Gericht | VG Cottbus 1. Kammer | Entscheidungsdatum | 10.05.2023 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 1 L 112/23 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0510.1L112.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 123 Abs 1 S 2 VwVG BB, § 13 Abs 1 Nr 4 VwGO, § 13 Abs 2 S 1 VwGO |
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Vollstreckung aus den Abgabenbescheiden ihrer Bürgermeisterin wegen Grundsteuer B vom 1... für die Veranlagungsjahre 2012 bis 2016 in Höhe von 14.826,20 Euro, vom 1... für das Veranlagungsjahr 2017 in Höhe von 3.295,65 Euro und vom 0... für das Veranlagungsjahr 2018 in Höhe von 3.295,65 Euro zzgl. verwirkter Säumniszuschläge und Kosten der Vollstreckung einzustellen sowie die Zwangsversteigerungsanträge in den Zwangsversteigerungsverfahren des Amtsgerichts Cottbus zu den Aktenzeichen 5... und 5...zurückzunehmen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Der Streitwert wird auf 6.719,76 Euro festgesetzt.
I. Die Anträge,
1) die Zwangsvollstreckung aus
- dem Grundsteuerbescheid B vom 1... für die Veranlagungsjahre 2012 bis 2016 über 14.826,20 €
- dem Grundsteuerbescheid B vom 1... für den Veranlagungszeitraum 01-12/2017 in Höhe von 3.295,65 €
- dem Grundsteuerbescheid B vom 0... für den Veranlagungszeitraum 01-12/2018 in Höhe von 3.295,65 € zzgl. Säumniszuschlägen in Höhe von 3.984,00 € und Kosten der Zwangsvollstreckung in Höhe von 1.477,55 €, einzustellen,
2) der Antragsgegnerin die Rücknahme der Zwangsversteigerungsanträge in den Zwangsversteigerungsverfahren des Amtsgericht Cottbus zu den Aktenzeichen 5...aufzugeben,
haben Erfolg.
1. Sie sind nach § 123 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als einstweilige Anordnung in Form der Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft, denn das Begehren des Antragstellers ist nicht auf die Suspendierung eines belastenden Verwaltungsakts, sondern auf die Erweiterung seines Rechtskreises, nämlich auf die Einstellung der Vollstreckung, gerichtet. Ohnehin bliebe für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kein Raum, da die der Vollstreckung zugrundeliegenden Abgabenbescheide bestandskräftig sind (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, § 80 Rn. 130).
2. Die Anträge sind auch im Übrigen zulässig und begründet.
a) Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet, weil die Antragsgegnerin Grundsteuerforderungen und entsprechende steuerliche Nebenleistungen vollstreckt. Indem der Antragsteller einwendet, die im Wege der Vollstreckung geltend gemachten Ansprüche der Antragsgegnerin seien durch Zahlung erloschen, macht er materiell-rechtliche Einwendungen gegen die titulierten Ansprüche selbst geltend. Derartige Einwendungen überprüft nicht das zur Vollstreckung berufene Organ, sondern das Prozessgericht.
Dem Antragsteller steht für sein geltend gemachtes Begehren auch ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Insbesondere hat er sich vor Antragstellung mit Schreiben vom 3... und 1... vergeblich an die Antragsgegnerin gewandt. Zwar bestreitet sie die Erfüllung der titulierten Ansprüche nicht, jedoch macht sie ausweislich ihres Schreibens vom 2... die Rücknahme des Vollstreckungsantrags insbesondere von der Erklärung eines „Rechtsbehelfsverzichts“ durch den Antragsteller abhängig.
b) Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO liegen vor.
Danach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung kommt danach nur in Betracht, wenn der Rechtsschutzsuchende die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung durch das Gericht (den Anordnungsgrund) und einen materiellen Anspruch auf Erlass der begehrten Regelung (den Anordnungsanspruch) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 und § 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Richtet sich das Antragsbegehren – wie auch hier – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, gelten gesteigerte Anforderungen. Denn eine einstweilige Anordnung hat sich entsprechend dem Sicherungszweck des Anordnungsverfahrens im Grundsatz auf die Regelung eines vorläufigen Zustandes zu beschränken, die der Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren im Hauptsacheverfahren nicht vorgreifen darf. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung deshalb nur ausnahmsweise zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes – GG) zulässig. Dies setzt voraus, dass anderenfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile drohten, die durch die Hauptsacheentscheidung nicht mehr beseitigt werden könnten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 – 2 BvR 745/88 –, juris Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 21. März 1997 – BVerwG 11 VR 3.97 –, juris Rn. 13; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Juli 2006 – OVG 4 S 89.05 –, juris Rn. 2) und dass der Antragsteller mit seinem Begehren im Hauptsacheverfahren erkennbar erfolgreich sein würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 – BVerwG 2 VR 1.99 –, juris Rn. 24; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Mai 2007 – OVG 3 S 27.07 –, juris Rn. 3).
aa) Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist dann auszugehen, wenn das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung zu der Auffassung gelangt, dass der Antragsteller in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit obsiegen wird. Das ist vorliegend der Fall.
Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg) ist die Vollstreckung einzustellen oder zu beschränken, wenn der mit dem Verwaltungsakt geltend gemachte Anspruch erloschen ist. In den Fällen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 VwVGBbg sind bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben, § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVGBbg.
Ausweislich des Antrags auf Zwangsversteigerung vom 1... betreibt die Antragsgegnerin im Wege der Verwaltungsvollstreckung gegen die H...vertreten durch den Antragsteller als Verwalter, die Zwangsversteigerung des im Grundbuch von H..., verzeichneten Grundbesitzes beim Amtsgericht Cottbus - Vollstreckungsgericht -. Danach liegen der Verwaltungsvollstreckung folgende Forderungen zugrunde:
- Abgabenbescheid der Bürgermeisterin der Antragsgegnerin wegen Grundsteuer B vom 1... für die Veranlagungsjahre 2012 bis 2016 in Höhe von 14.826,20 Euro,
- Abgabenbescheid der Bürgermeisterin der Antragsgegnerin wegen Grundsteuer B vom 1... für das Veranlagungsjahr 2017 in Höhe von 3.295,65 Euro,
- Abgabenbescheid der Bürgermeisterin der Antragsgegnerin wegen Grundsteuer B vom 0... für das Veranlagungsjahr 2018 in Höhe von 3.295,65 Euro,
- verwirkte Säumniszuschläge in Höhe von 3.984,00 Euro,
- bisherige Kosten in Höhe von 1.849,55 Euro,
- zzgl. der weiterlaufenden Säumniszuschläge sowie der weiteren Kosten des (Vollstreckungs-)Verfahrens.
Die im Wege der Verwaltungsvollstreckung beigetriebenen Grundsteuerforderungen für die Veranlagungsjahre 2012 bis 2018 sind durch Erfüllung vollständig erloschen.
Die Bürgermeisterin der Antragsgegnerin hat die Grundsteuer B auf Grundlage des Bescheides des Finanzamtes Cottbus vom 0..., Aktenzeichen 0..., mit Bescheid vom 2..., Kassenzeichen: 0..., u. a. für die Veranlagungsjahre 2017 und 2018 von bis dahin 3.295,65 Euro neu auf jeweils 491,23 Euro festgesetzt. Mit weiterem Bescheid vom 2..., Kassenzeichen: 0..., hat die Bürgermeisterin der Antragsgegnerin die Grundsteuer B auf Grundlage des Bescheides des Finanzamtes Cottbus vom 0..., Aktenzeichen 0..., u. a. für die Veranlagungsjahre 2017 und 2018 neu auf jeweils 292,33 Euro festgesetzt. Damit verblieben für die Veranlagungsjahre 2017 und 2018 Grundsteuerforderungen in Höhe von insgesamt 1.567,12 Euro.
Die danach für die Veranlagungsjahre 2012 bis 2018 (und darüber hinaus auch für die Veranlagungsjahre 2019 bis 2022) festgesetzten Grundsteuern zahlte der Antragsteller an die Antragsgegnerin, wie aus dem Abrechnungsbescheid der Bürgermeisterin der Antragsgegnerin vom 2... hervorgeht, am 0....
Auch die mit der Verwaltungsvollstreckung geltend gemachten Säumniszuschläge als steuerliche Nebenleistungen gemäß §§ 3 Abs. 2, 1 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 4 Nr. 5 der Abgabenordnung (AO) sowie die geltend gemachten Gebühren und Auslagen („Vollstreckungskosten“), die nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BbgVwVG Teil der Beitreibung sind, sind vollständig beglichen.
Der Antragsteller zahlte die für die Veranlagungsjahre 2012 bis 2018 (und darüber hinaus auch für die Veranlagungsjahre 2019 bis 2022) gemäß §§ 3 Abs. 2, 1 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 240 AO entstandenen Säumniszuschläge, über deren Verwirkung die Bürgermeisterin der Antragsgegnerin mit Abrechnungsbescheid vom 2... gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO entschieden hat, vollständig mittels Banküberweisung am 2....
Gleichzeitig beglich der Antragsteller außerdem sämtliche von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 2... geltend gemachten Vollstreckungs- bzw. Rechtsberatungskosten.
Infolgedessen ist die Vollstreckung – zwingend – einzustellen. Angesichts der vollständigen Erfüllung der geltend gemachten Ansprüche kommt eine Beschränkung der Verwaltungsvollstreckung nicht in Betracht. Im Übrigen eröffnet § 13 Abs. 1 Nr. 4 BbgVwVG kein Ermessen. Insbesondere ist die Antragsgegnerin nicht berechtigt, die Einstellung der Vollstreckung von der Erklärung eines „Rechtsbehelfsverzichts“ oder von einer sonstigen Anerkennung ihrer geltend gemachten Ansprüche durch den Antragsteller abhängig zu machen. Der im Schreiben der Antragsgegnerin vom 2... für die Rücknahme des Antrags auf Zwangsversteigerung – und damit auch für die Einstellung der Vollstreckung – zur Bedingung gemachte „Rechtsbehelfsverzicht“ des Antragstellers stellt eine offensichtlich sachfremde Erwägung dar, die im Gesetz keinerlei Stütze findet. Entscheidend ist danach allein, ob die im Wege der Verwaltungsvollstreckung geltend gemachten Ansprüche erloschen sind, was vorliegend – wie soeben ausgeführt – aufgrund der von dem Antragsteller an die Antragsgegnerin geleisteten Zahlungen der Fall ist.
Die weitere Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Rücknahme der Zwangsversteigerungsanträge in den Zwangsversteigerungsverfahren des Amtsgerichts Cottbus zu den Aktenzeichen 5...folgt aus § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVGBbg.
bb) Der Antragsteller hat darüber hinaus auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Wie bereits eingangs dargelegt, kann dem Antrag mit Blick auf die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache nur dann entsprochen werden, wenn der Rechtsschutzsuchende anderenfalls unzumutbar schweren, anders nicht abwendbaren und nachträglich nicht zu beseitigenden Nachteilen ausgesetzt wäre. Solche wesentlichen Nachteile können auch Nachteile wirtschaftlicher Art sein, jedoch müssen sie, um den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen, zumindest zu einer ernsthaften wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen. Ein dringlicher Grund für eine einstweilige Anordnung ist nur anzunehmen, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen nicht zumutbar ist, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten (BayVGH, Beschluss vom 08. November 2001 – 2 CE 01.2339 –, juris Rn. 9).
Der Antragsteller hat unwidersprochen vorgetragen, dass es ihm erst rund 30 Jahre nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens mit Kaufvertrag vom 2... gelungen ist, die Grundstücke, die von dem Zwangsversteigerungsverfahren betroffen und auf dem Gebiet der ehemaligen Gemeinde H..., die zwischen 2004 und 2006 für den B... devastiert worden ist, gelegen sind, an die Bergbauberechtigte zu veräußern. Gemäß § 2 des Grundstückskaufvertrages ist der Antragsteller gegenüber der Käuferin zur Freistellung von Grundbuchbelastungen verpflichtet. Auch steht die Fälligkeit der Kaupreiszahlung in Höhe von 975.500,00 Euro u. a. unter der Bedingung, dass die Zwangsversteigerungsvermerke im Grundbuch gelöscht und die Versteigerungsverfahren rechtskräftig beendet sind, § 3 Nr. 2 Abs. 2 des Grundstückskaufvertrages. Ein ggf. mehrere Jahre andauerndes Hauptsacheverfahren birgt daher die Gefahr, dass der Kaufvertrag letztlich rückabgewickelt und der Kaufpreisanspruch – mit Blick auf die Belegenheit der betroffenen Grundstücke – für den Antragsteller auf zumindest unabsehbare Zeit verloren sein dürfte.
Darüber hinaus steht nach den Ausführungen zum Anordnungsanspruch zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Antragsteller mit seinem Begehren in einem Hauptsacheverfahren erkennbar erfolgreich sein würde. Nach summarischer Prüfung ist kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb die Vollstreckung nicht einzustellen sein sollte. Dem entspricht es auch, dass die Antragsgegnerin dem Vorbringen des Antragstellers nicht entgegengetreten ist.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Das Interesse des Antragstellers sieht die Kammer in Anlehnung an Ziffer 1.7.1 des aktuellen Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit 1/4 des Streitwerts der Hauptsache – unter Zugrundelegung der Wertangaben aus der Antragsschrift – als angemessen bewertet an. Im Übrigen sieht die Kammer von einer etwaigen weiteren Reduzierung des Streitwerts gemäß Ziffer 1.5 des aktuellen Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit schon aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache im vorliegenden Fall ab.