember 2021 ist mit derart gravierenden Mängeln behaftet, dass er nicht Grundlage des Verfahrens sein kann.

Der Bußgeldbescheid wurde gegen die („Name01“) also eine juristische Person, erlassen. Das Unternehmen wurde durchweg, sowohl von der Bußgeldbehörde als auch vom Amtsgericht, als Betroffene im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes behandelt. Ihr wurde die fahrlässige Begehung einer Ordnungswidrigkeit vorgeworfen.

Eine juristische Person kann aber nicht Betroffene im Bußgeldverfahren sein, da eine Ordnungswidrigkeit nur eine natürliche Person vorwerfbar begehen kann. Der juristischen Person kann lediglich ein Handeln ihrer Organe (der natürlichen Personen) zugerechnet werden. Sie kann deshalb im Bußgeldverfahren nur Nebenbeteiligte sein. Die Verhängung einer Geldbuße gegen sie ist in § 30 OWiG geregelt. Danach kann nach 30 Abs.1 OWiG entweder in einem einheitlichen Verfahren gegen die juristische Person eine Geldbuße festgesetzt werden, wenn wegen der Tat des Organs, also der natürlichen Person, gegen diese ein Bußgeldverfahren durchgeführt wird, oder aber nach § 30 Abs. 4 OWiG in einem selbständigen Verfahren.

Voraussetzung ist dann allerdings, dass wegen der Tat des Organs ein Verfahren nicht eingeleitet oder ein solches Verfahren eingestellt wird. Allerdings muss, da die juristische Person selbst eine Ordnungswidrigkeit nicht begehen kann, auch im sogenannten selbständigen Verfahren eine vorwerfbare Ordnungswidrigkeit eines Organs der juristischen Person festgestellt werden.

Der Bußgeldbescheid vom 16. Dezember 2021 wurde offensichtlich nicht als selbständiger Bescheid gemäß § 30 Abs. 4 OWiG erlassen. Das Ordnungsamt des Landkreises (…) war sich der dargestellten Rechtslage nicht bewusst und ging wie auch das Amtsgericht rechtsirrig davon aus, eine juristische Person könne im Ordnungswidrigkeitenrecht wie eine natürliche Person behandelt werden.

Der Bußgeldbescheid erging somit in einem Verfahren, das im OWiG nicht vorgesehen und nicht zulässig ist. Der Bescheid ist deshalb unwirksam.

Auch bei einer Umdeutung des Bescheids in einen selbständigen Bußgeldbescheid gemäß § 30 Abs.4 OWiG genügte dieser nicht den Anforderungen, die an einen solchen als Verfahrensgrundlage zu stellen wären.

Der Bußgeldbescheid, der im gerichtlichen Verfahren anstelle des Anklagesatzes tritt, begrenzt nach Person und Sache den Prozessgegenstand. Aus ihm muss sich die tatsächlich und rechtlich näher bezeichnete Beschuldigung ergeben. Voraussetzung für die Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person im selbständigen Verfahren gemäß § 30 Abs. 4 OWiG ist, wie bereits dargelegt, zudem, dass eines ihrer Organe eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, die der juristischen Person zuzurechnen ist.

Der Bußgeldbescheid vom 16. Dezember 2021 erfüllt diese Abgrenzungsfunktion nicht. Der Tatvorwurf ist nicht bestimmt. Es fehlt die Angabe des Organs, das für die juristische Person zurechenbar die Kontrolle der digitalen Einreisemeldungen oder Ersatzmeldungen von Reisenden vor Abreise nicht verlangt haben soll, so dass es zu einer Beförderung von Reisenden ohne diese erforderliche Kontrolle gekommen ist. Der Bescheid enthält auch keine Angaben zur Tathandlung selbst bzw. ihrer Unterlassung. Ihm lässt sich nicht entnehmen, worauf ein Vorwurf, das Nichtverlangen der Vorlage vorgenannten Dokumente von Reisenden vor Abreise sei durch ein Organ der juristischen Person nicht durchgeführt worden, gestützt wird. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da die Kontrolle der vorgenannten Dokumente und damit auch das Verlangen ihrer Vorlage üblicherweise die Aufgabe des Bodenpersonals der Fluggesellschaft und damit von Angestellten der Fluggesellschaft ist. Deshalb wären Ausführungen dazu notwendig gewesen, aus welchen Umständen die Verwaltungsbehörde neben der Verantwortlichkeit des Bodenpersonals auch diejenige eines Organs der juristischen Person herleitete.

Der Bußgeldbescheid enthält somit keinen konkreten Tatvorwurf gegen ein Organ der juristischen Person.

Auch bei Umdeutung des Bußgeldbescheides in einen selbständigen Bescheid nach § 30 Abs. 4 OWiG müsste deshalb das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt werden.“

Dieser Einschätzung der Sach- und Rechtslage (vgl. hierzu auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 1. Februar 1993 – 4 Ss 573/92; Brandenbugrisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 1. September 2016 – [1 B] 53 Ss-OWi 109/16 [62/16], jeweils zit. nach Juris) tritt der Senat bei.

3. Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO, § 473 Abs. 7 StPO.