Gericht | FG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 27.02.2023 | |
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Aktenzeichen | 7 K 7160/21 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2023:0227.7K7160.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Umsatzsteuer 2015 wird unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2015 vom 29.01.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.10.2021 auf 0,00 € festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte ihm vorliegendes Kontrollmaterial zu Recht zum Anlass genommen hat, entsprechende Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin festzusetzen.
Die Klägerin beauftragte im Streitjahr Rechtsanwälte, die Mitglieder ihrer Prozessbevollmächtigten, mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen gegenüber einer B… GmbH mit Sitz in C…. Mit Anwaltsschriftsatz vom 21.04.2015 forderte die Klägerin die B… GmbH auf, eine rückständige Zahlung aus einer Rechnung vom 08.01.2015 (Nr. 12/2015) in Höhe von 21.704,71 € durch Zahlung auf das Fremdgeldkonto der Rechtsanwälte zu begleichen. Die Rechnung liegt in Kopie vor. Danach berechnete die Klägerin der B… GmbH für die Lieferung von Sonderposten von Taschen, Kleinlederwaren und Koffern 18.239,25 € zuzüglich 3.465,46 € Umsatzsteuer (zusammen 21.704,71 €). Mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 01.06.2015 forderte die Klägerin die B… GmbH auf, eine rückständige Zahlung aus einer Rechnung vom 16.04.2015 (Nr. 104/2015) in Höhe von 35.750,00 € wiederum durch Zahlung auf das Fremdgeldkonto der Rechtsanwälte zu begleichen. Insoweit liegt die genannte Rechnung nicht vor, lediglich eine Anwaltsrechnung für diesen Vorgang über 146,88 € zuzüglich 27,91 € Umsatzsteuer. Die angeforderten Zahlungen gingen auf dem Fremdgeldkonto ein und wurden – nach Verrechnung mit offenen Gebührenforderungen – dem Geschäftsführer der Klägerin im Streitjahr in bar ausgezahlt.
Die Klägerin reichte zunächst für die Veranlagungszeiträume ab 2012 weder Umsatzsteuererklärungen, noch Jahresabschlüsse ein.
In den Jahren 2014 und 2015 beantragte der Beklagte zweimal erfolglos beim Amtsgericht D… – Handelsregister – die Löschung der Klägerin als vermögenslos. Dabei legte die Klägerin eine Versicherungspolice vor, nach der ihr früherer, im Jahre 2011 abberufener Geschäftsführer für die Versicherungsleistungen bezugsberechtigt war.
Ab dem 06.08.2019 führte das Finanzamt E… im Büro der Rechtsanwälte der Klägerin eine Betriebsprüfung durch, die jedenfalls auch das Streitjahr umfasste (vermutlich wegen einer Vorgängergesellschaft der gegenwärtigen, am 22.03.2019 im Partnerschaftsregister eingetragenen Prozessbevollmächtigten). Die Prüferin, die Zeugin F…, notierte dazu u.a.: Anwesend: „Frau G… (Buchhaltung) Herr H… (etwas später) … Belegsichtung, Ablage mit Fr. G… (viel gescannt aktuell)“ Am 06.09.2019 schrieb die Prüferin eine Email an die Zeugin G… mit dem Betreff „Betriebsprüfung 232/112/04532“ und dem Text „Hallo Frau G…! Vielen Dank das ist ausrechend. Nachfolgend noch weitere Informationen über die Meldungen zu grenzüberschreitendem Zahlungsverkehr.“ Es folgt ein Link zur Website der Bundesbank. Handschriftlich ist vermerkt: „besprochen am 22.8. in Kanzlei mit Fr. G… u. I…“ Worauf sich die Email bezieht, ist den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Im Übrigen hat das FA E… aus der Betriebsprüfungsakte nur zwei Kontrollmitteilungen, die oben genannten Unterlagen über den Schriftverkehr mit der B… GmbH und die damit zusammenhängenden Bankkontoauszüge übersandt (vgl. Bl. 81 bis 90 Gerichtsakte).
Am 22.08.2019 gingen dem Beklagten zwei Kontrollmitteilungen der Zeugin F… zu, denen die oben genannten Unterlagen über den Schriftverkehr mit der B… GmbH beigefügt waren.
Dies nahm der Beklagte zum Anlass, mit Bescheid vom 29.01.2021 ausgehend von geschätzten Besteuerungsgrundlagen eine Umsatzsteuer 2015 in Höhe von 9.173,39 € festzusetzen, wobei der Beklagte von steuerpflichtigen Umsätzen in Höhe von 48.281,00 € ausging und keine Vorsteuer berücksichtigte.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 22.02.2021 Einspruch ein, den sie mit ihren Umsatzsteuererklärungen 2012 bis 2020 in Papierform begründete (jeweils mit der Angabe „0 €“ für Umsätze und Umsatzsteuer). Ferner gab sie an, seit 2011 keinen laufenden Geschäftsbetrieb mehr zu haben und seitdem auch keine Umsätze zu generieren. Die streitbefangenen Vorgänge hätten der Rückabwicklung gedient und seien daher steuerneutral. Jedenfalls bestehe ein Beweisverwertungsverbot, da die Steuerbehörde in der Kanzlei ihrer Bevollmächtigten eine Prüfung des Fremdgeldkontos vorgenommen und dieses trotz der Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte zur Grundlage des hiesigen Verfahrens genommen habe.
Der Beklagte wies den Einspruch mit der am 01.11.2021 zugestellten Einspruchsentscheidung vom 22.10.2021 als unbegründet zurück. Er verwies darauf, dass nach dem Akteninhalt nichts für eine steuerneutrale Rückabwicklung spreche.
Darauf hat die Klägerin am 11.11.2021 Klage erhoben. Sie wiederholt vertiefend den Vortrag aus dem Einspruchsverfahren und führt ergänzend aus, dass die B… GmbH der Klägerin habe Taschen liefern sollen und eine entsprechende Rechnung erteilt habe. Darauf habe die Klägerin gezahlt, jedoch habe die B… GmbH die Taschen nicht liefern können, so dass die geleistete Vorauszahlung zurückzuzahlen gewesen sei. Entsprechend den Wünschen der B… GmbH habe die Klägerin eine gleich hohe Gegenrechnung gelegt, die eigentlich eine Gutschrift darstelle. Aus der ihr erteilten Rechnung habe die Klägerin keine Vorsteuer gezogen. Im Ergebnis würden sich jedoch die Vorsteuer aus der Eingangsrechnung und die Umsatzsteuer aus der Ausgangsrechnung aufheben.
Die Betriebsprüferin, die bei ihren Rechtsanwälten eine Betriebsprüfung durchgeführt und die Kontrollmitteilungen versendet habe, habe die Klägerin nicht unterrichtet, dass die Absicht bestehe, Kontrollmaterial zu versenden. Weder der Zeugin G… noch den Rechtsanwälten sei bekannt geworden, dass die Prüferin Kopien von Unterlagen gefertigt habe. Sie hätten ihr jedenfalls keine ausgehändigt. Dadurch habe keine Möglichkeit bestanden, gegen die Übersendung der Kontrollmitteilung an den Beklagten im Wege einer vorbeugenden Unterlassungsklage vorzugehen. Die Rechtsanwälte hätten sich darauf verlassen, dass die Prüferin sie entsprechend Ziff. 7 zu § 194 im Anwendungserlass zur Abgabenordnung –AEAO– von der Absicht, Kontrollmitteilungen versenden zu wollen, informieren würde.
Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 29.01.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.10.2021 aufzuheben,
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält der Klage entgegen, dass nach wie vor Anlass zu einer Schätzung bestehe, da die Klägerin die Umsatzsteuererklärung nicht in der erforderlichen elektronischen Form und ihren Jahresabschluss überhaupt nicht abgegeben habe. Der vorliegenden Papiererklärung sei nicht zu folgen, da nach den vorliegenden Unterlagen Umsätze erzielt und Aufwendungen entstanden seien. Da auch für die Vorjahre keine Jahresabschlüsse und elektronischen Umsatzsteuererklärungen vorlägen, könne zu den Einzelvorgängen keine sinnvolle Stellungnahme abgegeben werden. Diese Einzelvorgänge gingen in der Schätzung auf.
Die Prüferin des FA E…, die Zeugin F…, habe, soweit die Prüfung bei den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vor Ort erfolgt sei, die überwiegende Zeit mit der Buchhalterin, der Zeugin G…, verwendet, um Unterlagen zu Barauszahlungen herauszusuchen. Sie hätten explizit danach geschaut (und das auch so besprochen), ob Auszahlungen an Mandanten in einem möglichen betrieblichen Zusammenhang stünden, damit sie für diese Kontrollmitteilungen fertigen könne. Soweit ein betrieblicher Zusammenhang nicht ersichtlich gewesen sei (z.B. bei einer Erbauseinandersetzung), habe die Prüferin dies nur vermerkt und keine Unterlagen kopiert. Das Recht der Finanzverwaltung zur Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen sei vorliegend nicht mittels Zwangsmaßnahmen oder deren Androhung durchgesetzt worden. Die Termine in der Kanzlei seien auf Wunsch der Kanzleimitarbeiter so gelegt worden, dass die Buchhalterin anwesend gewesen sei und der Prüferin die benötigten Unterlagen habe heraussuchen können. Sie sei der Prüferin als Ansprechpartnerin benannt worden. Ein(e) weitere(r) Mitarbeiter(in) sei der Prüferin nicht bekannt gewesen. Die Kenntnis und Mitarbeit der Zeugin G… sei den Kanzleiinhabern zuzurechnen. Beide Rechtsanwälte seien zeitweise im Büro gewesen und hätten gesehen, dass Mandantenunterlagen eingesehen worden seien. Die Prüferin habe sich mit den Rechtsanwälten darüber unterhalten, was sie suche und weshalb. Bereits beim Eröffnungsgespräch mit Rechtsanwalt H… am 06.08.2019 seien die Barauszahlungen thematisiert worden. Er habe erläutert, durch wen und warum diese erfolgt seien. Dass diese Barauszahlungen Gegenstand der Prüfung sein würden, habe die Prüferin angesprochen, dies jedoch nicht im Aktenvermerk zur Eröffnung niedergeschrieben. Im Zusammenhang mit einem Gespräch in der Kanzlei mit Rechtsanwalt I… und der Zeugin G… am 22.08.2019 seien die Meldepflichten bei ausländischem Zahlungsverkehr, die Zahlungen an Mandanten und auch die damit verbundenen Kontrollmitteilungen Thema gewesen.
Einem Antrag nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung -FGO- hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 04.04.2022 – 7 V 7031/22 (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2022, 1000) stattgegeben.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeuginnen G… und F…. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Dem Gericht haben die Streitakte des Verfahrens 7 V 7031/22 sowie je ein Band Körperschaftsteuer-, Umsatzsteuer-, Vertrags- und Rechtsbehelfsakten vorgelegen, die der
Beklagte für die Klägerin unter der Steuer-Nr. … führt.
Die Klage ist begründet.
I. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid i.S. des § 100 Abs. 1 und 2 FGO in ihren Rechten verletzt.
Der Beklagte war nicht befugt, aufgrund der Auswertung des ihm vom FA E… übersandten Kontrollmaterials die angefochtene Umsatzsteuerfestsetzung zu erlassen. Die Übersendung der Kontrollmitteilungen an den Beklagten war verfahrensrechtlich nicht zulässig und ohne dieses Kontrollmaterial und dessen Fernwirkungen bestand kein Anlass, die streitbefangene Festsetzung vorzunehmen. Allerdings hat die Klägerin nicht dem Grunde nach bestritten, im Streitjahr Unternehmerin i.S. des § 2 Umsatzsteuergesetz –UStG– gewesen zu sein, so dass das Gericht den angefochtenen Bescheid nicht ersatzlos aufhebt, sondern die Umsatzsteuer auf 0,00 € herabsetzt. Weil dies wirtschaftlich der beantragten ersatzlosen Aufhebung entspricht, besteht kein Anlass, die Klage teilweise abzuweisen.
1. Wie sich sowohl aus dem Akteninhalt als auch dem Ergebnis der Beweisaufnahme ergibt, ist das Kontrollmaterial im Rahmen einer Betriebsprüfung bei den Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch das FA E… gewonnen worden.
2. Rechtsfehlerhaft erscheint noch nicht die Tatsache, dass die Personenmehrheit, die seinerzeit eine Rechtsanwaltskanzlei betrieb, einer Außenprüfung unterzogen wurde (vgl. Bundesfinanzhof –BFH–, Urteil vom 08.04.2008 – VIII R 61/06, Bundessteuerblatt
–BStBl.– II 2009, 579) und dabei auch die Belege zu Fremdgeldkonten gesichtet wurden. Vorlageverweigerungsrechte aus § 104 Abs. 1 Abgabenordnung –AO– bestehen zwar auch in der beim Berufsgeheimnisträger (Rechtsanwalt, Steuerberater usw.) selbst stattfindenden Außenprüfung, jedoch kann das Finanzamt grundsätzlich die Vorlage der zur Prüfung erforderlich erscheinenden Unterlagen in neutralisierter Form verlangen (BFH, Urteil vom 28.10.2009 – VIII R 78/05, BStBl. II 2010, 455). Gegen weitergehende Anforderungen einer Betriebsprüferin könnte sich der Berufsträger mit den dagegen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen (Einspruch, Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, ggf. Klage) wenden. Wenn der Berufsträger gleichwohl der Prüferin Unterlagen, in deren Besitz er im Rahmen der Mandatsbearbeitung gelangt ist bzw. die in diesem Rahmen entstanden sind, in nicht neutralisierter Form überlässt, ist darin kein Rechtsfehler der Prüferin zu sehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Prüferin in anderer Weise als durch Aushändigung durch die Prozessbevollmächtigten auf ein Vorlageverlangen i.S. des § 200 Abs. 1 Satz 2 AO Zugang zu den mit den Kontrollmitteilungen in Kopie übersandten Unterlagen erlangt hat, sind nach Aktenlage nicht erkennbar. Sowohl der Klägervertreter als auch die Zeugin G… haben in der mündlichen Verhandlung angegeben, der Prüferin umfangreiches und unneutralisiertes Schriftgut zur Einsichtnahme überlassen zu haben.
3. Die Prüferin handelte im Streitfall jedoch nicht rechtmäßig, als sie dem Beklagten
Kopien von den ihr vorgelegten, die Klägerin betreffenden Belegen überließ.
a) Grundsätzlich durfte der Beklagte zwar nach § 194 Abs. 3 AO die bei den Rechtsanwälten festgestellten Verhältnisse der Klägerin auswerten, da dies für die Besteuerung der Klägerin von Bedeutung war. Ob dies jedoch auch dann gilt, wenn die Feststellungen auf Unterlagen beruhen, für die dem Grunde nach Vorlageverweigerungsrechte aus § 104 Abs. 1 AO bestehen, ist umstritten. In der Literatur überwiegen wohl die Stimmen, die die Frage verneinen (vgl. die Nachweise bei Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 194 Rn. 80; Koenig/Intemann, AO, 4. Aufl. 2021, § 194 Rn. 61; Hannig in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand: 22. Edition 01.10.2022, § 194 Rn. 118 f.; offen gelassen von BFH, Urteil vom 08.04.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579). Dies kann jedoch dahinstehen.
b) Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann das Gericht nicht feststellen, dass die Prüferin die Übersendung der Kontrollmitteilungen gegenüber den Rechtsanwälten der Klägerin angekündigt hatte. Darin liegt eine Verletzung des aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz –GG– abgeleiteten Rechts auf effektiven Rechtsschutz der Klägerin und/oder von deren Rechtsanwälten.
aa) Den Rechtsanwälten stand nicht die Möglichkeit offen, durch eine vorbeugende Unterlassungsklage nach Anordnung der Betriebsprüfung auszuschließen, dass das FA E… aus nach § 104 Abs. 1 AO geschützten Unterlagen Informationen für Kontrollmitteilungen entnahm und diese an die zuständigen Finanzämter übersandte (BFH, Urteil vom 08.04.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579 unter II. 7.). In dieser Entscheidung hat der BFH das Rechtsschutzbedürfnis für eine solche vorbeugende Unterlassungsklage verneint, weil die Finanzbehörde im Einzelfall im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung über die Anfertigung von Kontrollmitteilungen entscheiden und den Steuerpflichtigen (Berufsträger) rechtzeitig von einer entsprechenden Absicht informieren müsse. Dem Steuerpflichtigen werde dadurch die Möglichkeit eröffnet, sich mit den gesetzlich eingeräumten Rechtsbehelfen im konkreten Fall gegen die Umsetzung zur Wehr zu setzen (BFH, Urteil vom 08.04.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579 unter II. 3. a.E., 7.). Ungeachtet der daran in der Literatur geäußerten Kritik (Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl. 2020, § 194 Rn. 65; nunmehr wohl aufgegeben, vgl. Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 194 Rn. 83; vgl. auch Gosch, AO/FGO, Stand: 119. Ergänzungslieferung September 2015, § 194 AO Rn. 266) durften sich die Rechtsanwälte darauf verlassen, dass die bei ihr tätige Prüferin sie von der Absicht, die im Streitfall dem Beklagten zugegangenen Kontrollmitteilungen übersenden zu wollen, vorab in Kenntnis setzen würde. Denn mit der Veröffentlichung des Urteils vom 08.04.2008 – VIII R 61/06 in BStBl. II 2009, 579 hat das Bundesfinanzministerium die Länder angewiesen, dieses Urteil anzuwenden (vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/anwendung-neuer-bfh-entscheidungen.html, abgerufen am 27.02.2023). Diese Anweisung wird in Ziff. 7. zu § 194 im AEAO wiederholt. Das Ermessen der Betriebsprüferin war damit entsprechend eingeschränkt.
bb) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Prüferin des FA E…, die Zeugin F…, die Rechtsanwälte entsprechend der für sie bestehenden Weisungslage über ihre Absicht, die im Streitfall dem Beklagten zugegangenen Kontrollmitteilungen übersenden zu wollen, vorab in Kenntnis gesetzt hatte.
Die Zeugin F… hat zwar sehr bestimmt und auch mit einem gewissen Detailreichtum ausgesagt, dass sie gegenüber der Zeugin G… bekundet habe, die Unterlagen im Zusammenhang mit dem Fremdgeldkonten darauf hin zu untersuchen, ob sich daraus steuerliche Auswirkungen bei Mandanten ergeben könnten. Ferner hat die Zeugin bekundet, mindestens einem der Rechtsanwälte angekündigt zu haben, die Unterlagen, die Vorgänge auf dem Fremdgeldkonto betrafen, dem für die Mandanten zuständigen Finanzamt übermitteln zu wollen. Andererseits hat sie dies terminlich nicht präzisiert und eingeräumt, darüber keinen schriftlichen Vermerk angefertigt zu haben. Letzteres könnte womöglich damit zusammenhängen, dass der Zeugin – wie sie ebenfalls eingeräumt hat – nicht bekannt war, dass sie nach Ziff. 7 zu § 194 AEAO angewiesen war, die Übersendung von Kontrollmitteilungen aus Unterlagen, die der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, gegenüber dem entsprechenden Berufsträger mitzuteilen. Ferner hat die Zeugin F… bekundet, bei sämtlichen von ihr durchgeführten Prüfungen den geprüften Steuerpflichtigen auf Anfrage mitzuteilen, wenn sie von ihr gefertigte/angeforderte Kopien für Kontrollmitteilungen verwenden wolle. Demgegenüber spricht gegen die Verlässlichkeit der von der Zeugin gemachten Angaben, dass die streiterheblichen Vorgänge im Zeitpunkt der Vernehmung bereits ca. 3 ½ Jahre zurücklagen. Nach Aktenlage wurde die Zeugin erstmals im Frühjahr 2022 auf die Verfügung des Gerichts vom 06.04.2022 durch den Beklagten mit der Frage konfrontiert, ob sie ihre Absicht, die streitbefangenen Kontrollmitteilungen zu versenden, den Rechtsanwälten der Klägerin mitgeteilt hatte, also ca. 2 ½ Jahre nach den streiterheblichen Vorgängen. Wenn – wie die Zeugin bekundet hat – die Ankündigung von Kontrollmitteilungen für sie zwar kein außergewöhnlicher, andererseits (Mitteilung „auf Anfrage“) aber auch kein routinemäßiger, gewissermaßen automatischer Vorgang war, erscheint jedoch zweifelhaft, weshalb die Zeugin an einen solchen Vorgang ohne schriftliche Erinnerungsstütze eine verlässliche Erinnerung haben sollte. Der Umstand, dass eine Kontrollmitteilung bei einem der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Berufsträger – wie oben erläutert – in rechtlicher Hinsicht besondere Fragen aufwirft und – ausgehend von der geringen Zahl an diesbezüglichen veröffentlichten gerichtlichen Entscheidungen sowie fehlenden Parallelverfahren im erkennenden Senat – auch rein faktisch einen Vorgang mit Ausnahmecharakter darstellt, kann keine Erinnerungsstütze für die Zeugin F… gewesen sein. Denn sie hat auch abgesehen von der fehlenden Kenntnis von Ziff. 7 zu § 194 AEAO nicht erkennen lassen, dass sie sich der besonderen Sensibilität einer Betriebsprüfung bei einem der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Berufsträger bewusst war. Aus diesem Grunde hatte sie keinen Anlass, von sich aus (und nicht nur auf Anfrage) die Übersendung der Kontrollmitteilungen anzukündigen. Ferner hat die Zeugin keine Reaktionen ihrer Gesprächspartner berichtet, die Anknüpfungspunkt für eine zuverlässige Erinnerung sein könnten. Dass sich die Zeugin F… dem Grunde nach an die Prüfung erinnern konnte, weil sie bei Durchsicht des Fremdgeldkontos in einem für sie ungewöhnlich großen Umfang Barauszahlungen festgestellt hatte, erscheint nachvollziehbar. Dies bedeutet aus den vorstehend angeführten Gründen jedoch nicht, dass die Zeugin Anlass sah, gegenüber den Rechtsanwälten der Klägerin oder der Zeugin G… die Übersendung der Kontrollmitteilungen anzukündigen. Angesichts des zeitlichen Abstands zu den streiterheblichen Vorgängen erscheint daher denkbar, dass die Zeugin in ihrer Erinnerung aus Parallelvorgängen darauf geschlossen hat, auch im hiesigen Fall die Übersendung von Kontrollmitteilungen angekündigt zu haben.
Die Zweifel daran, dass die Zeugin F… zutreffend bekundet hat, mindestens einem der Rechtsanwälte und/oder der Zeugin G… angekündigt zu haben, die Unterlagen, die Vorgänge auf dem Fremdgeldkonto betrafen, dem für die Mandanten zuständigen Finanzamt übermitteln zu wollen, werden dadurch bestärkt, dass sowohl der in der mündlichen Verhandlung für die Klägerin auftretende Rechtsanwalt (als Beteiligtenvortrag) als auch die Zeugin G… in Abrede gestellt haben, dass die Prüferin die Übersendung von Unterlagen an die Finanzämter der Mandanten angekündigt habe. Für die letztgenannte Darstellung spricht, dass der Zeugin G… als erfahrener Buchhalterin, die de facto für eine Anwaltskanzlei tätig war und sowohl dort als auch in anderen Zusammenhängen an Betriebsprüfungen mitgewirkt hatte, das Spannungsverhältnis zwischen steuerlicher Mitwirkungspflicht und anwaltlicher Verschwiegenheitspflicht bekannt gewesen sein dürfte. Ihre diesbezügliche Einlassung erscheint daher nachvollziehbar. Ferner wäre die Ankündigung, Unterlagen aus der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Mandantenakten den für diese zuständigen Finanzämter zu übersenden, sowohl für einen Rechtsanwalt als auch für eine erfahrene Buchhalterin in einer Anwaltskanzlei ein so besonderer, erinnerungswürdiger Vorgang, dass nicht vorstellbar wäre, dass sowohl bei dem Rechtsanwalt als auch bei der Buchhalterin daran keine Erinnerung mehr vorhanden wäre. Jedenfalls erscheint naheliegend, dass ein Rechtsanwalt, der von der Absicht einer Betriebsprüferin erfährt, Mandantenunterlagen für Kontrollmitteilungen zu verwenden, dagegen vorgehen würde. Dies würden sowohl das Standesrecht als auch ökonomische Interessen (Abwendung von drohenden Schadensersatzansprüchen und einer drohenden Rufschädigung) gebieten. Dies spricht für die Darstellung der Zeugin G… und des Klägervertreters, den Mitgliedern und Mitarbeitern der Anwaltskanzlei gegenüber seien keine entsprechenden Ankündigungen erfolgt und gegen die Darstellung der Zeugin F…, ihre Ankündigung der Kontrollmitteilung sei widerspruchslos aufgenommen worden. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der Klägervertreter sich nur als Beteiligter geäußert hat und dass die Zeugin G… Loyalitätspflichten gegenüber ihrem Arbeitgeber verspürt haben könnte. Ferner hat die Zeugin G… dem Gericht gegenüber einen unverstellten Eindruck gemacht, so dass das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt ist, die von ihr geäußerte Enttäuschung habe keinen realen Hintergrund. Die Rechtsanwälte der Klägerin und die Zeugin G… hatten keinen zwingenden Anlass, die Hintergründe der intensiven Prüfungsmaßnahmen der Zeugin F… im Bereich des Fremdgeldkontos bzw. der daraus erfolgten Barauszahlungen zu erfragen. Es lag für die Rechtsanwälte und die Zeugin G… auf der Hand, dass die typischerweise nicht als ergebniswirksam gebuchten Eingänge auf dem Fremdgeldkonto Anlass zu Prüfungsmaßnahmen boten, da der Klägervertreter und die Zeugin G… glaubhaft erläutert haben, dass die Eingänge auf dem Fremdgeldkonto vielfach auch Honoraranteile enthalten, die im Zuge der Verbuchung den Erlöskonten zugeordnet werden müssen, wobei Fehler passieren können. Ferner besteht bei Barauszahlungen Anlass zur Prüfung, ob diese wie gebucht durchgeführt wurden.
Die verbleibende Unsicherheit geht zu Lasten des Beklagten, der dafür darlegungs- und feststellungsbelastet ist, dass die Zeugin F… die Ermessensrichtlinie in Ziff. 7 zu § 194 AEAO beachtet hat.
cc) Unter diesen Umständen ist die Rechtsprechung, nach der Kontrollmitteilungen ausgewertet werden dürfen, wenn zwar einerseits ihre Erstellung gegen gesetzliche Verpflichtungen verstieß, andererseits sich der eigentlich betroffene Steuerpflichtige nicht gegen diese Maßnahmen gewehrt hat (BFH, Urteil vom 04.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227 unter II. 1. d), nicht anwendbar. Denn weder die Klägerin selbst noch ihre Rechtsanwälte hatten nach Aktenlage die faktische Möglichkeit, um Rechtsschutz gegen die Erstellung und Übersendung der Kontrollmitteilungen nachzusuchen.
dd) Aus Vorstehendem folgt, dass die dem Beklagten zugegangenen Kontrollmitteilungen, die unter Verletzung eines Ermittlungsverbots ermittelt worden sind, nicht verwertet werden dürfen.
(1) Denn unmittelbar auf rechtswidrige Weise verschaffte Tatsachenerkenntnisse oder Beweismittel dürfen nicht verwertet werden (vgl. BFH, Urteil vom 04.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227 unter II. 4. b dd). Dies gilt jedenfalls bei einem qualifizierten materiellen Verwertungsverbot, also wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt (vgl. BFH, Urteil vom 04.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227 unter II. 4. b aa). Auf die Erwägungen zur Unbeachtlichkeit rein verfahrensrechtlicher Verwertungsverbote bei erstmaligen Festsetzungen (vgl. BFH, Urteil vom 04.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227 unter II. 4. b bb) kommt es dann nicht an.
(2) Um ein solches materielles Verwertungsverbot handelt es sich im Streitfall. Die Verweigerungsrechte nach den §§ 102, 104 AO stehen im Zusammenhang u.a. mit der nach § 203 Strafgesetzbuch –StGB– sanktionierten Verschwiegenheitspflicht (vgl. z.B. Kobor in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand: 22. Edition 01.10.2022, § 102 Rn. 1), die wiederum dem Schutz des durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der besonderen Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dient (Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 203 Rn. 3; Ciernak/Niehaus in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 203 Rn. 7 f.). Bei Rechtsanwälten ist zudem das aus dem Grundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 12 m.w.N.) folgende Recht auf effektiven Rechtsschutz betroffen. Der Mandant, der effektiven Rechtsschutz nachsuchen will, unterliegt einem faktischen Offenbarungszwang gegenüber seinem Bevollmächtigten. Der Umstand, dass er dadurch zwangsläufig einen „Mitwisser“ bei Tatsachen hat, die der Mandant möglicherweise geheim halten will, soll ihn nicht davon abhalten, effektiv Rechtsschutz zu suchen, weil er davon ausgehen kann, dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt sein Wissen nur mit dem Einverständnis des Mandanten preisgibt (vgl. Ciernak/Niehaus in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 203 Rn. 8). Das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG steht nach Art. 19 Abs. 3 GG auch Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften, soweit deren Teilrechtsfähigkeit reicht, zu (Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 60, 64, 85 m.w.N.), also auch der Klägerin.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es Sache des Berufsträgers sei, nur neutralisierte Unterlagen zur Prüfung vorzulegen (in diesem Sinne wohl Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 194 Rn. 80). Einerseits ist eine umfassende Neutralisierung von Kanzleiunterlagen über mehrere Veranlagungszeiträume und alle Geschäftsvorfälle kaum praktikabel, schon, weil danach eine Nachverfolgbarkeit von Geschäftsvorfällen nur noch eingeschränkt möglich wäre. Andererseits droht den Berufsträgern bei einer Neutralisierung, dass von der Betriebsprüfung u.a. nach § 160 AO der Betriebsausgabenabzug versagt oder umsatzsteuerlich Rechnungen als nicht ordnungsgemäß i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG angesehen werden. Die letztgenannten Konsequenzen (die wohl Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 194 Rn. 80 ziehen will), stehen nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH, die einerseits auf eine effektive Sachverhaltsermittlung der Finanzbehörden zwecks Festsetzung der zutreffenden (also auch: nicht zu hohen) Steuer bei den Berufsträgern und andererseits auf die Wahrung der strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht ausgerichtet ist (vgl. z.B. BFH, Urteile vom 26.02.2004 – IV R 50/01, BStBl. II 2004, 502; vom 08.04.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579; vom 28.10.2009 – VIII R 78/05, BStBl. II 2010, 455).
Das Gericht lässt sich auch von der Überlegung leiten, dass der Umstand, dass die Prüferin die Prozessbevollmächtigte nicht über die beabsichtigten Kontrollmitteilungen informiert hat, kein bloßer verfahrensrechtlicher Fehler ist. Denn ausgehend von der oben dargestellten Rechtsprechung des BFH hat die Prüferin damit den Rechtsanwälten der Klägerin die Möglichkeit genommen, sich effektiv um Rechtsschutz gegen dieses Vorgehen zu bemühen und dabei die höchstrichterlich nicht entschiedene Frage klären zu lassen, ob und ggf. unter welchen Umständen Kontrollmitteilungen über Verhältnisse, die sich aus dem Grunde nach durch § 104 Abs. 1 AO geschützten Unterlagen ergeben, versandt werden dürfen. Insoweit ist also das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG betroffen (Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: 211. Lieferung, 2/2011, § 194 AO Rn. 130, 180 m.w.N.), ebenso – jedenfalls mittelbar – das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin.
Dementsprechend ist auch das erkennende Gericht gehindert, die vom FA E… übersandten Unterlagen für die Sachprüfung zugrunde zu legen (gl. A. Kobor in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand: 22. Edition 01.10.2022, § 104 Rn. 6.6).
ee) Aus dem übrigen Akteninhalt ergibt sich nichts, was in verwertbarer Weise geeignet wäre, die vom Beklagte vorgenommene Festsetzung zu rechtfertigen. Dies gilt auch für den Vortrag, den die Klägerin zu den Geschäftsvorfällen, die sich aus den vom FA E… übersandten Unterlagen ablesen lassen, in das Verfahren eingeführt hat.
(1) Dem Beklagten ist allerdings einzuräumen, dass die Klägerin die in den vorliegenden Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer schulden würde. Wenn die Geschäftsvorfälle so stattgefunden hätten, wie es der vorliegenden Rechnung zu entnehmen ist (nämlich Waren geliefert wurden), dann würde die Klägerin die ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG schulden. Wenn es sich in der Sache so verhalten würde, wie es die Klägerin vorträgt, würde die Klägerin die Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 UStG schulden, weil sich der Vortrag der Klägerin dem Rechnungstext nicht entnehmen lässt. Es handelt sich gerade nicht um eine Gutschrift für eine ausgebliebene Lieferung. Dass nur eine der beiden Rechnungen vorliegt, wäre unerheblich, weil sich aus dem Vortrag der Klägerin ergibt, dass die nicht vorliegende Rechnung in gleicher Weise gestaltet war wie die vorliegende Rechnung vom 08.01.2015.
(2) Darauf kommt es jedoch nicht an. Der Vortrag der Klägerin zu den Geschäftsvorfällen ist nicht verwertbar. Denn bei durch qualifizierte Grundrechtsverstöße oder anderweitig schwerwiegende Verfahrensverstöße erlangten Erkenntnismitteln wird eine Fernwirkung auch bezüglich bloß mittelbar – isoliert betrachtet rechtmäßig – erlangter Beweismittel bejaht, weil anderenfalls die zur Wahrung verfassungsrechtlich geschützter Positionen notwendigen Verwertungsverbote ausgehöhlt werden könnten (vgl. BFH, Urteile vom 04.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227, unter II. 4. b dd; vom 04.12.2012 – VIII R 5/10, BStBl. II 2014, 220; vom 29.08.2017 – VIII R 17/13, BStBl. II 2018, 408, Rn. 48).
(3) Auch die durch die rechtswidrig erlangten Feststellungen provozierte Einlassung der Klägerin ist von der Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots erfasst. Es ist zwar zu erwägen, ob die Einlassungen der anwaltlich vertretenen Klägerin für die Sachprüfung verwendbar sind, weil sich die Klägerin auf die Rüge der Unverwertbarkeit der Kontrollmitteilungen hätte beschränken können. Angesichts der – wie dargestellt – höchstrichterlich ungeklärten Rechtslage war ihr dies jedoch im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes nicht zuzumuten.
(4) Der übrige Akteninhalt gibt keinen Anlass, eine Schätzung von positiver Umsatzsteuer vorzunehmen.
Der Beklagte hat nach Aktenlage abgesehen von der hier streitigen Festsetzung keine weitere (auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhende) Festsetzung von Steuern vorgenommen, vielmehr im Streitjahr ein Löschungsverfahren beim Handelsregister betrieben, was ebenfalls darauf hindeutet, dass er in der Klägerin eine wirtschaftlich inaktive Gesellschaft gesehen hat. Der daraufhin erfolgte Vortrag seitens der Klägerin im registerrechtlichen Verfahren („Verwaltung“ einer aus der früheren aktiven Geschäftstätigkeit herrührenden Versicherung) deutet ebenfalls nicht auf eine aktive Geschäftstätigkeit hin. Anhaltspunkte für eine unternehmerische Tätigkeit, die zu einer positiven Umsatzsteuer führte, lassen sich den vorliegenden Akten, wenn man die Kontrollmitteilungen und den darauf in der Sache erfolgten Vortrag der Klägerin wegdenkt, nicht entnehmen.
II. Die Kostenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO - analog.
IV. Das Gericht hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil es die Maßstäbe für die Sachentscheidung nicht als höchstrichterlich geklärt ansieht.