Gericht | FG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 15.03.2023 | |
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Aktenzeichen | 1 K 1165/16 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2023:0315.1K1165.16.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Steuerbescheid des Beklagten vom 27. April 2016 (GZ: …) in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2016 wird dahingehend abgeändert, dass die Stromsteuer der Klägerin für den Veranlagungszeitraum 2015 auf 462.972,84 Euro festgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens, werden der Klägerin zu 7 % und dem Beklagten zu 93 % auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Beschluss:
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Beteiligten streiten über die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Stromsteuer, die die Klägerin als Versorgerin für den Veranlagungszeitraum 2015 zu leisten hat. Konkret streitig ist das Vorliegen einer Stromsteuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b Stromsteuergesetz (StromStG) für die vom 01.04.2015 bis 31.12.2015 in den seitens der Klägerin betriebenen Blockheizkraftwerken (BHKW) erzeugten Strommengen. Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Die Klägerin ist ein vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Nr. 38 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Sie erzeugt und vertreibt Strom und ist Netzbetreiberin im Sinne des § 3 Nr. 4 EnWG. Ihr Elektrizitätsverteilernetz versorgt das Stadtgebiet der Stadt B… sowie einige anliegende Gemeinde- und Ortsteile. Es ist über Netzkoppelpunkte an das Hochspannungsnetz der Verteilnetzbetreiberin C… GmbH angeschlossen. Deren Netz ist wiederum über Umspannwerke mit dem Höchstspannungsnetz der für den Osten Deutschlands zuständigen Übertragungsnetzbetreiberin 50Hertz Transmission GmbH verbunden.
Die Klägerin betrieb in B… im Jahr 2015 diverse Energieerzeugungsanlagen, unter anderem die BHKW „D…" und „E…", die eine elektrische Nennleistung von jeweils weniger als zwei Megawatt aufwiesen. In den genannten Anlagen kamen im Jahr 2015 erneuerbare Energieträger zum Einsatz. Für den darin erzeugten und in ihr Elektrizitätsverteilernetz eingespeisten Strom erhielt die Klägerin im Jahr 2015 die Einspeisevergütung nach dem Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien in der für 2015 gültigen Fassung (EEG 2014). An ihr Elektrizitätsverteilernetz angeschlossen waren auch im Raum B… ansässige Kunden der Klägerin, deren Entnahmestellen sich in räumlicher Nähe zu den genannten BHKW befanden.
Mit ihrer Stromsteuermeldung für den Veranlagungszeitraum 2015 vom 08.04.2016 meldete die Klägerin eine Strommenge von 22.584,041 MWh zum Regelsteuersatz zur Versteuerung an. Die von ihr errechnete Stromsteuer betrug insgesamt 462.972,84 Euro. Unter Berücksichtigung von geleisteten Vorauszahlungen in Höhe von 570.000,00 Euro machte sie eine Stromsteuererstattung in Höhe von 107.027,16 Euro geltend. Mittels der gemäß § 4 Abs. 6 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes (StromStV) erforderlichen Anzeige deklarierte sie in diesem Zusammenhang für den Veranlagungszeitraum 2015 eine gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG stromsteuerfreie Menge von 4.808,457 MWh für Einspeisungen aus den von ihr betriebenen BHKW „E…" (111,077 MWh) und „D…" (4.697,380 MWh).
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 27.04.2016 die Stromsteuer auf der Basis einer zu versteuernden Strommenge von 25.884,271 MWh auf 530.627,56 Euro und die Erstattung dementsprechend auf 39.372,44 Euro fest. Dabei erkannte er die Stromsteuerfreiheit der aus den BHKW „D…" sowie „E…" vom 01.04.2015 bis 31.12.2015 erzeugten Strommengen nicht als steuerfrei gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG an. Dies betrifft insgesamt 3.332,984 MWh.
Die Klägerin legte fristgerecht Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 10.05.2016 als unbegründet zurückwies. Mit der dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Versagung der Stromsteuerbefreiung zu Unrecht erfolgte.
Der Senat hat die Klage mit Urteil vom 14.11.2018 abgewiesen. Im sich anschließenden Revisionsverfahrens hat der Bundesfinanzhof (BFH) das Urteil des Senats aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung und Verhandlung an den Senat zurückverwiesen (Urteil vom 30.06.2021, VII R 1/19, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH [BFH/NV] 2022, 36). Zur Begründung führte er aus, das Urteil sei aufzuheben, da der Senat die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Stromsteuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG zu Unrecht verneint habe. Der Gesetzgeber habe im streitgegenständlichen Zeitraum eine Doppelförderung nach den stromsteuerrechtlichen Vorschriften gesehen und nicht ausgeschlossen. Für eine dahingehende einschränkende Auslegung bestehe kein Raum. Die Klägerin habe nunmehr nachzuweisen, dass sie vertraglich gegenüber den Letztverbrauchern zur Lieferung von Strom verpflichtet sei und dass eine Stromsteuerbefreiung nur insoweit für durch Letztverbraucher entnommenen Strom in Anspruch genommen werden könne, soweit die Klägerin diesen auch in ihren zwei BHKW erzeugt habe. Hierfür trage die Klägerin die Feststellungslast.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen unter Verweis auf das Urteil des BFH vom 30.06.2021 (VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36) und unter Vorlage weiterer Nachweise. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 07.01.2022 (Bl. 153 f. der Verfahrensakte), vom 27.05.2022 nebst Anlagen (Bl. 179 - 185 der Verfahrensakte) sowie vom 17.11.2022 nebst Anlagen (Bl. 238 - 359 der Verfahrensakte) verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Steueränderungsbescheid für Stromsteuer für den Veranlagungszeitraum 2015 vom 27. April 2016 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Stromsteuer der Klägerin für den Veranlagungszeitraum 2015 auf 462.972,84 Euro festzusetzen,
das beklagte Hauptzollamt zu verurteilen, den Erstattungsanspruch i.H.v. 67.654,72 Euro mit einem Zinssatz von 0,5 % monatlich seit dem 10.10.2016 zu verzinsen, sowie
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
Die Klage sei unbegründet. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG seien auch im Nachgang des Urteils des BFH vom 30.06.2021 (VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36) nicht gegeben. § 12b Abs. 4 StromStV greife hier nicht als Argument dafür, dass eine Leistungsbeziehung gegenüber dem Netzbetreiber unschädlich für die Steuerbefreiung sei. Die Vorschrift setze voraus, dass es sich beim Netzbetreiber um eine eigene rechtlich selbständige Person handele, was im vorliegenden Fall – wie die Klägerin selbst bestätigt habe – nicht vorliege. Die Klägerin wäre zum Rückerwerb auch gar nicht in der Lage gewesen, denn ein Handel mit Strom sei dem Netzbetreiber für diese Zwecke überhaupt nicht erlaubt und widerspreche im streitgegenständlichen Zeitraum insbesondere Art. 25 und 26 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (nachfolgend RL 2009/72, ABl. EU L 211/55 vom 14.08.2009). Er, der Beklagte, stelle nicht in Abrede, dass eine Nämlichkeitssicherung des Stroms nicht möglich sei und unabhängig von den Vorgaben des EEG erfolge. Dies führe jedoch nicht dazu, dass es überhaupt keine Mittel der Zuordnung für EEG-Strom gebe und ein entsprechender Nachweis auch nicht für die Steuerbefreiung erforderlich sei. Dies ignoriere eine wesentliche Voraussetzung der Steuerbefreiung, nämlich die Quelle des Stroms. Eine Zuordnung des EEG-Stroms sei zumindest auf bilanzieller Grundlage möglich. Der Nachweis der Steuerbefreiung könne daher nur anhand der in den Kundenrechnungen ausgewiesenen Strommengen im Zusammenhang mit der Buchführung der Klägerin erbracht werden sowie durch Nachweis der registrierenden Lastgangmessungen in jeder Viertelstunde auf Erzeuger- und Kundenseite gemäß den nach § 4 Abs. 2 StromStV von der Klägerin zu führenden Aufzeichnungen.
Weiterhin stünden beihilferechtliche Aspekte der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG entgegen, da die Klägerin Erdgas im streitgegenständlichen Zeitraum verwendet habe, um in ihren BHKW Strom zu erzeugen. Hierfür habe die Klägerin Steuerentlastungen nach § 53a Energiesteuergesetz alte Fassung (EnergieStG a.F.) im streitgegenständlichen Zeitraum erhalten. Die seitens der Klägerin beantragte Steuerbefreiung betreffe insofern Energieerzeugnisse, die gar nicht der Besteuerung unterlegen hätten. Es bestünden daher Zweifel an der richtigen Anwendung des Unionsrechts. Diese Frage sei auch nicht Gegenstand des BFH-Urteils vom 30.06.2021 (VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36) gewesen.
Auch der Nachweis einer bloßen Verpflichtung zur Stromlieferung reiche nicht aus. Es müsse vielmehr auch die Herkunft des Stroms und eine Verbindung zwischen Herkunft und Verbrauch über die ermittelte Menge berücksichtigt und nachgewiesen werden. Diese Nachweise habe die Klägerin bisher nicht erbracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten nimmt der Senat auf den vorliegenden Akteninhalt sowie die zwischen den Beteiligten ausgetauschten Schriftsätze Bezug. Dem Senat haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte zum hiesigen Verfahren, die Akte des BFH zum Az. VII R 1/19 sowie die den Streitfall betreffende Akte des Beklagten „FG 2026 - RL 141/16 - B 23“ (paginiert von Bl. 1 bis 75) vorgelegen.
I. Die Klage ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie begründet.
1. Unzulässig ist die Klage, soweit die Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung beantragt hat, den Beklagten zu verpflichten, Zinsen festzusetzen. Zunächst hat die Klägerin Zinsen für einen Zeitraum nach Klageerhebung beantragt. Darüber hinaus fehlt es an einem hierfür erforderlichen Vorverfahren im Sinne des § 44 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Ausnahmen der §§ 45, 46 FGO liegen offensichtlich nicht vor.
a) Soweit die Klägerin einen Antrag auf Verzinsung gestellt hat für einen Zeitraum nach Klageerhebung, kann es sich nur um einen Antrag auf Zahlung von Prozesszinsen handeln. Prozesszinsen sind nach § 236 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) von Amts wegen festzusetzen. Die Finanzbehörden sind daher verpflichtet, auf der Grundlage einer rechtskräftigen Entscheidung von sich aus eine entsprechende Verzinsung vorzunehmen. Es ist nicht ersichtlich und auch von der Klägerin nicht dargelegt worden, aus welchem Grund zu erwarten ist, dass der Beklagte sich dieser Verpflichtung für den Fall eines nach § 236 Abs. 1 AO bestehenden Zinsanspruchs entziehen werde. Infolgedessen fehlt dem auf die Zahlung von Prozesszinsen gerichteten Leistungsbegehren das zu fordernde Rechtsschutzbedürfnis (Urteil des BFH vom 19.03.2013, VII R 15/11, juris unter Verweis auf das Urteil des BFH vom 13.07.1989, IV B 44/88, BFH/NV 1990, 247).
b) Aber auch im Übrigen wäre die Klage betreffend den Verzinsungsantrag unzulässig, wenn die Klägerin einen unionsrechtlichen Zinsanspruch für Zeiträume vor Klageerhebung hätte geltend machen wollen, den sie jedoch nicht beantragt hat. Bei diesem Antrag handelt es sich um eine Verpflichtungsklage nach § 40 Abs. 1 Alternative 2 FGO, für die ein Vorverfahren notwendig ist. Fehlen unionsrechtliche Normierungen für einen unionsrechtlichen Anspruch, richten sich die Modalitäten nach einzelstaatlichem Recht (EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C-591/10, BFH/NV 2012, 1563, ECLI:EU:C:2012:478, Rn. 27). Die Klägerin hat beim Beklagten nicht zuvor die Festsetzung von Zinsen beantragt. Hätte der Beklagte die Festsetzung von Zinsen abgelehnt, hätte es sich um einen Verwaltungsakt gehandelt. Die richtige Klageart wäre dann nach der Rechtsprechung des BFH die Verpflichtungsklage gewesen (st. Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschluss vom 20.12.2011, II S 28/10 (PKH), BFH/NV 2012, 381; Teller, in: Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 40 Rn. 34 f.). Die Leistungsklage – für die ein Vorverfahren nicht durchzuführen ist – ist subsidiär (Teller, in: Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 40 Rn. 33). Insofern hätte sich die Klägerin auch nicht auf die Urteile des BFH vom 29.06.1971 (VII K 31/67, Sammlung der Entscheidungen des BFH [BFHE] 103, 28, Bundessteuerblatt [BStBl.] II 1971, 740) bzw. vom 29.10.1981 (I R 89/80, BFHE 134, 254, BStBl. II 1982, 150) berufen könne, da diese auf den hiesigen Fall nicht anwendbar wären. In den dort entschiedenen Fällen ging es um Prozesszinsen und zudem betrafen die Entscheidungen eine alte Rechtslage und sind insofern überholt. Hinsichtlich der Prozesszinsen kann auf die obigen Ausführungen unter a) verwiesen werden.
c) Das Erfordernis eines Vorverfahrens widerspräche auch nicht dem Unionsrecht, da es nicht dazu führt, dass die Ausübung der unionsrechtlichen Rechte der Klägerin übermäßig erschwert würden (EuGH, Urteil vom 28.04.2022, C-415/22, C-419/20, C-427/20, BFH/NV 2022, 796, ECLI:EU:C:2022:306). Es bleibt der Klägerin unbenommen, einen entsprechenden Antrag beim Beklagten zu stellen.
Soweit die Klägerin einen unionsrechtlichen Anspruch auf Verzinsung hätte, hat sie diesen – in Ermangelung einer derartigen Unionsregelung – nach dem nach nationalem Recht anwendbaren Verfahren geltend zu machen (EuGH, Urteil vom 28.04.2022, C-415/22, C-419/20, C-427/20, BFH/NV 2022, 796, ECLI:EU:C:2022:306, Rn. 71 und 74; EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C-591/10, BFH/NV 2012, 1563, ECLI:EU:C:2012:478, Rn. 27). Das nationale Verfahren darf nur nicht dazu führen, dass die Geltendmachung des unionsrechtlichen Zinsanspruchs übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich gemacht wird (EuGH, Urteil vom 28.04.2022, C-415/22, C-419/20, C-427/20, BFH/NV 2022, 796, ECLI:EU:C:2022:306, Rn. 74 und 79). Bei dieser Prüfung sind auch der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens zu berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 28.04.2022, C-415/22, C-419/20, C-427/20, BFH/NV 2022, 796, ECLI:EU:C:2022:306, Rn. 80). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das deutsche Verfahrensrecht der Klägerin die Geltendmachung eines derartigen Anspruchs im Rahmen eines Vorverfahrens übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich machen würde. Darüber hinaus sieht es der Senat auch – im Hinblick auf den Schutz der Verteidigungsrechte des Beklagten – als erforderlich an, dass der Beklagte Gelegenheit gehabt hätte, einen derartigen Anspruch inhaltlich und rechnerisch zu prüfen, sich dazu zu positionieren und zunächst selbst darüber zu entscheiden. Hierzu hatte dieser bisher keine Gelegenheit.
d) Das Vorverfahren wäre auch nicht gemäß den §§ 45, 46 FGO entbehrlich gewesen. Insbesondere hat die Klägerin im Hinblick auf § 45 FGO den Antrag erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellt und der Beklagte einer Sprungklage auch nicht zugestimmt.
e) Schließlich weist das Gericht ergänzend darauf hin, dass sich weder aus dem Vortrag der Klägerin noch dem Inhalt der Akten ergibt, ab wann ein Zinsanspruch überhaupt begründet sein könnte. Die Klägerin hat bereits nichts dazu vorgetragen, wann sie die streitgegenständliche Stromsteuer gezahlt hat.
2. Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Bedingungen für den Erhalt der Stromsteuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG sind betreffend die von der Klägerin im Zeitraum vom 01.04.2015 bis 31.12.2015 in ihren zwei BHKW erzeugten 3.332,984 MWh Strom erfüllt.
a) Nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG ist Strom von der Steuer befreit, der in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu zwei Megawatt erzeugt wird und von demjenigen, der die Anlage betreibt oder betreiben lässt, an Letztverbraucher geleistet wird, die den Strom im räumlichen Zusammenhang zu der Anlage entnehmen.
aa) Die Klägerin hat unstreitig im streitgegenständlichen Zeitraum April bis Dezember 2015 mittels der zwei BHKW Strom in Anlagen erzeugt mit einer elektrischen Nennleistung von lediglich bis zu zwei Megawatt. Dies wird auch seitens des Beklagten nicht bestritten.
bb) Der fragliche Strom ist von den Letztverbrauchern auch im räumlichen Zusammenhang zu den streitgegenständlichen BHKW entnommen worden (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG). Die Klägerin liefert ihren Strom an Letztverbraucher im Umkreis von 4,5 km. Auch dies wird seitens des Beklagten nicht bestritten.
cc) Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Begünstigung auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Strom zunächst in ein öffentliches Leitungsnetz eingespeist wird (BFH, Urteil vom 30.06.2021, VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36; BFH, Urteil vom 20.04.2004, VII R 57/03, BFH/NV 2005, 578).
(i) Zwar hat die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum April bis Dezember 2015 mittels der zwei BHKW unstreitig nicht direkt die Letztverbraucher beliefert, sondern im Rahmen des EEG-Wälzungsmechanismus an den Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz Transmission GmbH geliefert. Dies steht nach dem jüngsten Urteil des BFH vom 30.06.2021 (VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36) einer Steuerbefreiung jedoch nicht entgegen. Aus der Vorschrift des § 12b Abs. 4 StromStV und der Intention des Verordnungsgebers ergibt sich, dass dieser die Möglichkeit einer Förderung des in kleinen Anlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG erzeugten Stroms nach dem EEG und somit die Möglichkeit einer sog. „Doppelförderung“ erkannt und die Gewährung der Einspeisevergütung nach dem EEG unter bestimmten engen Voraussetzungen als unschädlich für die Stromsteuerfreiheit angesehen hat. Die Steuerfreiheit trotz Erhalts der Förderung nach dem EEG war in § 12b Abs. 4 StromStV, der der Ausführung von § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG dient, grundsätzlich angelegt. Im Übrigen setzt auch die ab 01.01.2016 eingeführte Anrechnungsvorschrift des § 53c EEG 2017 die Möglichkeit einer Parallelität von Stromsteuerfreiheit und Einspeisevergütung nach dem EEG voraus. Wie der BFH in seinem Urteil vom 30.06.2021 (VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36) ausführt, habe der Gesetzgeber erkannt, dass bei der Leistung von Strom eine Nämlichkeitssicherung nicht möglich sei. Demnach kann der Rückerwerb einer konkreten Strommenge von einem Übertragungsnetzbetreiber nicht im Sinne einer nämlichen Menge Stroms erfolgen, weil dies aufgrund der physikalischen Besonderheiten der Ware Strom ausgeschlossen ist. Hiervon ausgehend ist dieser Prozess (Rückerwerb von einem Übertragungsnetzbetreiber) für die beantragte Stromsteuerbefreiung unschädlich.
(ii) Dem steht auch nicht ein etwaiger Verstoß gegen das Verbot der Gewährung staatlicher Beihilfen gemäß Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) entgegen. Denn der BFH hat nunmehr entschieden, dass der Gesetzgeber die Doppelförderung gesehen und insofern hingenommen habe (BFH, Urteil vom 30.06.2021, VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36). Aufgrund der Doppelförderung hat der Gesetzgeber zum 01.01.2016 eine entsprechende Anrechnung eingeführt, um eine derartige Doppelförderung auszuschließen. Diese galt – trotz Kenntnis der Doppelförderung – für das Streitjahr jedoch gerade nicht. Eine entsprechende einschränkende Auslegung der parallelen Vorschriften kann durch das Gericht daher nicht erfolgen, weil es insoweit an einer Regelungslücke fehlt (BFH, Urteil vom 30.06.2021, VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36).
(iii) Der Steuerbefreiung steht auch nicht entgegen – wie der Beklagte ergänzend vorgetragen hat –, dass die Klägerin für den streitgegenständlichen Strom eine Steuerentlastung nach § 53a EnergieStG erhalten hat. Nach Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischen Strom (ABl. L 283, 51; nachfolgend Energiesteuer-RL) können die Mitgliedstaaten kleine Stromerzeuger von der Steuer befreien, sofern sie die zur Erzeugung des Stroms eingesetzten Energieerzeugnisse besteuern. Dies hat der Gesetzgeber grundsätzlich auch so vorgesehen. Dass im Nachgang zur Besteuerung noch eine weitere Energiesteuerentlastung nach dem EnergieStG geltend gemacht werden kann, die die grundsätzlich vorgesehene Besteuerung wieder aufhebt, ist insofern unschädlich und offenbar vom Gesetzgeber auch gewollt (in diesem Sinne auch Möhlenkamp, in: Möhlenkamp/ Milewski, Energiesteuergesetz/ Stromsteuergesetz, 2. Aufl. 2020, § 9 StromStG Rn. 60). Die Steuerentlastung nach § 53a EnergieStG war als staatliche Beihilfe im Streitzeitraum auch seitens der Kommission genehmigt (Entscheidung der Kommission vom 21.02.2013, C(2013) 1104 final). Darüber hinaus sieht Art. 21 Abs. 5 UAbs. 3 Satz 2 der Energiesteuer-RL eine weitere Steuerbefreiung vor, die eine Steuerbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) der Energiesteuer-RL jedoch nicht ausschließt. Andernfalls wäre das Wort „unbeschadet“ in Art. 21 Abs. 5 UAbs. 3 Satz 2 der Energiesteuer-RL überflüssig. Hinzu kommt, dass es sich hier – anders als im Fall des FG Düsseldorf (Urteil vom 19.10.2022, 4 K 445/20 VSt, nicht veröffentlicht) – nicht um eine originäre Steuerbefreiung handelt, sondern um eine nachträglich gewährte Steuerentlastung. Damit waren die verwendeten Energieerzeugnisse grundsätzlich zu versteuern. Insofern sind die Fälle bereits nicht vergleichbar.
dd) Die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG setzt weiterhin voraus, dass der erzeugte Strom von demjenigen, der die Anlage betreibt oder betreiben lässt, an Letztverbraucher geleistet wird. Es muss demnach zwischen dem Anlagenbetreiber oder demjenigen, der die Anlage betreiben lässt, und dem Letztverbraucher eine Leistungsbeziehung bestehen. Dies ist hier der Fall.
(i) Im Stromsteuergesetz selbst werden die Begriffe der Leistung und der Leistungsbeziehung nicht definiert. Aus den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren ergibt sich jedoch, dass eine Leistungsbeziehung im Stromsteuerrecht auf der vertraglichen Verpflichtung basiert, jemandem Strom zu verschaffen (vgl. dazu Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 17.11.1998, BTDrucks 14/40, 11). Ob der Strom in Erfüllung dieser Leistungsverpflichtung tatsächlich oder kaufmännisch-bilanziell geliefert wird, spielt für die Leistungsbeziehung keine Rolle. Die Verpflichtung hat der Antragsteller für die Stromsteuerbefreiung, hier die Klägerin, nachzuweisen (BFH, Urteil vom 30.06.2021, VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36).
(ii) Diese Nachweise hat die Klägerin nunmehr erbracht. Der von der Klägerin vorgelegte beispielhafte Liefervertrag sowie die vorgelegte Kundenliste weisen nach Auffassung des Senats ausreichend nach, dass diese zur Lieferung von Strom verpflichtet war. Der beispielhaft vorgelegte Vertrag weist zwar nicht nach, dass die Klägerin auch zur Lieferung von steuerbefreitem Strom im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG verpflichtet war; aus dem Urteil des BFH vom 30.06.2021 (VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36) lässt sich eine weitere Voraussetzung dahingehend, dass die Klägerin auch gegenüber dem Letztverbraucher nachweisen muss, steuerbefreiten Strom geliefert zu haben, jedoch nicht entnehmen. Der Beklagte führt insofern zwar zu Recht aus, dass sich aus den vorgelegten Rechnungen ergibt, dass dort vermeintlich abgeführte Stromsteuer gesondert aufgeführt wird und dies beim Letztverbraucher zu einer weiteren – möglicherweise unberechtigten – Stromsteuerentlastung führen könnte. Dass eine derartige Gefahr jedoch zur Versagung der Stromsteuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG führen muss, lässt sich weder den tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift entnehmen, noch dem Urteil des BFH vom 30.06.2021 (VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36). Der BFH stellt insofern allein auf die Verpflichtung zur Stromlieferung ab. Auch für den Nachweis, dass die Klägerin nicht mehr steuerbefreiten Strom an Letztverbraucher geliefert hat, als sie in ihren BHKW erzeugt hat, stellt der BFH in seinem Urteil vom 30.06.2021 (VII R 1/19, BFH/NV 2022, 36) allein auf die Anmeldung beim Beklagten für die Geltendmachung der Stromsteuerbefreiung ab, nicht jedoch auf die Abrechnung gegenüber dem Letztverbraucher. Auch dies spricht dafür, dass lediglich der Nachweis der grundsätzlichen Verpflichtung zur Lieferung von Strom ausreicht, und nicht auch die Art und Weise der Abrechnung gegenüber dem Letztverbraucher für die Inanspruchnahme der Stromsteuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG entscheidend ist. Dass eine vertragliche Verpflichtung der Klägerin zur Lieferung von Strom an Letztverbraucher bestand, hat auch der Beklagte nicht bestritten.
ee) Die Klägerin hat auch den erforderlichen Nachweis erbracht, dass sie nicht mehr steuerbefreiten Strom an Letztverbraucher geliefert hat, als sie in ihren BHKW erzeugt hat. Aus der vorgelegten Auflistung der Erzeugung und Entnahme der entnommenen Strommengen aus den BHKW im streitgegenständlichen Zeitraum (Anlage K 2, Bl. 185 der Verfahrensakte), die auch der Beklagte inhaltlich nicht anzweifelt, geht dies hervor. Entsprechendes gilt für die Meldung der Klägerin gemäß § 4 Abs. 6 StromStG vom 11.04.2016 (Bl. 244 der Verfahrensakte), der der Beklagte inhaltlich ebenfalls nicht entgegengetreten ist. Dies ist ausreichend.
b) Soweit der Beklagte meint, dass eine Nachweisführung für die tatbestandlichen Voraussetzungen der Stromsteuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG allein anhand der gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1 StromStV von der Klägerin zu führenden Aufzeichnungen erfolgen könne und müsse, kann der Senat dem nicht folgen. § 12b StromStV verweist – anders als § 13a Abs. 3 Satz 2 StromStV – nicht auf § 4 Abs. 2 und 3 StromStV. Die Klägerin hat durch Vorlage weiterer Unterlagen nunmehr – nach entsprechendem richterlichen Hinweis – auch zur Überzeugung des Senats die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Stromsteuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG nachgewiesen. Der Beklagte hat die inhaltliche Richtigkeit der seitens der Klägerin vorgelegten Unterlagen auch zu keinem Zeitpunkt bestritten und ist diesen inhaltlich nicht entgegengetreten. Auch im Rahmen der Anmeldung für die Stromsteuerbefreiung betreffend den hier nicht streitigen Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.03.2015 hat der Beklagte die Aufzeichnungen der Klägerin als ausreichend angesehen. Es geht dem Beklagten insofern lediglich um die Erfüllung formeller Vorgaben, soweit er auf der Vorlage der Aufzeichnungen nach § 4 Abs. 2 und 3 StromStV beharrt. Dies widerspricht jedoch den Anforderungen des Unionsrechts. Insofern können formelle Anforderungen, die – wie hier – nicht Tatbestandsvoraussetzung sind, nicht zur Versagung der Steuerbefreiung führen (vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2019, C-68/18, juris, ECLI:EU:C:2019:933, Rn. 59).
II. Soweit die Klägerin Zinsen geltend gemacht hat, war die Klage unzulässig, so dass die Kostenentscheidung auf § 136 Abs. 1 Satz 1, § 143 Abs. 2 FGO beruht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten auch für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
III. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Sie war insbesondere nicht im Hinblick auf die Entscheidung des FG Düsseldorf vom 19.10.2022 (Az. 4 K 445/20 VSt) zuzulassen, da dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt zu Grunde lag und die Fälle damit nicht vergleichbar sind.