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Visum - Familiennachzug - subsidiär Schutzberechtigter - Kindernachzug - maßgeblicher Zeitpunkt - Ausschluss des Familiennachzugs - außergewöhnliche Härte - Visumantrag - Antragsgegenstand - Wiedereinsetzung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 05.10.2022
Aktenzeichen 3 B 3/21 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:1005.3B3.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 22 S 1 AufenthG, § 3 Abs 2c EGRL 86/2003, § 32 Abs 1 AufenthG, § 36 Abs 2 S 1 AufenthG, § 36a Abs 1 S 1 AufenthG, § 104 Abs 13 AufenthG

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der am 24. Juli 2000 geborene Kläger, ein syrischer Staatsangehöriger, begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug.

Der Vater des Klägers, K..., reiste nach seinen Angaben Anfang September 2015 allein in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 1. Juni 2016 einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkannte ihm mit Bescheid vom 10. November 2016 den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Die auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht M... mit rechtskräftigem Urteil vom 2017 ab. Der Vater ist seit dem 24. Januar 2017 Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis für subsidiär Schutzberechtigte (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG), die zuletzt bis zum 24. Juli 2024 verlängert wurde.

Unter dem 17. Februar 2018 buchte der Kläger einen Termin zum Zwecke der Beantragung eines Visums bei dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Erbil.

Mit Formular vom 29. März 2018 - eingegangen am 4. April 2018 - erklärte der Vater gegenüber der Ausländerbehörde des Landkreises G..., dass er „als anerkannter Flüchtling … den dauerhaften Familiennachzug meines Ehegatten … sowie meiner Kinder“ (darunter der Kläger) beantrage. Das Formular enthält zudem die Erklärung, dass ihm bewusst sei, dass dieser Antrag durch die Ausländerbehörde nicht weiter bearbeitet werde und er ausschließlich dazu diene, die Frist des § 29 Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu wahren.

Der Kläger reichte am 21. Februar 2019 seinen Visumantrag, unterzeichnet am 20. Februar 2019 und gerichtet auf den „Familiennachzug zum anerkannten Flüchtling“, beim Generalkonsulat in Erbil ein. Er gab in dem Visumantrag an, dass er die Schule in der zwölften Kasse besuche, aufgrund seiner emotionalen Verbundenheit zu seiner Familie jedoch nicht alleine in Syrien zurückbleiben könne. In der Bundesrepublik Deutschland wolle er seine Ausbildung beenden und hoffe dort auf eine bessere Zukunft.

Die Mutter des Klägers, die zeitgleich mit ihm ein Visum zum Familiennachzug beantragte, legte mit ihrem Antrag auch den Bescheid des Bundesamtes vom
10. November 2016 vor. In ihrem Antragsformular sind neben dem Kläger auch die beiden weiteren Kinder (eine im März 2004 geborene Tochter und ein im Mai 2010 geborener Sohn) aufgeführt. Diese sind ebenso wie der Kläger in einem allein von der Mutter unterzeichneten Fragebogen vom 20. Februar 2019 bezüglich des Nachzuges zu einem subsidiär Schutzberechtigten als Antragsteller benannt.

Das Generalkonsulat lehnte den Visumantrag des Klägers mit Bescheid vom 3. Juni 2019 unter Verweis auf dessen Volljährigkeit sowie das Nichtvorliegen einer außergewöhnlichen Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG ab.

Der Kläger hat am 15. Juli 2019 Klage mit dem Ziel der Visumerteilung zum Zweck des Familiennachzugs zu seinem Vater erhoben. Er hat darauf verwiesen, dass er am 17. Februar 2018 durch persönliche Vorsprache einen Termin über IData gebucht habe. Dem Generalkonsulat sei die Wartenummer für den Termin unter der Rubrik „Familiennachzug“ mitgeteilt worden. Er habe damit vor Eintritt der Volljährigkeit sein Begehren auf Familiennachzug hinreichend geltend gemacht. Auf diesen Zeitpunkt sei bezüglich der Frage, ob er als minderjährig anzusehen sei, abzustellen. Im Übrigen sei die Situation in Syrien für ihn besonders gefährlich, da ihm die Einziehung zum Wehrdienst und bei Verweigerung die Verhaftung und Folter drohten.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 6. November 2020 abgewiesen.

Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung führt der Kläger an, dass für ihn bereits vor Eintritt der Volljährigkeit im Januar 2018 eine „fristwahrende Anzeige“ erfolgt sei, die den Voraussetzungen für einen formlosen Antrag entspreche. Der Beklagten sei durch die Buchung eines Termins bewusst gewesen, in welcher Kategorie er ein Visum begehre. Auch seien Vor- und Nachname sowie das Geburtsdatum ebenso bekannt gewesen wie die Daten der Referenzperson. Zudem könne er sich auf einen Folgenbeseitigungsanspruch berufen. Die Aussetzung des Familiennachzuges dürfe nach den Vorgaben der Familiennachzugsrichtlinie nicht dazu führen, dass der Familiennachzug von minderjährigen Antragstellern durch Aussetzung und Erreichen der Volljährigkeit vereitelt werde. Wäre die Visumerteilung bereits nach Zuerkennung des subsidiären Schutzes an den Vater möglich gewesen, wäre das Visum weit vor Erreichen der Volljährigkeit erteilt worden. Dann aber sehe das Aufenthaltsgesetz auch die Verlängerung des Aufenthalts über die Volljährigkeit hinaus vor. § 36a AufenthG müsse verfassungs- und europarechtskonform ausgelegt werden, dass jedenfalls dann ein Nachzug auch des volljährigen Kindes gewährt werde, wenn der Antragsteller zumindest die Terminbuchung vor Erreichen der Volljährigkeit abgeschlossen habe. Dies gelte erst recht im Hinblick auf die unkalkulierbare Dauer des Asylverfahrens. Das Verwaltungsgericht setze sich nicht mit der „fristwahrenden Anzeige“ vom „4. Januar 2018“ auseinander. Zudem erweise sich der in § 104 AufenthG geregelte Ausschluss des Familiennachzugs zu subsidiären Schutzberechtigten für den Zeitraum von zwei Jahren jedenfalls dann als europarechtswidrig, wenn dieser dazu führe, dass ehemals minderjährigen Kindern der Nachzug durch Erreichen der Volljährigkeit vereitelt werde. Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2003/86/EG lasse keine Einschränkungen zu. Aus Art. 8 dieser Richtlinie folge, dass zwischen Stattgabe des Asylantrages zumindest durch Feststellung des subsidiären Schutzes und Einreise des Mitgliedes der Kernfamilie maximal zwei Jahre liegen dürften. Die Beklagte hätte daher schon wegen sich ankündigender Kapazitätsengpässe Nachzugsbegehren weit vor Ablauf der Zwei-Jahres-Frist annehmen müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. November 2020 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Erbil vom 3. Juni 2019 zu verpflichten, dem Kläger ein Visum zur Familienzusammenführung mit seinem im Bundesgebiet lebenden Vater zu erteilen,

hilfsweise, die Beklagte unter Abänderung des Urteils und entsprechender Bescheidaufhebung zu verpflichten, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beigeladene der mündlichen Verhandlung ferngeblieben ist, denn sie ist mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden (§ 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Urteil zutreffend entschieden, dass die Versagung des begehrten Visums zum Familiennachzug durch die Beklagte rechtmäßig ist, weil der Kläger darauf keinen Anspruch hat und auch ein Anspruch auf Neubescheidung nicht besteht (§ 113 Abs. 5 VwGO).

1. Ein Anspruch des Klägers auf Grundlage des § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG scheidet aus. Danach kann - hier allein relevant - minderjährigen ledigen Kindern eines Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG besitzt, aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.

Diese Bestimmung ist hier einschlägig, da dem Vater des Klägers als Referenzperson, zu der der Familiennachzug erfolgen soll, eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erstmalig am 24. Januar 2017 und somit nach dem 17. März 2016 erteilt worden war (vgl. § 104 Abs. 13 AufenthG).

Entgegen der von der Beklagten erstinstanzlich vertretenen Auffassung fehlt es für dieses Visumbegehren nach § 36a AufenthG nicht an einem vor Klageerhebung erfolglos gestellten Antrag.

Der Kläger hat mit seinem Antrag vom Februar 2019 die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seinem im Bundesgebiet lebenden Vater beantragt. Auch wenn er hierbei auf einem Formular zum „Familiennachzug zum anerkannten Flüchtling“ unterzeichnet hat, ist damit ein Antragsbegehren für den Nachzug zu einem subsidiär Schutzberechtigten nicht ausgeschlossen. Vielmehr erfasste sein Antrag bei sachdienlicher Auslegung jedenfalls unter Berücksichtigung der zeitgleich von seiner Mutter eingereichten Antragsunterlagen, aus denen bereits für das Generalkonsulat erkennbar war, dass die Referenzperson den Schutzstatus des subsidiär Schutzberechtigten inne hatte, und in denen auch der Kläger jeweils als Nachzugswilliger mit aufgeführt wurde, alle in Betracht kommenden Aufenthaltstitel aus familiären Gründen nach Kapitel 2 Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 43.06 - juris Rn. 12; Urteil vom 14. Mai 2013 - 1 C 17.12 - juris Rn. 9; Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 C 34.18 - juris Rn. 20).

Der Einwand der Beklagten, das Verwaltungsverfahren zur Erlangung eines Visums zum Zwecke des Nachzuges zum subsidiär Schutzberechtigten sei ein anderes als das für ein Visum zum Nachzug zum Flüchtling, insbesondere seien andere Behörden zu beteiligen und das  Prüfungsprogramm sei ein anderes, überzeugt nicht. Die Ausgestaltung des einem Antrag nachfolgenden Verwaltungsverfahrens kann grundsätzlich nicht für die Bestimmung des Antragsbegehrens ausschlaggebend sein. Worauf ein Antrag gerichtet ist, ist vor dem Hintergrund des Charakters des Antrags als einseitige empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung aus der Erklärung und den sonstigen für den Erklärungsempfänger erkennbaren Umständen zu ermitteln. Es kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger mit den Details des deutschen Aufenthaltsrechts in einer Weise vertraut gewesen wäre, dass ihm die Verwendung eines bestimmten Formulars im Sinne einer bindenden Konkretisierung entgegengehalten werden könnte. Vielmehr ging es zweifelsfrei darum, den Nachzug zu seinem Vater in das Bundesgebiet zu ermöglichen.

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 - juris Rn. 7; Urteil vom 26. Mai 2020 - 1 C 12.19 - juris Rn. 20; Urteil vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - juris Rn. 11). Dies gilt im Grundsatz auch für den Nachzugsanspruch von Kindern. Sofern diese Ansprüche allerdings an eine Höchstaltersgrenze geknüpft sind, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Wenn die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten wird, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhaltsänderungen zu Gunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen, die eine Höchstaltersgrenze enthalten, die der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (st. Rspr., BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 - juris Rn. 10; Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 11.12 - juris Rn. 14; Beschluss vom 2. Dezember 2014 - 1 B 21.14 - juris Rn. 6).

Es spricht Überwiegendes dafür, diese zu § 32 Abs. 1 AufenthG geklärten Maßgaben auch für § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG heranzuziehen, der gleichermaßen wie § 32 Abs. 1 AufenthG „dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers“ den Nachzug eröffnet, denn weder Zweck noch Systematik oder Entstehungsgeschichte der Norm, die den Angehörigen der Kernfamilie angesichts der ehelichen und familiären Bindungen ein Nachzug eröffnen soll, geben Anhaltspunkte für eine abweichende Bewertung (vgl. BT-Drs. 19/2438 S. 22; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Januar 2022 - OVG 3 S 87/21 - juris Rn. 11).

Danach erfüllt der am 24. Juli 2000 geborene Kläger die Voraussetzungen des § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht, da er bei Stellung seines Visumantrags am 21. Februar 2019 bereits volljährig und somit kein „minderjähriges Kind“ mehr war.

Ob stattdessen auf einen früheren, vor Eintritt der Volljährigkeit gelegenen Moment abzustellen wäre, kann hier dahinstehen. Gleich, ob insoweit die Stellung des Asylantrages durch den Vater des Klägers am 1. Juni 2016 oder die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus an diesen durch Bescheid vom 10. November 2016, die Buchung eines Vorsprachetermins beim Generalkonsulat der Bundesrepublik in Erbil durch den Kläger am 17. Februar 2018 oder der am 4. April 2018 bei der Ausländerbehörde G... eingegangene „Antrag“ seines Vaters in Blick genommen wird, bestand zu keinem dieser Zeitpunkte eine Rechtsgrundlage, die dem Kläger einen Familiennachzug zu seinem als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Vater eröffnet hätte. Vielmehr war ein solcher Nachzug durch die Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG a.F., die mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) eingefügt und durch Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten vom 8. März 2018 (BGBl. I 2018 S. 342) verändert worden war, im Zeitraum vom 17. März 2016 bis 31. Juli 2018 ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. November 2020 - OVG 6 B 6.19 - juris Rn. 20 ff.).

Diese inzwischen abgelöste Regelung verstieß weder gegen Verfassungsrecht noch war sie mit Unionsrecht unvereinbar.

Art. 6 Abs. 1 und 2 GG stand einer Aussetzung des Familiennachzugs nicht entgegen. Diese Verfassungsnorm gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt, erfordert jedoch bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen, die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17; Beschluss vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - juris Rn. 11; Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12; BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2013 - 10 C 5.13 - juris Rn. 4 f.). Grundsätzlich überantwortet das Grundgesetz die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Ausländern der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt, wobei dem Ziel der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern von Verfassungs wegen erhebliches Gewicht beigemessen werden darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - juris Rn. 96; Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17 m.w.N.). Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben genügte die Regelung in § 104 Abs. 13 AufenthG a.F. Im Gesetzgebungsverfahren wurde das Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 GG beachtet. Zwar wurde die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten für zwei Jahre mit Blick auf die hohe Zahl der Schutzsuchenden im Jahre 2015, die eine hohe Zahl von Anträgen auf Familiennachzug erwarten ließ, im Interesse der Aufnahme- und Integrationssysteme in Staat und Gesellschaft als erforderlich angesehen (vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 1). Zugleich aber eröffnete die ausdrückliche Bezugnahme auf §§ 22, 23 AufenthG weiterhin die Möglichkeit, in besonderen Einzelfällen Familientrennungen, die mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren wären, über die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 AufenthG zu vermeiden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 1 B 26.19, 1 PKH 12.19 - juris Rn. 13; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. November 2020 - OVG 6 B 6.19 - juris Rn. 32).

Insoweit folgen auch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK oder Art. 7 GRC keine weiter gehenden Ansprüche. Auch diese Normen unterstreichen die Bedeutung des Familienlebens, sie begründen aber für die Mitglieder einer Familie kein subjektives Recht auf Aufnahme im Hoheitsgebiet eines Staates (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 - C-540/03, Parlament/Rat - juris Rn. 54, 58 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. November 2020 - OVG 6 B 6.19 - juris Rn. 32; Beschluss vom 19. September 2017 - OVG 3 S 52.17, OVG 3 M 93.17 - juris Rn. 9).

Eine Unvereinbarkeit von § 104 Abs. 13 AufenthG a.F. mit Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenso wenig gegeben. Auch wenn nur der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nicht jedoch der Familiennachzug zu Flüchtlingen ausgesetzt wurde, liegt keine relevante Ungleichbehandlung vor. Denn zwischen beiden Personengruppen bestehen wesentliche Unterschiede, wie schon die Regelung über den nur befristet möglichen Widerruf der Anerkennung als Flüchtling in § 73 Abs. 2a AsylG, während eine solche Frist beim Widerruf des subsidiären Schutzes gemäß § 73b AsylG nicht vorgesehen ist, zeigt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom
23. November 2020 - OVG 6 B 6.19 - juris Rn. 34; Beschluss vom 19. September 2017 - OVG 3 S 52.17, OVG 3 M 93.17 - juris Rn. 10).

Der vorübergehenden Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten steht auch Unionsrecht nicht entgegen. Insbesondere die Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16, A. und S. -; Urteil vom 1. August 2022 - C-279/20, Bundesrepublik Deutschland (Familienzusammenführung eines volljährig gewordenen Kindes) -, jeweils juris) lassen sich - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht gegen die Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG a.F. anführen. Denn die Richtlinie 2003/86/EG ist - wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat - auf den Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen zu einem subsidiär Schutzberechtigten gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. c) dieser Richtlinie nicht anwendbar (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2018 - C-380/17, K. und B. - juris Rn. 33; Urteil vom 13. März 2019 - C-635/17, E. - juris Rn. 33 f.; vgl. zuletzt Schlussanträge des Generalanwalts Pikamäe vom 30. September 2021 - C-483/20, Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides (Familienverband - bereits gewährter Schutz) - juris Rn. 46; s. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 - OVG 3 B 38.19 - juris Rn. 18). Daher geht auch der Einwand des Klägers ins Leere, gemäß Art. 8 der Richtlinie 2003/86/EG dürfe die Trennungsdauer einen Zeitraum von zwei Jahren nicht überschreiten (s. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. November 2020 - OVG 6 B 6.19 - juris Rn. 27).

Auch der Umstand, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2011/95/EU unter den einheitlichen unionsrechtlichen Status des internationalen Schutzes fallen, steht der Aussetzungsentscheidung des Gesetzgebers nicht entgegen. Beide Schutzformen stimmen trotz einer bereits zum Teil erfolgten (vgl. z.B. Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU) und einer weiterhin angestrebten Angleichung (vgl. Erwägungsgrund 39 der Richtlinie 2011/95/EU) nicht vollständig überein und sind dementsprechend in den unionsrechtlichen Vorschriften zum Aufenthalts- und Asylrecht unterschiedlich ausgestaltet (s. Art. 3 Abs. 2 lit. c) der Richtlinie 2003/86/EG, Art. 24, 25 der Richtlinie 2011/95/EU; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 - OVG 3 B 38.19 - juris Rn. 19; Urteil vom 23. November 2020 - OVG 6 B 6.19 - juris Rn. 28).

Die für alle international Schutzberechtigten geltende Verpflichtung der Mitgliedstaaten in Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU, dafür Sorge zu tragen, dass der Familienverband aufrechterhalten (nicht: wiederhergestellt) werden kann (vgl. auch andere Sprachfassungen: „family unity can be maintained“ (en), „l’unité familiale puisse être maintenue“ (fr), „possa essere preservata l’unità del nucleo familiare“ (it)), greift hier nicht ein. Sie erfordert, wie die Definition des Familienangehörigen in Art. 2 lit. j) der Richtlinie 2011/95/EU zeigt, dass sich die Familienmitglieder bereits im Mitgliedstaat befinden und eröffnet somit kein Nachzugsrecht von Familienmitgliedern (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2016 - OVG 3 S 106.16 - juris Rn. 10; Urteil vom 22. September 2020 - OVG 3 B 38.19 - juris Rn. 20; Urteil vom 23. November 2020 - OVG 6 B 6.19 - juris Rn. 29).

Für die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemachte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist kein Raum. Bei der Frage, ob das Tatbestandsmerkmal des § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG „minderjähriges Kind“ gegeben ist, steht nicht die Wahrung einer gesetzlichen Frist im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, der wegen § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG ohnehin allenfalls entsprechend anwendbar wäre, in Rede (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Juni 2019 - OVG 3 M 98.19 - juris Rn. 3; Beschluss vom 25. Januar 2022 - OVG 3 S 87/21 - juris Rn. 21). Abgesehen davon kommt eine „Wiedereinsetzung“ auch deshalb nicht in Betracht, weil sie einer Umgehung der zulässigen gesetzgeberischen Entscheidung für den vorübergehenden Ausschluss eines Familiennachzugs zum subsidiär Schutzberechtigten gleichkäme.

2. Ein Anspruch des Klägers auf Nachzug zu seinem Vater scheidet auch auf der Grundlage von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus, weil nicht festzustellen ist, dass der Nachzug zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist.

Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt voraus, dass der im Ausland oder Inland lebende schutzbedürftige Familienangehörige im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung allein ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung und Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. März 2011 - 1 C 7.10 - juris Rn. 10; Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 - juris Rn. 23; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2011 - OVG 3 B 17.10 - juris Rn. 23; Urteil vom 15. Oktober 2014 - OVG 6 B 1.14 - juris Rn. 14). Maßgeblich ist, wie sich die familiäre Situation bei objektiver Betrachtung im Entscheidungszeitpunkt darstellt, d.h. ob die Versagung einer Familienzusammenführung angesichts der aktuellen familiären Situation im Hinblick auf höherrangiges Recht schlechthin unvertretbar wäre (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Oktober 2021 - OVG 3 S 43/21 - juris Rn. 11; Beschluss vom 25. Januar 2022 - OVG 3 S 87/21 - juris Rn. 4). Für eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne bietet das klägerische Vorbringen auch im Berufungsverfahren weder in Bezug auf den Kläger noch hinsichtlich seines Vaters hinreichende Ansatzpunkte. Auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 13 bis 15 des Urteils) wird Bezug genommen.

3. Ebenso wenig kann der Kläger einen Anspruch auf Erteilung eines Visums bzw. Neubescheidung seines Visumantrages aus § 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 36a Abs. 1 Satz 4 und § 22 Satz 1 AufenthG herleiten.

Die Anwendung des § 36a Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 22 AufenthG kann bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG in besonderen Härtefällen, in denen die Verweigerung des Nachzugs grundrechtswidrig wäre, mit Blick auf die in § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG vorgesehene Beschränkung der Erteilung von monatlich höchstens 1.000 Visa im Einzelfall geboten sein. Dann wäre für den Fall einer Nichtberücksichtigung bei der Auswahlentscheidung nach § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG zugleich eine Verpflichtung zur Erteilung eines Visums gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zum Zwecke der Aufnahme aus dem Ausland nach § 22 Satz 1 AufenthG auszusprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - juris Rn. 48). Vorliegend sind jedoch - wie dargelegt - schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG nicht erfüllt.

Auch ein unmittelbar aus § 22 Satz 1 AufenthG folgender Anspruch ist nicht gegeben. Danach kann einem Ausländer für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Laut Gesetzesbegründung liegen völkerrechtliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis insbesondere vor, wenn die Aufnahme auf Grund internationaler Verpflichtungen erfolgt (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 77). Dringende humanitäre Gründe können dabei nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen bejaht werden. Sie liegen nur dann vor, wenn sich der Ausländer auf Grund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2018 - OVG 3 S 109.17 - juris Rn. 4; Urteil vom 5. Dezember 2018 - OVG 3 B 8.18 - juris Rn. 39). Sie sind aber zum anderen auch dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles eine Fortdauer der räumlichen Trennung der Angehörigen der Kernfamilie des subsidiär Schutzberechtigten mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG nicht länger vereinbar erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - juris Rn. 49).

Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. So sind völkerrechtliche Gründe in Form von internationalen Verpflichtungen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ebenfalls ist nicht ersichtlich, dass sich die Situation des Klägers von der Situation anderer volljähriger syrischer Staatsangehöriger unterscheidet, deren Eltern das Herkunftsland verlassen haben. Schließlich erfordert auch der besondere Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie Art. 7 und 24 GRC keine Visumerteilung unter Heranziehung des § 22 Satz 1 AufenthG. In der Situation des Klägers bzw. seiner weiteren Familienmitglieder sind - gerade angesichts der Volljährigkeit des Klägers und der fehlenden Hinweise auf eine außergewöhnliche Abhängigkeit der Familienangehörigen voneinander - keine Besonderheiten erkennbar, die eine weitere Trennung mit den genannten Grundrechten unvereinbar erscheinen lassen.

4. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger unter Verweis auf die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten auf einen Folgenbeseitigungsanspruch. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Visumerteilung im Wege der Folgenbeseitigung scheidet schon deshalb aus, weil die Aussetzungsregelung des § 104 Abs. 13 AufenthG a.F. - wie bereits dargelegt - weder gegen Verfassungsrecht noch gegen unionsrechtliche Vorgaben verstieß. Abgesehen davon erfasst der Folgenbeseitigungsanspruch nur rechtswidriges Behördenhandeln. Er ist für legislative Fehlleistungen nicht anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2016 - 2 C 11.15 - juris Rn. 35).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) im Hinblick auf die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Bestimmung der Minderjährigkeit im Sinne des § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG zuzulassen.