Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 2 Ws 62/23 (S)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 01.06.2023
Aktenzeichen 2 Ws 62/23 (S) ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0601.2WS62.23S.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Cottbus – Strafvollstreckungskammer – vom 17. Februar 2023 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Die Verurteilte verbüßt seit dem 10. Februar 2022 eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten aus dem Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 4. August 2020, eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juli 2019 sowie eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten aus Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. Dezember 2019 und befindet sich erstmalig in Strafhaft. Zwei Drittel der Strafen sind seit dem 20. April 2023 vollstreckt. Das Strafende ist auf den 12. Januar 2024 notiert. Anschließend ist der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen notiert.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Cottbus hat durch Beschluss vom 17. Februar 2023 die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafen unter Weisungen zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Berlin sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig, jedoch unbegründet, denn das Landgericht hat richtig entschieden.

Die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafen ist nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen, weil dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB).

Das Landgericht hat mit Recht auf die für die Verurteile bei einem erstmaligen Freiheitsentzug streitende Vermutung abgestellt, dass der Eindruck und die Wirkung des Strafvollzugs einer künftigen Straffälligkeit entgegen wirken; bei einem erstmaligen Freiheitsentzug ist in der Regel zu erwarten, dass die Strafe ihre spezialpräventiven Wirkungen entfaltet hat, so dass es regelmäßig verantwortbar ist, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, wenn dem nicht gewichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 201, 202). Dass sich die Verurteilte bereits in Untersuchungshaft befand, steht weder dem Erstverbüßerprivileg gemäß § 57 Abs. 2 StGB (OLG Stuttgart, Beschl. v. 28. September 1989 – 4 Ws 246/89; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. November 1995 – 3 Ws 655 – 656/95) noch der Vermutungswirkung für den generalpräventiven Erfolg des erstmaligen Vollzugs einer Freiheitsstrafe entgegen. Soweit sich aus der von der Staatsanwaltschaft in der Beschwerdebegründung zitierten Entscheidung des Kammergerichts (Beschl. v. 4. Dezember 2013 – 2 Ws 577/13, zit. nach Juris) Abweichendes ergibt, wird dies vom Senat so nicht geteilt. Erlittene Untersuchungshaft ist vielmehr nicht mit verbüßter Freiheitsstrafe gleichzusetzen, weil die erstmalige Verbüßung rechtskräftig verhängten Freiheitsentzuges in der Regel einen besonders nachhaltigen und spezialpräventiv wirksamen Eindruck auf den Verurteilten macht, was bei der Untersuchungshaft grundsätzlich nicht der Fall ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 21. Juli 1998 – 1 Ws 347-349/18, zit. nach Juris; Fischer, StGB 69. Aufl. § 57 Rn. 14 mwN).

Die danach für eine spezialpräventiv wirksame erstmalige Haftverbüßung streitende Vermutung ist in der Gesamtschau aller zu berücksichtigenden Umstände nicht entkräftet, wobei  die Führung während des Vollzuges ausweislich des Berichtes der Justizvollzugsanstalt auch keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben hat.

Zwar ist prognostisch ungünstig, dass die Verurteilte vom 7. September bis zum 31. Oktober 2018 bereits Untersuchungshaft verbüßt und die Warnfunktion der Untersuchungshaft (vgl. KG, Beschl. v. 17. Dezember 1996 –1 AR 1585/96 – 5 Ws 729, zit. nach Juris) mithin insoweit versagt hat, sie darüber hinaus seit 2017 wiederholt straffällig geworden ist, in der Bewährungszeit Straftaten begangen und sich auch durch die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe nicht von der Begehung erneuter Straftaten hat abhalten lassen.

Bei der Entscheidung, das Wagnis einer Erprobung in Freiheit einzugehen, ist jedoch nicht die zweifelsfreie Gewissheit erforderlich, die Verurteilte werde künftig straffrei bleiben. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Haftentlassung nach einer resozialisierend wirkenden Teilverbüßung der verhängten Strafe unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit zu verantworten ist, wobei je nach der Schwere der Straftaten, die im Falle eines Bewährungsbruchs zu erwarten wären, unterschiedliche Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit für ein künftiges strafloses Leben der Verurteilten zu stellen sind (vgl. BGH, aaO.). Insgesamt ist es dabei ausreichend, dass bei Abwägung aller Umstände eine reelle Chance für das positive Ergebnis einer Erprobung der Verurteilten außerhalb des Strafvollzugs besteht (vgl. Fischer, aaO. § 57 Rdnr. 14 m. w. N.).

Dies ist der Fall. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Verurteilte wegen wiederholter Ladendiebstähle, wegen Hausfriedensbruch und Erschleichen von Leistungen verurteilt wurde und das Ausmaß der Rechtsgutsgefährdung der Allgemeinheit insoweit nicht so gravierend ist, dass eine Reststrafenaussetzung unverantwortbar wäre. Dies gilt auch mit Rücksicht darauf, dass die von der Verurteilten angegebenen und nunmehr angeblich entfallenden Gründe für die Tatbegehungen – Notsituation der Kinder in ihrem Heimatland, die nunmehr jedoch beide verheiratet sind und in eigenen Haushalten leben – aus Sicht des Senates nicht als sonderlich plausibel einzuschätzen sind. Andererseits ist entsprechend der Angaben der Verurteilten davon auszugehen, dass sie in der Asylbewerberunterkunft bislang als Reinigungskraft gearbeitet und zu den empfangenen Sozialleistungen Geld hinzu verdient habe, so dass sie über feste Einkünfte als wesentlich stabilisierenden Faktor verfügt und somit insgesamt eine nicht unrealistische Perspektive für einen zukünftig straffreies Leben angenommen werden kann. Hinzu kommt, dass die Verurteilte seit dem 28. Juli 2020 bis zu ihrer Inhaftierung soweit ersichtlich auch nicht mehr straffällig geworden ist.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO.