Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 25.05.2023 | |
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Aktenzeichen | 9 L 25/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0525.9L25.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 20i Abs 3 S 13 Nr 2 SGB 5, TestV, 40 Abs 1 Satz 1 VwGO, § 51 Abs 1 Nr 2 SGG, § 17a Abs 2 Satz 1 GVG, § 57 Abs 1 S1 Halbs 1 SGG, § 17a Abs 4 S 3 bis 5 GVG |
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. April 2023 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die weitere Beschwerde wird zugelassen.
I.
Die Beteiligten streiten um die Abrechnung von Leistungen nach der Coronarvirus-Testverordnung – TestV – für April 2022.
Der Klägerin ist zur Durchführung von Testungen auf den Erreger des Coronavirus SARS-CoV-2 nach der TestV berechtigt und betreibt hierfür eine Testeinrichtung. Die Beklagte zahlte der Klägerin für April 2022 52.326,38 Euro aus. Die Beklagte setzte durch Bescheid vom 23. August 2022 den Vergütungsanspruch für April 2022 auf 28.050,00 Euro fest und forderte 24.276,38 Euro zurück. Auf den Widerspruch der Klägerin reduzierte die Beklagte die Rückforderung auf 17.826,38 Euro. Gegen diese Rückforderung wendet sich die Klägerin.
Das Verwaltungsgericht hat nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss vom 27. April 2023 den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin verwiesen. Der Beschluss ist der Beklagten am folgenden Tag zugestellt worden. Am 3. Mai 2023 hat sie Beschwerde erhoben.
II.
Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 146 VwGO statthafte Rechtswegbeschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin verwiesen.
Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs.
Für Streitigkeiten in Bezug auf die zwischen den Beteiligten strittige Abrechnung nach der TestV gibt es keine aufdrängende Sonderzuweisung auf den Verwaltungsrechtsweg. Dies ist, soweit ersichtlich, allgemein anerkannt (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 29. März 2023 – 8 B 20/23 –, juris Rn. 13 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2023 – L 7 KA 29/22 B ER –, juris Rn. 9; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Oktober 2022 – L 16 KR 433/22 B ER –, juris Rn. 4). Ebenfalls ist anerkannt, dass es sich bei dem diesbezüglichen Streit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 29. März 2023 – 8 B 20/23 –, juris Rn. 11 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2023 – L 7 KA 29/22 B ER –, juris Rn. 10). Umstritten ist allein, ob insoweit eine abdrängende Sonderzuweisung an die Sozialgerichtsbarkeit besteht. Das ist mit dem Verwaltungsgerichtshof Kassel (Beschluss vom 29. März 2023 – 8 B 20/23 –, juris Rn. 15 ff.) und dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 28. Oktober 2022 – L 16 KR 433/22 B ER –, juris Rn. 2 f.) entgegen dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 17. Januar 2023 – L 7 KA 29/22 B ER –, juris Rn. 11 ff.) zu bejahen. Denn es handelt sich um eine Streitigkeit, die § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG unterfällt.
Nach dieser Vorschrift sind der Sozialgerichtsbarkeit Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, die im Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – SGB V – geregelt sind, zugewiesen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 6. Juli 2022 – 3 B 40/21 –, juris Rn. 15) handelt es sich um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn das Rechtsverhältnis dem speziellen Recht der gesetzlichen Krankenversicherung unterliege, die Streitigkeit also ihre Grundlage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung habe und die maßgeblichen Normen dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen seien. Das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 6. Juli 2022 – 3 B 40/21 –, juris Rn. 27 f.) betont, dass die Bestimmung des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers den Maßgaben aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügen müsse. Mit der Garantie des gesetzlichen Richters solle der Gefahr jedweder Form der „Manipulation“ vorgebeugt werden. Es müsse daher im Voraus, abstrakt-generell und hinreichend klar bestimmt sein, wer als gesetzlicher Richter zur Entscheidung berufen sei. Die Festlegung müsse anhand von Kriterien erfolgen, die subjektive Wertungen weitgehend ausschließen und unnötige Spielräume vermeiden könnten. Die Bestimmung des zulässigen Rechtswegs sei danach vornehmlich an formalen Kriterien zu orientieren. So könne gewährleistet werden, dass das zuständige Gericht bereits bei Eingang der Rechtssache ohne nähere Sachprüfung bestimmt werden könne.
Diese Grundsätze sind auch für das Bundessozialgericht tragend. Nach dessen Rechtsprechung (Beschluss vom 5. Mai 2021 – B 6 SF 1/20 R –, juris Rn. 30 und 32) erfasst die Zuweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG alle Rechtstreitigkeiten, bei denen die vom Kläger hergeleitete Rechtsfolge ihre Grundlage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung haben könne. Maßgeblich sei, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge wesentlich von Bestimmungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung geprägt sei. Das Bundessozialgericht (Beschluss vom 5. Mai 2021 – B 6 SF 1/20 R –, juris Rn. 35) legt bei der Feststellung des zulässigen Rechtswegs ebenfalls formale Erwägungen zugrunde.
Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts ist zu folgen. Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) streitet dafür, die Zuständigkeit von Gerichten anhand von einfachen, eher formalen Kriterien zu bestimmen. Danach reicht es für die Annahme, dass der vorliegende Rechtsstreit in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit fällt, aus, dass Vorschriften aus der TestV und damit aus einer Rechtsverordnung streitentscheidend sind, die ihre Ermächtigungsgrundlage insoweit in § 20i Abs. 3 Satz 13 Nr. 2 SGB V findet. Das nach dem Gesetzeswortlaut Naheliegende ist nicht noch einer Prüfung zu unterziehen, die letztendlich darauf abstellt, ob eigentlich eine andere Regelung angemessener wäre. Dementsprechend ist nicht weiter zu prüfen, ob die Ermächtigungsgrundlage etwas regelt, dass in Wahrheit oder eigentlich nicht zum gesetzlichen Krankenversicherungsrecht im Sinne des SGB V gehört. Ohnehin kann der Gesetzgeber die Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung durch Änderungen des SGB V erweitern.
Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Berlin ergibt sich aus § 57 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Anfechtung der Entscheidung über die Verweisung löst ein selbständiges Rechtsmittelverfahren aus, in dem nach den allgemeinen Vorschriften über die Kosten zu befinden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2022 – 3 B 29/21 –, juris Rn. 22). Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden daher nicht nach § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG Teil der Kosten, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtstreit verwiesen worden ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. November 2020 – 8 OB 106/20 –, juris Rn. 9).
Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil für das Beschwerdeverfahren eine Festgebühr nach Nummer 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfällt.
Die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage nach dem Rechtsweg in Streitigkeiten zwischen Betreibern von Testeinrichtungen nach der TestV und der Beklagten über die Abrechnung von Leistungen nach der TestV zugelassen (§ 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG).