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Entscheidung OVG 10 N 56/20


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 26.04.2023
Aktenzeichen OVG 10 N 56/20 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0426.OVG10N56.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 6 Abs 1 S 2 BauO BE, § 6 Abs 5 S 1 BauO BE, § 6 Abs 9 S 1 BauO BE, § 6 Abs 11 BauO BE, § 102 VwGO, § 189 ZPO

Leitsatz

Zur Sicherung eines ausreichenden Sozialabstands durch Abstandsflächen als Schutzziel und nachbarschützender Zweck von § 6 BauO Bln (hier: unzulässiger Balkonanbau)

Tenor

Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juni 2020 wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Beigeladene.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist Eigentümer der beiden nebeneinanderliegenden Grundstücke W... straße 17 und 19 in Berlin-Kreuzberg. Er wendet sich gegen eine Baugenehmigung für eine Balkonanlage mit fünf Balkonen vom Hochparterre bis zum 4. Obergeschoss auf der seinem Grundstück W... straße 19 zugewandten Rückseite des Wohnquergebäudes der Beigeladenen auf dem Grundstück G... straße 97, soweit die Beklagte diese Genehmigung für die drei Balkone im zweiten bis vierten Obergeschoss erteilt und soweit sie außerdem gegenüber den beiden Grundstücken des Klägers jeweils eine Abweichung von abstandsflächenrechtlichen Vorschriften gewährt hat. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, weil die Baugenehmigung und die erteilten Abweichungen insoweit den Kläger in seinem durch die abstandsflächenrechtlichen Regelungen geschützten Recht auf Sicherung eines ausreichenden Sozialabstands verletzten. Dagegen richtet sich der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und einen Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) gestützt ist, hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Begründungsfrist von der Beigeladenen in der Zulassungsbegründung (Schriftsatz vom 8. September 2020) dargelegten Gründe, die den Prüfungsumfang für das Oberverwaltungsgericht bestimmen (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), rechtfertigen auch unter Berücksichtigung der späteren Ergänzung (Schriftsatz vom 29. April 2022) die Zulassung der Berufung nicht.

1. Das Zulassungsvorbringen zeigt ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht auf. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2023 - OVG 10 N 75/22 - juris Rn. 4 m.w.N.). Indessen ergeben sich aus der Zulassungsbegründung keine schlüssigen Gegenargumente, welche die Begründung des Urteils in Frage stellen.

a) Ohne Erfolg rügt die Beigeladene den Ansatz des Verwaltungsgerichts, bei der abstandsflächenrechtlich relevanten Höhe H (§ 6 Abs. 4 BauO Bln) das Balkongeländer zu berücksichtigen und die Bewehrung mitzurechnen (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 12 f.; Schriftsatz vom 29. April 2022, S. 9 f.). Dieser Ansatz folgt der Rechtsprechung des erkennenden Senats, die bei Anlagen mit gebäudegleicher Wirkung i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO Bln, so bei einer mit einem Geländer versehenen Dachterrasse, die Oberkante des Terrassengeländers als oberen Bezugspunkt für die der Abstandsflächenberechnung zugrunde zu legende Wandhöhe herangezogen hat (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. November 2016 – OVG 10 S 5.16 – juris Rn. 10). Denn auch eine licht- und luftdurchlässige Gitterstruktur, die Bauteile eines Gebäudes überspannt und optisch den Eindruck einer Vorverlagerung der Außenwand vermittelt, kann abstandsflächenrechtlich als „Außenwand“ zu berücksichtigen sein. Für eine abstandsflächenrechtliche Relevanz im Rahmen des § 6 Abs. 1 BauO Bln kommt es nicht notwendig darauf an, dass eine gegen Außenluft und Witterungseinflüsse abschirmende Wand vorhanden ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Juli 2016 – OVG 10 S 12.16 – juris Rn. 12 m.w.N.). Nach dieser Rechtsprechung kann auch die Bewehrung von Balkonen oberer Bezugspunkt der Abstandsflächenberechnung sein. Danach ist ohne Bedeutung, ob ein Geländer offen oder sonst transparent gestaltet ist (vgl. von Alven-Döring, in: Meyer/Achelis/von Alven-Döring/Hellriegel/Kohl/Rau, Bauordnung für Berlin, 7. Auflage 2021, § 6 Rn. 88 und 95 m.w.N.).

b) Soweit die Beigeladene unter Berufung auf eine Stimme im Schrifttum meint, in Berlin seien die Regelungen des Abstandsflächenrechts nicht mehr generell nachbarschützend, sondern nur partiell nachbarschützend, weil § 6 Abs. 11 BauO Bln n.F. das Abstandsflächenrecht unter einen generellen Abweichungsvorbehalt stelle, nach dem eine Abweichung gerade auch im Normalfall möglich und eine Atypik also nicht mehr Voraussetzung für die Abweichung sei (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 14 f.; Schriftsatz vom 29. April 2022, S. 7 und 10 – 13), überzeugt das nicht. Der Wortlaut der Abweichungsmöglichkeit nach § 6 Abs. 11 BauO Bln stellt den generellen Nachbarschutz der abstandsflächenrechtlichen Regelungen nicht in Frage (vgl. von Alven-Döring, a.a.O., Rn. 143). § 6 Abs. 11 Satz 1 BauO Bln verlangt für eine Abweichung von den Abstandsflächen und Abständen nach § 67 BauO Bln weiterhin ausdrücklich, das „deren Schutzziele gewahrt bleiben“, während § 6 Abs. 11 Satz 2 nicht allgemein eine Atypik nicht mehr zur Voraussetzung für die Abweichung macht, sondern sich insoweit ausdrücklich auf die bis dahin in der Rechtsprechung geforderte „atypische Grundstückssituation“ beschränkt, die nunmehr „nicht erforderlich“ ist. Insoweit hat auch schon das Verwaltungsgericht (EA S. 6) auf seine eigene Rechtsprechung (VG Berlin, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – VG 13 L 605.17 – juris Rn. 13) hingewiesen, nach der sich der Gesetzesbegründung (AH-Drs. 17/2713, S. 13) nicht mehr entnehmen lasse (VG Berlin, Beschluss vom 7. Dezember 2017, a.a.O.), ohne dass die Beigeladene in ihrem Zulassungsvorbringen dem etwas substantiell entgegenzusetzen vermag. Warum es sich bei der Sonderregelung für bestandsgeschützte Gebäude in § 6 Abs. 9 BauO Bln um „weitreichende Abstandstatbestände“ handeln soll und sie den gewagten Schluss rechtfertigen soll, damit habe der Gesetzgeber ganz allgemein der baulichen Entwicklung des Gebietes im Bestand Vorrang vor der Erreichung der Schutzziele des Abstandsflächenrechts gegeben (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 8; Schriftsatz vom 29. April 2023, S. 7), erschließt sich nicht. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu nur schlicht: „Absatz 9 beschreibt für sechs Fallkonstellationen abstandsflächen-rechtlich zulässige Maßnahmen.“ (AH-Drs. 17/2713, S. 50). Das damit verfolgte Enumerationsprinzip dürfte eher gegen jede Verallgemeinerung im Sinne eines grundsätzlichen Vorrangs der baulichen Entwicklung von Grundstücken mit Bestandsgebäuden vor den Schutzzielen und nachbarschützenden Zwecken des Abstandsflächenrechts sprechen. Schon für das hier in Rede stehende Vorhaben beruft sich die Beigeladene in ihrem Beschwerdevorbringen auf keine der sechs Fallkonstellationen privilegierter Änderungen rechtmäßig bestehender Gebäude in § 6 Abs. 9 Satz 1 BauO Bln.

c) Soweit die Beigeladene die fehlende Berücksichtigung einer „grundstücksbezogenen Atypik“ geltend macht, die sich u.a. aus einem „Geländesprung“ (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 3 und 5; Schriftsatz vom 29. April 2022, S. 3 f.), der Fensterlosigkeit einer dem Grundstück der Beigeladenen zugewandten Brandwand eines Gebäudes auf einem der beiden Grundstücke des Klägers (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 3 und 9; Schriftsatz vom 29. April 2022, S. 8) und insbesondere aus dem Abstand des Vorhabens zu den Gebäuden auf den Grundstücken des Klägers ergeben soll (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 10 – 12; vgl. auch Schriftsatz vom 29. April 2022, S. 2 und 5), und hinsichtlich einer „schutzzielbezogenen Atypik“ hinsichtlich der die Freifläche auf dem Grundstück W... straße 19 des Klägers zum Spielen nutzenden Kindergartenkinder auf die vermeintlich „puffernde Funktion“ des Bewuchses auf dem Innenhof (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 10; Schriftsatz vom 29. April 2022, S. 5 und 8) oder auf immissionsschutzrechtliche Gesichtspunkte (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 10 – 12; auch Schriftsatz vom 29. April 2022, S. 2 – 5 und 9) hinweist und meint, wegen dieser Umstände bzw. Gesichtspunkte liege hier entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts eine solche „schutzzielbezogenen Atypik“ vor, greift all das nicht durch. Die Beigeladene verkennt die Bedeutung des mit § 6 BauO Bln verfolgten Schutzziels und nachbarschützenden Zwecks der Sicherung eines ausreichenden Sozialabstands, auf dessen Verletzung das angefochtene Urteil die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung für die Balkone im 2. bis 4. Obergeschoss und der erteilten Abweichungen maßgebend stützt (EA S. 5 f.) und für den weder ein Geländesprung, der Baumsbestand oder der Gebäudeabstand noch die Art und das Ausmaß der von den Grundstücken des Klägers ausgehenden Geräusche relevant sind.

Nach der Rechtsprechung der Baurechtssenate des Oberverwaltungsgerichts gehört zu den Schutzzielen der abstandsflächenrechtlichen Regelungen des § 6 BauO Bln u.a. die Wahrung eines ausreichenden Sozialabstandes (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. April 2017 – OVG 2 B 4.16 – juris Rn. 39; Beschluss vom 19. Juli 2018 – OVG 10 S 52.17 – juris Rn. 20 – „Begrenzung der Einsichtsmöglichkeiten“; Urteil vom 24. Oktober 2019 – OVG 10 B 2.15 – juris Rn. 92 – Wohnfrieden). Dafür bietet das Gesetz bei systematischer Auslegung schon in § 6 BauO Bln mehrere Anhaltspunkte (vgl. von Alven-Döring, in: Meyer/Achelis/von Alven-Döring/Hellriegel/Kohl/Rau, Bauordnung für Berlin, 7. Auflage 2021, § 6 Rn. 10). So nimmt § 6 Abs. 3 Nr. 2 BauO Bln bei Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 vom Verbot der Überdeckung von Abstandsflächen die Außenwände zu einem fremder Sicht entzogenen Gartenhof aus. Außerdem beträgt nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO Bln die regelmäßige Abstandsflächentiefe von 0,4 H, während im Gegensatz dazu für Gewerbe- und Industriegebiete, die sich durch den grundsätzlichen Ausschluss der Wohnnutzung auszeichnen, nach § 6 Abs. 5 Satz 2 BauO Bln nur eine geringere Abstandsflächentiefe von 0,2 H vorgesehen ist. Schließlich dürfen nach § 6 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 BauO Bln im Grenzbereich und in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen nur „Nichtwohngebäude“ errichtet werden.

Daraus erschließt sich auch die Bedeutung dieses Schutzziels und seines nachbarschützenden Zwecks. Das abstandsflächenrechtliche Schutzziel der Wahrung eines ausreichenden Sozialabstandes im Interesse nachbarlichen Wohnfriedens bezweckt den Schutz der Privatsphäre vor unerwünschten Einsichtsmöglichkeiten und vor der unerwünschten Wahrnehmung sozialer Lebensäußerungen in der Nachbarschaft (vgl. von Alven-Döring, a.a.O., § 6 Rn. 10 m.w.N.). Danach soll der Nachbar das mit der – wie hier – zulässigen Wohnnutzung verbundene sozialadäquate Verhalten in und auf baulichen Anlagen auf dem Vorhabengrundstück nur insoweit hinnehmen müssen, wie diese gegenüber seinem Grundstück die abstandsflächenrechtlichen Vorgaben einhalten.

Mit den Balkonen wird die zu Wohnzwecken genutzte Fläche im Inneren des Gebäudes durch eine im Freien liegende zusätzliche Nutzfläche in Form eines sog. Außenwohnbereiches erweitert. An der Rückseite des Wohnquergebäudes des Beigeladenen dringt dieser durch die Balkone geschaffenen zusätzliche Außenwohnbereich im 2. bis 4. Obergeschoss noch weiter als die bestandsgeschützte Außenwand des Gebäudes in den gegenüber dem Grundstück des Klägers abstandsflächenrechtlich freizuhaltenden Bereich ein und verletzt damit dessen Nachbaranspruch auf Wahrung des abstandsflächenrechtlich vorgeschriebenen angemessenen Sozialabstands.

Daher geht das Zulassungsvorbringen ins Leere, soweit es unter Ausblenden des abstandsflächenrechtlich relevanten Grenzabstands auf Gesichtspunkte hinweist, die für das abstandsflächenrechtliche Schutzgut des angemessenen Sozialabstands irrelevant sind, wie auf einen Geländesprung oder auf den Abstand des Vorhabens zu den Gebäuden auf den Grundstücken des Klägers (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 10 – 12), auf die vermeintlich „puffernde Funktion“ des Bewuchses auf dem Innenhof (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 10) oder auf immissionsschutzrechtliche Gesichtspunkte (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 10 – 12).

Dieses Vorbringen geht fehl, weil die Regelungen des § 6 BauO Bln über die Abstandsflächen drittschützend sind und deshalb eine Rechtsverletzung des Nachbarn bei einer Unterschreitung der Abstandsflächen stets zu bejahen ist, ohne dass es darauf ankäme, ob und inwieweit die Unterschreitung tatsächlich eine konkrete Beeinträchtigung bewirkt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2006 – OVG 10 S 7.05 – juris Rn. 27; Urteil vom 13. März 2013 – OVG 10 B 4.12 – juris Rn. 62; von Alven-Döring, a.a.O., Rn. 12). Folgerichtig erkennt das Verwaltungsgericht das abstandsflächenrechtliche Schutzziel der Wahrung eines ausreichenden Sozialabstandes im Interesse des nachbarlichen Wohnfriedens und damit im Interesse der Vermeidung von Nutzungskonflikten auch darin, dass die von den Grundstücken des Klägers ausgehenden sozialen Lebensäußerungen, wie etwa die Geräusche der im Freien spielenden Kinder, von Menschen auf dem Wohngrundstück der Beigeladenen nur auf oder in solchen baulichen Anlagen wahrgenommen werden können, welche die abstandsflächenrechtlichen Vorgaben gegenüber den angrenzenden Grundstücken des Klägers einhalten, sofern sie nicht, wie die Außenwand des Wohnquergebäudes der Beigeladenen, Bestandsschutz genießen. Mit dem Schutz vor Geräuschimmissionen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 10 – 12, 16 und 20 f.) hat das nichts zu tun, sondern dient schlicht dazu, dass auf dem Vorhabengrundstück zu Wohnzwecken genutzte bauliche Anlagen einschließlich ihrer Erweiterungen um sog. Außenwohnbereiche – wie die in Rede stehenden Balkone – einen angemessenen Sozialabstand auch zu sozialadäquaten – und damit immissionsschutzrechtlich irrelevanten oder grundsätzlich zumutbaren – Geräuschen und sonstigen Lebensäußerungen auf dem Nachbargrundstück – hier des Klägers – wahren, die mit der zulässigen baulichen Nutzung beider Grundstücke, insbesondere zu Wohnzwecken, einhergehen. Die Konfliktlage besteht weder in der Art noch in dem Ausmaß wechselseitig erwarteter Geräusche, sondern in der abstandsflächenrechtswidrigen Nähe der Balkone zu den Grundstücken des Klägers, mit der auf dem Grundstück der Beigeladenen Außenwohnbereichszwecken dienende bauliche Anlagen an das Leben auf den Grundstücken des Klägers in einer Weise heranrücken, die dem Schutzziel des angemessenen Sozialabstands widerspricht.

Die Regelung über Abweichungen nach § 67 BauO Bln, deren Voraussetzungen hier wegen der Missachtung der in § 6 BauO Bln öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange offensichtlich nicht vorliegen (§ 67 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln), ist kein Instrument zur Legalisierung von Abstandflächenverletzungen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2006, a.a.O., Rn. 27), auch nicht in Verbindung mit § 6 Abs. 11 Satz 1 BauO Bln, der gerade verlangt, dass die Schutzziele – wie die Sicherung des Sozialabstandes – gewahrt bleiben, was hier offensichtlich nicht der Fall ist.

2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten sind gegeben, wenn die Rechtssache überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich diese auf Fragen beziehen, die für den konkreten Fall entscheidungserheblich sind. Dabei ist es zur Darlegung des Zulassungsgrundes erforderlich, dass die Fragen, in Bezug auf die sich solche Schwierigkeiten stellen, konkret bezeichnet werden. Ferner ist regelmäßig zu erläutern, worin die besondere Schwierigkeit besteht. Ergibt sich die Schwierigkeit schon aus dem Begründungsaufwand des erstinstanzlichen Urteils, so genügt der Antragsteller seiner Darlegungslast indes mit erläuternden Hinweisen auf die einschlägigen Passagen des Urteils. Erblickt der Antragsteller die Schwierigkeiten des Falles hingegen darin, dass das Gericht auf bestimmte tatsächliche Aspekte nicht eingegangen ist oder notwendige Rechtsfragen nicht oder unzutreffend beantwortet hat, so hat er diese Gesichtspunkte in nachvollziehbarer Weise darzustellen und ihren Schwierigkeitsgrad plausibel zu machen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2023 - OVG 10 N 75/22 - juris Rn. 13 m.w.N.).

Die Beigeladene verweist insoweit im Wesentlichen auf ihre Einwände gegen die Richtigkeit der Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und hebt hervor, dass es um die Anwendung „neuer“ Rechtsvorschriften gehe, mit § 6 Abs. 11 BauO Bln „eine systematische Neuordnung des Abstandsflächenrechts“ einhergehe und sich auch die zutreffende Bemessung der Höhe H als besonders schwierig erweise (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 18; Schriftsatz vom 29. April 2022, S. 13 f.). Das trägt aus den oben unter II.1. aufgeführten Gründen nicht.

3. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist die Berufung ebenfalls nicht zuzulassen.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Berufungsverfahren geklärt werden muss. Das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO verlangt daher zur Begründung einer grundsätzlichen Bedeutung neben der Bezeichnung der Frage Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und zur Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechts- oder Tatsachenfrage. Nicht klärungsbedürftig ist eine Frage, deren Beantwortung sich ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2023 - OVG 10 N 75/22 - juris Rn. 16 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben zeigt das Zulassungsvorbringen (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 20 f.; außerdem Schriftsatz vom 29. April 2022, S. 14 f.) eine solche grundsätzliche Bedeutung nicht auf. Die Frage, ob bei der Berechnung der Höhe H zur Bestimmung der Abstandsflächen bei Balkonen nach § 6 Abs. 4 BauO Berlin auch eine licht- und luftdurchlässige Bewehrung mitzurechnen sei, lässt sich aus den oben zu II.1.a ausgeführten Gründen ohne Weiteres bejahen. Die Frage, ob einem Nachbarn bei Abstandsflächenrechtsverstößen des Bauherrn nur dann ein Abwehrrecht zustehe, wenn er geltend machen könne, dass er durch den Verstoß konkret in seinen geschützten Belangen beeinträchtigt sei, ist mangels konkreter Anhaltspunkte im Wortlaut der gesetzlichen Regelungen, auch hinsichtlich § 6 Abs. 11 BauO Bln n.F., weiterhin zu verneinen (s.o. unter II.1.b). Die Frage, ob im Lichte des § 22 Abs. 1a Satz 2 BImSchG das Schutzgut der sozialen Distanz einer Abweichungsentscheidung für den Anbau von Balkonen nach § 67 i.V.m. § 6 Abs. 11 BauO Berlin wegen der Nähe einer Kindertagesstätte entgegenstehen könne, ist wegen der oben aufgezeigten Irrelevanz des Immissionsschutzrechts für dieses Schutzgut (s.o. unter II.1.c) zu bejahen. Ob die Frage, ob erhebliche Nutzungskonflikte das Schutzgut der sozialen Distanz beeinträchtigten, der Einschätzungsprärogative des Gerichts unterliege oder hierüber Beweis zu erheben sei, wenn die zuständige Baubehörde in ihrer diesbezüglichen Prognoseentscheidung eine andere Auffassung vertreten habe, ist im vorliegenden Verfahren nicht relevant, weil die Verletzung des Schutzguts der sozialen Distanz keine Prognose erheblicher Nutzungskonflikte voraussetzt, sondern vielmehr umgekehrt der Verstoß gegen den abstandsflächenrechtlich gebotenen Sozialabstand die Gefahr solcher Konflikte als Folge der Missachtung dieses Schutzziels heraufbeschwört (s.o. unter II.1.c).

4. Schließlich greifen die von der Beigeladenen angeführten Verfahrensmängel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) ebenfalls nicht durch.

a) Die Aufklärungsrüge, mit der sie einen Verstoß gegen § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend macht (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 22 f.), geht fehl. Die Beigeladene meint, das Gericht hätte Beweis zu der Frage erheben müssen, ob es tatsächlich zu den erheblichen Nutzungskonflikten kommen könne (a.a.O., S. 23). Dies verkennt, dass weder die Unterschreitung der vorgeschriebenen Abstandsflächen durch das Vorhaben noch die sich daraus ergebende Missachtung des Schutzziels und des nachbarschützenden Zwecks der Wahrung eines angemessenen Sozialabstands eine Prognose verlangen, „ob es tatsächlich zu den erheblichen Nutzungskonflikten kommen kann“, sondern die Gefahr solcher Nutzungskonflikte vielmehr die mögliche Folge der Missachtung dieses Schutzziels und dieses nachbarschützenden Zwecks ist (s. auch oben unter II.1.c und unter II.3.).

b) Ebenfalls erfolglos bleibt die Gehörsrüge, mit der die Beigeladene sinngemäß eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG durch einen Verstoß gegen § 102 VwGO geltend macht, weil sie zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht „nicht ordnungsgemäß geladen worden“ sei (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 23 f.). Das Zulassungsvorbringen nennt keinen Grund dafür, warum es der ordnungsgemäßen Zustellung entgegenstehen soll, dass die Beigeladene offenbar kein eigenes „Geschäftslokal“ (vgl. Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 24) unterhält, jedenfalls stets nur „c/o“-Anschriften anzugeben scheint. Die Beigeladene macht geltend, die in der Ladung vom 15. Mai 2020 als „c/o“-Anschrift angegebene Firma, die dort auch tatsächlich Büroräume unterhalte, sei weder Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen nach § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 172 ZPO noch Bevollmächtigte für das Gerichtsverfahren nach § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 171 ZPO, weil sie ausweislich der in den Verfahrensakten befindlichen Hausverwaltervollmacht nicht zur Entgegennahme von Zustellungen oder zur Vertretung in gerichtlichen Verfahren bevollmächtigt gewesen sei (Zulassungsbegründung, a.a.O., S. 24). Das trifft nicht zu. Die Hausverwaltervollmacht vom 14. Februar 2013, welche die Beigeladene als Bauherr zu ihrem Bauantrag eingereicht hat (Beiakte Nr. 1 Bl. 7), ermächtigt diese Firma für das „Verwaltungsobjekt G... str. 97, in 6...  Berlin … alle Rechtsgeschäfte vorzunehmen und verbindliche Erklärungen abzugeben, die das Verwaltungsobjekt betreffen“. Weiter heißt es darin: „Die Vollmacht umfasst insbesondere auch: … f) die Vertretung gegenüber … Behörden, Gerichten und sonstigen Institutionen.“ Warum die Ermächtigung der Hausverwalter-Firma zur Vertretung der Beigeladenen „gegenüber … Gerichten“ nicht ohne Weiteres die Empfangsvollmacht für Zustellungen des Gerichts umfassen soll, erläutert das Zulassungsvorbringen nicht.

Unabhängig davon sind mangels eines entgegenstehenden Zulassungsvorbringens etwaige Zustellungsmängel als nach § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 189 ZPO geheilt anzusehen. Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es nach § 189 ZPO in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Die Beigeladene bestreitet nicht, die an sie unter derselben Anschrift der Hausverwalter-Firma gerichteten und in der Gerichtsakte dokumentierten Zustellungen des Verwaltungsgerichts, wie den Beiladungsbeschluss vom 6. April 2018 (Zustellungsurkunde vom 12. April 2018, GA Bl. 19), das Urteil vom 25. Juni 2020 (Zustellungsurkunde vom 9. Juli 2020, GA Bl. 62) sowie den Beschluss vom 14. Juli 2020 über die Notwendigkeit der Hinzuziehung des Bevollmächtigten des Klägers für das Vorverfahren (Zustellungsurkunde vom 24. Juli 2020, GA Bl. 74), tatsächlich erhalten zu haben. Auch hinsichtlich der gerügten Ladung vom 15. Mai 2020 (Zustellungsurkunde vom 22. Mai 2020, GA Bl. 43), bestreitet sie den tatsächlichen und rechtzeitigen Zugang mit keinem Wort. Dessen ungeachtet ist zudem deshalb davon auszugehen, dass alle Zustellungen – und damit ebenfalls die Ladung vom 15. Mai 2020 – die Beigeladene unter der Anschrift der Hausverwalter-Firma auch tatsächlich erreicht haben, weil sie diese Anschrift selbst angegeben hat, und zwar schon in ihrem Bauantrag vom 1. September 2014 (Beiakte Nr. 1, Bl. 1) sowie in der Bezeichnung des Bauherrn auf zahlreichen Bauunterlagen (Beiakte Nr. 1, Bl. 23 – 26, 35, 38, 53 – 56, 59, 65, 66, 69 und 71) bis hin schließlich zur von ihr zur Gerichtsakte gereichten Vollmachtsurkunde vom 21. Juli 2020 (GA Bl. 79), mit der sie Ihren Prozessbevollmächtigten für das Berufungszulassungsverfahren bevollmächtigt hat. Erst im Schriftsatz vom 24. Juli 2020 mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung, der am selben Tag per Fax beim Verwaltungsgericht eingegangen ist (GA Bl. 75), hat sie eine andere, neue „c/o“-Anschrift angegeben und mit der nachfolgenden Zulassungsbegründung im Schriftsatz vom 8. September 2020 (S. 1, GA Bl. 91) um eine entsprechende Berichtigung des Rubrums gebeten. Daher ist jedenfalls für das hier in Rede stehende Vorhaben und für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 21. Juli 2020 davon auszugehen, dass die Beigeladene unter der auch in der Ladung vom 15. Mai 2020 angegebenen Anschrift für Behörden und Gerichte selbst erreichbar sein wollte und auch tatsächlich erreichbar war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und folgt der erstinstanzlichen Wertfestsetzung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).