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Entscheidung 6 W 72/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 6. Zivilsenat Entscheidungsdatum 06.06.2023
Aktenzeichen 6 W 72/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0606.6W72.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 22.06.2022, Az. 14 S 1/17, wird zurückgewiesen.

        

Gründe

        

I.

Die Beschwerdeführerin nahm im Ausgangsrechtsstreit die Beklagte auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung in Anspruch. Das Amtsgericht gab der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens teilweise statt. Gegen die Abweisung der weitergehenden Klage wandte sich die Beschwerdeführerin mit einer Berufung. Im Rechtsmittelverfahren holte das Landgericht, welches das erstinstanzliche Gutachten für unzureichend hielt, gemäß Beweisbeschluss vom 13.11.2013 ein Ergänzungsgutachten des erstinstanzlich beauftragt gewesenen Sachverständigen ein, das seitens der Beschwerdegegnerin mit 939,15 € vergütet wurde.

Mit Beschluss vom 23.01.2015 bewilligte das Landgericht der Beklagten für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe.

Im weiteren Verfahrensverlauf ordnete das Landgericht eine neue Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen an, der für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens mit 2.591,82 € und weiteren 1.772,11 €, für eine vom Gericht angeordnete Ergänzung des Gutachtens mit 1.598,09 € und für die Teilnahme an zwei Beweisterminen mit jeweils 559,30 € aus der Landeskasse vergütet wurde. Ein von der Beschwerdeführerin wegen der Sachverständigenkosten vor der PKH-Bewilligung angeforderter und geleisteter Auslagenvorschuss in Höhe von insgesamt 4.000 € ist ihr nach einer Rückzahlungsmitteilung vom 09.04.2018 erstattet worden.

Mit Urteil vom 29.12.2017 änderte das Landgericht das angefochtene Urteil dem Berufungsantrag gemäß ab. Zugleich legte es die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen der Beklagten auf und setzte es den Gebührenstreitwert für die Berufungsinstanz auf 237,36 € fest.

Mit Beschluss vom 28.01.2021 hob das Amtsgericht Potsdam die mit dem landgerichtlichen Beschluss vom 23.01.2015 erfolgte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO auf.

Unter dem 14.03.2022 nahm die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin als Zweitschuldnerin wegen der zweitinstanzlichen Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG in der bis 31.12.2013 geltenden Fassung (im Folgenden: GKG a.F.) in Höhe von 140 € sowie wegen der in der Berufungsinstanz verauslagten Sachverständigenkosten in Höhe von insgesamt 8.019,77 € in Anspruch (Kassenzeichen 7721200038408Z001).

Gegen den Kostenansatz hat die Beschwerdeführerin Erinnerung eingelegt. Sie hat gemeint, ihrer Heranziehung als Zweitschuldnerin stehe gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 GKG a.F. entgegen, dass der Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt gewesen sei. Die Aufhebung der Bewilligung rechtfertige aus näher ausgeführten verfassungsrechtlichen Erwägungen keine andere Würdigung. Das Landgericht hat die Erinnerung mit Beschluss vom 22.06.2022 zurückgewiesen.

Mit ihrer gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine unzureichende Begründung des angefochtenen Beschlusses. Im Übrigen wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem hiesigen Gericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Der gemäß § 66 Abs. 2 GKG als Beschwerde statthafte Rechtsbehelf ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.

1.

Der angegriffene Kostenansatz ist richtig. Da die Beklagte als Entscheidungsschuldnerin im Sinne von § 29 Nr. 1 GKG nach der Mitteilung der Beschwerdegegnerin vom 13.09.2021 (Blatt 684 d.A.) amtsbekannt pfandlos ist, sind die Kosten des Berufungsverfahrens, nämlich die Verfahrensgebühr nach Nr. 1220 KV GKG und die Auslagen nach Nr. 9005 KV GKG, gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1, § 31 Abs. 2 Satz 1 GKG gegenüber der Beschwerdeführerin geltend zu machen.

Dass der Beklagten durch Beschluss des Landgerichts vom 23.01.2015 für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe gewährt worden war, steht dem nicht entgegen. Denn die Bewilligung ist durch den mittlerweile rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 28.01.2021 aufgehoben worden.

Die nachträgliche Aufhebung der PKH-Bewilligung beim Entscheidungsschuldner führt grundsätzlich dazu, dass die Sperre nach § 31 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 GKG entfällt (OLG Celle, Beschluss vom 17.06.2015 - 2 W 145/15, BeckRS 2015, 11277; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.01.2016 – 5 WF 176/15, BeckRS 2016, 4930, Rn. 16; s. auch Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auflage 2021, § 31 GKG, Rn. 5; Volpert, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, § 31 GKG, Rn. 74 ff.). Die Beschwerdeführerin weist demgegenüber zwar im Grundsatz zutreffend darauf hin, dass die in § 31 Abs. 3 Satz 1 GKG geregelte Freistellung des Zweitschuldners in verfassungskonformer Auslegung dieser Bestimmungen fort gilt, wenn anderenfalls die Justizgewährung unzumutbar erschwert wäre. Dies ist der Fall, wenn der Prozessgegner einer armen Partei, der zunächst Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, die dann aber wegen deren mangelnder Mitwirkung widerrufen wird, bei kostenträchtigen Beweiserhebungen auf Beweisantritt dieser Partei hin zur Aufgabe der Rechtsverfolgung oder zur Übernahme eines von ihm nicht zu vertretenden, wirtschaftlich völlig unvernünftigen Risikos gezwungen wäre. In derartigen Fallkonstellationen ist § 31 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 GKG verfassungskonform dahin auszulegen, dass er auch dann einen Rückgriff auf den Zweitschuldner verbietet, wenn Prozesskostenhilfe im Zeitpunkt der jeweiligen auslagen- und kostenauslösenden richterlichen Anordnung bewilligt war, diese aber nachträglich gemäß § 124 ZPO aufgehoben wurde. In solchen Ausnahmefällen bleibt das Risiko, dass die Kosten beim Entscheidungsschuldner nicht beigetrieben werden können, beim Staat (BVerfG, Beschluss vom 23.05.2012 – 1 BvR 2096/09, NJW 2013, 2882, Rn. 23 f.).

Ein solcher Ausnahmefall ist hier aber nicht gegeben, da der Sachverständigenbeweis vom Berufungsgericht nicht auf Antrag der Beklagten, sondern der Beschwerdeführerin erhoben und der erste diesbezügliche Beweisbeschluss überdies bereits vor der Bewilligung der Prozesskostenhilfe gefasst und durchgeführt worden war. Anders als in dem der vorzitierten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt realisiert sich in der Zweitschuldnerhaftung der Beschwerdeführerin vorliegend daher kein Kostenrisiko, welches durch vorschusslose Beweisantritte und die Verweigerung der Mitwirkung im Prozesskostenhilfeprüfverfahren in der Hand der Prozessgegnerin lag. Vielmehr beruhen die Kosten, für die die Beschwerdeführerin hier in Anspruch genommen wird, darauf, dass sie das Berufungsverfahren eingeleitet und darin an ihrem erstinstanzlich gestellten Beweisantrag festgehalten hat. In dieser Fallgestaltung stellt sich der Fortfall der Rückgriffssperre nach § 31 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 GKG nicht als Erschwerung der Justizgewährung dar, sondern wird die Beschwerdeführerin wirtschaftlich so gestellt, wie sie ohne die Bewilligung der Prozesskostenhilfe gestanden hätte. Auch in diesem Fall hätte sie die Gerichtskosten tragen und für die auf ihren Antrag hin erfolgte Beweiserhebung einen Vorschuss zu leisten und damit das Risiko zu tragen gehabt, den Anspruch auf Erstattung dieser Kosten gegen die Beklagte nicht durchsetzen zu können.

Eine andere Würdigung ist nicht deshalb geboten, weil für die Durchsetzung des Mieterhöhungsverlangens von monatlich 20,29 € Sachverständigenkosten in Höhe von insgesamt über 10.000 € angefallen sind. Die von der Beschwerde vertretene Auffassung, wonach die Entstehung dieser erheblichen Kosten wesentlich auf das prozessuale Verhalten der Beklagten zurückzuführen sei, ist nicht nachvollziehbar. Die Kosten sind angefallen, weil das Amtsgericht den von der Beschwerdeführerin angebotenen Sachverständigenbeweis erhoben hat und das Berufungsgericht das Gutachten auch nach der Ergänzung für untauglich angesehen hat, es deshalb ein neues Gutachten beauftragt hat und dieses für nachbesserungs- und erläuterungsbedürftig gehalten hat. Inwiefern diese Kosten bei einem die Belange der Beklagten vernünftig und kostenbewusst wahrnehmenden Prozessverhalten nicht oder nur in geringerem Maße angefallen wären, zeigt die Beschwerde nicht auf und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Aus den vorstehenden Erwägungen rechtfertigt auch das Eigentumsgrundrecht der Beschwerdeführerin hinsichtlich der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Mietwohnung keine Anwendung der Rückgriffssperre über die Aufhebung der Prozesskostenhilfe hinaus. Auch insofern hat sich kein mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Zusammenhang stehendes Risiko verwirklicht, da die Beschwerdeführerin ohne die PKH-Bewilligung für den auf ihren Antrag hin erhobenen Sachverständigenbeweis Vorschüsse zu zahlen und das Risiko der Durchsetzung eines dahingehenden Erstattungsanspruchs gegen die Beklagte zu tragen gehabt hätte. Die Belastung einer Prozesspartei mit einem derartigen Kostenrisiko bzw. mit den vom Gericht verauslagten Kosten einer Beweisaufnahme, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.05.2012 – 1 BvR 2096/09, a.a.O., Rn. 18).

Nicht nachzuvollziehen vermag der Senat schließlich den Einwand der Beschwerde, wonach es einzig und allein die der Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorausgehende Prognose des Gerichts sei, welches der Verteidigung gegen die Klage Erfolgsaussichten zubillige, die letztlich zu der Entstehung der Kosten der Beweisaufnahme führe. Davon abgesehen waren die Erfolgsaussichten der Verteidigung gegen die Berufung der Beschwerdeführerin für die hier in Rede stehende Prozesskostenhilfebewilligung nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht zu prüfen.

2.

Eine Wertfestsetzung und eine Kostenentscheidung sind nicht veranlasst, § 66 Abs. 8 GKG.