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Entscheidung 9 UF 154/18


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 15.06.2020
Aktenzeichen 9 UF 154/18 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2020:0615.9UF154.18.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 3. Juli 2018 - Az. 5 F 357/17 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Zahlungspflicht des Antragsgegners bis zum 16. Oktober 2019 befristet ist und sich auf insgesamt 12.430 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.320 EUR seit dem 8. Juli 2017, auf jeweils 290 EUR seit dem 4. Juli 2017, 4. August 2017, 4. September 2017, 4. Oktober 2017, 4. November 2017, 4. Dezember 2017, 4. Januar 2018, 5. Februar 2018, 5. März 2018, 4. April 2018, 4. Mai 2018, 4. Juni 2018, 4. Juli 2018, 4. August 2018, 4. September 2018, 4. Oktober 2018, 5. November 2018, 4. Dezember 2018, 4. Januar 2019, 4. Februar 2019, 4. März 2019, 4. April 2019, 4. Mai 2019, 4. Juni 2019, 4. Juli 2019, 5. August 2019, 4. September 2019 und aus 150 EUR seit dem 4. Oktober 2019 beläuft.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

3. Der Beschwerdewert wird auf bis 5.000 EUR festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten – getrennt lebende und inzwischen seit dem... Oktober 2019 rechtskräftig geschiedene Eheleute – streiten um Nutzungsentschädigungsansprüche für die Zeit seit August 2015 und nunmehr ausdrücklich befristet bis zum 16. Oktober 2019.

Die Beteiligten sind hälftige Miteigentümer des in der ...straße ... in... Sch... gelegenen Hausgrundstücks, das bis zur räumlichen Trennung der Beteiligten durch Auszug der Antragstellerin am... August 2014 als Ehewohnung diente und seither bzw. jedenfalls im gesamten Streitzeitraum durch den Antragsgegner genutzt wurde. Das Grundstück ist 804 qm groß und nach Um- und Ausbau einer Bestandsimmobilie nach 2006 mit einem unterkellerten Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von bis zu 240 qm (jetzt streitig) bebaut und verfügt außerdem über einen (beheizbaren) Außenpool und eine (beheizbare) Garage. Die mit 821 EUR monatlich unstreitig gestellten (Kredit-)Lasten des Hausgrundstücks hat der Antragsgegner, der bis Mitte Dezember 2017 Leistungen nach dem SGB II bezogen hat, mit Unterstützung seiner Eltern getragen.

Die - zunächst in Vollzeit und später mit 30-Wochenstunden erwerbstätige - Antragstellerin hat den Antragsgegner erstmals mit Schreiben vom 28. November 2014 wegen Nutzungsentschädigung in Anspruch genommen und diese im Juni 2017 für die Zeit seit August 2015 gerichtlich geltend gemacht.

Der Antragsgegner hat Zurückweisung der Zahlungsanträge beantragt und sich u.a. auf Leistungsunfähigkeit berufen.

Mit Beschluss vom 3. Juli 2018 hat das Amtsgericht den Antragsgegner zur Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung von 290 EUR ab Juli 2017 und zur Zahlung eines rückständigen Nutzungsentgelts von 5.320 EUR für die Zeit von August 2015 bis Juni 2017 verpflichtet. Es hat dabei anknüpfend an die Forderung der Antragstellerin einen Kaltmietzins für die Immobilie von zunächst 1.100 EUR, ab 2016 von 1.300 EUR und ab 2017 von 1.400 EUR zugrunde gelegt und die mit 821 EUR monatlich bezifferten grundstücksbezogenen Lasten in Abzug gebracht. Wegen der Berechnung des Zahlungsanspruchs im Einzelnen und der weiteren Begründung wird auf den Beschluss des Amtsgerichts Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung seines Vorbringens aus erster Instanz weiterhin die vollständige Abweisung des Zahlungsantrages zu erreichen sucht.

Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung mit näherer Darlegung.

Mit Blick auf die zwischenzeitlich eingetretene Rechtskraft der Scheidung am... Oktober 2019 hat die Antragstellerin ihren Zahlungsanspruch mit Schriftsatz vom 3. Februar 2020 auf die Zeit bis zum 16. Oktober 2019 und auf einen Betrag von 12.430 EUR (nebst Zinsen) beschränkt; im Übrigen haben die Beteiligten im Verhandlungstermin am 4. Juni 2020 übereinstimmend Hauptsacheerledigung erklärt.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 FamFG statthaft und form- und fristgerecht gemäß §§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG eingelegt worden, mithin zulässig. In der Sache selbst hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat den Antragsgegner sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht gemäß § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit seit August 2015 verpflichtet; es hat sich mit den Argumenten des Antragsgegners erschöpfend und beanstandungsfrei auseinandergesetzt und in eine vom Senat uneingeschränkt geteilte Billigkeitsabwägung einbezogen. Das – im Wesentlichen in der Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens bestehende – Beschwerdevorbringen rechtfertigt weder eine Herabsetzung der Zahlungsverpflichtung noch gar die Zurückweisung des Zahlungsantrages insgesamt. Deshalb kann zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Gründe der familiengerichtlichen Entscheidung vom 20. Oktober 2017 verwiesen werden, die in der gebotenen Kürze aufgrund des weitergehenden Beschwerdevorbringens wie folgt zu ergänzen sind:

Soweit der Antragsgegner in der zweiten Instanz unter verschiedenen Aspekten eine Herabsetzung des vom Amtsgericht angesetzten Kaltmietwerts des Hausgrundstücks zu erreichen sucht, kann er damit keinen Erfolg haben.

Für die – erstmals im Beschwerderechtszug vorgetragene – Behauptung, die Wohnfläche betrage nicht 240 qm, sondern belaufe sich auf nur 170 qm, fehlt dafür jeder greifbare Anhaltspunkt. Soweit sich der Antragsgegner hierzu im Anhörungstermin vor dem Senat allgemein auf Bauunterlagen bezogen hat, ist festzustellen, dass in den von der Antragstellerin erstinstanzlich eingereichten Bauunterlagen eine Gesamtnutzfläche nach Anbau von 287,84 qm angegeben ist (inkl. Keller und Dachgeschoss). Es mag anzunehmen sein, dass die (mutmaßlich baurechtlich nach DIN 277 ermittelte) Gesamtnutzfläche mit einer den Vorgaben der Wohnflächenverordnung folgenden Ermittlung der Wohnfläche nicht identisch ist; fundierte Anknüpfungstatsachen für die von ihm reklamierte Wohnfläche von nur 170 qm bleibt der Antragsgegner jedenfalls schuldig. Selbst wenn man nur 200 qm berücksichtigen wollte, gelangt man mit den vom Amtsgericht angesetzten Kaltmietwerten für das gesamte Objekt von zunächst 1.100 (2015) über 1.300 (2016) bis auf 1.400 EUR (seit 2017) auf einen qm-Preis von 5,50 EUR in 2015, 6,50 EUR in 2016 und 7,00 EUR ab 2017, die in und um Sch... ohne Weiteres aufgerufen wurden/werden. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht der Nutzwert einer einzelnen Wohnung, sondern einer freistehenden Immobilie innerhalb des – seit Jahren sehr nachgefragten - B... R..., die 2006 umfangreich saniert und um einen Anbau ergänzt worden ist und eine insgesamt gehobene Ausstattung aufweist. Das Amtsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass gerade in Ansehung der örtlichen Lage der Immobilie und ihrer Ausstattung die hier angesetzten Beträge eher deutlich zu niedrig angesetzt sind im Vergleich zur erzielbaren Nettokaltmiete bei Vermietung am freien Markt.

Soweit der Antragsgegner zuletzt Zweifel zur Höhe des Mietwertes darauf zu stützen gesucht hat, dass die (ausgleichspflichtige ?) Antragstellerin im noch anhängigen Zugewinnausgleichsverfahren den Grundstückswert nur mit 250.000 EUR angesetzt wissen will, überzeugt das nicht. Das mag widersprüchlich sein, ist aber nicht geeignet, die vorstehenden Aspekte auch nur tauglich in Frage zu stellen.

Soweit der Antragsgegner im Beschwerderechtszug eine Unbewohnbarkeit wegen statischer Mängel anführt, kann er auch damit keinen Erfolg haben. Richtig ist allein, dass der Antragsgegner (die Beteiligten) bewusst und sehr durchdacht - nämlich mit dem Versuch der Kompensation der Eingriffe durch Verstärkung an anderer Stelle - im Dachbereich von der Bauplanung abgerückt ist (sind) und deshalb jetzt die ursprüngliche statische Berechnung nicht mehr ohne Weiteres zugrunde gelegt werden kann. Der vom Antragsteller mit einer abstrakten Einschätzung (ex cathedra, also ohne Bauuntersuchung) beauftragte Dipl.-Ing. M... hat auch lediglich eine dringende Empfehlung zur Überprüfung abgegeben und eher die Annahme als die Feststellung einer „eingeschränkten Tragfähigkeit“ in den Raum gestellt. Das trägt aber nicht den Schluss auf baustatische Bedenken. Der Antragsgegner und seine Familie haben das Hausgrundstück in Kenntnis dieser Eingriffe jahrelang angstfrei genutzt; in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht hat sich an der Bewohnbarkeit des Hausgrundstücks nichts geändert. Wenn der Antragsgegner heute behauptet, er habe sich seit Offenbarung dieser gutachterlichen Einschätzung auf die Nutzung des Nebengebäudes und schlafe im Keller, ist das nicht glaubhaft. Zu sonstigen Mängeln des Objekts, die zweitinstanzlich anklingen, ist ein substantiierter Vortrag nicht geleistet worden.

Eine Korrektur des erstinstanzlich antragsgemäß zugrunde gelegten Kaltmietwerts ist nach alledem nicht veranlasst. Die sich unstreitig auf 821 EUR monatlich belaufenden Grundstückslasten sind zutreffend abgezogen worden, so dass sich im Streitzeitraum vom 1. August 2015 bis zum 16. Oktober 2019 ein Nutzungsentgeltanspruch von (jedenfalls) 12.430 EUR ergibt.

Das Amtsgericht hat insbesondere auch zu Recht festgestellt, dass der Antragsgegner mit dem Einwand unzureichender Leistungsfähigkeit nicht durchdringen kann.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass zwischen den Ehegatten etwa bestehende Unterhaltspflichten in die Billigkeitsabwägung nach § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB jedenfalls insoweit einzubeziehen sind, als bereits rechtskräftig über sie entschieden wurde. Das folgt aus dem Verbot der Doppelverwertung (vgl. dazu OLG Köln FamRZ 2005, 639; OLG Naumburg FamRZ 2009, 2090 OLG Bremen FamRB 2014, 241; OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 775). So liegt der Fall hier zwar nicht, aber auch in Fällen einer fehlenden Unterhaltsregelung im Rahmen der bei der Prüfung des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung vorzunehmenden Billigkeitsabwägung eine einheitliche wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten, welche darauf abstellt, ob der in der Ehewohnung verbliebene Ehegatte im Falle der von ihm abgelehnten Zahlung einer Nutzungsentschädigung gegen den anderen Ehegatten - unabhängig von dessen tatsächlicher Geltendmachung - einen Anspruch auf Trennungsunterhalt hätte. Allerdings kann die Einbeziehung etwa bestehender Unterhaltspflichten nicht so weit gehen, dass die in einem Unterhaltsverfahren zu klärenden und hier schon im Ansatz umstrittenen tatsächlichen und rechtlichen Fragen (einschließlich etwaiger fiktivver Verdienstmöglichkeiten) im Ehewohnungsverfahren nach § 1361b BGB entschieden werden; dafür bietet der wechselseitige Vortrag zu den unterhaltsrelevanten Tatsachen im Streitzeitraum auch tatsächlich keine ausreichend tragfähige Grundlage.

Es ist durchaus denkbar, dass rein rechnerisch dem bis Ende 2017 von Leistungen nach dem SGB II und zuletzt einem Nebenverdienst aus geringfügiger Tätigkeit lebenden Antragsgegner - trotz des zwischenzeitlich mit dem Versicherer des Unfallverursachers abgeschlossenen Vergleichs, der nach den Ausführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 26. Mai 2020 ausdrücklich „auch die Erwerbseinbußen des Beschwerdeführers umfasst“, - bei Verpflichtung zur Zahlung des in Rede stehenden Nutzungsentgelts ein Unterhaltsanspruch gegen die Antragstellerin aus § 1361 Abs. 1 BGB zustehen würde. Das rechtfertigt unter den hier obwaltenden Umständen indes keinesfalls die Feststellung, dass dann zumindest für diesen Teilzeitraum aus Billigkeitsgründen keine Nutzungsentschädigung geschuldet wäre.

Angesprochen sind in diesem Zusammenhang eher Fälle, in denen der fortgesetzten Nutzung eine Wohnungszuweisung vorangegangen ist und der in engen finanziellen Verhältnissen lebende Nutzungsberechtigte gemeinsame minderjährige Kinder betreut und versorgt. Eine vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor. Völlig zu Recht hat bereits das Familiengericht jedenfalls für den hier vorliegenden Fall jahrelanger Nutzung über die Rechtshängigkeit des von dem Antragsgegner selbst eingeleiteten Scheidungsverfahrens hinaus dem Aspekt der wechselseitigen Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Belange des Mitberechtigten und dem Grundsatz der zunehmenden Eigenverantwortung besondere Bedeutung im Rahmen der Billigkeitsabwägung beigemessen. Der - keineswegs erwerbsunfähige - Antragsgegner hat über Jahre eine für die alleinige Nutzung eines Empfängers von Hartz IV-Leistungen offensichtlich unangemessen große Immobilie genutzt, die er sich ebenso offenkundig nicht leisten konnte; selbst die (den Kaltmietwert deutlich nicht erreichenden) laufenden Lasten konnte er nur mit massiver finanzieller Unterstützung seiner Eltern aufbringen. Im selben Zeitraum hat die mitberechtigte Antragstellerin aus eigener Erwerbstätigkeit neben den Kosten ihres Lebensunterhalts auch die Aufwendungen für eine eigene Unterkunft tragen müssen. Es hätte sich bei dieser Sachlage aufgedrängt, dass der Antragsgegner sich eigenen angemessen bescheidenen Wohnraum sucht und die Immobilie entweder durch die wirtschaftlich jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht durchgehend stärkere, wahrscheinlich selbst aber auch nicht ausreichend finanzkräftige Antragstellerin (für eine Nutzungsentschädigung in umgekehrter Richtung) genutzt oder diese anderweitig verwertet wird (Vermietung, Verkauf) und auf diese Weise beide Beteiligte an dem Nutz-/Vermögenswert partizipieren. Bei der gegebenen Sachlage wäre es vielmehr unbillig, wenn der Antragsgegner in Kenntnis des Zahlungsverlangens der Antragstellerin und eigener Leistungsunfähigkeit über Jahre eine für seine Verhältnisse „Luxusimmobilie“ unentgeltlich zu nutzen berechtigt sein sollte. Es ist gerade auch unter Billigkeitsaspekten vielmehr geboten, die Antragstellerin für den jahrelangen Verlust ihrer Nutzungsmöglichkeit an dem Hausgrundstück, das sie zuvor im Rahmen der Ehe in gleicher Weise wie der Antragsgegner genutzt hat und dessen hälftige Miteigentümerin sie ist, angemessen zu entschädigen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.

Die Wertfestsetzung beruht auf § 40 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1, 1. Alt., Abs. 3 FamGKG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor.