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Entscheidung 5 U 20/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 5. Zivilsenat Entscheidungsdatum 30.03.2023
Aktenzeichen 5 U 20/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0330.5U20.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 10. Dezember 2021 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam, Az. 8 O 306/20, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Potsdam ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 19.150,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagte als Motorhersteller Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal geltend.

Er erwarb mit Kaufvertrag vom 15. März 2016 einen Audi Q7 3,0 l Quattro Typ 4M als Gebrauchtfahrzeug zu einem Kaufpreis von 76.600,- EUR brutto. Der Pkw, der am 26. Oktober 2015 erstzugelassen worden war, wies im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses eine Laufleistung von 20.173 km auf. Das erworbene Fahrzeug mit der FIN ... war mit einem von der Beklagten entwickelten und produzierten Motor EA 897/Gen2Evo 3.0 l, V-TDI mit einer Leistung von 200 kw ausgestattet, er gehört der Schadstoffklasse Euro 6 an.

Der Kläger verkaufte das Fahrzeug am 7. Februar 2020 bei einem km-Stand von 107.642 km zum Preis von 39.000,- EUR.

Wegen des Parteivorbringens erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf die Darstellung im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte dargelegt. Die Ausführungen des Klägers zu einem angeordneten Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (künftig KBA) betreffend verschiedener Audi-Modelle bezögen sich nicht auf den hier vorliegenden Motorentyp. Das KBA habe zu dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp ausgeführt, dass die für die Emissionsgenehmigung zuständige Genehmigungsbehörde Luxemburgs eine Konformitätsabweichung festgestellt und infolgedessen die Emissionsgenehmigung vorübergehend suspendiert habe. Unabhängig davon fehle der deliktische Schädigungsvorsatz. Auch das Thermofenster sei nicht geeignet, einen Sittenwidrigkeitsvorwurf zu begründen, da es keine Prüfstandserkennung beinhalte. Zudem diene das Thermofenster dem Bauteilschutz, weswegen eine Einschätzung, es sei im Sinne der Verordnung zulässig, jedenfalls vertretbare Gesetzesauslegung sei.

Gegen dieses, ihm am 14. Dezember 2021 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 14. Januar 2022 eingegangenen Berufung, die er mit am 14. Februar 2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz wie folgt begründet:

Das Landgericht habe sein Vorbringen unberücksichtigt gelassen. Das Fahrzeug sei von einer Rückrufaktion mit dem Hersteller Code „23X6“ betroffen, die mit „A-Diesel-Emissionsminderung“ beschrieben werde. Der streitgegenständliche Pkw verfüge damit über mindestens eine illegale Abschalteinrichtung. Es sei ihm mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Konzeption und Funktionsweise des in seinem Fahrzeug eingebauten Motors einschließlich des Systems zur Verringerung des Stickoxidausstoßes nicht möglich und zumutbar, weitere Einzelheiten anzugeben. Die als Anlagen DB2 und DB3 vorgelegten Auszüge aus der Rückrufdatenbank gäben aber tatsächliche Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung. Das Landgericht hätte daher in eine Beweisaufnahme eintreten müssen. Zudem hätte die Beklagte Näheres zur Wirkweise und den Ergebnissen der Abgasreinigung vor und nach dem Software-Update ausführen und beweisen müssen.

Das Landgericht habe es versäumt, der Beklagten Ausführungen aufzugeben, inwieweit sie von der Zulässigkeit des von ihr verwendeten Emissionskontrollsystems ausgegangen sei.

Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen zu schädigender Handlung, Sittenwidrigkeit, Vorsatz der Beklagten und Kausalität der Täuschung für den Abschluss des Kaufvertrages.

Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2022 (Bl. 235 ff) meint er, Art 4 VO 715/2007/EG habe Schutzgesetzcharakter im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.

Er beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 10. Dezember 2021, Az. 8 O 306/20,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 17.285,94 EUR abzüglich einer im Termin zu bestimmenden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

hilfsweise

2.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens in Höhe von 19.150,- EUR (25 % des Kaufpreises) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3.

die Beklagte zu verurteilen, ihn von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.196,34 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung bereits für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet, verteidigt das landgerichtliche Urteil und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

II.

A) Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht (§§ 517, 519, 520 ZPO) eingelegt und begründet worden.

Im Ergebnis genügt sie auch der geforderten Form nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Hiernach muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt (BGH, Beschluss vom 25. August 2020, Az. VI ZB 67/19). Der Berufungskläger hat deshalb diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2020, Az. VI ZB 6/20; Urteil vom 2. April 2019, Az. XI ZR 466/17; Beschluss vom 4. November 2015, Az. XII ZB 12/14). Die Berufungsbegründung muss dabei auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein (BGH, Beschluss vom 25. August 2020, Az. VI ZB 67/19; Beschluss vom 7. Mai 2020, Az. IX ZB 62/18).

Gemessen daran wird die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO noch gerecht. Sie setzt sich – zumindest auf den ersten Seiten - mit den das Urteil tragenden Argumenten auseinander und greift diese an. Der vom Kläger auf Seite 25 der Berufungsbegründung angeführte Kaufpreis von 35.800,00 EUR und auf Seite 20 benannte finanzielle Aufwand von 67.777 EUR steht zwar offensichtlich nicht im Zusammenhang mit diesem Rechtsstreit. In der Gesamtbetrachtung wird aber hinreichend deutlich, wogegen sich der Kläger wendet.

B)

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

1.

Ein Anspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB besteht nicht. Der Kläger hat das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei seinem Fahrzeug, durch welche gegebenenfalls eine Stilllegung durch das KBA gedroht hätte, nicht hinreichend vorgetragen.

Der Kläger hat die tatsächlichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch nicht hinreichend dargelegt. Es fehlt an der Behauptung hinreichend konkreter Tatsachen, die den Schluss rechtfertigen könnten, die Beklagte habe dem Kläger einen Schaden in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich zugefügt. Dies käme, vergleichbar mit den anerkannten Fällen der bei VW-Motoren des Typs EA189 verbauten verbotenen Umschaltautomatik (vgl. BGH, Urteil v. 25. Mai 2020, Az. VI ZR 252/19), in Betracht, wenn die Beklagte für den im Fahrzeug des Klägers eingebauten Motor vergleichbare unzulässige Abschalteinrichtungen entwickelt und eingesetzt hätte, um Fahrzeuge mit ihm in Kenntnis der Abschalteinrichtungen und im Bewusstsein ihrer Unrechtmäßigkeit in den Verkehr zu bringen. Der Kläger behauptet aber lediglich „ins Blaue hinein“, dass der von ihm gebraucht erworbene Pkw einen Motor habe, der über zumindest eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge.

Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten. Einer Partei ist es damit grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. ausführlich mit umfangreichen Nachweisen BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 –, Rn. 7f., juris).

Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber „aufs Geratewohl“ gemacht, gleichsam „ins Blaue hinein“ aufgestellt, mit anderen Worten aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen. In der Regel wird (nur) das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte eine solche Annahme rechtfertigen können (BGH Beschluss vom 29. September 2021, Az. VII ZR 71/21 m.w.N.).

Derartige greifbare Anhaltspunkte liefert der klägerische Vortrag indes nicht.

a) Der Auszug aus der Rückrufdatenbank des KBA vom 11. Dezember 2019 (Anlage DB3), der den Hersteller-Code 23X6 benennt, bezieht sich auf mehrere Modelle der Baujahre 2010 bis 2017. Diesem Auszug lässt sich nicht entnehmen, welche konkreten Vorrichtungen bei den einzelnen Modellen und Baujahren vom KBA bemängelt werden, zumal auch die Beschreibung des Rückrufgrundes „Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“ nur generalisierend erfolgt ist. Gerichtsbekannt ist, dass sich der Rückrufcode 23X6 nicht eindeutig einem Sachverhalt zuordnen lässt, vielmehr wurden auch Konformitätsabweichungen erfasst (vgl. auch Urteil des Senats vom 11. November 2021, Az. 5 U 13/21).

Zudem hat das KBA (Anl. B_08 zum Schriftsatz der Beklagten vom 14. Oktober 2021; Bl. 172 d.A.) in einem anderen Rechtsstreit gegenüber dem OLG Hamm bestätigt, dass das dort betroffene Fahrzeug Audi Q7 lediglich wegen einer Konformitätsabweichung zurückgerufen wurde. Das dort betroffene Fahrzeug verwendete einen SCR-Katalysator, der systembedingt mit Reagens betrieben werden muss. Für den Fall, dass missbräuchlich wirkungsloses Reagens in den Behälter eingefüllt wird, würde dies zu höheren Stickoxidemissionen führen, ohne dass dies Fahrzeugnutzer wie vorgeschrieben angezeigt würde und ohne dass das vorgeschriebene Warn- und Aufforderungssystem den Betrieb des Fahrzeugs unterbindet. Da dieses Problem der zuständigen Typengenehmigungsbehörde angezeigt wurde, hatte das KBA aufgrund dieser Konformitätsabweichung einen Rückruf angeordnet. Die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass sich der Rückrufcode 23X6 auch im vorliegenden Fall auf diese Konformitätsabweichung beziehe. Substantiierter Vortrag, dass der streitgegenständliche Audi Q7 wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zurückgerufen wurde, ist weder der Klage noch der Berufung zu entnehmen. Der Kläger hat auch nicht substantiiert vorgetragen, dass in dem Fahrzeug die Strategie A (sog. Aufheizstrategie) verwendet würde. Die Beklagte hat dies ausdrücklich mit Schriftsatz vom 25. November 2021 (Bl. 154) bestritten, die entsprechende Behauptung des Klägers erfolgte lediglich ins Blaue hinein unter Bezugnahme auf „ähnliche Modelle“ des Entwicklungsauftrags (EA) 897 der Beklagten. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens kam schon deshalb nicht in Betracht.

b) Die Behauptung des Klägers, die Beklagte zu 2 habe das KBA im Typgenehmigungsverfahren getäuscht, ist erkennbar ohne Substanz. Der Kläger begründet dies lediglich damit, dass in der Folge ein Rückruf seines Kfz angeordnet worden sei; gerade hiervon kann indes nach dem Ausgeführten nicht ausgegangen werden.

c) Das Vorliegen des sogenannten Thermofensters allein begründet vorliegend keinen Anspruch aus § 826 BGB. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Implementierung des Thermofensters ohne weitere Anhaltspunkte nicht darauf schließen lässt, dass die Beklagte im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit gehandelt hätte. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Berufung auch nicht.

2.

Auch ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz gemäß §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 2007/715 EG besteht nicht.

Ein solcher Anspruch könnte im Hinblick auf die obigen unsubstantiierten Ausführungen zu einer vorsätzlichen unzulässigen Abschalteinrichtung allenfalls unter dem Gesichtspunkt eines Thermofensters denkbar sein.

a) Zu den Spezifika des in dem streitgegenständlichen Pkw Q7 verbauten Thermofensters hat der Kläger aber nichts vorgetragen. Soweit im landgerichtlichen Urteil im streitigen Vortrag ein Temperaturbereich genannt wird, bei dem die Abgasrückführung aktiviert werde, findet sich dazu im klägerischen Vortrag nichts. Es bestehen deshalb konkrete Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO, diesen Temperaturbereich – auch als streitigen Vortrag - zugrunde zu legen. Angesichts des Umstandes, dass alle Diesel-Pkw ein sog. Thermofenster aufweisen, sagt die Implementierung allein nichts über dessen Zulässigkeit. Es fehlt damit bereits an einem Anknüpfungspunkt für eine Verletzung der Vorschriften über unzulässige Abschalteinrichtungen aus dem EG-Typengenehmigungsrecht.

b) Darüber hinaus besteht ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 2007/715 EG bereits aus Rechtsgründen nicht. Dabei kann mit dem EuGH davon ausgegangen werden, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern auch Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeuges gegen dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (EuGH, Urteil vom 21. März 2023, Az. C-100/21, Rn. 85). Allerdings betont der EuGH, dass die Ausgestaltung eines Schadensersatzanspruchs und die damit zusammenhängenden Modalitäten Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats sind (a.a.O., Rn. 91), wobei zu beachten ist, dass es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden darf, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten, der ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 enthaltene Verbot entstanden ist (a.a.O., Rn. 93). All dies darf schließlich nicht dazu führen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt (a.a.O., Rn. 94, m.w.N.).

Die vorgenannten Grundsätze besagen aber für die hier allein interessierende Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, nichts (vgl. statt vieler BGH, Beschl. v. 12.01.2022 – VII ZR 438/21, BeckRS 2022, 1191 Rn. 3). Es sind auch unter Berücksichtigung der angeführten EuGH-Entscheidung keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und hieraus den konkret geltend gemachten Anspruch auf einen pauschalierten Schaden allein wegen des ungewollten Vertragsabschlusses hätte knüpfen wollen. Wie der EuGH ausdrücklich betont, steht es den Mitgliedstaaten frei, die Modalitäten des Schadensersatzes zu regeln, was in der Folge auch ermöglicht, einen Anspruch auf Minderung oder Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen einer Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zu verneinen, wenn dem Käufer im nationalen Rechtsschutzsystem ein grundsätzlich wirksamer und effektiver Rechtsschutz bei Verletzungen des Herstellers gegen die Vorschriften des Art. 5 VO (EG) 715/2007 zukommt. Insoweit enthält das deutsche Recht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in erster Linie - sogar z.T. verschuldensunabhängige - äußert „wirksame und abschreckende“ kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 21.07.2021 - VIII ZR 254/20) und Ansprüche aus unerlaubter Handlung gegen den Fahrzeugverkäufer. Der Fahrzeughersteller unterliegt wegen etwaiger Aufwendungen des Fahrzeugverkäufers im Rahmen der Gewährleistung gem. § 445a BGB dem Rückgriff des Händlers, hat also wirtschaftlich die Folgen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen ggf. voll und allein zu tragen, was nach Auffassung des Senats fraglos auch ausreichenden Anreiz böte, die Unionsvorschriften im Sinne der jüngsten EuGH-Rechtsprechung penibel einzuhalten (ähnlich auch OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juni 2022, Az. 24 U 115/22, Rn. 87). Dass es aus Gründen der „Äquivalenz und der Effektivität“ gleichwohl unionsrechtlich noch zusätzlich der Begründung einer auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten unmittelbaren Fahrlässigkeitshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 gegen den Fahrzeughersteller bedürfte, erscheint daher nach wie vor fernliegend (vgl. hierzu insgesamt OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG München, a.a.O., Rn. 37).

c) Weiterhin fehlt es an hinreichend substantiiertem Vortrag des Klägers zur Fahrlässigkeit als subjektives Tatbestandsmerkmal des § 823 Abs. 2 BGB. Für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB iVm einem Schutzgesetz ist für die Verwirklichung des Tatbestands zumindest einfache Fahrlässigkeit erforderlich. Ob der Fahrlässigkeitsvorwurf zu erheben ist, bedarf aber der Feststellung im konkreten Einzelfall und setzt einen darauf bezogenen Vortrag voraus. Hieran fehlt es vorliegend.

Fahrlässig handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Wie bei allen Verschuldensgraden sind auch bei der einfachen Fahrlässigkeit kognitive und voluntative Voraussetzungen zu unterscheiden, die herkömmlich mit den Begriffen Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit umschrieben werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1996 – VI ZR 161/95, NJW-RR 1996, 980; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2022, Az. 25 U 49/22, BeckRS 2022, 18725 Rn. 43; MüKoBGB/Grundmann, 9. Aufl. 2022, § 276 Rn. 53). Die Erkennbarkeit gliedert sich wiederum in die Erkennbarkeit im Tatsächlichen sowie im Rechtlichen (vgl. MüKoBGB/Grundmann, 9. Aufl. 2022, § 276 Rn. 68-76). Fahrlässigkeit setzt die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit voraus, wobei das Wissen des jeweiligen Verkehrskreises um Rechtsnormen zu fordern ist (vgl. RGZ 53, 204; MüKoBGB/Grundmann, 9. Aufl. 2022, § 276 Rn. 73). Dem Betroffenen obliegt es dabei stets, sich Rechtsrat bei rechtskundigen Personen zu holen, wenn er die rechtliche Lage nicht beurteilen kann, wobei die Unübersichtlichkeit der Rechtslage zu sehr eingehender Überprüfung der rechtlichen Zusammenhänge zwingt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2001, Az. VII ZR 279/00; MüKoBGB/Grundmann, 9. Aufl. 2022, § 276 Rn. 73). Um den strengen Anforderungen an die dem Vorstand einer Aktiengesellschaft obliegende Prüfung der Rechtslage und die Beachtung von Gesetz und Rechtsprechung zu genügen, reicht eine schlichte Anfrage bei einer von dem organschaftlichen Vertreter für fachkundig gehaltenen Person durch die Gesellschaft nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass sich das Vertretungsorgan, das selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 2007, Az. II ZR 48/06).

Eine Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Rechtmäßigkeit von nicht ausschließlich prüfstandbezogenen Abschalteinrichtungen mag unterstellt werden. Eine Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit war jedenfalls bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Dezember 2020 (Az. C-693/18), in der das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung qualifiziert wurde, jedoch nicht gegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt durften die Hersteller noch von einer weiten Auslegung von Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a VO 715/2007/EG und mithin davon ausgehen, dass eine solche Steuerung aus Gründen des Motor- oder Bauteilschutzes zulässig sei, da bis dahin nahezu alle europäischen Hersteller ihre Dieselfahrzeuge mit Abschalteinrichtungen ausgerüstet hatten und dies trotz umfangreicher Untersuchungen der Behörden auch nicht beanstandet wurde (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 22. Februar 2023, Az. 5 U 1075/22; OLG Schleswig, Beschluss vom 27. Juni 2022 – 7 U 44/22, BeckRS 2022, 19428 Rn. 23). Angesichts der teils nicht eindeutigen Formulierungen der einschlägigen europarechtlichen Normen und der Unsicherheit, inwieweit Abschalteinrichtungen zum Schutz des Motors und von Bauteilen zulässig ist, hätte auch die Einholung eines Rechtsrats durch die Beklagte – bis zu einer höchstrichterlichen Klärung durch den Europäischen Gerichtshof – keine eindeutige Antwort zu den Grenzen der Zulässigkeit nicht ausschließlich prüfstandbezogener Abschalteinrichtungen erbringen können, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt. Die sich daraus ergebenden technischen und wirtschaftlichen Spielräume darf ein Unternehmen dann aber ohne Fahrlässigkeitsvorwurf nutzen. Dabei kann nicht außer Acht gelassen werden, dass das Kraftfahrt-Bundesamt und das Bundesverkehrsministerium den Einsatz von nicht ausschließlich prüfstandbezogenen Abschalteinrichtungen – wie hier das Thermofenster - nicht für unzulässig erachtet haben und der Einsatz solcher Abschaltmechanismen in modernen Dieselmotoren aller Hersteller üblich ist (OLG Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2022 – 25 U 49/22, BeckRS 2022, 18725; OLG Frankfurt, Urteil vom 20. Juli 2022 – 2 U 126/21, BeckRS 2022, 18666 Rn. 32). Es fehlte deshalb auch am Tatbestandsmerkmal der Erkennbarkeit der möglichen Schutzgesetzverletzung (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 19. Januar 2023, Az. 18 U 110/21).

Angesichts dessen gebietet der effektive Rechtsschutz auch kein Abwarten der vom Bundesgerichtshof nunmehr für den 8.Mai 2023 angekündigten Entscheidung zu der Frage des Vorliegens eines Schutzgesetzes, zumal es hier bereits an ausreichendem Vortrag zum Thermofenster fehlt (vgl. oben lit. a).

3.

Da ein Anspruch in der Hauptsache ausscheidet, steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.

4.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

5.

Eine Revisionszulassung ist nicht veranlasst, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen ist (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Entscheidung orientiert sich an den gefestigten Grundsätzen der obergerichtlichen Rechtsprechung.